Aktivurlaub auf der Abraumhalde („Aua dA“)
Teil 13: Viel Wind um fast nichts – Im Schlafwagen vom roten Gipfel mit Ostwind und massiver Zugverfrühung zurück nach Peking
Im
letzten Bericht hatten wir ja einen traurig gestimmten Abschied von den Dampfloks genommen. Jetzt geht die Reise weiter, mit dem Schlafwagen geht es von Chifeng („chi“ heißt rot; „feng“ bedeutet Wind, in der genau gleichen Aussprache und mit anderem Zeichen heißt es Gipfel; in dem Fall heißt es roter Gipfel) zurück nach Peking. Zuglok war eine Dongfeng (=“Ostwind“) Diesellokomotive. Also viel Wind um fast nichts, war es doch eine gewöhnliche, chinesische Nachtzugfahrt. Na ja, so ganz gewöhnlich war sie dann doch nicht. Während hier im Forum bei Reiseberichten über Nachtzugfahrten im Nahen Osten (=osteuropäischen Raum) ja meist die umfangreichen Verspätungen beklagt werden, zeigt dieser Bericht aus dem Fernen Osten, dass es auch anders geht. Aber lest selbst, die Bilder entstanden alle mit dem Smartphone, daher bitte die Qualität entschuldigen.
Zunächst ein paar Infos zum Zug. Ich fuhr mit dem Zug 2560, einem reinen Schlaf-/Liegewagenzug, der für die 485km von Chifeng nach Peking Nord satte neun Stunden braucht. Die geringe Durchschnittsgeschwindigkeit von 55km/h trotz nur drei Zwischenhalten ist wohl dafür verantwortlich, dass der Zug in die niedrigste Zugkategorie eingestuft ist, wobei die geringe Geschwindigkeit auch durch die sehr kurvige, eingleisige und nicht-elektrifizierte Strecke bedingt ist.
Bahnhof | Ankunft | Abfahrt | km |
Chifeng | | 21:10 | 0 |
Siheyong | 23:26 | 23:29 | 150 |
Longhua | 00:40 | 00:51 | 212 |
Huairou Bei | 04:05 | 04:17 | 397 |
Beijing Bei | 05:59 | | 485 |
Bild 1: Meine Fahrkarte: Ich habe im Schlafwagen 8 das obere Bett mit der Nummer 2. Die Fahrt kostete mich 178 Yuan (ca. 25€).
Bild 2: Übersichtskarte des Zuglaufs von Chifeng nach Peking (Nord). Ganz rechts sieht man noch Fuxin, wo der Aktivurlaub auf der Abraumhalde ja begann.
Wie man auf der Karte sieht, handelt es sich bei der Strecke von Chifeng nach Peking um eine kurvenreiche Altstrecke durch gebirgiges Gelände.
Kein Wunder, dass der Zug für die knapp 500km fast neuen Stunden braucht. Auf einer HGV-Strecke würde man wohl nur zwei Stunden benötigen.
Um halb sieben rief Jun im Restaurant zum Aufbruch. Mein Zug fuhr erst um kurz nach neun Uhr und bis nach Chifeng sind es mit dem Auto von von Pingzhuang nach Chifeng weniger als 50km. Aber Jun würde schon wissen, warum wir es so eilig haben. Zunächst hielten wir nochmal schnell am Bahnhof von Pingzhuang, wo sich Jun eine Fahrkarte für einen Zug von Chifeng nach Chengde, seiner Heimatstadt, besorgte. Den Weg nach Chifeng schien unser Fahrer weitaus besser zu kennen wie die Straßen zu den Bahnhöfen der Zechenbahn in Pingzhuang. Zunächst passierten wir ein riesiges, nigelnagelneus Kongresszentrum (wer hier mitten im Nirgendwo der Inneren Mongolei, wo es nur Kohle und noch zwei Dampfloks gibt, Kongresse abhalten will, bleibt mir ein Rätsel), dann ging es in einem Affenzahn auf einer mehrspurigen Straße aus Pingzhuang hinaus. Wenn das so weiter geht, sollten wir ja in einer Viertelstunde schon in Chifeng sein. Weit gefehlt, plötzlich bremste der Fahrer mitten in der Dunkelheit. Ohne Schilder oder vorherige Kennzeichnung verwandelte sich die mehrspurige Straße in eine Schotterpiste. Jetzt wusste ich, warum Jun es so eilig hatte.
