Hallo zusammen,
ich habe das Gefühl, dass die "Ruhr-Straßenbahn-Fraktion" in letzter Zeit auf Tauchstation oder in der Sommerpause ist. Zeit also für einen kleinen Weckruf, und dafür mag vielleicht dieser Beitrag über die Umbau-6x-Tw 200-215 der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahn geeignet sein. Es sind inzwischen fast vergessene Wagen. Mit einer Anzahl von 16 Stück waren sie im Bogestra-Fuhrpark nicht allzu bedeutend, und sie sind auch nicht besonders alt geworden: Mit einem Alter von 24 bis 25 Jahren haben sie ihr "Lebenssoll" nur knapp erreicht - erst recht wenn man bedenkt, dass etwa zur Halbzeit ihres Daseins der aufwendige Umbau vom Vierachser zum sechsachsigen Gelenkwagen stattfand. Ob der sich überhaupt bezahlt gemacht hat?
Bedeutend sind die Wagen vor allem dadurch, dass mit ihnen für die Bogestra die Ära der modernen Straßenbahn begann, waren sie doch die ersten modernen Drehgestellfahrzeuge des Betriebes. Tw 200 und 201 wurden als Prototypen 1952 geliefert. Sie hatten noch Einzelachsantrieb mit 4x48 bzw. 47 kW-Motoren. Die 1953 folgende Serie 202-215 besaß bereits den Tandemantrieb mit 2x 100 kW (Tw 202-206) oder 2x 75 kW (Tw 207-215). Bis 1958 wurden aber alle Wagen - auch die Prototypen - einheitlich mit 2x 100 kW motorisiert. Weitere Umbauten folgten bis 1961: Einbau gummigefederter Radsätze (hatten die Wagen anfangs nicht) und Umbau der Drehgestelle von Blattfedern auf Metall-Gummi-("Megi")-Federung. Im selben Jahr wurde auch schon Tw 213 versuchsweise bei DWM in Berlin zum Sechsachser umgebaut. 1964 folgten die restlichen Wagen, nun aber bei Düwag, wo sie auch gebaut worden waren.
In das gleiche Jahr fällt die einzige größere Änderung im Einsatzgebiet der Wagen: In den ersten Jahren waren sie auf der städteverbindenden Linie 2 von Gelsenkirchen-Buer nach Bochum eingesetzt worden. Nachdem im Herbst 1964 die Wendeschleife in Buer/Königswiese abgebaut worden war, konnten auf der Linie 2 keine Einrichtungwagen mehr laufen. Unsere Umbau-Sechsachser erhielten daher für den Rest ihres Lebens auf der Gelsenkirchener Linie 1 ihr Haupteinsatzgebiet. Ab 1973 kam noch der - in diesem Forum schon oft thematisierte - Einsatz dieser Wagen auf zwei Kursen der im Gemeinschaftsverkehr mit der Essener Straßenbahn betriebenen Linie 7/17 von Gelsenkirchen über Rotthausen bzw. Feldmark nach Essen-Margarethenhöhe hinzu. Da auf diesen Linien streckenweise Essener Beiwagen mitgeführt wurden, mussten die Wagen für diesen Gemeinschaftsverkehr am Heck Scharfenbergkupplungen erhalten. Das waren zunächst Tw 202-204; ab Herbst 1974 kam noch der Tw 205 hinzu.
Heimatbetriebshof war stets Gelsenkirchen. Im Bochumer Bereich waren die Tw nur selten zu sehen. Hin und wieder fuhr - wohl im Anschluss an Aufenthalte in der Hauptwerkstatt Bochum-Gerthe - ein Wagen für einige Tage oder Wochen von Bochum aus auf der Linie 6 nach Wanne. Vom Frühjahr 1973 bis Herbst 1974 war ständig leihweise ein Wagen in Bochum (meist Tw 206 oder 207), um den wegen eines Unfalls für längere Zeit ausgefallenen 6x-1R-Tw 255 zu vertreten.
