Moin, moin,
wer sagt denn, dass wir unsere Beiträge immer abends einstellen, zumal der 5. Mai 1976 für uns Nordlichter auch in aller Herrgottsfrühe begann? Also denn...
Vor gut einer Woche haben wir hier einen Mehrteiler über die letzten Einsatztage der Ottbergener 44 begonnen, der inzwischen eine – zumindest für mich – unerwartete Eigendynamik bekommen hat. Ich möchte mich an dieser Stelle erst einmal bei Reinhard und Olaf für die tolle Zusammenarbeit bedanken.
Bisher sind folgende Beiträge erschienen:
Teil 1: "Jumbo satt" am 23.04.1976
Teil 2: "Jumbo satt" am 24.04.1976
Teil 3: Jumbo-Doppel vorm "Langelsheimer"
Teil 4: noch ein Jumbodoppel vorm "Langelsheimer"
Teil 5 ... Manchmal hilft aufräumen
Teil 6: 30.04.1976 nachmittags in Jumbolândia
Heute ist es nun meine Aufgaben, die Geschichte weiter zu erzählen. Zwar waren wir Hamburger auch danach noch ein paar Mal im Weserbergland, aber der 5. Mai 1976 war rückblickend das Highlight.
Die Nacht vom 4. auf den 5. Mai 1976 war für uns ziemlich kurz, da wir uns vorgenommen hatten im Weserbergland den ersten fotografierbaren Zug aufzunehmen. Dies war der Ng 63242, der um 3.14 Uhr in Herzberg abfuhr. Hierzu zeigt Olafs "Altpapiersammlung":
Und um Missverständnissen gleich vorzubeugen: Geplant war nicht ein Foto bei der Ankunft in Ottbergen oder zwischen Ottbergen und Altenbeken, sondern ca. um 5.00 Uhr, noch bevor die Sonne über dem Horizont war, vor dem Ertinghauser Tunnel...
Gerade die beiden morgendlichen Nahgüterzüge hatten es bisweilen in sich und mussten sich hinter den Dg's in Bezug auf die Last wahrlich nicht verstecken. Das galt an diesem Tag auch für den Grenzlast-verdächtigen Ng 63242. Aber der Reihe nach.
Start in Norderstedt um 1.45 Uhr, Christian und Udo abholen und dann ab auf die um diese Zeit leere Autobahn bis Nörten-Hardenberg (das Gaspedal wird konstant bis zum Bodenblech durchgetreten und mein grüner Golf I – den Käfer hatte ich zwischenzeitlich "zerlegt" – frisst die Kilometer nur so in sich hinein). Ab Nörten-Hardenberg ein paar Kilometer Bundesstraße bis Hardegsen – im relativ flachen Land lässt die aufziehende Morgendämmerung und der sich vor Sonnenaufgang von tiefblau zu orange verfärbende Himmel traumhaftes Wetter erahnen. Dann rechts ab nach Ertinghausen – zwischen den Bergen ist die Sonne noch nicht aufgegangen und eine dünne Frühnebeldecke liegt über den Wiesen in dem engen Tal. 285 km Fahrstrecke bis zum ersten Fotopunkt, der Brücke über die Strecke kurz vor dem Haltepunkt Ertinghausen – dem "Affenfelsen", der zu dieser Tageszeit noch unbevölkert ist.
Wir sind rechtzeitig vor Ankunft des Ng dort. Ein Schluck Kaffee aus der Thermoskanne, eine Stulle mit Mettwurst und dann warten. Rings um uns herum Stille, bis auf das Plätschern des kleinen Baches in der Wiese unterhalb der Brücke und das Zwitschern und Krakeelen zahlreicher Vögel, die ihr Morgenkonzert beginnen. Obwohl durch die umliegenden Berghänge entfernte Geräusche abgeschirmt werden, hören wir gegen 4.50 Uhr in der Ferne das erste dumpfe Grummeln einer Dampflok. Nach einiger Zeit ein lang gezogener, jaulender Pfiff, vermutlich am Einfahrvorsignal von Hardegsen um den Fahrdienstleiter aus seinem Tiefschlaf zu wecken...