Trotz des Schotterabschnitts standen wir kurz nach acht Uhr vor dem Bahnhof von Chifeng. Dort musste ich mich von Jun verabschieden, da sein Zug erst am nächsten Morgen fahren würde. Nach herzlicher Verabschiedung stiefelte ich die zahllosen Stufen hinauf zum Eingang, nach Passieren der obligatorischen Gepäck-, Fahrkarten- und Passkontrolle stand ich in der riesigen, gut gefüllten Wartehalle.
Bild 3: Auf dem nächtlichen Bahnhofsvorplatz von Chifeng. Wir sind in der Autonomen Region „Innere Mongolei“,
folglich ist der Name „Chifeng“ am Bahnhofsgebäude sowohl in mongolischen wie auch in chinesischen Zeichen angebracht.
Die rot-gelb-grüne Lichtinstallation im Vordergrund ist übrigens keine Ampel, sondern die Parkplatzbeleuchtung.
Bild 4: Im gut gefüllten Wartesaal wartete ich mit vielen anderen Reisenden auf den Aufruf meines Zuges.
Bild 5: Besonders angetan hatten mir es im Wartesaal die Sitzkissen, die dem ansonsten sehr
spröden Charme der Wartehalle ein heimeliges Gefühl wie im heimischen Wohnzimmer verleihen.
Die ohnehin schon recht vollen Sitzreihen füllten sich immer mehr, bis schließlich kein Sitzplatz mehr frei war. Plötzlich betrat eine Kohorte von Polizisten im Stechschritt unter Führung eines jungen und sehr ehrgeizigen Polizeioffiziers die Wartehalle. Er verteilte seine Untergebenen auf die einzelnen Reihen und diese begannen eher lustlos mit der Kontrolle von Fahrkarten und Ausweisen der Reisenden. Der Offizier selbst mischte sich dann unter seine Kollegen und begann auch mit den Kontrollen. Im Gegensatz zu seinen Kollegen war er aber voll bei der Sache, brüllte jeden Reisenden scharf an und hatte immer irgendetwas zu mäkeln.
Die Dame neben mir, da sehr schick und teuer angezogen, wohl in Peking wohnhaft, hatte das Pech, dass sie genau von diesem Blaumann kontrolliert wurde. Sie reagierte mit Lachen und Kopfschütteln auf die Kontrolle, was den Blaumann nur noch aggressiver machte. Der Dame war so etwas wohl genau wie mir noch nie in einem chinesischen Bahnhof passiert. Am Eingang wird ja immer die Fahrkarte mit dem Pass abgeglichen, das sollte doch eigentlich reichen. Aber so durchgedrehte Kontrollen in der Wartehalle hatte ich bis jetzt nicht einmal in der Unruheregion Xinjiang erlebt. Ich dagegen hatte Glück und wurde vom ältesten und lustlosesten Mitglied der Polizeitruppe kontrolliert, bei dem ein im Zeitlupentempo verlaufender Prozess startete, als ich ihm meine Fahrkarte und meinen Pass überreichte:
