Hallo zusammen,
vor einiger Zeit hat User "TBWA" gefragt, ob es noch mehr Bilder von "da hinten" gäbe. Gemeint war der Restbetrieb auf dem südlichsten Abschnitt der württembergischen Allgäubahn zwischen Leutkirch und Urlau, der noch bis Ende 2001 Bestand hatte.
Nach Einstellung des Gesamtverkehrs zwischen Leutkirch und Isny wäre das Munitionsdepot in Urlau mehrere Kilometer von der nächsten Bahnstation, in diesem Falle Leutkirch, gelegen gewesen. Da sich die Ladestrassen in Leutkirch ziemlich zentrumsnah befanden, wollte wohl niemand der Anwohnerschaft dort die Verladearbeiten mit der nicht ganz ungefährlichen Munition zumuten. Und so wurde entschieden, das Reststück bis Urlau beizubehalten und in ein Bahnhofsgleis von Leutkirch umzuwandeln. Zudem wurden gegen eine Gebühr auch Wagen für Zivilkunden an der Ladestrasse in Urlau bereitgestellt. Gerade unter diesen gab es nach Einstellung des Güterverkehrs zwischen Kempten und Isny nochmals Zuwachs.
Die Strecke blieb - ähnlich wie etwa Bad Schussenried-Sattenbeuren oder Tauberbischofsheim-Dittwar - von den meisten Fotografen unbeachtet, obwohl die Strecke regelmässig Mo-Fr gegen 9.00 Uhr und meistens nochmals zusätzlich am Nachmittag von der Leutkircher Bahnhofsköf bzw. nach deren Abzug mit 211 und später 290 bedient wurde.
Nun aber zu den Bildern. Einige habe ich schon in früheren Beiträgen gezeigt, alle sind aber neu gescannt und bearbeitet. Nun wünsche ich viel Vergnügen damit!
Bild 1
Unmittelbar nach Verlassen des Bahnhofs Leutkirch querte die Bahnlinie fast im Stadtzentrum die stark befahrene Ausfallstrasse in Richtung Wangen. Dort befand sich ein beschrankter Bahnübergang, der bis in die 1980er Jahre hinein vom ehemaligen Wärterstellwerk 3 aus bedient wurde. Später wurde um die beiden Schrankenkurbeln ein schlichter Holzpavillion errichtet. Um Unfälle auf der stark befahrenen Strasse zu vermeiden, konnten vor dem Herunterkurbeln der Schranken die Ampeln von einem Schlüsselkasten aus mittels "DB 21" auf Rot geschaltet werden. Hier sehen wir die Ulmer 333 029-7 im Mai 1986 bei der Rückkunft aus Urlau.
Bild 2
333 029-7 wird an diesem Tag von Rangierleiter Rudolf Gregetz gesteuert und überquert gerade die Wangener Strasse (B 18). Diese Lok war in Leutkirch nur selten im Einsatz und vertrat die Stammköf 333 102-2, die wegen Unpässlichkeiten in Ulm oder Nürnberg weilte. Wenig später wurde 333 029-7 nach Frankfurt abgegeben.
Bild 3
Einige Zeit später, im August 1986, war die Stammlok 333 102-2 wieder zurück in Leutkirch. Auch dieses Bild entstand am BÜ Wangener Strasse. Die Lok hatte einige mit Munition beladene Schiebewandwagen in Urlau abgeholt. Die "Ein- und Ausfahrten" nach Leutkirch wurden übrigens durch zwei Hochmast-Ls geregelt, die sich etwa 100 m nach dem Bahnübergang in Richtung Bahnhof befanden.
Bild 4
Hier sehen wir nochmals 333 029-7 im Mai 1986 bei der Rückfahrt von der nachmittäglichen Bedienung Urlaus. Das Foto machte ich in der Nähe des Leutkircher Stadtfriedhofs, der Zug befindet sich auf Höhe des Kunststoffwerks "Novoplast" (ein ehemals guter Stückgutkunde), welches an dieser Stelle längst Vergangenheit ist. Heute befinden sich dort Aldi, Edeka und Co. Hinter dem Werk lugt der "Obere Stadtwald" mit seiner höchsten Erhebung "Rasslersberg" hervor.
Bild 5
Im Frühjahr 1988 wurden die Gleis- und Zusatzanlagen der Ladestelle Urlau grosszügig umgebaut. Unter anderem entfielen eine Weiche und das Schutzgleis Richtung Leutkirch sowie ein beschrankter Bahnübergang, dessen nahbediente Schrankenanlage (idyllisch unter Bäumen gelegen) beim Umsetzen der Triebfahrzeuge rauf- und runtergekurbelt werden musste. Neu entstanden eine grosszügige Rampenanlage und neue, befestigte Ladestrassen. Hier erwischte ich ein in diesem Zusammenhang nach Urlau fahrendes Bahndienstfahrzeug (was ist das genau für eines?). Die Aufnahme entstand kurz vor dem technisch nicht gesicherten Bahnübergang Fischerstrasse, zu dem die erkennbaren Langsamfahrt- und Pfeiftafeln gehören. Noch stehen die Granulatsilos des Novoplast-Werkes. Aufnamedatum war im März 1988, tja da hatten wir nochmals einen gehörigen Wintereinbruch.
