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Tanz auf dem Vulkan
   
geschrieben von Julian en voyage am: 10.04.23, 20:25
Aufrufe: 647

Nicht gerade üppig in der Galerie vertreten sind die italienischen "Full-Chopper" der Reihe ALe 724, die zum Beginn der 80er Jahre maßstabsbildend für neue Triebwagentechnik waren, aber mit ihrer nur begrenzten geografischen Verbreitung vor allem in den Ballungsräumen Neapel und Turin sowie den wenig prestigeträchtigen Vorortdiensten, die sie Zeit ihrer Karriere verrichteten, für Reisende und Fanszene gleichermaßen im Schatten anderer Fahrzeugtypen standen. Anlass genug, einmal einen Blick auf die "Passante di Napoli" zu werfen, jene Durchmesserlinie der Staatsbahn, die heute als Linie 2 ins Neapolitaner Metronetz aufgenommen wurde und auf der die ALe 724 seit ihrer Ablieferung 1982/83 bis zum Dienstende vierzig Jahre später heimisch waren!

Kurz vor dem westlichen Ende der "Metropolitana" verläuft die Strecke auf besonders bemerkenswertem Terrain, mitten über der Kernzone des "Supervulkans" der Phlegräischen Felder/Campi Flegrei! Auf einem Gebiet von insgesamt mehr als 150 km² erstreckt sich die eingesunkene Caldera, wobei die vulkanische Aktivität heute auf den ersten Blick vor allem in Form vieler kleinerer Vulkankegel zu Tage tritt. Der größte davon ist der Solfatara-Krater, von dessen Hang dieses Foto entstanden ist. Ungeachtet der ständigen Bedrohung durch Erdbeben und eine potentielle, immer wahrscheinlicher werdende Eruption erstreckt sich zu seinen Füßen - wie eigentlich im gesamten Großraum Neapel - dichte Wohnbebauung, und das seit Jahrtausenden. Auch wenn man sich in Pozzuoli mit der Gefahr arrangiert zu haben scheint, schwingt doch immer eine Mischung aus Faszination und Schauer mit, wenn die beißend riechenden Schwefeldämpfe aus dem Vulkan hinüber wehen oder man als Tourist die Ruinen des römischen Macellums besichtigt, dessen Säulen von Bohrmuscheln übersäht sind. Denn die einstmals in Ufernähe errichteten und auch heute wieder auf dem Trockenen liegenden Bauten sind zwischenzeitlich einmal ins Meer ab- und wieder aufgetaucht! Die Erdkruste hat sich aufgrund der vulkanischen Aktivität mehrfach gesenkt und gehoben, insgesamt über 10 Meter...

Einen interessanten Kurzbeitrag über Faszination und Gefährdungspotential gibt's u.a. von Quarks: [www.youtube.com]

Aber kehren wir von dem ab, was unter der Erde vor sich hin brodelt und gehen kurz auf das Sichtbare ein, jedenfalls auf die markantesten Punkte: Im Vordergrund unterhalb der Fotostelle, zu der Yannick und ich uns durch ein schier undurchdringliches Dickicht aus Kakteen und sonstigem Dornengestrüpp den steilen Hang empor gekämpft hatten, erstreckt sich links das frisch sanierte und in Pastellgelb getünchte Santuario di San Gennaro alla Solfatara, ihm rechts gegenüber als kaum krasser denkbarer Kontrast das im Verfall begriffene ehemalige Militärkrankenhaus, das 1917 als Sanatorium für tuberkulosekranke Soldaten errichtet wurde und einer Nachnutzung harrt.

Auf der "Passante" rollt ein unerkannt gebliebener ALe 724 als M 7612 (Napoli San Giovanni-Barra - Pozzuoli Solfatara) seinem Endbahnhof entgegen, der knapp außerhalb des Bildausschnitts liegt. Dahinter neben neueren Wohnquartieren direkt an der Küstenlinie des Golfs von Pozzuoli das auf einem Tuffsteinfelsen errichtete historische Stadtquartier Rione Terra, das 1970 im Zuge eines vorhergesagten Absenkens des Erdbodens (die römische Markthalle mit Muschelbesatz lässt grüßen...) und wegen der prekären sanitären Zustände geräumt wurde, aber in jüngster Vergangenheit eine behutsame Wiederbelebung erfährt. Die sichtbaren Baukräne künden davon. Rechts schließt sich das Hafenbecken an, in dem gerade eine der kleinen Fähren manövriert, die Pozzuoli mit den Inseln Ischia und Procida verbinden.

Auch die Landzunge im Hintergrund, die den Golf von Pozzuoli vom offenen Tyrrhenischen Meer trennt, ist reich an historischer Bausubstanz. Links im Bild als markantester Punkt das Castello Aragonese von Baia, das Alfonso von Aragon (die Spanier waren also auch hier) im 15. Jahrhundert an der strategisch wichtigen Stelle errichten ließ. Weiter rechts zur tiefsten Stelle der Landzunge hin - im Bild nur erkennbar, wenn man es weiß - lassen sich die antiken Termen des römischen Seebads Baiae besichtigen, das der sittenstrenge Seneca als "deversorium vitiorum", als "Rasthaus der Laster" brandmarkte...

Jetzt aber genug der Geschichts- und Geografiestunde! Für alles weitere gilt: Am besten selbst hinfahren, auch wenn man 2023 nicht mehr mit dem "Full-Chopper" anreisen kann. ;)

PS: Graffiti auf den Mittelwagen digital entfernt.

Datum: 05.09.2019 Ort: Pozzuoli Land: Europa: Italien
BR: 4XAusl (sonstige ausländische Elektrotriebwagen) / IT-ALe724 Fahrzeugeinsteller: Trenitalia
Kategorie: Bahn und Landschaft

EXIF-Daten:
Hersteller: SONY , Modell: DSLR-A350, Belichtungszeit: 1/800 sec, Blende: F/8.0, Datum/Uhrzeit: 05.09.2019 08:24:30, Brennweite: 35 mm, Bildgröße: 865 x 1280 Pixel


geschrieben von: Olli Sydow
Datum: 11.04.23, 11:01

Toller Blick mit viel Entdeckungspotenzial.

geschrieben von: claus_pusch
Datum: 11.04.23, 13:04

Hallo Julian, also dieses Bild ist wieder mal ganz großes Kino. Ein phänomenaler Aussichtspunkt, der vermutlich von Eisenbahnfreunden selten bis nie aufgesucht wird. Und das Lost-Place-Spital im Vordergrund ist auch klasse. *
Viele Grüße, Claus

geschrieben von: 215 082-9
Datum: 14.04.23, 23:16

Moin Julian,

wie schon bei Flickr geschrieben: Einfach toll, Text und Bild! *

VG Pau

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