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[B] Die Geister-Metro von Charleroi

geschrieben von: chris_p

Datum: 24.07.07 07:14

900.000 km legen die Straßenbahnzüge in Charleroi/Südbelgien im Jahr auf den tatsächlich in Betrieb befindlichen Strecken der TEC zurück, keinen davon jedoch jemals auf dem Zweig, der vom Hauptbahnhof durchs Hochhausviertel der Industriearbeiterschaft an die westliche Stadtgrenze nach Chatelet führt. Er gehört zu den Relikten eines in den 60ern gigantisch geplanten Metronetzes von acht Linien (gemeint war eine Straßenbahn, die abschnittweise auch mal unterirdisch fährt), deren Trassenführung weithin sichtbare, irreversible Einschnitte ins Stadtbild hinterlassen hat.

http://www.fotodesignweb.de/metro/01_klein.jpg

Irgendwann, während schon emsig gebaut wurde, wurde man nüchtern: Eine Million Einwohner, ist nachgerechnet worden, wären überhaupt erforderlich, um ein Netz von der ursprünglich projektierten Größe gewinnbringend zu betreiben. Hinzu kam Streit zwischen Kommune und Staat um die Finanzierung des Betriebes, sowie Eifersüchteleien zwischen zwei konkurrierenden Bahngesellschaften. Da wurde es absurd,
"der Kram geschmissen", und der Anfang der Trasse war ihr Ende, denn die meisten Bahnhöfe auf der Linie waren schon fertig, 54 Züge bestellt und der Strom für Signale und Rolltreppen eingeschaltet, um sofort wieder abgeschaltet zu werden.

Im Jahre 2005 leuchteten noch die Signale auf einer in 20 Jahren nur zu einigen Schulungsfahrten benutzten Strecke; inzwischen sind sie, vermutlich durch Vandalismus, zerstört. Diese Metrotrasse steht, gammelnd, wie ein Symbol für den Bankrott naiver Utopien der 70er von einer Modernität, in der alle Schichten im Paradies auf Erden leben würden; dem "kleinen Mann", der es mit der Bahn bequem von seiner Hochhauswohnung ins Zentrum haben sollte,- die leeren Bahnhöfe stehen absurd dicht auf Sichtabstand- ist sie heute allerdings eine Mischung aus Behinderung durch die Zerteilung der Stadtviertel, außerdem ein Wandschmiererparadies und gigantisch günstiger Müllabladeplatz.

Abweisend und fesselnd zugleich: Mein Zusammenhang ist die Fotografie moderner Ruinen allgemein; für ein mögliches Internet- oder Dokumentationsprojekt suche ich zum Thema Metro Charleroi im Forum jemanden, der zur technischen Seite (Signaltypen, Oberleitung, Schienen, bauliche Besonderheiten u.ä.) Kommentare zu dem Bildmaterial beisteuern könnte, das ich bei mehreren Besuchen an der Trasse über drei Jahre hinweg gemacht habe; aber auch bei Interesse an Fotoexkursionen zu diesem Objekt wären mir Zuschriften willkommen.



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 2007:07:24:07:15:25.

Re: [B] Die Geister-Metro von Charleroi

geschrieben von: reveal

Datum: 24.07.07 11:24

In Antwerpen hat man das ganze unter die Erde verlegt, dort besteht eine komplette Strecke im Rohbau. Fahren kann man darauf nicht, weil die halt nur Einrichter haben und keine Tunnelausgänge oder Wendeschleifen dort hätten...

Re: [B] Die Geister-Metro von Charleroi

geschrieben von: B80D-DUEWAG

Datum: 24.07.07 11:35

Wird die Metro komplett nicht betrieben?
Auf den Bildern sieht es so aus als ob wenigstens ein Teil oder eine Linie auf dem Metronetz fahren würde.

Bilder findest du auch unter dem folgenden Link:

[www.railfaneurope.net]

Über nähere Informationen wäre ich dankbar.

nix (o.w.T)

geschrieben von: Philipp Herrlich

Datum: 24.07.07 12:09

(Dieser Beitrag enthält keinen Text)
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 2007:07:24:12:14:04.

Re: [B] Die Geister-Metro von Charleroi

geschrieben von: ingolf

Datum: 24.07.07 12:32

reveal schrieb:
-------------------------------------------------------
> In Antwerpen hat man das ganze unter die Erde
> verlegt, dort besteht eine komplette Strecke im
> Rohbau. Fahren kann man darauf nicht, weil die
> halt nur Einrichter haben und keine Tunnelausgänge
> oder Wendeschleifen dort hätten...

Diese Aussage gehört allerdings eher in den Bereich urbaner Legenden ;-)
Wahr ist dahingegen, dass es in Antwerpen eine ganzes Netz von Tunnelstrecken gibt.
Ein Teil davon wird auch von Straßenbahnen befahren, ein anderer Teil befindet sich rohbaufertig im Untergrund.
Zumindest einer der jetzt noch rohbaufertigen Tunnel soll in den nächsten Jahren ausgebaut werden, bei anderen Abschnitten hat man derartige Planungen aufgegeben und modernisiert z.T. die obendrüber verlaufenden Oberflächenstrecken und baut das Netz aus.

