DREHSCHEIBE-Online 

Anzeige

HIER KLICKEN!

 04 - Historisches Forum 

  Neu bei Drehscheibe Online? Hier registrieren! Zum Ausprobieren und Üben bitte das Testforum aufsuchen!
Bilder, Dokumente, Berichte und Fragen zur Vergangenheit der Eisenbahn und des öffentlichen Nahverkehrs - Bilder vom aktuellen Betriebsgeschehen bitte nur im Zusammenhang mit historischen Entwicklungen veröffentlichen. Das Einstellen von Fotos ist jederzeit willkommen. Die Qualität der Bilder sollte jedoch in einem vernünftigen Verhältnis zur gezeigten Situation stehen.
Dies ist KEIN Museumsbahnforum! Bilder, Meldungen und Fragen zu aktuellen Sonderfahrten bitte in die entsprechenden Foren stellen.
Diesen Beitrag den Moderatoren melden?

[OT] 1988 in der DDR: „Warum darf ich hier nicht durch? Ich bin BRD-Bürger!“

geschrieben von: ccar

Datum: 27.01.18 23:39

Moin,

Bei dem Gedanken an Gadebusch zu Zeiten vor der Wende kam mir eine Geschichte unserer Familie in den Sinn, die ich denen, die sich dafür interessieren, nicht vorenthalten möchte. Die Geschichte hat zwar nichts mit der Eisenbahn zu tun, ist aber doch ein interessantes Zeitdokument.

Es war Ende der Achtziger Jahre, und meine Eltern waren mit dem Auto auf dem Weg von Schleswig-Holstein nach Thüringen zu unserer Verwandtschaft. Sie reisten über Lübeck-Schlutup / Selsmdorf ein, um dann über die Hamburger Autobahn und den Berliner Ring zu fahren. Ich war mit dem Zug schon zwei Tage vorher nach Thüringen gefahren, um dort ein wenig mehr Zeit verbringen zu können. Ich hatte ein besonderes Interesse, das mich dorthin zog: [www.drehscheibe-online.de].

Gemeinsam warteten wir in Thüringen nun darauf, dass meine Eltern ankommen würden, aber es wurde später und später am Abend. Und damals gab es kein Handy – es gab einfach gar keine Möglichkeit, um mit meinen Eltern Kontakt aufzunehmen und herauszufinden, ob etwas passiert sei. Immerhin hatte sich die Volkspolizei auch noch nicht gemeldet, aber langsam begannen wir, uns Sorgen zu machen. Irgendwann dann – gegen 23.00 Uhr – kamen sie endlich an, meine Eltern. Es herrschte Freude, aber auch Neugier, was passiert war. Meine Eltern erzählten ihre Geschichte – das Malheur geschah bereits kurz nach der Einreise in die DDR bei Gadebusch:

Irgendwo in dieser Stadt waren meine Eltern offenbar falsch abgebogen, und anstatt der B 104 nach Süden zu folgen, waren sie auf die B 208 in Richtung Ratzeburg gelangt – auf den direkten Weg zurück in den Westen also, wenn – ja wenn die Grenze dort offen gewesen wäre. Da meine Eltern sich nicht auskannten, bemerkten sie ihren Fehler nicht und fuhren unbeirrt in Richtung Grenze. Hinter einem Dorf stutzen sich dann aber doch ein wenig: „Halt für Bürger der DDR“, daneben ein unbesetzter Kontrollposten – aber: Das Schild galt ja nicht für sie, sie waren ja Bürger der BRD. Kein Halt also, unbeirrt setzten sie ihre Fahrt in Richtung Westen fort. Die Straße führte in ein Waldgebiet und wurde schlechter und schlechter, aber was soll´s? DDR-Straßen hatten eben keinen Weststandard, und wenn sie erst einmal die Autobahn erreicht hätten, dann würde es schon besser gehen. Meine Eltern erzählten freimütig, warum sie keinen Gedanken daran verschwendeten, dass etwas nicht stimmen könnte. Irgendwann standen sie dann vor einer massiven Straßensperre auf der Straße und einem Verbotsschild – lediglich eine winzige Nebenstraße bog nach rechts ab. Jetzt erschien ihnen die Situation doch komisch - irgendetwas stimmte hier dann wohl doch nicht.