1. Ich kontrolliere hier Fahrkarte und Ausweis
2. Der Fahrgast hat mir etwas gegeben
3. Einmal gähnen
4. Das Stückchen Papier ist die Fahrkarte
5. Die Fahrkarte sieht korrekt aus
6. Einmal gähnen
7. Ich muss den Ausweis kontrollieren
8. Der chinesische Personalausweis ist grau und hat Scheckkartenformat
9. Ich habe hier ein leicht zerfetztes, weinrotes Stoffbündel im mehr als doppelt so großen Format in meinen Händen
10. Kopfkratzen
11. Einmal gähnen
12. Kopfkratzen
13. Das ist kein chinesischer Ausweis!
14. Hilfloser Blick zum Chef
15. Der malträtiert gerade die Dame neben mir und will dabei bestimmt nicht gestört werden
16. Kopfkratzen
17. Einmal gähnen
18. Fahrgast anschauen
19. Huch, das ist ja eine Langnase
20. Panik
21. Schnell Reisepass und Fahrkarte dem Fahrgast auf den Schoß werfen
22. Dabei einen möglichst strengen Blick machen: Warum verursachst du bei mir einen 22-stufigen Prozess, wo du doch eine Langnase bist, die mich gar nicht interessiert
Kaum war meine „Kontrolle“ beendet, wurde der Zug aufgerufen. Mehrere hundert Fahrgäste versuchten nun gleichzeitig der oder die Erste an der Bahnsteigsperre zu sein. Der Offizier blickte zuerst entsetzt, dann schon fast weinerlich auf das Chaos, das seine gesamte Kontrolle zu Nichte machte. Seine Untergebenen blickten ihn hilflos an, so nahm er wieder Haltung an und brüllte, dass sie die Kontrolle fortsetzen sollten. Die Leute in der Schlange hatten aber keine Lust mehr auf die Kontrolle und erzählten genervt, sie wären bereits kontrolliert worden und zeigten auf irgendeinen Polizisten. Da hatte der Offizier schließlich ein Einsehen, pfiff zweimal scharf in seine Pfeife und im Stechschritt verließ der Polizeitrupp die Wartehalle.
Nicht im Stechschritt, aber recht zügig ging es für mich durch die Bahnsteigkontrolle und auf den Bahnsteig. Bis zu meinem Wagen hatte ich noch ein gutes Stück zu laufen. Die Schaffnerin hatte sich an der genau falschen Seite des Wagens postiert und so dauerte es auch noch fast zehn Minuten, bis ich es schließlich durch den gesamten Wagen bis zu meinem Abteil am Ende des Wagens geschafft hatte, da ich einer der letzten Fahrgäste war und alle anderen bereits damit beschäftigt waren, ihr Gepäck zu verstauen und ihre Betten zu beziehen.
Bild 6: Der Zug stand zwar direkt am Hausbahnsteig, trotzdem musste ich noch mehrere hundert Meter bis zu meinem Wagen zurücklegen.
Bild 7: Noch ein Bild für die Wagenfetischisten hier im Forum. Ich fuhr mit dem Ruanwoche (=Schlafwagen) 24551351.
Ich fand noch einen Platz für mein Köfferchen und machte es mir anschließend in meinem oberen Bettchen gemütlich. Kurz vor Abfahrt kam die wie immer resolute Schaffnerin und tauschte meine Fahrkarte gegen das übliche Plastikkärtchen. Als sich der Zug pünktlich in Bewegung setzte, lag ich schon schlafbereit im Bett. Allerdings hinderten mich die grelle Abteilbeleuchtung und der Lautsprecher direkt neben meinem Kopf, aus dem militärische Marschmusik blechern tönte, zunächst am Einschlafen. Beides kann in alten Wagen leider nur zentral durch die Schaffnerin abgeschaltet werden, was auch zum Glück nach wenigen Minuten erfolgte.
Bild 8: Vorderseite des Plastikkärtchens, das ich im Tausch gegen meine Fahrkarte bekam,
bedruckt mit leckerem rohen Fleisch, zertifiziert nach ISO 9001 und ISO 22000 ...
Bild 9: ... von glücklichen Kühen aus den endlosen grünen Weiten der Inneren Mongolei.
Bild 10: In dem oberen Bett verschlief ich die folgenden acht Stunden Fahrt nach Peking.
Unser Abteil war voll, alle Mitreisenden fuhren bis nach Peking. So sollte es in der Nacht auch keine Störungen wegen zu- oder aussteigenden Fahrgästen geben. Ich schlief sofort ein und sollte erst wieder aufwachen, als eine Taschenlampe mit grellem Lichtschein zehn Zentimeter vor mein Gesicht gehalten wurde und eine brüllende Schaffnerin mich aus meinen süßen Träumen riss. Die Schaffnerin wedelte in der einen Hand mit der Taschenlampe, in der anderen Hand mit meiner Fahrkarte, schlaftrunken suchte ich das Plastikkärtchen. Dabei fiel der Blick auch auf die Uhr meines Smartphones. Es ist noch nicht Mal fünf Uhr, bis nach Peking dauert es doch aber noch eine Stunde. Fluchend kletterte ich aus dem Bett und begab mich in Richtung Toilette. Dort gab es eine entsprechend lange Warteschlange und so konnte ich detailliert beobachten und zuhören, wie chinesische Männer am Waschbecken vor der Toilette mit Inbrunst das letzte Stückchen Schleim aus den Tiefen ihrer Lungen holten und es unter lauten Schmatzlauten in das Waschbecken schleuderten. Sehr lecker. Immerhin rotzten sie ins Waschbecken und nicht wie sonst üblich auf den Boden.