Bei den Fahrgästen waren die Wagen wegen ihres fast ruckfreien Anfahrens und Bremsens dank des BBC-Feinstufenfahrschalters sowie der - bis auf eine Längsbank im Gelenkbereich - durchweg in Fahrtrichtung aufgestellten Sitze beliebt. Über die betriebliche Seite weiß ich als Nicht-Insider wenig. Wenn ich aber mal mit Fahrern ins Gespräch kam und das Thema auf diese Wagen kam, hörte ich meistens ebenfalls eher Gutes: Gerühmt wurde vor allem der bequeme und im Winter angenehm warme und zugfreie Fahrerplatz (vor allem verglichen mit den eher zugigen Plattformen der Zweirichtungswagen). In der Werkstatt wurde diese Begeisterung wohl nicht unbedingt geteilt. Vor allem die (nur bei diesen Wagen und dann nie wieder verwendeten) BBC-Feinstufer galten als wartungsaufwendig. Ärger machten dem Vernehmen nach auch die in eigener Werkstatt auf Megi-Federung umgebauten Drehgestelle wegen der dabei entstandenen Passungenauigkeiten. Vielleicht haben diese Dinge auch zum relativ frühen Ende dieser Wagen beigetragen.
Dieses kam für alle Wagen im Frühjahr 1977 im Takt mit der Zuteilung neugelieferter M-Wagen an den Betriebshof Gelsenkirchen: Am 27.1.77 wurden zunächst die Tw 200, 201, 211 und 215 abgestellt. Es folgten am 28.2.77 die Tw 208, 209 und 212-214 sowie am 28.3.77 die Tw 206, 207 und 210 (damit Ende des Einsatzes dieser Wagen auf Linie 1). Die auf der SL 7/17 eingesetzten Tw 202-205 hielten dann noch bis zum Fahrplanwechsel am 29.5.1977 durch. Zunächst hieß es, die Wagen sollten nach Innsbruck verkauft werden, dazu kam es aber nicht. Aus den Kopfteilen der Tw 205 und 212 baute die Bogestra dann ihre erste "Bogie"-Party-Tram zusammen. Dieser Tw war unter der Nummer 77 bis 1986 im Einsatz. Danach kam er ins Emschertalmuseum in Wanne-Eickel, wo er einige Jahre später bei Schweißarbeiten leider ausbrannte, sodass heute nichts mehr an diese Tw erinnert.
Ich selber fand die Wagen als Kind ausgesprochen hässlich, geradezu furchterregend mit ihrer schiefen Stirnscheibe. Natürlich änderte sich meine Meinung später, aber noch heute muss ich konstatieren, dass in den frühen 70er Jahren, als ich schon fleißig Straßenbahnen im Ruhrgebiet fotografierte, diese Wagen nicht unbedingt im Zentrum meiner Aufmerksamkeit standen. Erst im Sommer 1976 wurde mir bewusst, dass die Wagen vor der Ausmusterung standen. Da hatte ich echt geschlafen, denn dass 33 M-Wagen bestellt waren, wusste ich seit langem, und man konnte es sich eigentlich an zehn Fingern abzählen, dass durch diese Neulieferung noch mehr Wagen überflüssig werden würden als nur die letzten 14 Zweiachser und die fünf "Schüttelrutschen".
Die nun folgende Bilderserie mag als eine Art "späte Wiedergutmachung" durchgehen. Ich habe von jedem Wagen ein möglichst spätes Foto ausgewählt, um den Endzustand jedes Tw darzustellen. In den vergangenen Monaten hat es zwischen Wolfgang Nyga und mir einen regen Beobachungsaustausch über die verschiedenen kleinen Details gegeben: Bei manchen Tw waren die ursprünglichen Alu-Zierleisten noch weitgehend vorhanden, aber überlackiert in beige bzw. grün. Andere Wagen besaßen nur noch Teile davon. Bei einem einzigen (Tw 200) waren alle Alu-Zierleisten abgebaut und durch hell- bzw. dunkelgrüne Zierbänder ersetzt worden. Weitere Detailunterschiede betreffen z.B. die Türen (einige Tw haben am Bug und/oder Heck Türen, bei denen auch der untere Bereich verglast ist), die Rückspiegel, die Scheinwerfer oder die "Düwag"-Raute am Bug. Vielleicht fallen noch weitere Dinge auf, die wir gar nicht bemerkt haben. Viel Spaß beim Entdecken!
(Bild 1) Tw 200 am 1.7.76 in der Wendeschleife Gelsenkirchen Hbf auf dem Pausenplatz der Linie 1 in der Rabestraße.