Wie gut, dass da auch im gleichen Augenblick zwei junge Uniformierte auftauchten, die würden sie fragen können. Es waren allerdings die beiden, die zunächst Fragen stellen wollten: Wer sie seien, was sie hier machten und ob sie überhaupt wüssten, wo sie hier seien? Meine Eltern zeigten ihre bundesdeutschen Pässe und fragten, warum die Straße gesperrt sei, und ob es eine Umleitung gäbe, um zur Autobahn zu kommen. Die Grenzer hätten daraufhin wohl ziemlich ungläubig geguckt und nicht mehr gewusst, was sie tun sollten. Der eine verschwand in einem kleinen Häuschen in der Nähe, der andere bedeutete meinen Eltern, dass sie sich erst einmal nicht von der Stelle bewegen dürften, ehe der Sachverhalt hier geklärt sei. Mit einem Griff an die Waffe unterstrich er, dass es ihm ernst war. Der andere Grenzer kam zurück und zu viert standen sie nun und warteten, bis nach einer gefühlten Ewigkeit ein Militärfahrzeug kam, dem zwei Offiziere entstiegen. Mein Vater erklärte, dass sie auf dem Weg von Lübeck zur Autobahn nach Berlin seien und noch bis nach Thüringen wollten, es sei schon recht ärgerlich, hier so lange warten zu müssen. Die Offiziere ließen sich nochmals alle Papiere aushändigen inkl. Visum, Einladung von der Familie und Einreisebestätigung und behielten die Unterlagen. Dann beratschlagten sie, was zu tun sei und fragten anschließend, wie meine Eltern überhaupt den Kontrollposten hatten passieren können. Da wäre ja niemand gewesen! Ungläubige Blicke der Grenzer, aber die Tatsache, dass meine Eltern an dem Posten vorbeigekommen waren, ließ diese Aussage durchaus plausibel erscheinen. „Folgen Sie uns bitte mit ihrem Auto!“ Hinter dem Militärfahrzeug mit den beiden Offizieren ging es dann zurück, an dem Kontrollposten vorbei, weiter durch das Dorf (meine Mutter erinnert den Namen noch heute: Roggendorf) bis nach Gadebusch. An einer Abzweigung wurde angehalten. Der Offizier stieg aus und erklärte, dass sie offenbar an dieser Stelle falsch abgebogen sein müssten. Zur Autobahn ginge es nach links, sie seien hingegen nach rechts gefahren. Und entgegen aller Verbotsschilder seien sie in den gesperrten Grenzbereich eingedrungen und bis an die Grenzanlagen gekommen. „Was machen wir denn nun mit Ihnen?“ Es endete mit einem Verwarnungsgeld von 20 Mark für das Überfahren eines Verbotsschildes und die Papiere wurden wieder ausgeändigt. Die ganze Aktion hatte meine Eltern allerdings mehr als zwei Stunden gekostet – Stunden, die wir in Thüringen saßen und uns (vielleicht nicht ganz unbegründet) Sorgen gemacht hatten.

Als meine Eltern fertig waren, ihre Geschichte zu erzählen, amüsierten wir Jugendliche uns und malten uns aus, was die Grenzer später berichten würden: Zwei BRD-ler, die an der Ostseite des Grenzzaunes standen und sich beschwerten, warum es hier nicht weiter ginge – das würde es bestimmt nur einmal im Leben geben! Und wir diskutierten, ob das Verwarnungsgeld überhaupt angemessen war – schließlich bezog sich das Verbotsschild ausdrücklich auf DDR-Bürger. Und wir witzelten, was wohl passiert wäre, wenn meine Eltern darauf bestanden hätten, dass sie als Nicht-DDR-Bürger hier weiterfahren wollten. Nur einer konnte der Geschichte nichts abgewinnen: Mein Onkel sank in sich zusammen. Er sah sich schon bei der Polizei zur Befragung sitzen, ob seine Westverwandtschaft wirklich so orientierungslos sei, oder ob da etwas im Busche wäre. Was sollte er da antworten? Ihm war wirklich nicht zum Lachen zu Mute.

Letzten Endes hatte diese Geschichte für uns aber kein Nachspiel – weder für unsere Verwandtschaft noch für meine Eltern. Auch beim nächsten Mal ließ man uns ohne Vorbehalte in die DDR einreisen. Was sich allerdings in Gadebusch abgespielte, entzog sich unserer Kenntnis – ganz offenbar hätte an dem Kontrollposten jemand sein sollen, der Westdeutsche daran hindert, sich die Grenzanlagen einmal aus nächster Nähe von der Ostseite aus anzusehen. Es steht zu befürchten, dass dort jemand für dieses Ereignis zur Rechenschaft gezogen wurde. Hoffen wir, dass die Strafe für denjenigen nicht allzu hart war.

Christoph

Gib bitte eine Erläuterung, warum Du diesen Beitrag melden möchtest. Dies erleichtert es den Moderatoren, Deine Meldung zu verstehen.