Und dann kommt 044 180 mit durchgebranntem Feuer, einem nicht enden wollenden Ng 63242 und einer noch viel längeren Dampffahne die 12,7-‰-Steigung vor dem Tunnel heraufgekachelt ... allein für diesen Eindruck und das Foto hat sich das frühe Aufstehen und die Fahrt gelohnt.
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Für die zwei Kilometer Luftlinie zum nächsten Motiv, müssen wir etwa 12 km fahren, einmal um den Bollert, den die Bahn mit dem 960 m langen Ertinghauser Tunnel durchsticht, herum.
Eigentlich wollten wir hier den Ng 64431 noch erwischen. Leider ist der Zug aber überpünktlich, sodass er, als wir in Volpriehausen ankommen, schon durch ist.
Nun ist Warten auf den Dg 53845 angesagt. Für den Zug bieten sich eine Reihe von Motiven an: Die Schleife von Bollensen, die Brücke zwischen Gierswalde und Volpriehausen, die Einfahrt zum Ertinghauser Tunnel (mit Glück auch mehrere). Je weiter wir dem Zug talwärts entgegen fahren, umso dichter wird der Frühnebel. Uns ist nicht nach Risiko. Wir machen daher wieder kehrt, um an dem unmittelbar vor dem Tunnel gelegenen Bahnwärterhaus auf Sonnenschein und den Dg 53845 zu warten und uns hier die besten Plätze zu sichern.
Auch hierzu noch einmal ein Blick in Olafs "Altpapiersammlung":
Der Dg 53845 gehört an diesem Tag ebenfalls nicht gerade zu den Leichtgewichten und der brüllende Drillingstakt von 044 210 ist schon kilometerweit durch das Rehbachtal zu hören. Auch diesmal: Ein vollständig durchgebranntes Feuer und eine nicht endende Dampffahne, die sich in der Ferne mit den Resten des Frühnebels vereint ... besser kann es nicht mehr kommen.
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Entsprechend gut gelaunt fahren wir Richtung Herzberg, um die Zeit bis zu den nächsten Güterzugleistungen totzuschlagen. Northeim liegt auf dem Weg und so machen wir zuerst einen Abstecher im Bw. Dort dösen 044 067 und 050 858 vor sich hin. Außerdem kommt 052 223 mit offenem Absperrhahn für die Dampfheizung auf die Drehscheibe gerollt.
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Auch in Herzberg ist noch die Ruhe vor dem Sturm. 050 778 und 044 360 stehen einträchtig nebeneinander im Bw. An der 44 hängt bereits die Schlussscheibe für die Fahrt als Lz 87118 nach Northeim, kurz danach macht sie sich auf den Weg dorthin.
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Da vormittags keine interessanten 44-Leistungen im Weserbergland und südlichen Harzvorland anstehen, fahren wir nach Münchehof um dort den an diesem Tag von 050 780 gezogenen Kalkzug Gdg 58473 nach Salzgitter-Voßpaß zu fotografieren. Der Heizer versteht sein Geschäft: Mit schlohweißer Dampfwolke macht sich die Lok mit vier Kalkkübelwagen der Verkehrsbetriebe Peine-Salzgitter sowie einer langen Reihe Fad-Wagen auf den Weg.
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Ein weiteres Bild des Gdg gelingt bei der Ausfahrt aus Seesen, allerdings bei eher suboptimalen Lichtverhältnissen. Bei Lutter am Barenberge haben leider die Wolken gewonnen.
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Der Grund, warum wir die vormittags zwischen Herzberg und Ellrich verkehrenden Güterzüge ignorieren, war aber nicht der Gdg 58473, sondern der auch an diesem Tag verkehrende, aus leeren Druckgaskesselwagen gebildete Gag 57422, der von Langelsheim bis Altenbeken von einer Ottbergener 44 gezogen wird.