Auf dem Gang standen schon die Fahrgäste aussteigebereit mit ihrem Gepäck und ich musste mich ins Abteil zurückkämpfen. Gute Leute, es ist 5:05, der Zug kommt fahrplanmäßig um 5:59 in Peking an. Legt euch nochmal hin! Als ich wieder in mein Bett steigen wollte, fiel mein Blick nach draußen. Ich erwartete tiefschwarze Pampa, ich sah helle erleuchtete Straßen, Hochhäuser und eine U-Bahnstation der Linie 13. Zwick, zwick. Träume ich? Nein! Geht meine Uhr falsch? Nein, die Uhr am Bahnsteig zeigt 5:08! Der Zug kommt zum Stehen. Wir sind tatsächlich fast eine Stunde zu früh angekommen! Ich habe ja schon viel auf Zugfahrten erlebt, aber dass ein Zug eine Stunde vor Plan ankommt, das hatte ich noch nie!
Solange ich noch meine Sieben Sachen im Abteil zusammenpacke und ihr euch dabei nicht langweilt noch ein paar Infos zum Nordbahnhof von Peking (Běijīngběi Zhàn). In Peking ist es fast wie bei Monopoly: es gibt einen Nord-, Süd-, West- und Hauptbahnhof, wobei der Nordbahnhof der mit Abstand kleinste und unbedeutendste Bahnhof ist (lässt man mal die U-Bahn außen vor). Der Sackbahnhof ist nur über eine längere, eingleisige und nicht-elektrifizierte Strecke an das restliche Eisenbahnnetz angeschlossen, dementsprechend bescheiden ist der Zugverkehr. Außer vereinzelten, unterklassigen Zügen in die Innere Mongolei (wie der Zug mit dem ich ankam) verkehrt hier nur noch die S-Bahn-artige S2 nach Yanqing. Dementsprechend ist der ziemlich neu gebaute Bahnhof mit seinen elf Bahnsteiggleisen heillos überdimensioniert. Die Bahnhofsanlage ist ziemlich neu gebaut, der Bahnhof selbst ist der älteste unter den vier oben erwähnten Bahnhöfen in Peking, das alte Bahnhofsgebäude steht noch am Rande des neuen Bahnhofs. Der Nordbahnhof wurde 1905 mit der Eröffnung der Linie von Peking nach Baotou (Innere Mongolei) errichtet, es war die erste Eisenbahnlinie in China, die unter chinesischer Führung gebaut wurde. Abgesehen vom Empfangsgebäude und den Bahnsteigen hat sich seither auch nicht viel verändert. Weitaus wichtiger ist die U-Bahnstation, die unter dem Namen „Xizhimen“ firmiert, die anderen Bahnhöfe in Peking haben eine U-Bahnstation, die jeweils den Namen der Bahnhöfe trägt. Unter dem Nordbahnhof halten die beiden Linien 2 (Ringlinie) und 4 (Anheqiao North - Gongyixiqiao), über dem Nordbahnhof endet die Linie 13 (Xizhimen - Dongzhimen). Damit ist die Station Xizhimen neben der Station Dongzhimen (ebenfalls Linie 2 und 13 sowie Airport Express) derzeit die einzige U-Bahnstation Pekings, in der drei Linien zusammenkommen (lässt man die Verlängerungen wie Yizhuang-Linie weg). Weitere Infos zum U-Bahnnetz in Peking folgen in einem separaten Bericht.
