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Sonntags in den heiligen Hallen des AW Nürnberg
   
geschrieben von Andreas T am: 22.01.22, 15:23
Aufrufe: 716

Mein heutiger Bildvorschlag aus dem Jahr 1980 hätte alternativ auch heißen können: "Dumm gedacht - Glück gehabt - gut gemacht".

Im Herbst Dezember 1980 hatte ich mich gemäß Weisung meiner Eltern durch die Tanzschule gequält. Und neben den wöchentlichen Tanzstunden und dem Abschlussball gab es auch das Angebot eines preisgünstigen gemeinsamen Busausflugs. Diesmal sollte es zum Christkindels-Weihnachtsmarkt nach Nürnberg gehen - stinklangweilig.

Wobei - gab es nicht in Nürnberg noch Interessantes aus dem Bereich Eisenbahn? Altbauloks wie die 118, Triebwagen wie die 432er und überhaupt Dieselfahrzeuge? Könnte man nicht einfach die Busfahrt mitmachen, sich vor Ort absetzen und statt Weihnachtsmarkt ein wenig Eisenbahn-Abenteuer suchen? Warum eigentlich nicht ...

Und so meldeten sich mein Kumpel Harald I. und ich zur Busfahrt am Sonntag, den 07.12.1980, ohne sinnhaften Plan oder Informationen, halt eine Fahrt "ins Blaue", genauer wegen des Winterwetters "ins Weiße". Aber es kam dann erst einmal so, wie man es bei fehlender Planung und Information erwarten konnte: Den Hautbahnhof zu finden war nicht sonderlich kompliziert, er war aber nicht sonderlich fotogen. Die Idee, das Bw Nürnberg zu finden und aufzusuchen, gelang uns auch mit vertretbarem Aufwand, dort standen immerhin ein paar 118er herum, wenn auch im schlechten Licht. Aber bis zur abendlichen Rückfahrt des Busses war noch viel Zeit.
Ich weiß gar nicht mehr, wer damals auf die Schnapsidee kam, nach dem Bw auch mal das Aw Nürnberg aufzusuchen. Was damals neben dem AW Bremen für die Instandsetzung aller Dieselfahrzeuge zuständig war. Irgendwo musste es ja liegen. Mittels Telefonbuch fanden wir die Adresse und am Hauptbahnhof auch auf der Übersichtskarte dessen tatsächliche Lage im Süden Nürnbergs. Mit der U-Bahn durchaus erreichbar.
Aber nur zur Erinnerung: Wir waren sonntags unterwegs, und hatten die irrsinnige Idee, unangemeldet ein Ausbesserungswerk aufzusuchen! Es kam also so, wie es zu erwarten war: Vor einem menschenleeren Werkstor standen wir, und wussten: Wir haben keine Chance.

Aber es ist wie immer im Leben: Wenn du keine Chance hast, musst du sie nutzen. Während wir vor dem Tor standen, frierend, und nachdenkend, was wir jetzt unternehmen sollten, bewegte sich etwas auf dem Gelände. Ein Mitarbeiter des Wachschutzes auf dem Gelände, damals nannte man das wohl noch "Pförtner", erschien in unserem Blickfeld, offenbar durch die beiden merkwürdigen Gestalten vor dem Tor neugierig geworden. Und machte den "Fehler", und zu fragen, was wir sonntags hier vor dem Tor zu suchen hätten. Jedenfalls hatte er letztlich so viel Mitleid mit uns beiden, dass er - entgegen jeder Dienstvorschrift - uns erlaubte, ihn auf seinem nächsten Kontrollgang durch das leere Betriebsgelände zu begleiten, unter der Bedingung, eng bei ihm zu bleiben, nichts anzufassen und ihn nicht zu verpetzen - was wir dankend zusagten.

Und so erhielten wir eine Privatführung durch das menschenleere Gelände, auf dem außen eine Vielzahl abgestellter 220er und 602-Triebköpfe zu finden waren, und in den Hallen selbst instand zu setzende Fahrzeuge vorrangig der Baureihe 218, aber durchaus auch 221er (die erste Lok dieser Baureihe, die ich zu sehen bekommen habe) und eine schmalspurige 251 aus Ochsenhausen. Stellvertretend möchte ich von allen damals entstandenen Bildern hier aus den "heiligen Hallen" die in Aufarbeitung befindliche (edit) 221 145 zeigen. Ein sensationelles Erlebnis für uns.

Ich denke, nach über 40 Jahren verletze ich mein damaliges Versprechen nicht mehr, diesen mitfühlenden und hilfsbereiten Menschen zu verpetzen, und möchte Euch an diesem Abenteuer teilhaben lassen. Auf dem Rückweg zum Bus begegnete uns übrigens zu unserer Überraschung im Hauptbahnhof - gerade wegfahrend - sogar als Sonderzug noch eine Doppelgarnitur des 403 in alter IC-Lackierung.

Harald hatte übrigens schon bald sein Interesse an der Eisenbahn verloren, und sich lieber dem Tanz und den Damen zugewendet ...

Scan vom Kleinbild-Dia (Kodachrome 64)


Zuletzt bearbeitet am 23.01.22, 22:00

Datum: 07.12.1980 Ort: Nürnberg Aw Land: Bayern
BR: 220,221 (alle V200-west) Fahrzeugeinsteller: Deutsche Bundesbahn
Kategorie: Bahn und Infrastruktur

EXIF-Daten:
Bildgröße: 800 x 1280 Pixel


geschrieben von: Hubertusviadukt
Datum: 23.01.22, 09:17

Welch ein Abenteuer, da wäre ich gerne mit dabei gewesen.

geschrieben von: Dirk Wenzel
Datum: 23.01.22, 16:21

Moin Andreas,
alleine Dein Text hätte schon einen Stern verdient!
Wer kennt sie nicht, diese glücklichen Zufälle und ungeahnten Begegnungen?
*
Grüße
Dirk

geschrieben von: Frank H
Datum: 23.01.22, 20:10

Hallo Andreas!

Für was die Tanzschule nicht alles gut ist ;)))

Dein Text macht dermaßen Lust auf weitere Bilder von diesem Ausflug, da hoffe ich doch mal ganz dreist auf einen kleinen Bericht im HiFo :P Aber bist Du Dir mit der Loknummer sicher? Laut Revisionsdaten.de wurde die 221 113 schon drei Jahre zuvor zum Osterei umgestaltet.

Viele Grüße,

Frank

geschrieben von: Bw Husum
Datum: 23.01.22, 20:47

Schöne geschichte, die ich mir gerne in ganzer Länge durchgelesen habe! Und das Ergebnis ist auch sehr schön!

Viele Grüße,
Jens

geschrieben von: Andreas T
Datum: 23.01.22, 22:01

Ich habe die Loknummer auf 221 145 korrigiert, an der Seitenwand ist die Nummer zu erkennen :-)

geschrieben von: Johannes Poets
Datum: 24.01.22, 15:45

Eine herrliche Geschichte, und das Bild ist auch fein!*

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