Aktivurlaub auf der Abraumhalde („Aua dA“)
Teil 11: Lüsterne Spannerfotos am Morgen vertreiben Kummer und Sorgen - Zwei Dicke Damen bei der Morgentoilette
Im
letzten Bericht hatte ich euch von der Anreise mit dem Heckeneilzug zur Clubanlage in Pingzhuang berichtet. Warum wir Pingzhuang als letztes Ziel in Nordchina ausgewählt hatten, erfahrt ihr in diesem Bericht. Vorab aber nochmals die Lösung für das Rätsel aus dem letzten Bericht (falls es jemand verpasst hat):
Bild 0: Zu sehen sind die Dampfloks SY 1764, SY 1425 und die Diesellok DF4B 1525. Aber welche ist die Älteste und welche ist die Jüngste?
Die Loks haben die folgenden Baujahre:
SY 1764 (Tangshan): 1995
SY 1425 (Tangshan): 1986
DF4B 1525 (Dalian): 1988
Die Reihenfolge ist also SY 1425, DF4B 1525, SY 1764.
Einst steppte in Pingzhuang der Bär: aus dem riesigen Tagebau zogen E-Loks aus dem LEW Henningsdorf ellenlange Züge in Richtung Abraumhalde und Kohlewäsche, die zahlreichen Untertageminen in der Umgebung bekamen ständig neue Leerwaggons angeliefert, im Gegenzug nahmen die Dampfloks der Minengesellschaft die vollen Kohlewaggons mit zum Bahnhof der Staatsbahn in Pingzhuang Süd. Von der einstigen Herrlichkeit ist nicht viel geblieben. Der Tagebau ist vor einigen Jahren stillgelegt worden, die Oberleitung längst abgebaut und die E-Loks aus Henningsdorf angeblich verkauft. Eigentlich sollten auch die Dampfloks in Pingzhuang längst durch Dieselloks ersetzt werden, aber die beschafften Dieselloks konnten die Anforderungen nicht erfüllen und so kamen die eigentlich schon eingemotteten Dampfloks wieder zu Ehren. Allzu viel Arbeit haben die Dampfloks aber auch nicht mehr, wie ihr in diesem Bericht erfahren werdet. Zur besseren Übersicht zunächst eine Karte:
Bild 1: Betriebsmittelpunkt der Minenbahn von Pingzhuang ist der Bahnhof Zhuangmei (Jipeizhan) direkt neben dem einstigen, riesigen Tagebau. Nordöstlich von
Zhuangmei sind noch vier aktive Untertage-Minen an die Minenbahn angeschlossen. Südlich von Zhuangmei führt die Strecke nach Pingzhuang Nan (Pingzhuang Süd).
Hier befindet sich der Übergabepunkt mit der Staatsbahn CR an der CR-Strecke Yebaishou – Chifeng. Auf halber Strecke zwischen Zhuangmei und Pingzhuang Nan
befindet sich der Bahnhof Wufeng. Hier zweigt eine Stichstrecke zu den (noch aktiven) Untertageminen von Wujia ab, sowie in anderer Richtung in das einst imposante AW.
Auch wenn hier mehr Minen wie in Fuxin in Betrieb sind, so ist der Betrieb nur noch ein Schatten seiner selbst. Zwei Dampfloks und eine Diesellok genügen, um den
gesamten Verkehr abzuwickeln. Die Minen erhalten Leerwaggons, die befüllt mit Kohle dann wieder zum Staatsbahnhof gehen. Der gesamte Abraum und Teile der
Kohle wird per LKW abtransportiert. Die Diesellok übernimmt normalerweise den Transport der Waggons von/zum Übergabepunkt Pingzhuang Süd zum/vom Bahnhof
Zhuangmei. Die beiden Dampfloks sind dann meist für den Weitertransport von/zu den Minen tätig und führen wenn nötig Rangierarbeiten durch.
Um 6:45 riss mich der Wecker aus meinen süßen Träumen. Dank des während der gesamten Nacht geöffneten Fensters und damit perfekten Schlaftemperaturen hatte ich einen sehr tiefen Schlaf. Schnell packte ich meinen Koffer und checkte an der Rezeption aus. Zum ersten Mal in dieser Woche wollten wir das Frühstück im Hotel einnehmen und Jun hatte die Hoffnung, dass der Frühstückssaal bereits vor sieben Uhr öffnen wurde. Erste enttäuschte Hoffnung an diesem Tag (es sollte nicht die Letzte bleiben): die Türen zum Frühstückssaal öffneten Punkt sieben Uhr. Es gab traditionell chinesisches Frühstück: Reissuppe, scharf angebratenes Fleisch, gedünstetes Gemüse. Genau das richtige für einen Frühstücksmuffel wie mich, der wenn überhaupt, nur Süßes zu Frühstück isst. Immerhin, neben gefüllten Teigtaschen gab es auch etwas Kuchenähnliches.
