Geschätztes Forum,
als ich am 14. Mai vergangenen Jahres mit meiner Frau nach ein paar Bier das Frühlingsfest des örtlichen Blasmusikvereins verliess um daheim zwecks Verfolgung der Auswertung des Eurovision Song Contests (ESC) den Fernseher anzuwerfen, ahnte ich noch nicht, dass dies die Grundlage eines längeren Reiseberichts auf DSO geben könnte.
Bei Uebertragungsende dieser kulturell doch eher minderwertigen Veranstaltung standen nämlich nicht nur 4 weitere leere Bierflaschen auf dem Tisch, sondern auch das Duo "Ell und Nikki" aus Aserbeidschan als Sieger fest. Wir schauten uns gegenseitig an und nach einer ersten Verwunderung begriffen wir, dass der nächste ESC dann ja wohl in Aserbeidschan stattfinden müsse. Dies fanden wir spontan sehr deplatziert und nach nur sehr kurzem Ueberlegen befeuert von König Alkohol fiel uns ein, wer dort noch völlig deplatziert sein müsse: nämlich wir! Und als dann noch der Kollege D.N. aus Goslar zu später Stunde auch schon recht angetrunken anrief um sich über das unerwartete Ergebnis austauschen zu können, gab es nur noch eine Devise und sofortige Einigkeit: Da fahren wir nächstes Jahr zu dritt hin!
Nun sind ja dumme Ideen unter Alkoholeinfluss meist recht schnell zum Scheitern verurteilt, aber der Gedanke einen Eurovision Song Contest in Baku zu besuchen, hatte sich schon zu tief in unser Hirn gefressen. Und als ich im Dezember unserem freundlichen Forenkollegen "Martin Kop." bei einem privaten Besuch bei mir zuhause von unserem Reiseplan erzählte, outete er sich als langjähriger Grand Prix Fan und fragte spontan ob er mitfahren könne, was ich ebenso spontan zusagte.
Und so begann die Tour Gestalt anzunehmen. Lief am Anfang alles in Richtung Aserbeidschan, wurde uns schnell klar, dass sämtliche Yieldmanagements der Baku anfliegenden Airlines nicht auf den Kopf gefallen waren. Alle Flugtickets im Zeitraum dieses Events waren bereits im Januar schweineteuer. Als Alternative bot sich Tiflis und die Weiterfahrt mit dem Nachtzug für insgesamt etwa 180 Euro oneway an.
Oneway? Nun, wer Baku sagt und mal etwas genauer auf die Landkarte schaut muss doch eigentlich auch.... genau Turkmenistan sagen. Die - sagen wir etwas "eigenwillige" - Staatsführung und das Wirken des Turkmenbashi verfolgten sämtliche Reiseteilnehmer schon lange mit grossem Interesse und auch nach seinem Tod geht von Ashgabat eine nicht zu unterschätzende (und wie wir feststellen sollten berechtigte) Faszination aus. Als dann der Kollege N. im Vorfeld der Planung die Mitreise krankheitsbedingt absagen musste, sprang Turkmenistanfan und Ruhnamabesitzer Markus E. nur zu gerne ein, sodass wir nach wir vor zu viert reisen konnten.
Doch wie bekommt man ein Visum für Turkmenistan? Die einzige Möglichkeit unbewacht und ohne offizielle Begleitung durch das Land zu reisen ist ein Transitvisum, welches jedoch nur unter der Auflage verkehrstechnisch wirklich zu transitieren zu müssen (ein Flug ab Ashgabat wird nicht akzeptiert) bekommt. So blieben nur zwei Zielländer übrig und in den Iran wollte meine Frau wirklich nicht. Also Usbekistan!
Schnell war ein günstiger Gabelflug mit der CSA ab Prag gebucht, am 15.03 kauften wir zwei Minuten nach 12 unsere Eintrittskarten (billigste Plätze, die aber ein Visa garantierten) für das Finale und nachdem Martin im Anzug der turkmenischen Botschaft seine Aufwartung gemacht hatte (und erst mal zum Tee eingeladen wurde) hatten wir am Gründonnerstag alle notwendigen Unterlagen um aufzubrechen.