Bild 6
Wer sich an das Bild mit der Köf im Schnee erinnert: Dieses hier entstand an fast der gleichen Stelle, kurz vor dem Bahnübergang Fischerstrasse in Höhe des Delta-Möbelhauses. 333 102-2 kehrt im August 1986 mit einer stattlichen Anzahl Schiebewandwagen aus Urlau zurück.
Bild 7
Selten einmal - meist zu Manöverzeiten - kam es vor, das komplette Militärzüge nach Urlau liefen. Diese wurden dann auch mit den Streckenloks, die sie bis nach Leutkirch gebracht hatten, weiter nach Urlau zugestellt. Diese Züge konnten nur "häppchenweise" wegen der beschränkten Nutzlängen der Ladestelle nach Urlau verbracht werden. Im Sommer 1987 fand ein solcher Transport statt. Die Ulmer Vorserienmaschine 215 003-5 befindet sich mit zehn Schiebewandwagen in Höhe des Weilers Ziegelstadel auf Bergfahrt. Im Hintergrund die Kulisse des Zeiler Höhenrückens, auf dessen Hochebene sich ein Schotterfeld mit dem Aussichtsberg "Wachbühl", der höchsten Erhebung des einstigen Oberamts Leutkirch, befindet.
Bild 8
215 003-5 sehen wir hier auf Höhe Allmishofen. Nein, das Bild ist nicht schief, man erkennt darauf gut die nicht unerhebliche Steigung, die zwischen Leutkirch und Urlau zu überwinden war. Links im Hintergrund der Herlazhofer Kapf, rechts das Wäldchen "Nonnenholz". An einen weiteren Militärtransport mit einer Kemptener 218 an einem Sonntag im September 1986 erinnere ich mich bestens: Genau an diesem Tag war Winterfahrplanwechsel und in Kisslegg wurde mit einem grossen Bahnhofsfest (IC-Pendelfahrten zwischen Leutkirch und Wangen, Führerstandsmitfahrten auf Ulmer 215, Fahrzeugausstellung, Tombola und und und - fast das ganze Personal der Hauptdienststelle Leutkirch war im Einsatz) die "Rettung" der Bahnstrecke Aulendorf-Kisslegg durch den zukünftigen Einsatz der 627 gefeiert. Von diesem Militärzug gibt es in einem der EJ-Sonderhefte "Eisenbahn im Allgäu" ein Foto, welches etwa an der gleichen Stelle entstand, wie mein Bild 5 mit dem Baufahrzeug.
Bild 9
333 102-2 rollt bei Allmishofen talwärts durch die breite Eschachniederung, ein Flüsschen, dessen Verlauf die Strecke bis Urlau folgt und das über dem Niveau des umliegenden Geländes verläuft, eine seltene geologische Erscheinung. Die Baumreihe im Hintergrund markiert den Verlauf der Rauns, eines im 17. Jahrhundert angelegten Grabens zum Hochwasserschutz der ehemals freien Reichsstadt Leutkirch. Die Rauns und ein ihr vorgelagertes Entlastungsbett wurden von der Bahn mittels zweier Stahlträgerbrücken gequert.
Bild 10
Für dieses Bild, welches im Juli 1989 entstand, könnte ich mir jetzt noch in den Hintern beissen. Eigentlich wollte ich die älteste Ulmer (und meine Lieblings-) Köf 332 022-3 mitten auf der Brücke knipsen. Auch Kleinlokbediener Heribert Meyer schaut etwas skeptisch aus seiner Maschine. Diese Brücke überspannte einen Feldweg, der von Herlazhofen zum Fallenstock, an dem die Rauns aus der Eschach ausgeleitet wurde, führte. 332 022-3 fährt an diesem Morgen leer nach Urlau. Inzwischen war das Stammlok-System beim Bw Ulm aufgehoben und 333 102-2 im Oktober 1988 auf Funkfernsteuerung umgebaut worden.
