Hallo HiFo-Gemeinde,
nachdem ich letzten Sonntag hier ein Thema mit ungarisch-österreichischem Bezug eingestellt hatte, folgt heute erneut etwas aus dieser Kategorie: ein Besuch bei der GySEV. Zwar ist die GySEV auch heute ein bekanntes, interessantes und international ausgerichtetes Eisenbahn-Verkehrsunternehmen. Aber früher, ja früher ...
'Früher', zu Zeiten des Ost-West-Konfliktes, der Blöcke und des 'kalten Krieges', da standen die Kürzel GySEV für eine besondere Form der Kooperation zwischen Ost und West. Die GySEV (Györ–Sopron–Ebenfurti Vasút oder zu Deutsch: Raab–Ödenburg–Ebenfurter Eisenbahn) organisierte und betrieb als 'private' Bahn den Warenaustausch und Güterverkehr (natürlich auch Reiseverkehr) auf eigenen Strecken im Grenzgebiet der Blöcke zwischen Burgenland und dem Neusiedler See.
Einige Infos zur Bahn hatte Ulrich Budde kürzlich in einem seiner Beiträge:
Mit H.S. bei der GySEV zusammengestellt. Darin auch der Hinweis auf die einschlägige Literatur, wie z.B.: Hans Stenhart, "Die GySEV", Slezak Verlag, Wien, 1966. Für die bessere Orientierung ist es auch hier vielleicht angebracht, eine Karte mit dem Streckennetz der GySEV und seine Einbindung in die ÖBB-Strecken vorzulegen (GySEV-Strecken fett gezeichnet).
Da die Güterverkehrsströme in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts durch diese Besonderheiten, gemessen an den Gegebenheiten der Region, überproportional zunahmen, hatte diese Situation natürlich auch Auswirkungen auf den Lokomotivsektor. Und was für welche!
Am spektakulärsten und sehr bekannt bei allen Eisenbahnfreunden waren die Übernahmen von Loks der MAV-Reihe 520. Ulrich Budde schrieb dazu in seinem Artikel:
“Diese Loks ... stammten aus einem Kontingent von 100 Maschinen der DRG Baureihe 52, die nach dem Krieg in den sowjetisch besetzten Ländern von der UdSSR beschlagnahmt, auf russische Breitspur umgebaut und 1963 an das sozialistische Bruderland Ungarn verkauft wurden. 94 davon wurden wieder zurückgespurt und von der MAV als 520.001 – 094 eingereiht. Noch im gleichen Jahr wurden 6 Loks unter Beibehaltung der MAV Nummer an die GySEV weitergegeben.“
Es handelte sich um die folgenden Lokomotiven:
520.018 ex 52 7443
520.020 ex 52 3897
520.050 ex 52 3815
520.079 ex 52 6944
520.083 ex 52 5595
520.094 ex 52 7781
Ich war in den Osterschulferien 1972, also geradewegs vom Gymnasium, zu einer größeren Österreichtour aufgebrochen. Ausgerüstet mit der berühmnten ÖBB-Berechtigungskarte mit dem blauen Querbalken, die es damals überraschend formlos nach entsprechender (höflicher) Anfrage bei der Generaldirektion in Wien gab, und die einem Eisenbahnfreund in Österreich sprichwörtlich alle Türen öffneten, wollte ich mich diesesmal auch ein wenig 'über die Dörfer' bewegen auf der Suche und Pirsch nach interessanten Eisenbahnen und Loks.
So fuhr ich am Abend des 21. März 1972 von Wien aus nach Ebenfurth und suchte mir nach einem Fußmarsch durch den Abend in Neufeld/Leitha, bereits an der GySEV Strecke gelegen, ein preiswertes Quartier. Hier, in der Nähe der Metropole Wien, war bereits tiefste Provinz, Idylle, der Hauch des Eisernen Vorhangs. Die Idee war, am kommenden Morgen bereits früh an der Strecke zu sein, für einen GySEV Tag und, hoffentlich, eine oder auch mehr Begegnungen mit der 520.
Bild 1 -3: Gleich am Morgen kam mir in der Ortsdurchfahrt von Neufeld der erste Güterzug auf der Fahrt von Wulkaprodersdorf nach Ebenfurth entgegen. Zuglok im Streiflicht war 520.079.
Bild 4: Nach einem erneuten Fußmarsch von Neufeld nach Ebenfurth bin ich dann mit einem der nur sehr sporadisch verkehrenden Triebwagen, einem der beiden Bamot70X, nach Wulkaprodersdorf weiter hinein ins Reich der 520 gefahren.