Rechtzeitig vor der Abfahrt des Zuges sind wir in Langelsheim, wo uns 044 180 überrascht. Gemäß Umlaufplan hätte die Lok, nachdem sie morgens mit dem Ng 63242 aus Herzberg gekommen war den Dg 53849 bespannen sollen, aber ein Loktausch im Heimat-Bw war schon immer etwas ganz normales...
Das erste Bild gelingt noch während die Lok den Wagenpark mit weit ausgelegter Steuerung aus dem ehemaligen Streckengleis Grauhof–Vienenburg zieht, wo sie nach ihrer Entladung in den Vortagen abgestellt worden waren. Inzwischen ist es so warm geworden, dass an eine Dampfentwicklung nicht mehr zu denken ist.
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Die schon fast geschlossene Wolkendecke bei der Abfahrt lässt für den weiteren Verlauf der Fahrt wenig Hoffnung auf gute Bilder aufkommen.
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Es gibt aber bisweilen nicht nur die passende Wolke zum Motiv, sondern auch ein genau passendes Sonnenloch, wie hier bei Orxhausen. Zwar hätte ich es lieber etwas früher gehabt, um den ganzen Ort in Sonne aufzunehmen, aber man kann ja nicht alles haben.
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Bei Ippensen fährt der Gag 57422 dann unter einer geschlossenen Wolkendecke.
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Zwar ist der frisch geeggte, braune Acker an der Greener Rampe nicht gerade der ideale Vordergrund für den Gag 57422, aber dafür gelingt nochmals ein Foto des Zuges in einem kleinen Sonnenloch.
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Und dann hinter dem Naensener Tunnel gegen Uhr endgültig wieder "mit ohne Sonne".
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Damit ist für uns das Programm für den Langelsheimer Gag beendet, wenden wir uns also wieder anderen Zügen zu. Da der Gag 57422 knapp eine Stunde vor Plan gefahren ist, müsste die Zeit eigentlich für den Dg 53842 noch reichen. Also im Tiefflug nach Ertinghausen, aber diesmal nicht auf den "Affenfelsen" sondern auf das Tunnelportal... an Sonne ist ohnehin nicht zu denken.
Die Akustik der von den seitlichen Hängen widerhallenden Auspuffschläge der 044 210 vor dem schweren Zug ist um Welten besser als die Optik. Der Heizer kennt seine Strecke in- und auswendig und das Feuer ist so gut durchgebrannt, dass er und sein Kollege auf der rechten Seite in der engen Tunnelröhre bestimmt nicht ins Husten kommen. Pünktlich um 14.20 Uhr verschwindet die Lok mit einem quietschenden Achtungspfiff im Portal des Ertinghauser Tunnels und wird noch ein paar hundert Meter mit weit ausgelegter Steuerung durch den Tunnel krachen, bevor die entspannte Talfahrt beginnt.
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Und wieder geht es um den Bollert herum. Allerdings schauen wir alle wohl ziemlich dumm aus der Wäsche, als wir in Bahnhof Hardegsen eine 50er sehen. Die hat hier ja nun überhaupt nichts verloren und muss zumindest mit ihrem Arbeitszug einmal dokumentiert werden.
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Weiter geht es zu der lang gestreckten Kurve bei Bollensen, dem einzigen Streckenabschnitt in der Steigung zwischen Bodenfelde und dem Ertinghauser Tunnel, auf dem die Strecke soweit Richtung Süden herum schwenkt, dass die bergwärts fahrenden Züge auch Nachmittags noch gut ausgeleuchtet sind.
Da 044 180, die planmäßig den Dg 53849 bespannt hätte, mit dem Langelsheimer Gag unterwegs ist, sind wir gespannt, welche Lok nun den Zug ziehen wird. Über die vergleichsweise saubere 044 462 sind wir keinesfalls böse, zumal die Sonne langsam versucht, die Wolkendecke wieder zu durchbrechen.
