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Foto enthält Positionsdaten zur Ansicht bei: DS RailView | OpenRailwayMap | Google Maps | Bing Maps
   
Eine Episode 04
   
geschrieben von NAch am: 21.03.17, 07:46
Aufrufe: 4810

Was ist besonderes an dem Bild? Es ist schon länger her, S 3 nach Friedrichstr und diese S-Bahn Wagen. Das ist es jedoch nicht allein.
1984 war die Welt noch eine andere. Das Stationsschild ist zwar zu sehen, jedoch schwer zu lesen.
"Lehrter Stadtbahnhof" - dieser Bahnhof ist nicht mehr, hier steht jetzt der Berliner Hauptbahnhof. Immerhin ist der Name "Lehrter Stadtbahnhof" auf dem S-Bahnsteig noch in einer Unterzeile präsent.
Die Bewegung auf dem Führerstand, schwer zu erkennen aber äußerst wichtig: für die Strecke Lehrter Stadtbahnhof - Friedrichstr musste ein Fahrerwechsel stattfinden. Denn der Fahrer der BVG-West konnte unmöglich die Kehre in Friedrichstr durchführen, das oblag einem Reichsbahner, der hier auf der Rückfahrt auch gleich wieder übergab.
Heute lange schon Geschichte - nur auf diesem Scan vom Dia noch zu erahnen.


Datum: 04.1984 Ort: Lehrter Stadtbahnhof Land: Berlin
BR: 475,476,477 (alte Berliner S-Bahn) Fahrzeugeinsteller: BVG
Kategorie: Zug schräg von vorn

EXIF-Daten:
Hersteller: M 1984_04, Modell: ?, Datum/Uhrzeit: 01.04.1984 00:00:00, Bildgröße: 809 x 1280 Pixel


geschrieben von: Itzenplitz
Datum: 23.03.17, 23:08

Ein wunderschönes Foto und vor allem ein historisches Zeugnis einer - Gott sei Dank - längst vergangenen Epoche deutscher Geschichte. Man könnte meinen, ein "harmloses" Foto, und doch widerspiegelt es den Kalten Krieg und die deutsche Teilung in seiner ganzen Grausamkeit.

Der Grund dafür, dass hier das Westberliner BVG-Personal den Zug an den Ostberliner Reichsbahnkollegen übergeben musste, ist nicht nur betriebsrechtlicher Natur gewesen, sondern hatte einen weitaus dramatischeren Hintergrund. Unmittelbar hinter dem Lehrter Stadtbahnhof begann der Ostsektor Berlins, oder wie es im offiziellen "DDR"-Deutsch hieß die "Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik". Entlang der durch hohe Sichtblenden abgeschotteten Strecke waren in regelmäßigen Abständen blaue Signallampen installiert worden. Wenn die Grenzsoldaten wegen eines Fluchtversuches Alarm schlugen, erleuchteten dieselben und forderten so den Triebfahrzeugführer auf, den Zug sofort anzuhalten. Wenn nun ein Zug, von Friedrichstraße kommend, Richtung Westberlin fuhr (in der Gegenrichtung war kaum mit einem Fluchtversuch zu rechnen) und die blauen Signallampen aufleuchteten, hätte ein Westberliner Triebfahrzeugführer wohl kaum seinen Zug angehalten, um einen Fluchtversuch zu vereiteln - der Ostberliner Kollege dagegen schon: Drohte ihm im Falle des Nichtbeachtens dieses Alarms doch eine Anklage wegen "Beihilfe zur Republikflucht" und man hätte den Zug zur Not auch gewaltsam anhalten können.

Pikantes Detail am Rande: Interessanterweise hielt sich dieser Personalwechsel am Lehrter Stadtbahnhof noch lange nach dem Mauerfall, nämlich bis zum 31. Dezember 1993, zumindest, wenn ein BVG-Triebfahrzeugführer den Zug fuhr. Aber hier war der Grund der gewesen, dass die BVG-Kollegen aus dem ehemaligen Westberlin auf dem Ostnetz schlicht und ergreifend keine Streckenkenntnis hatten und bei der Reichsbahn quasi "Fremdpersonal" waren. Nach der Rückübertragung der Betriebsrechte der S-Bahn von der BVG an die neugegründete Deutsche Bahn AG am 1. Januar 1994 und der Übernahme des BVG-Personals entfiel dann dieser Personalwechsel.

Ein Foto und so eine große Geschichte drumherum. Deutsch-deutsche Wirklichkeit. Vielen Dank für das tolle Bild. Bekommt natürlich einen fetten Stern!

1-mal bearbeitet. Zuletzt am 23.03.17, 23:11

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