Los gings dann definitiv am 24.05. mit einer Zwischenlandung in Istanbul, wo wir noch die User "Baron" und "Mistral" zum Abendessen im Bahnhofsrestaurant Pendik trafen und am 25.05. erreichten wir um 3.10 morgens unser erstes Ziel: Tiflis. Uebrigens kommen mehr oder weniger alle Flüge aus Europa um diese nachtschlafene Zeit an und der einzige Grund den wir uns für diese Flugplangestaltung vorstellen konnten, war dass die südossetischen Rebellen vermutlich nicht über Nachtsichtgeräte verfügen und so eine Landung im Schutze der Dunkelheit gefahrlos möglich ist ;-) Selbst die georgische Eisenbahn weiss um die Flugpläne und so verkehrt ein nächtliches Zugpaar 6601/6602 auf der neugebauten Strecke von der Stadt zum Flughafen (an 3.50 / ab 4.00)
Da wir jedoch ein Hotel incl. Abholung vom Flughafen gebucht hatten, blieb uns diese Fahrt versagt. Im Hotel angekommen wurden wir als erstes auf die Terasse geführt, um den spektakulären Ausblick über die illuminierte Stadt zu geniessen und die freundliche Hotelchefin bot uns an noch was zu trinken zu holen und den Sonnenaufgang über Tiflis abzuwarten. Dafür waren wir aber definitiv zu müde und so landeten wir gegen 5 Uhr morgens endlich im Bett. So sah der Ausblick dann bei Tage aus:
Ein spätes Frühstück ist bei solchen Eincheckzeiten natürlich eine Selbstverständlichkeit und als wir um 11 Uhr den Speisesaal betraten, bekamen wir einen ersten Eindruck von georgischer Gastlichkeit. Der Tisch bog sich fast unter den Speisen und pro Gast war sogar ein Wimpel mit der georgischen Fahne als Souvenir vorgesehen. Gebucht haben wir unsere Unterkunft übrigens nicht über eines der gängigen Internetportale sondern über Beziehungen. Die Frau eines PARTEI-Freundes ist Georgierin, das Hotel gehört der Verwandtschaft und der Schwager übernahm vor Ort im Vorfeld noch ein paar andere organisatiorische Dinge u.a. die Beschaffung der Fahrkarten nach Baku, die im Hotel hinterlegt waren und uns dann ausgehändigt wurden. Und für diesen perfekten Service gibt es gerne eine kleine Schleichwerbung und Weiterempfehlung: [
www.hotel-mtatsminda.ge]
Das Mtatsminda liegt in einer Seitenstrasse direkt unterhalb des Funkturms des Mtatsmindaberges. Es gab/gibt? dort eine Art Freizeitpark, der mit einer Seilbahn die jedoch mittlerweile nicht mehr in Betrieb ist erreichbar war. Ein Mast ohne Seil ist links neben dem Turm noch gut erkennbar.
Ebenfalls nicht weit ist der Hauptboulevard Tiflis´, die Rustaveli Ave. und so nutzten wir die knapp 4 Stunden Zeit bis zur Abfahrt des Zuges für eine kleine Stadtbesichtigung. Unser einziger Bezug zu Tiflis war eigentlich nur der legendäre Besuch der PARTEI in Georgien und sämtliche mir bekannten Teilnehmer dieses "Staatsbesuchs" schlugen ob meines Ziels die Hände über dem Kopf zusammen. Auch unsere jetzige Reisegruppe bestand zu 75% aus PARTEI Mitgliedern (von denen damals aber niemand dabei war) und so erwarteten wir ein überall gepflegtes Grau, Bruch und Dalles. Doch im Spätfrühling geht das georgische Wintergrau nicht etwa wie von Tom Hintner ("Georgien ist das kaputteste Land, in dem die meisten von uns je waren, Gaumarjos") behauptet in ein warmes Frühlingsgrau über, sondern die Stadt präsentierte sich an besagtem Boulevard grün und aufgeräumt. Und abgesperrt!
Der folgende Tag war nämlich der Unabhängigkeitstag, sodass die Stadt gerade intensiv herausgeputzt war. Nur uns störten die ganzen Zelte und Wimpel doch sehr, da sie die meisen Gebäude verdeckten und den Gesamteindruck doch verstellten. Dafür gab es aber auch interessante Ausstellungstücke; der Güterwagen wurde übrigens noch penibelst von den Erdölrückständen gesäubert...
