aba schrieb:
schon interessant, dass da jede Verwaltung schon damals ihr eigenes Ding machte (wobei Siemens ja auch in Deutschland Systemlieferant wurde). :)
Gab es große Unterschiede zu dem in Deutschland üblichen, oder ist das vor allem im Detail anders?
Darauf kann man eigentlich nur mit einem 1000-seitigen Buch antworten :-) - das ist ein komplexe Geschichte, und ich weiß selbst viel zu wenig dazu. Aber ganz generell, und nur zu mechanischen Stellwerken:
* In den "reichsdeutschen" Ländern - also denen, die sich 1871 zum deutschen Reich zusammenschlossen - und der Schweiz waren die zwei "Platzhirschen" Jüdel aus Braunschweig und die Maschinenfabrik Bruchsal vormals Schnabel & Henning mit ihren verschiedenen Typen, die aber weitgehend - wie dann letztendlich auch die Einheitstype - auf dem grundlegenden Büssing-Patent mit schwingenden Verschlussbalken und massivem Veschlussregiser basieren; daneben natürlich Stahmer, Zimmermann und Buchloh und eine ganze Reihe weiterer. Auch Siemens & Halske Berlin bot seine Type 3414 in Deutschland an, kam aber kaum zu Zug. Einige Strecken rund um Berlin wurden allerdings damit ausgestattet, und es gibt eine nette Geschichte zu einem der letzten im
Wilhelmsruh (im Abschnitt "3. Die Besonderheiten ...") wegen der für Deutschland untypischen Grundstellung der Hebel nach unten.
"Systemlieferant" war Siemens insofern bei mechanischen Stellwerken in D und CH
nicht - das begann erst mit den elektromechanischen Stellwerken (deren Entwicklung ja auch bei S&H Wien begann, für Prerov an der KFNB). Bei den Blockwerken war Siemens allerdings in D, CH, der k.u.k. Monarchie und auch NL oder Polen (und Russland? - da habe ich kein Wissen dazu, aber vermute es) nahezu Monopolist. Jüdel in D und Hasler in CH hielten für manche Zwecke, u.a. im Bereich der Bahnhofsblockung, dagegen, deren Typen wurden aber nur bei einzelnen deutschen Länderbahnen in Süddeutschland und Sachsen (oder? - da kenn ich mich nicht so aus) eingesetzt.
* In der ganzen k.u.k. Monarchie, am Balkan, aber auch in der Niederlanden und teils in den skandinavischen Ländern war hingegen Siemens & Halske (zumindest ein) führender Lieferant für mechanische Stellwerke, dort vor allem mit der (meiner Meinung nach - aber ich kenne keinen Beleg dafür - noch von S&H Berlin konstruierten) Type 3414 mit den für Siemens typischen Knebeln.
Wohl kurz nach 1900 wurde von S&H Wien - also nicht dem Stammwerk in Berlin - für Rumänien eine neue Type 3500 entwickelt, mit neuer Hebelbank- und Hebelkonstruktion und vor allem grundlegend verbesserter Verschlusslogik, aus der sich dann über eine Zwischentype 3500a die Type 3500c = 5007 entwickelte.
Alle diese S&H-Typen weichen schon sehr weit von denen weitgehend "Büssing-basierten" in Deutschland und der Schweiz ab; nach der Besetzung Österreichs durch Hitlerdeutschland schrieb der österreichische Scherungsanlagenfachmann W. Biesok 1941 einen langen Artikel, in dem er den "deutschen Kollegen" die österreichischen - und damit auch tschechischen usw. - Anlagen nahebrachte. Er beginnt mit dem Satz: "Die Entwicklung der Sicherungs- und Streckenblockanlagen hat in der alten Monarchie Österreich-Ungarn eine von den in Deutschland geltenden Grundsätzen z.T. wesentlich abweichende Entwicklung genommen, ...". Einerseits sind das so offensichtliche Unterschiede wie
- die durchgängige Grundstellung der Hebel nach unten,
- die Verwendung von Ketten (und nicht Drahtseilen) an den Hebeln, an Umlenkrollen und an den Antrieben,
andererseits konstruktive Details wie etwa
- die viel kleineren ("feinmechanischen") Verschlussregister mit rotierenden (nicht schwingenden) Verschlusselementen
- oder auch das vollkommene Fehlen von Spannwerken, beides mit u.a. der Konsequenz viel kleinerer und billigerer Stellwerksgebäude (die Spannwerke in D und CH haben ja zwei Funktionen: (a) Nachspannen der Drähte bei Temperaturänderungen; das wurde bei den Siemensstellwerken durch "tolerantere" Signal- und Weichenantriebe erreicht; (b) Mitwirkung beim Signalhaltfall und der Weichenendlagesicherung bei Drahtriss; hier hat Siemens grundlegend andere Antriebe konstruiert, die diese Anforderungen "lokal im Antrieb" erfüllen).
Rein "österreichisch" ist (aber das betrifft nun schon die elektrische Ausstattung) die durchgängige Anwendung der Gruppenblockung in Befehlswerken (nach den Vorschlägen des Univ.Prof. Martin Boda aus Prag) statt der in Deutschland üblichen (eigentlich "halben") Einzelblockung, die i.d.R. größere Blockwerke erfordert; oder die Anwendung der Farben grün und schwarz in Blockfeldern; oder auch die enge Verzahnung von Strecken- und Bahnhofsblockung (z.B dient i.W. das Be-Feld am Stellwerk beim Rückblocken zugleich als "Endfeld").
... soviel als Überblick, was mir so einfällt - eine ganze Menge habe ich sicher vergessen, was man auch noch erwähnen könnte. Über Details können wir gern diskutieren - wobei mein Wissen auch eine Mischung aus "abgeschaut und selbst gedacht" (und daher nicht immer und überall korrekt) und natürlich angelesen ist. Im meinem Stellwerksblog kannst Du eine ganze Menge von Bildern und Erklärungen dazu finden, wenn's Dich interessiert.
H.M.
4-mal bearbeitet. Zuletzt am 2020:10:11:13:46:26.