Bild 5: Vorher rollte noch ein Güterzug am Triebwagen vorbei, den wiederum die 079 hier zur Fahrt zurück nach Wulkaprodersdorf bereitgestellt hatte. (Mit den GySEV-Loknummern ist es so eine Sache. Zwar sind die Schilder recht ansehnlich, die Ordnungsnummern sind allerdings sehr klein und farb- bzw. helligkeitsmäßig z.T. kaum abgesetzt.)
Bild 6: Im Trennungsbahnhof Wulkaprodersdorf angekommen, stand dort die 520.083 einige Zeit lang rum bzw. vollzog manch Rangiermanöver. Zeit für das eine oder andere Foto.
Zwar hatte ich zu dieser Zeit schon einige Fotografier-Erfahrungen in der DDR hinter mir, machte mir aber auf österreichischem Boden keine großen Sorgen um die GySEV-Fotografiererei. Deshalb war ich doch etwas überrascht, als nun der Lokführer mit einigen Gesten auf sich aufmerksam machte, schließlich von der Lok stieg und schnurstracks auf mich zukam ...
Wie sich rasch herausstellte, waren alle spontanen Befürchtungen nichtig, es handelte sich bloß um eine 'Gulasch'-Variante der Kontaktaufnahme zwischen Gleichgesinnten. Der Lokführer war schlicht dampfbegeistert und freute sich sehr über mein Interesse, wie ich dort - schier außer mir vor Freude - so um die 520.083, seine 083, rumhüpfte und Bilder machte.
Zwei Sätze weiter, sah ich mich auf dem Führestand wieder, hatte eine ungarische Lokführermütze auf ... und war eingeladen, den folgenden Dienst auf der 520.083 mitzuerleben! Die dabei entstandenen Bilder zeige ich Euch heute. Und ich denke, daß dieses durchaus auch eine Facette zu den bereits zahlreichen GySEV-Veröffentlichungen darstellt.
Bild 7: Gymnasiast Donni bei der GySEV, auf 'ner ungarischen Russen-52. Ich war schon ziemlich hin und weg!
Bild 8: So sah es von oben aus: im Bild 'mein' Lokführer, hier ohne seine Mütze
Bild 9 & 10: Wulkaprodersdorf, Einfahrt des Güterzuges aus Ebenfurth, der mit seiner Zuglok 520.079 hinter dem Triebwagen hergefahren kam. Diesen Zug mußten wir erst noch abwarten, bevor es mit unserer 520.083 los ging.
Bild 11: Vorher allerdings erst noch ein Fototermin
Bild 12: Wir verlassen den Bahnhof Wulkaprodersdorf
Bild 13: Auf Strecke
Bild 14: Zwischenhalt mit Wassernehmen in Neufeld/Leitha ... und Shopping.
Das war ein Ding. Hier gab es einen etwa 1.5 stündigen Aufenthalt, der nach Erledigung der Nachschauarbeiten an der Lok offenbar gerne für einen Rundgang durch den Ort genutzt wurde: mir machte 'mein' Lokführer nun klar, daß das Personal zum Shoppen und auf eine Brotzeit in den Ort verschwinden wollte. Mir wurde derweil der Dienst am Feuer und der Dampstrahlpumpe anvertraut. Zwar lief jetzt bereits meine auf ausgetüftelten Zugverbindungen aufbauende weitere Tourplanung weitgehend aus dem Ruder, aber was macht man nicht alles für den Dampf ...
Bild 15 & 16: Schließlich haben wir dann das letzte Stück bis Ebenfurth noch geschafft. Und dort kam es dann zu einer doch recht interessanten Begegnung mit einer ÖBB-Edel-52, wie Ulrich Budde das bezeichnete, der Barrenrahmen 152 288 aus Wiener Neustadt. Übrigens, dieselbe Giesl-152, die H.S. in Ulrichs Beitrag gesehen und fotografiert hatte.
Hier endete meine Reise auf der GySEV-52. Ich habe dem Lokführer damals anschließend einige Bilder zugeschickt und wir hatten eine zeitlang noch Briefkontakt. Ich bin allerdings nie mehr dorthin gekommen. Noch heute läuft mir beim Betrachten der 520er, mit der russischen Rauchkammer, den originalen Frostschutzeinrichtingen etc. ein kleiner Schauer den Rücken runter.
Ich hoffe, Euch hat die Mitnahme auf dem Führerstand der GySEV 520.083 im Jahre 1972 gefallen und wünsche noch einen schönen Sonntag
Gruß
Donni
Literatur: Hans Stenhart, "Die GySEV", Slezak Verlag, Wien, 1966.
Rolf_311 [
www.drehscheibe-foren.de] hat an seinen Bericht einige Links zu GySEV-Beiträgen angehängt.
Besonderen Dank an Ulrich Budde für Hilfestellung bei der Erarbeitung.
Hier [
www.drehscheibe-online.de] geht's zum Verzeichnis meiner bisherigen DSO-HiFo-Beiträge
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 2018:10:22:19:04:37.