Und nun sollten wir erfahren wem wir den ganzen Spass zu verdanken haben. Endlich die erste Propaganda und es sollte im Lauf der Reise nicht die letzte bleiben :-)
Nun begaben wir uns in die Altstadt. Unterwegs lockten verschiedenste Läden und in ein alter Strassenbahnwagen diente gar als Biergarten.
Und beliefert wurde auch! Gaumarjos!
Am Hauptstadtfluss Kura angekommen erschloss sich uns nun, was der Präsident mit dem Wiederaufbau des Landes wohl meint. Überall entsteht planlos moderne Archtitektur, die überhaupt nicht zur Stadt passt. Gut, das tut moderne Architektur selten, aber in Tiflis erschien es uns als ob Herr Saakashvili wie ein kleines Kind einfach immer nur mehr Spielzeug haben will. Das sieht dann so aus:
Vor der Brücke ensteht ein kleiner Park, in dem auch eine Seilbahn, die auf den gegenüberliegenden Burgberg führt angelegt ist. Doch auch diese war bei unserem Besuch noch nicht in Betrieb, aber es war ja noch ein halber Tag Zeit bis zum Feiertag. Die Bauarbeiter und der verantwortlichte Bauleiter dürften bis heute wegen Nichterfüllung des Plansolls im Arbeitslager Steine klopfen....
Diese oben gezeigte Aussicht auf das ganze Ensemble hat man übrigens direkt vom Präsidentenpalast... das Auge regiert schliesslich mit. Dorthin gingen wir jedoch nicht, sondern wanderten durch ein zwei verfallene Viertel zur 2004 vollendeten Sameba Kathedrale um nach alter Tradition (mache ich bei jeder Osteuropareise) und gutem orthodoxen Brauch durch Anzünden einer Kerze bei einem Heiligen seines Vertrauens für einen guten Reiseverlauf zu bitten. Bislang hat´s noch immer geholfen ;-)
Doch nun drängte die Zeit und wir machten uns per U-Bahn auf dem Weg zu unserem Hotel um das Gepäck abzuholen. Wobei wir nicht umhin konnten noch einmal einzukehren um die georgische Küche zu würdigen. Faszniniert von der Vielfalt der Gerichte bestellte Martin etwas arg grosszügig und die Hälfte blieb stehen... ein Lapsus, der uns auf dem weiteren Reiseweg noch häufiger passieren sollte. Von der aufgetragenen Menge existiert zwar kein Bild, dafür gibt es jedoch eines von der sehr einfallsreichen Restaurantdekoration an der Decke!!!! Um einen realistischen Eindruck zu bekommen müsst Ihr Euch zum Betrachten auf den Kopf stellen.
Im Hotel wurden wir schon erwartet und von dort aus nach einer sehr familiären Verabschiedung zum Bahnhof gebracht. Der Tifliser Hauptbahnhof ist weniger ein Bahnhof, sondern ein Einkaufszentrum mit Gleisanschluss, auch wenn man die Züge kaum findet. Wir aber fanden unseren Nachtzug:
Noch ein paar Impressionen des Bahnbetriebs
Unser Abteil
Schlechte Bilder aus dem fahrenden Zug Richtung aserbeidschanische Grenze
Und der schon sehr unscharfe Schlummertrunk. Die Einreise nach Aserbeidschan verlief übrigens völlig problemlos, nachdem wir das Zauberwort "Eurovision" auch nur gedacht hatten. Dieses Parole sollte uns noch mehr als nur eine Tür in Aserbeidschan öffnen.
Und so sah die Landschaft am nächsten Morgen aus. Trotz später Ankunft in Baku (der Zug braucht für die 551 Kilometer 18 Stunden!) wurden wir bereits um 7.30 Uhr geweckt, was mich zu der Bemerkung veranlasste der Reisende hier habe das Recht vom Zugpersonal geweckt zu werden. Antwort Martin: " In diesem autoritären System gibt es keinen Unterschied zwischen Rechten und Pflichten"
Ein paar Ölquellen, mit deren Ertrag man schon mal einen kleinen Teil des ESC finanzieren kann.....
Streckensicht aus dem letzten Wagen.
Und die Ankunft am denkwürdigen 26.05.2012
Und deshalb sind wir hier... Fortsetzung von Martin folgt.
Ich hoffe Teil 1 gefällt.
Erik
Edit ergänzte doch arg viele Fehler und fügte einen Kalauer ein.
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 2012:07:05:21:32:26.