Bild 2: Mein Frühstück: Gefüllte und gedünstete Teigtaschen, das grüne Teil hatte kuchenähnliche
Konsistenz und schmeckte leicht süßlich. Serviert in einem Alu-Tablett, das ich so bisher nur aus
indischen Restaurants kannte. Zum Trinken gab es Nescafé-Pulver mit heißem Wasser.
Frisch gestärkt konnte so das Clubprogramm für den heutigen Tag gestartet werden. Auf dem Parkplatz wartete schon der Fahrer von gestern mit seinem Corolla. Unser erstes Ziel war der Bahnhof Zhuangmei, hier sollten sich die beiden letzten verbliebenen Dampfloks jeden Morgen frisch machen und Vorräte ergänzen. Der lokale Fahrer hatte keinerlei Ortskenntnis und Jun konnte sich auch nicht mehr richtig orientieren. Wo vor einem Jahr noch freies Feld war, ragten jetzt bis zu 20-stöckige Hochhäuser in den Himmel. Das genau gleiche Bild wie in Fuxin. Der durchgeknallte Bauboom in China hat jetzt auch die kleinsten Provinzkäffer erreicht. Wer in diesen Regionen, geprägt vom Niedergang der einst florierenden Kohleindustrie und geplagt von Abwanderungen in die großen Städte, überhaupt in diese Wohnsilos einziehen soll, ist mir ein Rätsel.
Schließlich erreichten wir die Nähe des Bahnhofs und ließen Auto samt Fahrer in einer staubigen Seitenstraße stehen. Wir kletterten auf den Bahndamm hoch und ein fast schon gespenstiger Anblick bot sich uns. Der große Bahnhof mit elf Gleisen und der riesigen Kohlewäsche zeugten von der einstigen Bedeutung. Alles war in bestem Zustand, kein Unkraut oder gar Bäume zwischen den Schienen. Aber es war gespenstisch leer. Kein Zug, keine Waggons. Nur im äußersten Eck hinter der Kohlewäsche war ein bisschen Leben. Eine Dame wartete bereits auf die Vorbereitung ihrer Morgentoilette, sprich Entschlackung und Versorgung mit frischen Leckereien (sprich Kohle und Wasser). Also nichts wie hin.
Mehr als zwanzig Personen wuselten geschäftig um die beiden Damen oder schauten einfach nur zu. Die Kulisse rundherum wirkte zwar ein bisschen zu sauber und aufgeräumt, vor allem für chinesische Verhältnisse, dennoch entstanden ein paar brauchbare Fotos und ganz nette Videoaufnahmen.
Bild 3: Bei der Dame handelt es sich um SY 1764. Die Greifschaufel für die Bekohlung liegt schon bereit, aber …
Bild 4: … noch muss sie auf ihre Kollegin warten und bleibt daher zunächst hinter dem Zug mit leeren Kohlenwaggons stehen.
Bild 5: Da kommt ja endlich ihre ältere Freundin angedampft, es ist SY 1425. Im Hintergrund steht die Kohlewäsche und Verladeanlage der ehemaligen Tagebaugrube.
Bild 6: Der Lokführer von SY 1425 winkt und freut sich auf seinen Feierabend nach einer 12-Stundenschicht. Der Heizer schaut
dagegen nicht so glücklich drein. Vielleicht wartet zu Hause nach einer so langen Schicht der nächste Feuerdrache zu Hause.
Bild 7: Aber schließlich packt auch er seine Thermoskanne und macht sich auf den Weg nach Hause.
Eine offizielle, dokumentierte Übergabe an die nächste Schicht findet in Pingzhuang wohl nicht statt.
Bild 8: Zeit, SY 1425 mal mit 100 PKP ins rechte Licht zu rücken. In der Morgensonne zeigt sich die Dame mit ihrer Schokoladenseite und die Rundungen
sind schön ausgeleuchtet. Auf dem Schild vorne steht übrigens in etwa „Sicher bei der Arbeit, glücklich bei der Arbeit“. Na denn, ich mach’s immer mit.
Bild 9: Wir holen erst einmal das kleine Hämmerchen für die Nagelpflege.
Bild 10: Der Lokinspektor macht seine morgendliche Runde. Im Gegensatz zu seinem Kollegen in Fuxin belässt er es bei einem kurzen Rundgang.
