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Monté sur le toit
   
geschrieben von Julian en voyage am: 24.05.21, 20:14
Aufrufe: 1339

Wortwörtlich aufs Dach gestiegen bin ich für dieses Foto einer der Galerien, die vor nunmehr über hundert Jahren entlang des Translozérien errichtet wurden, um den Schienenstrang vor den Unbilden des Wetters zu schützen. Denn die Strecke von Le Monastier über Mende nach La Bastide verläuft zwischen der Präfektur des Départements Lozère und der Einmündung in die Cevennenbahn im übertragenen Sinne auch auf einem Dach, "sur le toit de la France" nämlich. Auf der Plaine de Montbel erreicht sie mit 1215 Metern über dem Meer den höchsten Punkt des nicht elektrifizierten, regelspurigen französischen Eisenbahnnetzes!

So suchten im Februar 1903, nur wenige Monate nach ihrer Eröffnung, erstmals heftige Schneeverwehungen die Strecke heim und ließen die zierliche Dampflok eines von La Bastide nach Mende fahrenden Personenzugs in unmittelbarer Nähe meines Fotostandpunkts in Larzalier stecken bleiben. Die gestrandeten Passagiere konnten die Nacht zwar im Schrankenwärterhaus, das hier hinter dem Baum in Bildmitte nur zu erahnen ist, verbringen, aber dennoch war der Horrornachricht ein Platz auf Seite eins der damaligen "Nouvelles illustrées" sicher (vgl. S. 80/81 im nur noch antiquarisch erhältlichen Buch "Les trains du toit de la France" von La Régordane). Eine Schmach für die Bahnverwaltung, die sich in den Wintern 1905 und 1906 in ähnlicher Form wiederholen sollte und schließlich darin gipfelte, dass man insgesamt rund sechs Kilometer der Nebenbahn kurzerhand unter steinernen Schneeverbauungen versteckte.

Jene am ehemaligen Haltepunkt Larzalier wird von einem schmiedeeisernen Fußgängersteg zu einer Weide überquert (!), der heute zwar seine Daseinsberechtigung weitgehend verloren haben dürfte, mir aber meine Fotoposition auch ohne waghalsige Kletterei ermöglichte. Am Wochenende der "Journées de patrimoine" am 19./20. September 2020 befuhren die Ehrenamtlichen der in Langogne ansässigen Association des passionnés de l'X2800 [www.ap2800.fr] mit ihren beiden Schmuckstücken X 2819 und X 2914 den Translozérien. Schnee war zwar nicht in Aussicht, das Wetter aber dennoch extrem rau und ungemütlich mit viel Regen und dichten, sich überlagernden Wolkenschichten. Für die nachmittägliche Rückfahrt aus Mende am Sonntag ließ sich dann entgegen aller Wahrscheinlichkeit tatsächlich in einem passenden Zeitfenster die Sonne blicken. :)

Schlagen wir aber noch einmal kurz den Bogen zurück zur wechselvollen Geschichte des kleinen Ortes: Im Bildhintergrund, kurz vor dem Bahnwärterhaus, das in jener Schneenacht 1903 als Retter fungierte, zweigte ab ca. 1925 für wenige Jahre eine Anschlussbahn zur damals im Bau befindlichen, rund 15 Kilometer entfernten Barrage de Charpal ab, die sogar noch einmal ein gutes Stück weiter anstieg als der Translozérien, auf 1388 Meter! Sie sollte auch militärischen Zwecken dienen (man plante hier im Niemandsland die Lagerung von Schießpulver), verschwand aber letztlich bereits in der zweiten Hälfte der 30er Jahre wieder von der Bildfläche, ohne jemals nennenswert genutzt worden zu sein. Heute dienen weite Teile der Trasse als Straße/Wirtschaftsweg...

Zuletzt bearbeitet am 25.05.21, 13:31

Datum: 20.09.2020 Ort: Larzalier Land: Europa: Frankreich
BR: 6XAusl (sonstige ausländische Verbrennungstriebwagen) / FR-X 2800 Fahrzeugeinsteller: Association des passionnés de l'X2800 (AP2800)
Kategorie: Bahn und Infrastruktur

