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Ein Friedhofskrimi
geschrieben von: Gunar Kaune (433) am: 18.12.20, 18:39
Es ist ein schwülheißer Tag im Nordwesten Rumäniens. Ich habe mir ein ruhiges Plätzchen am Friedhof von Aluniș gesucht und warte auf den Abendzug von Bukarest nach Baia Mare. Über den Bergen im Osten haben sich am Nachmittag einige Gewitter gebildet, die jetzt langsam in meine Richtung ziehen. Noch scheint die Sonne, aber je näher die Durchfahrtszeit des Zuges rückt, desto dunkler wird der Himmel. Ein paar Minuten wird er noch brauchen, aber schon trennt nur mehr ein schmaler Streifen Wolken und Sonne. Meine Anspannung beginnt, langsam anzusteigen. Aber noch bin ich guter Hoffnung. Der Zug müsste jeden Moment kommen und die Sonne kann sich gegen die Wolken halten. Eine Minute vergeht, drei Minuten vergehen, fünf Minuten vergehen. Kein Zug ist zu sehen oder zu hören. Die Wolken rücken immer weiter vor, aber die Sonne schafft es, ihnen in Richtung Horizont auszuweichen. Dafür fallen erste dicke Regentropfen auf meinen Kopf. Mir wird klar, dass das hier kein entspannter Abend wird. Und ich bin auf mich allein gestellt. Die Datenverbindung ist tot und ich habe keine Chance, die Position des Zuges abzufragen.

Ich hatte bereits in den letzten Minuten bemerkt, wie ich aus einem Haus hinter mir neugierig beobachtet werde. Was macht der Fremde da auf dem Friedhof? Ich merke, wie meine Nervosität weiter ansteigt. Erste Wolkenfetzen erreichen bereits die Sonne. Dann höre ich ein Tröten in der Ferne. Es ist aber nicht der erhoffte Schnellzug, sondern das wohlbekannte Horn eines 628, der im Nachbarbahnhof kreuzen soll. Hoffnung kommt in mir auf. Der Triebwagen könnte meine Rettung sein, wenn der Schnellzug nicht kommt. Fährt er direkt aus, ist er in ein paar Minuten hier. Da höre ich hinter mir das Knarzen einer Tür. Eine alte Frau kommt auf mich zu. Sie geht am Stock und die zwanzig Meter bis zu mir herüber kommen mir wie eine Ewigkeit vor. Sie ist aus dem benachbarten Hauses und will nun wissen, was ich hier mache. Ich versuche, ihr mein Tun mit meinen rudimentären Rumänischkenntnissen zu erklären. Sie ist interessiert und freut sich über den Fremden im Dorf. Sie erzählt mir ein wenig aus der Vergangenheit, von ihren entfernten Verwandten, die auch aus Deutschland stammen. Ich versuche, derweil die Strecke nicht aus dem Blick zu verlieren. Jeden Moment kann dort ein Zug kommen. Nach ein paar Minuten endet unsere Unterhaltung und die Frau geht so langsam, wie gekommen ist, in ihr Haus zurück.

Ich warte weiter. Der Regen hat mittlerweile wieder aufgehört und ich bin durchnässt. Vom Triebwagen war in den letzten Minuten nichts zu sehen. Wenn er im Bahnhof wartet, kann der Schnellzug nicht mehr weit sein. Sollte die Sache doch noch ein gutes Ende nehmen? Entgegen aller Wahrscheinlichkeiten kann sich die Sonne immer noch gegen die Wolken durchsetzen. Allerdings droht jetzt eine andere Gefahr in Form eines bewaldeten Hügels, der seine Schatten schnell auf mich zukommen lässt. Nur noch ein paar Minuten, dann werde ich mitsamt dem Friedhof im Dunkeln sein. Dafür hat sich direkt über dem Gleis ein Regenbogen gebildet. Meine Anspannung ist jetzt kaum mehr zu steigern und ich merke, wie mein Blut durch meine Adern rast. Da höre ich in der Ferne ein Tröten. Ist das der Zug oder doch nur ein Lkw? Dreißig bange Sekunden vergehen, dann vernehme ich das Röhren einer Diesellok, das langsam anschwillt. Ein letzter Blick zum Himmel, dann taucht der Zug auch schon aus den Büschen auf. Die Sonne strahlt im besten Abendlicht, die Schatten sind gerade auf meiner Höhe, der Regenbogen leuchtet vor den tiefschwarzen Wolken. Alles passt! Es klickt ein paarmal und ich betrachte angstvoll noch einmal das Bild. Es ist gelungen! Dreißig Minuten Anspannung beginnen, sich zu lösen. Mit wackeligen Knien laufe ich zurück zu meinem Auto. Der Triebwagen müsste in ein paar Minuten kommen, aber das ist jetzt Nebensache.

Datum: 20.06.2019 Ort: Aluniș [info] Land: Europa: Rumänien
BR: RO-60 Fahrzeugeinsteller: CFR
Kategorie: Bahn und Landschaft
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13 Kommentare [»]
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