Bild 11: Ankunft am frühen Morgen im Nordbahnhof von Peking. Rechts fährt auf der Brücke gerade
ein U-Bahn-Zug der Linie 13 in die Endstation am Nordbahnhof. Die zahlreichen Fahrgäste aus
unserem Zug strömen in Richtung Ausgang. Unser Zug war der einzig angekommene in der riesigen, vollkommen
überdimensionierten Bahnhofshalle. Der Mann mit dem Fahrraddreirad holt gleich die Bettwäsche ab.
Bild 12: Blick in die andere Richtung im ziemlich leeren Nordbahnhof, nur ein paar leere Wagengarnituren sind dort abgestellt.
Die alten, dunkelgrünen Wagen mit gelbem Streifen deuten darauf hin, dass hier nur untergeordnete Züge abfahren bzw. ankommen.
Die höherklassigen Züge verkehren hauptsächlich an den Bahnhöfen Peking West und Süd bzw. auch am Hauptbahnhof.
Bild 13: Unsere Zuglok, eine DF4D mit Nummer 0309 hat bereits abgekuppelt und auf das Nachbargleis umgesetzt.
Im Hintergrund schließt sich am Gleisende das moderne und ebenfalls überdimensionierte Empfangsgebäude an.
Bemerkenswert sind auch die Prellböcke. So riesig wie Züge und Bahnhofsgebäude in China ausfallen, so winzig sind die Prellböcke.
Sie sind wohl eher Zierde, wenn ein schwerer Zug mit mindestens 15 Wagen (Standardlänge eines Zuges in China) und
vorgespannter, schwerer Diesellok da nur im Schritttempo anrollt, bleibt von dem winzigen Metallgerüst nichts übrig.
Die Gestaltung des Gleisbetts ist, zumindest für westeuropäische Augen, ebenfalls etwas ungewohnt und interessant.
So, inzwischen habe ich meine Sachen zusammengepackt, nachdem eben schon die Schaffnerin zum Betten abziehen da war und mich zur Schnecke gemacht hatte, weil ich ihren Wagen noch immer nicht verlassen hatte. Immer diese trotteligen Langnasen! Ich lief der Menschenmasse, die unser Zug ausgespuckt hatte, hinterher. Nach gefühlter Ewigkeit (12 Wagenlängen + weitere 100m, da die Lok nicht bis zum Gleisende vorgefahren war), hatte ich schließlich die Rolltreppe zur U-Bahn erreicht. Im Untergeschoss wurde meine Trödelei dann bestraft. Vor dem Verkaufsschalter für U-Bahnfahrkarten hatte sich bereits eine über 200m lange Schlange gebildet. So drängelte ich mich vorbei zu den Automaten. In jeder U-Bahnstation gibt es trotz der zahlreichen Automaten einen Verkaufsschalter. Denn die Chinesen, selbst die Jungen, misstrauen den Automaten und kaufen ihre Fahrkarten lieber am Schalter, und sei die Schlange noch so lange. Da können auch die vielen Videos in der U-Bahn, die idiotensicher zeigen, wie man eine Fahrkarte am Automaten kauft, nichts ändern.
Vor dem Automat standen nur ca. 10 Leute Schlange. Trotzdem stand ich fast genauso lange wie am Schalter, denn vor mir hatten sich Chinesen vom Land angestellt, die das erste Mal in ihrem Leben einen Fahrkartenautomaten zu sehen bekamen. Immer wieder versuchten sie, vor Wahl der Fahrkarte das Geld in die Fahrkartenausgabe zu stecken. Schließlich hatte ich Mitleid und assistierte beim Fahrkartenverkauf. Für mich als RMV-Geplagter (mittlerweile versuche ich wo immer es geht auf Fahrten mit dem RMV zu verzichten), der sicher durch den Tarifdschungel mit 11 verschiedenen Zonen navigiert, ein Kinderspiel. Dennoch zog sich der Verkauf hin, denn jeder in der Reihe benötigte nicht nur eine Karte für sich, sondern auch für seine zahlreichen Mitreisenden, die gar nicht in der Schlange standen. Zudem akzeptieren die Automaten nur kleine Scheine. Nach ca. 30 verkauften Fahrkarten und 15min hielt auch ich endlich meine Fahrkarte in den Händen.
Bild 14: Schlange vor dem Verkaufsschalter der U-Bahn.