(Bild 2) Der Tw 201 befährt am 19.7.76 die Plankreuzung mit der Emschertalbahn in Gelsenkirchen-Bismarck. Die Haltestelle an diesem Ort hieß damals auch noch "Emschertalbahn", wurde aber später umbenannt in "Panthaleonshof".
(Bild 3) Wenige Wochen vor seinem Ende steht Tw 202 auf SL 17 an der Abfahrthaltestelle Gelsenkirchen Hbf in der Ringstraße, 12.4.77.
(Bild 4) Am Tag zuvor (11.4.77) entstand dieses Foto vom Tw 203, auch in der Schleife Gelsenkirchen Hbf, aber auf dem Pausenplatz der Linie 17 unmittelbar vor dem Abbiegen in die Ringstraße. Auf dem Pausenplatz der SL 1 in der Rabestraße ist im Hintergrund der ZR-Tw 35 zu erkennen. Der Gleiswechsel direkt hinter dem Tw 203 ist übrigens der Grund dafür, dass die Essener Beiwagen nicht bis Gelsenkirchen Hbf durchlaufen konnten; sie hätten den Gleiswechsel blockiert. Im Übrigen zeigt der "angesägte" Stromabnehmer die Schwierigkeiten, welche die Einrichtungswagen mit ihren weit vorn liegenden Bügeln manchmal beim Fotografieren machten: Ein Weitwinkel- oder Zoom-Objektiv besaß ich noch nicht, und um den Wagen komplett aufs Bild zu bekommen, hätte ich nach hinten auf die stark befahrene Ringstraße treten müssen (schon damals lebensgefährlich!). Bei den ZR-Tw mit ihren weiter hinten angeordneten Bügeln gab es diese Probleme nicht...
(Bild 5) Auf der Linie 7 konnten dagegen ab Januar 1975 die Beiwagen bis Gelsenkirchen durchlaufen, da die Endstation in Gelsenkirchen zum Musiktheater verlegt worden war. Im Bild beendet Tw 204 mit EVAG-Bw 2561 gerade die Dreiecks-Kehrfahrt von der Ebertstraße über Florastraße zurück in die Ebertstraße und rollt in die Abfahrthaltestelle der Linie 7 ein. Die sommerliche Hitze (1976 war ein enorm heißer Sommer mit wochenlang 30 Grad und mehr) hat den Fahrer offenbar bewogen, die Rangierfahrt mit offener Fahrertür durchzuführen, trotz des in diesem Fall sofort lautstark einsetzenden "Rasselweckers". Aufnahme am 7.7.76.
(Bild 6) Tw 205, am 28.9.75 auf der Linie 17 in GE stadteinwärts fahrend an der Hst. "Grillo-Gymnasium" aufgenommen (das altehrwürdige Gebäude ist im Hintergrund zu erkennen), ist bei näherer Betrachtung das, was man in der Oldtimer-Szene als "Bastelbude" bezeichnet. Vermutlich hat er einen oder mehrere ausgebesserte Unfallschäden.
(Bild 7) Meinen Plan, von jedem Tw eine möglichst späte Aufnahme zu zeigen, konnte ich beim Tw 206 nicht verwirklichen, denn dies ist das einzige Foto, das ich je von ihm gemacht habe. Es entstand bereits am 6.4.73 in der Florastraße in Gelsenkirchen.
(Bild 8) Den Tw 207 sehen wir am 20.7.1976 in der Schleife GE Hbf. Ich empfehle diese Bild zum Vergleich mit Tw 205.
(Bild 9) Nochmal die Plankreuzung "Emschertalbahn" am 19.7.76, nun mit Tw 208. Flankiert wird er von einem VW-Bulli T1, der heute vermutlich in der ziemlich umfangreichen Fan-Szene alter Feuerwehren höchstes Entzücken auslösen würde.
(Bild 10) Wieder ein Blick in die Bahnhofsschleife in GE, nun mit Tw 209 am 1.7.76.
(Bild 11) Mit dem "Jägermeister"-Klassiker als Werbung präsentiert sich Tw 210. Am 22.7.76 steht er abfahrbereit in Richtung Gelsenkirchen-Horst am Grillo-Gymnasium.