Bild 11
Stolz waren alle Beteiligten, als 333 102-2 nach einer HU im April 1988 frisch in oceanblau-beige lackiert aus Nürnberg wieder zurück in Leutkirch eintraf. Im Gegensatz zu ihrer ausgeblichenen Farbe sieht sie hier doch richtig schmuck aus, oder? Das Bildchen entstand während ihres ersten oceanblau-beigen Sommers, im August 1987. Hier rumpelt sie mit ihren zwei Schiebewandwagen an einem schönen Vormittag kurz vor Haselburg über den noch vorhandenen württembergischen Oberbau mit Kiesbettung dem Ziel Urlau entgegen. Die mörgendliche Bedienungsfahrt startete gewöhnlich pünktlich um 9.00 Uhr in Leutkirch, nach Rückkunft der Köf von ihrer Übergabeleistung nach Unterzeil. Der Oberbau der Strecke wurde im Juli und August 1992 durchgängig modernisiert und auf UIC 54 mit Betonschwellen und Schotterbett umgebaut.
Bild 12
Ende Mai 1986, als dieses Bild hier neben einem prächtigen Gehöft in Haselburg entstand, herrschten bei uns im württembergischen Allgäu fast schon hochsommerliche Temperaturen. 333 029-7 hat gerade die Ladestelle Urlau verlassen und begibt sich auf die nicht sonderlich anstrengende Talfahrt nach Leutkirch. Wie gerne würde ich noch einmal dort stehen und die Köf mit ihren Schiebewandwagen an mir vorbeirollen hören und sehen...
Bild 13
So, nun sind wir am Endpunkt unserer Reise, der Ladestelle Urlau, angelangt. Hier zu fotografieren, war - besonders während den militärischen Verladearbeiten - nicht ganz unproblematisch. An einem Sommerabend im Jahr 1988 standen auf den frisch umgestalteten Urlauer Bahnanlagen für das Munitionsdepot zwei Schiebewandwagen und für einen Zivilkunden ein G-Wagen (ein Gbs der SBB, danke an Hermann!) bereit. Der Zivilverkehr war nicht zu unterschätzen, es wurden Brennstoffe und Kunstdünger empfangen, Holz verladen, ein Isnyer Früchtegrosshändler erhielt in Gabs-Wagen Orangen aus Spanien und in Kühlwagen Bananen aus verschiedenen Seehäfen, eine Maschinenbaufirma aus Isny verschickte Anlagenteile, so im Sommer 1990 auf insgesamt zehn K- und einem Schiebewandwagen eine Anlage ins Baltikum, daneben gab es noch weitere zivile Verlader.
Bild 14
Jedes Jahr, Ende Juli/Anfang August veranstaltete die Reservistenkameradschaft Leutkirch auf einem Wiesengelände hinter dem Bahnhof Urlau ihr sogenanntes "Allgäu-Biwak". Die Verantwortlichen kamen auf die Idee, zum sonntäglichen Feldgottesdienst und anschliessenden Frühschoppen, als Zubringer einen mit der Leutkircher Köf bespannten "Reisezug" zu ordern, der damalige Dienststellenleiter des Bahnhofs Leutkirch, ebenfalls Reservist, organisierte das Ganze auf dem kleinen Dienstweg. Dem morgendlichen E 3204 wurden ab Memmingen zwei Silberlinge aus einem Wochenend-Stillager beigestellt und in Leutkirch wieder abgehängt. Gegen 9.30 Uhr machte sich die Köf auf in Richtung Urlau, am Nachmittag ging es wieder zurück und die Wagen wurden am Abend mit E 3207 wieder nach Memmingen zurückgebracht. Hier trifft die Fuhre gerade in Urlau ein (warum auf Gleis 2, ist mir nicht mehr bekannt) und wird militärisch stramm auf ihren Abstellplatz gewiesen : -)
Bild 15
Hier nochmals ein Bild mit der Sonderfahrt vom August 1987. 333 102-2 mit einem Wimpel geschmückt und wegen Überfüllung geschlossenen Führerstands vor dem ehemaligen Urlauer Empfangsgebäude. Die Reisenden konnten die Fuhre mittels Holztreppchen im Bereich der Militärverladung verlassen. Dort wurde die Garnitur auch bis zur Rückfahrt abgestellt. Rangierpersonal und der als "Zugbegleiter" fungierende jeweilige Wochenend-Bereitschaftler der HDst Leutkirch verbrachten die Zeit traditionell in der urigen, "schwarze Marie" genannten Landkneipe in Haselburg. Letzmalig wurde diese Fahrt im Juli 1991 angeboten, leider an einem total verregneten Sonntag.
So, das war mein Beitrag zum Restbetrieb Leutkirch-Urlau. Ich hoffe es hat ein wenig gefallen.
Allen HiForisten wünsche ich eine schöne und besinnliche Rest-Adventszeit und sende frohe Weihnachtsgrüsse aus dem württembergischen Allgäu, wo wir immer noch auf den Schneefall warten.
Bis denne!
Mark
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 2014:12:22:10:34:16.