Bisher in diesem Theater:
1. Berliner S-Bahn im Februar 1983: S-Bw Wannsee und Kremmener Bahn
2. Berliner S-Bahn, 4. Dezember 1983: Zum "Nordpol"
3. Berliner S-Bahn, 5. Dezember 1983: Auf der "Saale"
4. Berliner S-Bahn, 6. Dezember 1983: Kremmener Bahn
5. Berliner S-Bahn, 6. Dezember 1983: "Nathan" und "Nordpol"
6. Berliner S-Bahn, 7. Dezember 1983: noch einmal mit "Nathan"
7. Berliner S-Bahn, 11. Dezember 1983: Winter in Wannsee
8. Berliner S-Bahn, 4. Januar 1984: Sternfahrt nach Frohnau!
9. Berliner S-Bahn, 6. Januar 1984: Nur mal kurz nach Grunewald
Nun war er schließlich gekommen, der letzte Betriebstag der "Reichs-S-Bahn" im Westteil Berlins!
Da
Mike Straschewski auf seinen Seiten die Betriebsübernahme durch die BVG höchst anschaulich dargestellt hat, brauche ich die Umstände hier nicht näher zu erläutern. So habe ich diesen Tag erlebt:
(01) Wieder ging es mit dem Fahrrad nach Lichterfelde. In Höhe der Osdorfer Straße (die Streckengleise waren zur Aufnahme des geplanten Haltepunkts bereits aufgeweitet) kommt mir Umlauf 5 der Zuggruppe NII "Nathan" entgegen. Ich bin nicht allein auf der Pirsch...
(02) Der Nachschuß ist das Privileg des Triebwagenfotografen. Im Gebäude links befand sich das ALDI-Auslieferungslager. Eine Fotokomposition mit der Coca-Cola-Niederlassung am Blanckertzweg war leider nicht möglich, hätte mich aber durchaus gereizt!
(03) An der südlichen Einfahrt des Bahnhofs Lichterfelde Ost ist der Bahndamm recht breit. Die Ferngleise sind längst demontiert, das Bau-Betriebsgleis Tempelhof Vbf - Großbeeren hingegen noch in Fragmenten (rechts in den Birken) vorhanden. Der Bau dieses für die Errichtung des Vbf Großbeeren nötigen Gleises begann 1938. Nachdem mit Kriegsbeginn die Arbeiten zunächst eingestellt wurden, ging das Gleis im Laufe des Jahres 1941 in Betrieb. Offizielles Eröffnungsdatum war jedoch erst der 31.12.1941. Vermutlich wurden über dieses Gleis - auch nach Stillegung der Anhalter Bahn 1952 - noch Anschlüsse in Lichterfelde Süd bedient.
(04) Auf Umlauf 5 (Bild 1 - 2) folgt Umlauf 6. Irgendwie logisch. Da der Zielbahnhof Lichterfelde Süd gleich erreicht ist, wurde das Zielschild (offensichtlich ein Steckschild und kein Rolltransparent!) schon weggeräumt.
(05) Nach 5 Minuten Planaufenthalt zum Kehren in Lichterfelde Süd ist Umlauf 6 des "Nathan" schon wieder unterwegs nach Heiligensee. Aus der Ferne grüßt ein Lichterfelder Wahrzeichen, das 1972 in Betrieb genommene Kraftwerk Barnackufer mit seinen 158 Meter hohen Schloten (zum Vergleich: Der Funkturm mißt lediglich 146,78 Meter!).
(06) Der Nachschuß zeigt es: Wir befinden uns bereits dicht am Bahnhof Lichterfelde Ost. Rechts die Ruine des Stellwerks Lio am Kranoldplatz.
Das Bau-Betriebsgleis von 1941 vermittelt einen zumindest nicht völlig unbefahrbaren Eindruck.
Zur besseren Orientierung noch einmal der Gleisplan aus dem Jahre 1967:
(07) Vom Folgetag an werden diese beiden Verkehrsmittel mit nur
einem Fahrschein zu benutzen sein. Für die Freunde der Gummibahn: Den Bus (B-V 3291, Bauart SD 83) gäbe es
hier auch noch von vorn.
(08) Blick auf die mit Verlängerung der elektrifizierten Vorortgleise zum 9. August 1943 errichtete "Dauerbehelfsbrücke".