(Bild 12) Tw 211 wurde am 24.6.76 vor der Einfahrt des Betriebshofes Gelsenkirchen in der Hauptstraße aufgenommen. Die im Vordergrund abzweigenden Gleise sind Rest der 1963 stillgelegten Linie 4 nach Wanne-Eickel. Der MAN-Standargelenkbus im Hintergrund - noch in den klassischen Omnibusfarben flaschengrün/beige der Bogestra - befährt die Nachfolge-Buslinie 40.
(Bild 13) Nochmal der 22.7.76 am "Grillo", diesmal mit Tw 212.
(Bild 14) Die letzten drei Tw präsentiere ich alle in "Standardposition" in der Bahnhofsschleife Gelsenkirchen. Der abgebildete Tw 213 ist der erste, bei DWM statt Düwag zum Sechsachser umgebaute Wagen. Die schmaleren Fenster im Gelenkbereich unterscheiden ihn von den anderen Wagen. Aufnahme am 23.7.76.
(Bild 15) Drei Tage zuvor, am 20.7.76, hatte ich an selbiger Stelle den Tw 214 fotografiert.
(Bild 16) Der letztgebaute seiner Serie war Tw 215, das Foto von ihm entstand am 21.7.76.
In der Kopfzeile hatte ich ja geschrieben, dass es hier 16 Bilder von 16 Wagen zu sehen gibt; war aber gelogen. Es folgen noch zwei Bonusbilder aus der Zeit danach:
(Bild 17) When it´s all said and done: Am 12.7.77 - etwa sechs Wochen nach ihrem letzten Einsatz - stehen die Tw 202, 203 und 204 nebeneinander in der Werkstatt des Betriebshofes Gelsenkirchen. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere: Hin und wieder stand das hintere Tor zur Werkstatt - zur Florastraße hin - offen und ermöglichte Zaungästen kurze Einblicke. Ich möchte den Blick auf einige Details lenken, vor allem die riesigen Rückfahrscheinwerfer, welche die Einrichtungs-Tw der Bogestra nachträglich (nach meiner Erinnerung ca. 1969/70) angebaut bekommen haben. Spontan fällt mir nur Bielefeld als einziger Betrieb ein, der seine ER-Tw ähnlich ausgestattet hat (und Würzburg, aber das sind ja bis heute "Eineinhalbrichtungswagen). Vielleicht kennt ja jemand den Grund für diesen Eingriff, der in den Nachbarbetrieben Essen und Mülheim jedenfalls nicht stattfand. Dann sind da die für die Bogestra typischen Klapptüren aus Blech, mit denen die automatischen Türen vor unbeabsichtigtem Schließen geschützt wurden. Beim Einsteigen mit Koffer oder Kinderwagen gewiss hinderlich, dafür aber narrensicher und absolut zuverlässig im Vergleich zu dem immer etwas unberechenbaren System mit Lichtschranken und Trittstufenkontakten. Erkennbar ist außerdem, dass bei Tw 204 die Zierleiste am Heck fehlt, während sie seine beiden Kollegen behalten haben. Auch die Verglasung der Hecktür auch im unteren Bereich fällt bei Tw 204 auf.
(Bild 18) Wie schon erwähnt, entstand 1978 aus den Kopfteilen der Tw 205 und 212 der Party-Tw 77 namens "Bogie", der bis 1986 im Einsatz war. Für Fotografen war er natürlich extrem schwer zu packen: Man wusste ja nie, wann und wo er fuhr, und wenn man ihn zufällig mal sah, hatte man garantiert keine Kamera dabei. So habe ich ihn auch nur ein einziges Mal erwischt, und zwar am 29.11.79 am Kennedyplatz in Gelsenkirchen. Nach dem Betrachten der Bilder ist leicht zu erkennen, mit welchem Kopfteil der Wagen auf diesem Bild voran läuft, nämlich mit dem des Tw 205.
So, und nun ist die Ruhr-Strab-Fraktion hoffentlich aufgewacht; vielleicht auch die Hannover-Fraktion, denn es ist doch vielleicht ein interessantes Gedankenspiel, wie die 300er-Großraumwagen der Üstra ausgesehen hätten, wären sie auch zu Gelenkwagen umgebaut worden. Ich hoffe jedenfalls, diesen schönen Wagen ein würdiges Andenken bereitet zu haben.
Viele Grüße und ein schönes Wochenende,
Stefan