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In Ottbergen steht die Abfahrt des Dg 53842 unmittelbar bevor. Nach annähernd 40 Minuten Aufenthalt sind um 16.00 Uhr die Wagen für Ottbergen von der Zugspitze abgesetzt, neue hinten angekuppelt und der Zug steht, nun mit 044 210 und 044 534 als Vorspannlok, abfahrbereit im Bahnhof. In fünf Minuten ist planmäßige Abfahrt.
Zeit für einen Abstecher zum Bahnhof bleibt nicht mehr. Um auch diesmal für die geplanten Motive kein Risiko einzugehen, entscheiden wir uns auf Aufnahmen in der Nähe von Ottbergen zu verzichten. Werden die Schranken an den Bahnübergängen hinter Ottbergen zu früh geschlossen, sind die Chancen den Zug wieder zu überholen und rechtzeitig zu den schönen Motiven zu kommen ziemlich schlecht.
Als Motiv haben wir uns für diesen Tag die Einfahrt von Bad Driburg ausgesucht, irgendwann muss das doch endlich mal perfekt klappen... Da der Dg 53842 an diesem Tag aber elend lang und entsprechend schwer ist, entschließen wir uns spontan noch zu einem weiteren Bild: Am Schrankenposten bei Istrup ist der blühende Baum als Vordergrund einfach zu verlockend und zwischen hier und Bad Driburg gibt es keine weiteren Bahnübergänge. Zwar schiebt sich im entscheidenden Moment eine Schleierwolke vor die Sonne, aber na ja...
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Dann beginnt die Wettfahrt nach Bad Driburg, denn der Dg 53842 ist wider Erwarten keinesfalls langsam. Immerhin wird er von über 3.800 PS gezogen und die beiden Lokmannschaften verstehen ihr Handwerk. Kurz vor Bad Driburg rechts an den Straßenrand, den Bahndamm hoch hetzen und dann kommt der Zug auch schon angetobt... und diesmal passt einfach alles.
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Übrigens: Die Welt ist ein Dorf und Ulrich Budde, der hier schon zahlreiche schöne Beiträge eingestellt hat, hat den Zug nur wenige 100 Meter weiter oberhalb aufgenommen:
siehe Galerie in Bundesbahnzeit
Das für mich unvergessliche Finale dieses Tages, aber noch nicht das Ende der Fototour. Für den Ng 63247 kommen wir leider ein paar Minuten zu spät am Reelsener Tunnel an, sodass uns dieser Zug durch die Lappen geht. Dafür erwischen wir die Zuglok aus dem Dg 53842, die 044 210, die als Lz 86917 nach Ottbergen zurückfährt, noch bei Reelsen.
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Bleibt noch der Ng 64449, der planmäßig um 18.50 Uhr mit einer rückwärts fahrenden 44 als Leervorspann Richtung Braunschweig abfährt. Auch an diesem Tag besteht der Nahgüterzug, den 044 210 und 044 149 in Ottbergen am Haken haben, mal wieder aus null Wagen...
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Schluss – Aus – Ende. Was bleibt sind die damals an beiden Enden des Bahnhofs abgestellten 44er – neben dem Gleis aus Altenbeken 044 557, 044 456, 044 566 und 044 491 sowie auf der Holzmindener Seite 044 492, 044 672, 044 390, 044 326 und 044 193 –, die an den letzten Einsatztagen schon nicht mehr benötigt werden, und Erinnerungen...
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Ursprünglich sollte die Serie hier enden, aber ... wir waren schließlich nicht die Einzigen, die dort fotografiert haben. Reinhard hatte ja schon angekündigt, dass Pängelanton morgen das Thema aufgreifen wird. Ich genieße für 24 Stunden den Vorzug, dass ich einige seiner Bilder schon kenne und daher weiß, dass er nicht nur zwei Züge aus einer anderen Perspektive zeigen wird, sondern auch den Ng 63247, den wir verpasst haben... :-)
Viele Grüße aus HH
Stefan
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 2009:05:02:14:07:22.