Das rechts sichtbare Denkmal mit dem ulkigen Kutschenrad erinnert an die erste Elektrische der Welt: [
www.berliner-verkehrsseiten.de]
(09) Bahnhof Berlin-Lichterfelde Ost, Westeingang am Jungfernstieg.
(10) Beide für Berlin (West) maßgeblichen Rundfunkanstalten haben Ü-Wagen gesandt: Während der RIAS mit einem schmucken T2-Bulli erschienen ist (der mit seiner Antenne irgendwie "umkippgefährdet" erscheint), sandte der SFB einen T3. Warum die beiden nun exakt vor der Bahnhofswirtschaft geparkt haben, mag jeder Leser selbst entscheiden...
(11)
(12) Nein, das ist nicht der Nord-Süd-S-Bahntunnel kurz nach Ende der Überflutung! Gleichwohl gemahnt die Leuchtfarbe an den Pfeilern an die verdunkelte Vergangenheit. Der Kiosk ist nicht mehr versorgungswirksam.
(13) Auch Gepäckabfertigung und Handgepäckschalter sind verwaist.
(14) Engagierte Sichtagitation.
(15) Trübe Abschiedstimmung.
(16) Die verkehrspolitisch Interessierten versammeln sich.
(17) Dieser Teilnehmer hat etwas Selbstgemachtes dabei. Der Unmut über die Schrumpfbahn war groß.
(18) Die S-Bahn kommt ins Fernsehen! Viele West-Berliner nehmen in jenen Tagen erstmals wahr, daß es eine S-Bahn gibt.
(19) Der Übergang vom S-Bahnsteig A zum "Nahbahnsteig" B hatte seit 1952 keine Bedeutung mehr.
(20) Blick zurück auf den Bahnsteig A.
(21) Mit dem Umlauf 3 vom vorigen Bild fahren wir nach Priesterweg.
(22) Aus welchen Gründen der Bahnhof Priesterweg (eröffnet am 17. Oktober 1928) recht großzügig angelegt wurde, ist hier erläutert:
[
stadtschnellbahn-berlin.de]
Die inneren Gleise gehören zur Dresdener Bahn, der "Nordpol" fährt nach Lichtenrade.
(23) Zur niveaufreien Ausfädelung in Höhe des Prellerwegs wird die Dresdener Bahn angehoben.
(24) Im Hintergrund erhebt sich der nach 1945 als Trümmerberg angelegte
"Insulaner".
(25) Die Bahnsteige sollten von 1990 bis 1993 umfassend saniert werden. Die schlichte Sachlichkeit wird dabei durch den zeittypischen BVG-Barock überlagert, der aber zum Glück nicht die bizarren Ausmaße des Haltepunkts Buckower Chaussee (
Rainer G. Rümmlers Spätwerk) erreicht.
(26) Das
Stellwerk Pr wird 1995 stillgelegt werden.
(27) Einfahrend der nächste "Nathan" nach Heiligensee.
(28) Zur Linken erstreckt sich heute der
"Naturpark Südgelände".
(29) Mit zahlreichen Sternfahrt-Teilnehmern fahren wir in Richtung Friedrichstraße und steigen dort um.
(30) In Frohnau war ich ja nun schon vier Tage zuvor, daher sollte es noch einmal über die Stadtbahn nach Wannsee gehen. In der Twh Hundekehle sind die "Startpackungen" für die BVG abgestellt.
(31) Nach dem Kehren in Wannsee geht es wieder zurück in die Stadt. Das Nordende des Bahnsteigs B trägt noch seine gußeisernen Stützen.
(32) Westkreuz, westliche Kehre in Kiesbettung.
(33) Das
Stellwerk Wk wird 1994 außer Betrieb gehen und anschließend aufgrund von Baumängeln (Setzungsschäden) abgebrochen werden.
(34) Savignyplatz präsentiert sich nahezu reisendenfrei, und die Brandmauer ist noch nicht durch Kunst aufgehübscht. Stadtbahn pur.
(35) Humboldthain: düster, trüb und verdreckt. Mich zieht es heimwärts.
(36) Und das ist nun definitv mein letztes Bild der DR-S-Bahn in Berlin-West: Lichterfelde Ost, Brücke über die Königsberger Straße.