EXIF-Daten:
Hersteller: SONY , Modell: DSLR-A350, Belichtungszeit: 1/800 sec, Blende: F/8.0, Datum/Uhrzeit: 20.09.2020 16:24:22, Brennweite: 16 mm, Bildgröße: 865 x 1280 Pixel


geschrieben von: claus_pusch
Datum: 25.05.21, 11:04

Hallo Julian, da hast du eine sehr originelle Perspektive gewählt. Zusammen mit dem regionstypischen, schönen Triebwagen und dem beeindruckenden Wolkenhimmel lässt einen dann auch die wenig pittoresken Schuppen rechts verschmerzen... War der Sonnenspot reines Glück, oder war der X2800-Einsatz als Fotozug konzipiert und man konnte auf das Sonnenloch warten?
Viele Grüße, Claus

geschrieben von: Dirk Wenzel
Datum: 25.05.21, 16:32

Moin,
einen Stern von mir schon für den ungewöhnlichen Standpunkt.
Zusammen mit dem "Schmuckstück" perfekt.
Grüße
Dirk

geschrieben von: Jan vdBk
Datum: 25.05.21, 17:54

Mal ein etwas anderes Motiv! Die urige, steinerne Einhausung gefällt mir als Umrahmung für den klassischen VT sehr gut.
Viele Grüße, Jan

geschrieben von: Johannes Poets
Datum: 25.05.21, 18:11

Interessantes Bauwerk, schönes Bild.*

geschrieben von: Andreas Burow
Datum: 25.05.21, 20:46

Hallo Julian,

wie so oft präsentierst Du uns hier ein feines Motiv, garniert mit vielen Informationen zu der besonderen Geschichte der Örtlichkeit. Heraus kommt ein Ensemble, das keine Wünsche offen lässt. Diese fotografischen Besuche in unseren west- und südlichen Nachbarländer möchte ich ungern missen, deshalb ein verdienter *

Viele Grüße
Andreas

geschrieben von: Gleis MA 11-12
Datum: 26.05.21, 00:16

Moin Julian,

da hast Du mal wieder eine tolle Stelle entdeckt. Und der Himmel spielte mit ;-). Stern.

Gruß aus Mannheim
Rolf

geschrieben von: Jochen Schüler
Datum: 26.05.21, 15:26

Hallo Julian,
den Stern hast du nicht nur durch die Perspektive verdient. Ich hatte meine Partnerin extra für das Wochenende nach Langogne gelockt und einige Pläne für Samstag und Sonntag. Aufgrund der Wettervorhersage hatten wir die Cevennen aber gleich Samstag verlassen. Somit ein Stern fürs Durchhaltevermögen. Hast du auch den Zug aus Clermont erwischt?
*und Gruß
Jochen

geschrieben von: Julian en voyage
Datum: 29.05.21, 17:14

Merci allerseits für die zahlreichen Kommentare und Anmerkungen! :)

@Claus: Nein, das war keine Fotofahrt, sondern eine "gewöhnliche" Sonderfahrt für Nostalgiereisende, wenn auch pandemiebedingt mit reduziertem Platzangebot. Insofern hatte ich nach eineinhalb Tagen praktisch völlig ohne Sonne tatsächlich einfach mal großes Glück... Und noch ein paar Worte zu den landwirtschaftlichen Bauten: Klar, pittoresk sind sie nicht, aber absolut authentisch für diesen Ort abseits jeglicher Touristenströme oben auf der Hochebene mit ihrem rauen Wetter. Es war wunderbar entschleunigend dort - Und während der Wartezeit auf den Zug konnte ich den glücklichen Hühnern bei ihrem Défilé mitten auf dem kaum befahrenen "Dorfsträßchen" zugucken. ;)

@Jochen: Ja, deine "Flucht" aus den Cévennen kann ich durchaus nachvollziehen. Ich habe es dir dann am Montag gleichgetan, einige Hobbykollegen sind gar nicht erst angereist... Da ich ohnehin in Frankreich war, habe ich es mal drauf ankommen lassen! Du meinst die "Tour du Gévaudan" am Samstag mit der BB 67400 + RRR? Ja, Fotos habe ich, allerdings nur solche, die mit Kamera in der einen Hand und Regenschirm in der anderen entstanden sind. ;) Ob ich eines davon dennoch mal meinen Teamkollegen zur Auswahl anbiete, überlege ich mir mal. Leider ist diese Rundfahrt ja vorerst (?) nicht mehr möglich, seitdem im Winter die Ligne des Causses zwischen Neussargues und Saint-Chély-d'Apcher gesperrt wurde. :(

A bientôt
Julian

geschrieben von: Rainer.Patzig
Datum: 30.05.21, 17:57

Ungewöhnliche Stelle Julian, die Du toll gesehen hast.

* und Grüße Rainer

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