Ähnlich wie in Charleroi hat man in Antwerpen vor einigen Jahrzehnten auf den "großen Wurf" gehofft. So hat man - ohne das die Finanzierung gesichert war - begonnen, viele Tunnelstrecken zu bauen, um die vorhandenen Straßenbahnen von der Oberfläche zu eliminieren. Dabei hat man kalkuliert, dass nach der rohbaufertigen Erstellung der belgische Staat sicher noch die nicht unerheblichen Mittel für eine vollständige Fertigstellung der Trassen zur Verfügung stellt. Doch genau das ist nicht passiert und die Städte standen vor einem Scherbenhaufen.
Übrigens galt eine solche Vorgehensweise als eine Art belgische Spezialität - so soll es eine ganze Reihe nicht erklärbarer Autobahnbrücken ohne jeglichen Anschluss mitten in der Landschaft geben...

Antwerpen hat aus heutiger Sicht aus dieser Situation noch das beste gemacht: Es ist gelungen, einige der Tunnelstrecken (u.a. unter der Schelde hindurch in Bereiche, die vorher nicht von der Straßenbahn erschlossen wurden)in Betrieb zu nehmen. Der Schwerpunkt liegt aber heute (aus meiner Sicht vernünftigerweise) v.a. auf der Modernisierung und dem Ausbau der Straßenbahn an der Oberfläche. Es ist davon auszugehen, dass einige Tunnel nie mehr ausgebaut werden.

In Charleroi hat man ähnlich wie in Antwerpen begonnen, viele Tunnel im Rohbau fertigzustellen. Allerdings hat man dort das Oberflächennetz nicht erhalten (es handelte sich dabei bis in die siebziger/achtziger Jahre um eine umfangreiches Überlandnetz) sondern bis Anfang der 1990er Jahren nahezu komplett stillgelegt. Dabei hat man noch in den achtziger Jahren einige dieser Strecken modernisiert.
In Betrieb befinden sich heute 4 Stadtbahnlinien, die aus dem alten Netz hervorgegangen sind - allerdings weitgehend neu trassiert (z.T. im Tunnel). Es gibt Ausbaupläne, aber aktuell habe ich dazu nichts gehört.

Viele Grüße
Ingolf

Wieso ist der Link weg?

geschrieben von: Bude

Datum: 24.07.07 13:02

Hier war doch gerade noch ein Link zu einer sehr interessanten Seite? Wo ist der denn hin?

Re: Wieso ist der Link weg?

geschrieben von: Statistiker

Datum: 24.07.07 15:30

Warum er weg ist, weiß ich auch nicht. Aber zum Glück gibts ja den Verlauf im Explorer.
[www.trams-trolleybus.be]
[diggelfjoer.swalker.nl]



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 2007:07:24:17:29:06.

Re: [B] Charleroi, Station PENSEE

geschrieben von: chris_p

Datum: 24.07.07 19:20

Sie diente nie einem Fahrgast, denn seit ihrer Erbauung vor ca. 20 Jahren ist sie, jedenfalls nach vorne, verriegelt,
Station PENSEE (wörtl.: "die Tiefsinnige!") am 7.Oktober 2005 an der nach dem Bau sofort aufgegebenen Trasse nach Chatelet:

Übersichtskarte des in den 60ern geplanten Netzes mit acht Linien

http://www.fotodesignweb.de/metro/02_klein.jpg

Der Buchstabe M ist das einzige Relikt von Schriftlichkeit entlang der gesamten Linie; die ansonsten völlige Abwesenheit von Sprache mitten in einer Großstadt (Stille entlang der Trasse, keine Stationsschilder, leere Werbeflächen) wirkt, zusammen mit der baulichen Uniformität aller Stationen, unheimlich und versetzt allzu neugierige Streckengeher schnell in bedrückende Orientierungslosigkeit:

Wem Philipps Link zu "Diggelfjoers" Expedition von 2002 auf die Trasse gefallen hat, der wird auch diesen Link zum parallelen Bildbericht seines zweiten Begleiters grnießen. Ausgangspunkt war PENSEE, hinter der sie das einzige Schlupfloch im Zaun aufgespürt haben. Für den Rest waren sie allerdings zwischen maroden Tunneln, hohen Einschnitten und hermetisch geschlossenen Stationstüren gefangen:

...Parallele Reportage vom Besuch der Strecke nach Chatelet 2002.

(Was die drei "coolen Kumpels" mit ihrer charmanten Schrottknipse da unbekümmert vormachen, heißt auf belgisch "Urban Exploration" und ist dort ein verbreiteter Trend, das eigenmächtige Betreten und Fotografieren moderner Ruinen [wozu u.a. auch die von Ingolf erwähnten Autobahnbrücken gehören]. Man soll es natürlich nicht tun; bloß endete es in der Praxis bis jetzt noch für niemand hinter Gittern oder im Hospital, sondern -jedenfalls für die besseren Fotografen- mit Ruhm, in Zeitschriften, im Fernsehen oder gar der Kunstaustellung - ein paradoxer Anreiz zum Weitermachen.)