Der Verkaufsschalter befindet sich ganz links hinten und
war um die frühe Morgenzeit nur mit einer Person besetzt
Bild 15: Nachdem ich meine Fahrkarte endlich hatte, bestieg ich einen Zug der Ringlinie 2 Richtung Yonghegong (Lama-Tempel).
Bild 16: Fast leere U-Bahnwaggons gibt es in Peking nur zur frühen Morgenstunde. Eine gute
Stunde später hätte ich massive Probleme gehabt, hier einen Stehplatz(!) zu bekommen.
Bild 17: Die Linie 2 ist eine der ältesten Linien, was hier in der Station Yonghegong (Linie 2) deutlich wird. Erinnert irgendwie an
die Konstablerwache in Frankfurt mit dem Unterschied, dass die Züge in Peking weitaus zuverlässiger verkehren wie in Frankfurt.
Bild 18: Die Linie 5 ist dagegen weitaus moderner. Der Stationsteil von Yonghegong (Linie 5) wurde
erst vor ein paar Jahren gebaut und nimmt Stilelemente des darüber liegenden Lama-Tempels auf.
Zudem sind die Bahnsteige mit Glastüren von den Gleisen getrennt, bei den Linien 1 und 2 (gebaut
Ende der 60er-Jahre bis Mitte der 80er-Jahre) fehlen diese. Hier müssen zur Rush-Hour mehrere
Bahnbedienstete und Polizisten aufpassen, dass im Gedränge niemand auf den Schienen landet.
Bild 19: Nach einer knappen Stunde U-Bahnfahrt durch Peking hatte ich mein Ziel bereits erreicht: Tiantongyuan Nord, nördlicher Endpunkt der U-Bahnlinie 5.
Die pompösen Haltestationen sind typisch für die überirdischen Abschnitte der Pekinger U-Bahn. In der Einhausung rechts verläuft der Endabschnitt der Strecke
für den Gleiswechsel der Züge. Der Sinn der Einhausungen hat sich mir noch nicht erschlossen. Lärmschutz kann es jedenfalls nicht sein,
denn wenn ein Zug hier durchfährt, hört man das Rumpeln noch einen Kilometer weit. Noch ist morgens um sieben Uhr nicht so viel los,
eine Stunde später wird der Vorplatz voll mit wartenden Fahrgästen sein. Da mein Zug ja eine Stunde zu früh ankam, musste ich noch eine
knappe Stunde warten, bis sich meine Frau und mein Schwiegervater durch den dichten Morgenverkehr gekämpft hatten und mich wieder nach Hause fuhren.
Meine Frau ist ein gutes Stichwort. Mit ihr sollte ich die darauffolgende Woche alleine verbringen, während unser Sohn solange die Nerven und Geduldsfäden seiner Großeltern in Peking strapazieren konnte. Da meine Frau mit der Eisenbahn nichts anfangen kann, kommt selbige nur am Rande vor. Aber Abwechslung muss sein, schließlich hatten die letzten 17 Berichte von mir einen viel zu hohen PKP, es besteht also massiver off-topic-Korrekturbedarf. Es wird allerdings auch nicht ganz off-topic, zudem lernt ihr Seiten von China kennen, wie ihr sie vielleicht nicht erwartet. Im nächsten Bericht geht es nämlich in die Provinz „südlich des Sees“. In der Nähe deren Hauptstadt wurde 1893 in einer relativ wohlhabenden Bauernfamilie ein Junge geboren, der es später noch zu gewisser Bekanntheit bringen sollte. In seinem bewegenden Leben war er viermal verheiratet (und zeugte mindestens zehn Kinder), sein beruflicher Werdegang zeichnet sich durch die folgenden Tätigkeiten aus: Soldat, Geschichtslehrer, Hilfsbibliothekar, Zeitungsredakteur, Wäschereimitarbeiter, Schulrektor, Höhlenbewohner, Freizeitgärtner, Buchautor, Müßiggänger, Gedichteschreiber. Ihr könnt ja schon mal raten, um welche Person es sich handelt und in welche Provinz die Reise geht.
Inhaltsverzeichnis Aktivurlaub auf der Abraumhalde („Aua dA“)