Was in den entscheidenden letzten Stunden geschah, hat Ekkehard Kolodziej wir folgt beschrieben:
Zitat:
"Innerhalb von sieben Minuten geht die S-Bahn in Berlin (West) von der Reichsbahn an die BVG
Völlig überfüllte Züge hatten die S-Bahn-Fahrgäste in Berlin (West) seit über 22 Jahren nicht mehr erlebt. Unzählige Eisenbahnfreunde, aber auch viele „Nahverkehrsexperten“ der Interessenverbände, wollten dem Aufruf der Fahrgastinitiative und der Interessengemeinschaft Eisenbahn zu einer Sternfahrt am 8. Januar 1984 folgen. Ziel der Sternfahrt war die Fahrt nach Frohnau, die mit einer Kundgebung und einer Unterschriftensammlung gegen die geplante Stilllegung weiterer S-Bahn-Strecken enden sollte.
Nach Beendigung der Kundgebung wollten noch viele Teilnehmer in den späten Abendstunden an den verschiedenen Endpunkten der S-Bahn-Strecken die „jeweils letzten S-Bahn-Züge“ feierlich verabschieden.
Triebwagen 275 339-0, der wie zu einer Beerdigung mit Tannengrün und schwarzer Schleife geschmückt war, setzte sich um 21.00 Uhr in Bewegung, um von Heiligensee in Richtung Anhalter Bahnhof zu fahren.
Für den Chronisten ist jedoch der „letzte“ Zug interessant, der als Personalzug um 21.27 Uhr in Wannsee abfuhr. Für den Halbzug 275 557/558 und 275 551/552 fand eine große Abschiedsfeier mit Musik und einer Kranzniederlegung statt. Besucher, die mit einem Tagesvisum in die DDR oder in die „Hauptstadt der DDR Berlin“ einreisten, mussten bis spätestens 2.00 Uhr die DDR bzw. Berlin (Ost) wieder verlassen haben. Um die Fahrgäste, die ihre Tagesaufenthaltsgenehmigung bis zur letzten Sekunde ausnutzten, zurück nach Berlin (West) zu bringen, fuhr ein Leerzug nach Friedrichstraße, der diese Fahrgäste um 2.20 Uhr nach Charlottenburg brachte. Um diesen letzten Zug nach Charlottenburg begleiten zu können, waren viele Eisenbahnfreunde mit der U-Bahn-Linie 6 zum Bahnhof Friedrichstraße gefahren. Am Bahnhof Charlottenburg angekommen, mussten sie leider feststellen, dass vom Bahnhof Friedrichstraße ein weiterer Zug folgen wird, der im Fahrplan nicht verzeichnet war. Der mit Ps 34 550 bezeichnete Zug fuhr um 2.30 Uhr am Bahnhof Friedrichstraße ab und war für die Fahrgäste gedacht, die den „letzten“ Zug Richtung Westen verpasst hatten. Also nicht alle, die zu spät kommen, bestraft das Leben!
Dieser letzte Halbzug 275 557/558 und 551/552 war der, der als Personalzug den Bahnhof Wannsee um 21.27 Uhr verlassen hatte und dort gebührend verabschiedet worden war, der den Bahnhof Friedrichstraße am 9. Januar 1984 um 2.30 Uhr verließ und mit einiger Verspätung um 2.53 Uhr am Bahnhof Charlottenburg ankam, sieben Minuten bevor die Betriebsrechte der Deutschen Reichsbahn endeten und die der BVG begannen. Die paar Minuten Verspätung kamen zustande, weil der Leiter des Bahnhofs Zoo, Herr Schulz, die Reichsbahn-Mitarbeiter mit einem Blumenstrauß verabschiedet hatte.
67 Minuten später, genau um 4.00 Uhr, sollte der erste S-Bahnzug vom Bahnhof Charlottenburg in Richtung Friedrichstraße abfahren, aber nun unter Regie der BVG. Für diesen Einsatz war schon auf Gleis 6 der Halbzug aus 275 535/536 und 275 539/540 bereitgestellt, der Zug, der als letzter Zug der Deutschen Reichsbahn planmäßig den Bahnhof Friedrichstraße um 2.20 Uhr verlassen hatte und keine zwei Stunden später als BVG-Zug um 4.13 Uhr im Bahnhof Friedrichstraße eintraf."
Quelle:
Ekkehard Kolodziej: "Elektrische Triebfahrzeuge der Berliner S-Bahn"
[
www.ekshop.de]
Aus dem "Erdbeerkörbchen":
In Lichterfelde Süd (Zangenabdruck "Ls") erworbene Fahrkarte.
Ende einer Epoche...
Danke fürs Mitreisen!
Gruß,
Markus.