Bild 11: SY 1425 begibt sich unter den Kohlekran, der Greifer liegt noch auf der faulen Haut, aber gleich …
Bild 12: … beginnt für ihn die Arbeit, wobei er …
Bild 13: … kritisch beobachtet wird.
Bild 14: Die Dame verlangt aber nicht nur nach Kohle, sondern möchte auch ordentlich eingeölt werden.
Bild 15: Derweil schippt ein Verwaltungsangestellter die bei der Bekohlung daneben gefallenen
Kohlestücke in ein Wägelchen, um damit die Kohleöfen in der Verwaltungsbaracke zu füttern.
Bild 16: Das Personal ist im Gegensatz zu Fuxin immer gut gelaunt und freut sich über den Spanner
mit der langen Nase, der die liebevolle Pflege der Dame durch das Personal ausführlich dokumentiert.
Bild 17: Die Dame hat sich des Drecks entledigt, der in der letzten Nacht angefallen ist. Gleich zwei Männer müssen sich um die Beseitigung kümmern.
Bild 18: Einer schaut der zu, der andere schaufelt den Dreck in das Wägelchen.
Bild 19: Die seitlich einfallende Sonne und die Staubentwicklung führen zu schönen Schatteneffekten, die …
Bild 20: … nach weiteren Aufnahmen …
Bild 21: … geradezu schreien.
Bild 22: Mit vereinten Kräften werden die Rückstände der letzten Nacht dann …
Bild 23: … den nächsten Abhang hinunter gekippt, wobei sich …
Bild 24: … die Feinstaubbelastung in Pingzhuang wieder um ein paar ppm erhöht.
Bild 25: Die Dame wird weiterhin aufopferungsvoll gepflegt und …
Bild 26: … genießt derweil die warme Frühlingssonne.
Bild 27: Ein letzter Blick auf SY 1425, bevor …
Bild 28: … sie zur Seite tritt und …
Bild 29: … Platz für ihre jüngere Kollegin macht. Auch die möchte zunächst einmal eingeölt werden. Mit Schwamm und …
Bild 30: … Eimer wird auch sie zärtlich eingerieben.
Bild 31: Derweil ist ein anderer Teil des Personals noch immer mit dem Beseitigen des Drecks von SY 1425 beschäftigt, die …
Bild 32: … noch immer die warme Frühlingssonne genießt und vor sich hin pufft.
Bild 33: Auch ihre jüngere Schwester SY 1764 glänzt frisch eingeölt im morgendlichen Sonnenlicht.
Bild 34: Sie hat schließlich auch genügend Kohle bekommen, fährt ein Stückchen nach vorne und entledigt sich ebenfalls des Drecks, der sich in der letzten Nacht angesammelt hat.
Bild 35: Nach so viel schwarzen Damen mal zur Abwechslung ein bisschen was Grünes. Neben den beiden Dampfloks hat die Zechenbahn von Pingzhuang
auch eine DF4B-Diesellokomotive, genauer gesagt DF4B 1525, im Einsatz. Die Baureihe DF4 wird seit 1969 in China gebaut, die Subbaureihe DF4B seit 1984.
Mittlerweile ist man bei der Subbaureihe DF4D angekommen. Die Baureihe DF4B war früher meist grün lackiert wie dieses Exemplar, daher hat sie unter
chinesischen Eisenbahnfreunden auch den Spitznamen „Wassermelone“. Von der Baureihe DF4B in ursprünglicher grüner Lackierung gibt es nur noch ganz
wenige Exemplare im Einsatz. Mir wurde gesagt, dass chinesische Eisenbahnfreune nur ihretwegen (und nicht wegen der Dampfloks) nach Pingzhuang pilgern,
da es angeblich in China noch weitaus mehr Dampfloks als DF4B-Loks mit Originallackierung im Einsatz gibt.
Bild 36: Mittlerweile hat das Personal die Pflege von SY 1764 abgeschlossen und der Lokführer …
Bild 37: … hat schon seinen Platz eingenommen. Der Dreck von letzter Nacht …
Bild 38: … ist aber noch immer nicht komplett entsorgt.
Damit haben wir für heute genug gespannt. Im nächsten Bericht verfolgen wir die beiden Damen nicht mehr bei der morgendlichen Pflege, sondern bei ihrer Arbeit. Allzu viel werden sie allerdings nicht zu tun haben. Dennoch hoffe ich, dass ihr das nächste Mal wieder dabei seid.
Inhaltsverzeichnis Aktivurlaub auf der Abraumhalde („Aua dA“)