Wie gesagt, gibt es daran in technischer Hinsicht etwas Bemerkenswertes?

Die spinnen, die Belgier!

geschrieben von: tramalbum

Datum: 26.07.07 22:09

Die spinnen, die Belgier!

Ist die Strecke nach Anderlues inzwischen auch platt?

geschrieben von: Volker

Datum: 26.07.07 22:14

Im "Plan de Metro" auf der verlinkten Seite ist sie jedenfalls nicht verzeichnet...

Fragende Grüße, Volker
Nicht viel ist im Grunde so ausgekommen, wie es vor 40 Jahren angedacht worden war.
Aber "Anderlues" lebt!
Eine klar gegliederte Zusammenfassung zu Geschichte und Gegenwart der Metro Charleroi findet sich in
Wikipedia


Über Merkwürdiges gesprochen, auch für einen gemütlichen Solo-Tanzabend empfehle ich die Bahnsteige der aktiven Linien der Metro Charleroi :-). Abends, schon ab 20.00h, wenn gerade der letzte Zug in ein Depot unter Erde verschwunden ist, besteht weiter Vollbetrieb der Stations-Infrastruktur noch bis mindestens weit nach 21.00h, ohne dass man sagen könnte, für wen so lange. Die Rolltreppen drehen gleichgültig weiter, die Festbeleuchtung bleibt angeschaltet, die Eingangsgitter stehen einladend auf, und für Musik ist geisterhaft gut gesorgt, sie hallt einem entgegen aus sämtlichen Lautsprechern, ausgerechnet von einem Lokalsender namens "Contact Plus", dem hier bloß niemand lauscht, und niemand würde Dich rufen hören um diese Zeit, aber dazu ist ja kein Grund, weil umgekehrt auch niemand da ist, der Dich überfallen könnte...Man schaut sich immer wieder um, erwartet von einem Bahnhof ja irgendwann irgendein Ereignis, das diese bizarre Starre unterbrechen könnte, sei es doch noch einen verspäteten Zug, dass jemand die Treppe herunterkommt, oder dass bitte wenigstens ein Pappbecher umfiele: Nein, nichts...

http://www.fotodesignweb.de/metro/03_klein.jpg
Seltsam. Ich war zuletzt vor 2 Jahren dort, da wurden die Bahnhöfe pünktlich nach der letzten Fahrt gegen 19.30 geschlossen (Rolltore) und die Beleuchtung abgeschaltet.

Die Bahnen werden nicht in einer unterirdischen Abstellanlage abgestellt, sondern rücken in die Depots Anderlues und Jumet ein.
Sie sind auch entsprechend beschildert, auch wenn sie keine Fahrgäste mitnehmen. Die Zielfilme zeigen "Depot (Jumet)" bzw. "Depot (Anderlues)" an. Selten auch "Special [S] Service".

Vor 2 Jahren funktionierten auch noch sämtliche Signale an der Strecke nach Centenaire, auch die Fahrspannung war eingeschaltet. Die Geschwindigkeitssignale zeigten auch alle eine Geschwindigkeit an, die Strecke selbst war aber zugewachsen.

Es müsste auch noch eine HVZ-Linie morgens zwischen 6 und 8 Uhr geben, die unter der Liniennummer 84 fährt. Der Linienweg ist/war Anderlues Monument - Beaux Arts - Gilly (nur in dieser Richtung), diese Fahrten standen aber leider in keinem Fahrplan drin. Die Linie nach Centenaire (die Metro léger ohne Betrieb) war ursprünglich als Linie 84 geplant gewesen, die Linie nach Gosselies (vorbei am Depot Jumet) war früher die Linie 62, diese Nummer soll die Strecke auch bei einer Wiederinbetriebnahme wieder erhalten. Allerdings wurden die zwischen Jumet und Gosselies nagelneu vor einigen Jahren verlegten Gleise inzwischen (ohne jemals benutzt worden zu sein) zugeteert. Die damals ebenfalls nigelnagelneue Kettenfahrleitung auf dem Stück hängt jetzt etwas verloren in den engen Gassen von Gosselies.



2-mal bearbeitet. Zuletzt am 2007:07:29:03:30:27.

Metro Charleroi: Abgestellt

geschrieben von: chris_p

Datum: 29.07.07 05:35

Ja, die Existenz der beiden oberirdischen Depots bestätigt ja auch die Wikipedia.

Dann habe ich hier also doch ein Paar oberirdisch abgestellte Lackstiefel fotografiert -
oder zeigt das Foto zwei unterirdisch abgestellte Straßenbahnzüge der Metro Charleroi:

http://www.fotodesignweb.de/metro/01.jpg

Möglich war die Tele-Aufnahme nach Betriebsschluss von einem Bahnsteigende allerdings nicht deshalb,
weil ich dafür extra im Panzerwagen durch verschlossene Gitter in den Bahnhof gebrochen wäre und mir
dann gemütlich das Licht auf der Anlage wieder eingeschaltet hätte. Das wäre auch alles überflüssig gewesen:
Die Zugänge hatten nach 21.00h noch einladend und voll erleuchtet offen gestanden.