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[CH] Kein Licht am Anfang der Tunnel

geschrieben von: Ernani

Datum: 31.10.06 15:23

31. Oktober 2006, Neue Zürcher Zeitung

Kein Licht am Anfang der Tunnel

Die Zufahrten zur Gotthard-Neat als Manövriermasse

Seit das Volk 1992 Ja gesagt hat zu den neuen Eisenbahn-Alpentransversalen, wird am Projekt diskret, aber eifrig geschraubt. Im Süden wurde der Ceneri- Basistunnel so erweitert, dass der Güterbahnhof von Lugano ins Abseits zu geraten droht. Und im Norden soll das Nadelöhr vor den Toren Zürichs vorderhand nicht entschärft werden.


P. S. Die neuen Eisenbahn-Alpentransversalen (Neat), insbesondere jene auf der Gotthardachse, sind in aller Munde. Neuster Stein des Anstosses sind vor allem die jüngst verstärkt nach oben korrigierten Kostenprognosen. Unter dem Eindruck der Wirren um die Vergabe des letzten Bauloses am neuen Gotthardtunnel trifft die öffentliche und die politische Kritik zurzeit vor allem dessen Bauherrin, die SBB-Tochter Alptransit Gotthard. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass die prognostizierten Mehrkosten mindestens zur Hälfte auf politisch gewollte Verlängerungen und höhere Ausbaustandards bei den beiden Basistunneln am Gotthard und am Ceneri zurückzuführen sind.

Zwei Röhren ab 15 Kilometern Länge

Abgesehen davon, dass auf einige dieser kostentreibenden Projekterweiterungen politisch noch einmal zurückzukommen wäre, ist absehbar, dass sie Abstriche bei Zufahrtsstrecken nach sich ziehen werden - insbesondere bei jenen, mit denen man das Grossprojekt Neat vor 14 Jahren Zürich und der Ostschweiz schmackhaft gemacht hatte. Während das im Wesentlichen auf eine neue einspurige Linie redimensionierte Bauwerk am Lötschberg gerade vollendet wird, sollen der neue Gotthard- und der neue Ceneritunnel erheblich länger werden, als dies ursprünglich in Aussicht gestellt worden war.

Im Kanton Uri haben die eidgenössischen Räte regionalem Druck nachgegeben und den neuen Gotthardtunnel zwischen Amsteg und Erstfeld just um jenen Abschnitt verlängert, dessen Bauvergabe sich wegen zweier erfolgreicher Rekurse nun um mindestens zwei Jahre verzögern dürfte. Aus der 1992 in Aussicht gestellten Länge von zirka 50 Kilometern sind unter anderem deshalb 57,1 Kilometer geworden. Im Tessin hat der Bundesrat 1999 grünes Licht gegeben für eine südseitige Verlängerung des Ceneri-Basistunnels um gut 3,8 Kilometer. Wie in Uri ging es dort vor allem darum, Diskussionen um den Platz für das neue Trassee und den von ihm ausgehenden Lärm durch eine Flucht in den Berg zu beenden. Gemäss dem vorliegenden Bauprojekt soll der neue Ceneritunnel 15,4 Kilometer lang werden.

Mit dem Entscheid für diese Verlängerung waren auch die Würfel zugunsten des Baus zweier Einspurröhren anstelle des ursprünglich vorgesehenen Doppelspurtunnels gefallen. Gemäss den Richtlinien der UIC, des Internationalen Verbandes der Eisenbahnen, sind lediglich für Tunnel ab 15 Kilometern Länge zwingend getrennte Röhren vorzusehen. Abgesehen davon, dass allein diese Änderung in der Bauausführung politisch inzwischen abgesegnete Mehrkosten von 634 Millionen Franken verursacht hat, ist die Verlegung des Südportals von Taverne unmittelbar vor die Tore des Personenbahnhofs Lugano ungünstig. Auf diese Weise wird - anders als beim ursprünglichen Projekt - der an der Autobahn 2 gelegene Luganer Güterbahnhof Vedeggio von der neuen Linie abgehängt; sie würde unter Tag an seiner Zufahrt vorbeiführen. Das scheint umso problematischer, als dem heutigen Huckepack- Terminal mittelfristig eine grössere Bedeutung als Umschlagplatz zwischen Schiene und Strasse zukommen könnte. Immerhin wird die Fortsetzung der Neat von Lugano bis zur Grenze in Chiasso nach der Fertigstellung des neuen Ceneritunnels noch mindestens ein Jahrzehnt auf sich warten lassen.

Flaschenhals Zürich-Zug

Vor den Toren Zürichs sind die absehbaren Probleme anderer Art. 1992 hatte man die Ostschweiz mit ins milliardenschwere Boot geholt, indem man ihr verbindlich eine Beschleunigung der Zufahrten von Zürich und (St. Gallen-)Pfäffikon her durch drei neue Tunnelbauwerke (Zimmerberg-Basistunnel I und II sowie Hirzeltunnel) nach Zug zusicherte. Seit 2003 fertiggestellt und unter dem Titel 1. Etappe Bahn 2000 abgerechnet ist der Zimmerberg-Basistunnel I, der die Doppelspur dem See entlang von Zürich bis Thalwil entlastet und den Schnellzügen Richtung Zug(- Gotthard) und Chur Fahrzeitgewinne von zwischen zwei und drei Minuten beschert.

Der direkte Weiterzug dieses Bauwerks als Zimmerberg-Basistunnel II Richtung Zug-Gotthard bis vor Baar ist mit 841 Millionen Franken nach wie vor im Neat-Kredit enthalten, und ein Vorprojekt liegt vor. Der neue Tunnel wäre nach dem Zimmerberg-Basistunnel I die logische zweite Etappe einer schnellen Flachbahn von Zürich bis Mailand, und die heute im besten Fall 26 Minuten betragende Fahrzeit zwischen Zürich und Zug liesse sich um rund 10 Minuten verkürzen. Gemäss der im vergangenen April unter dem Titel Zukünftige Entwicklung der Bahnprojekte (ZEB) präsentierten Verzichtplanung wollen Bund und SBB die beiden noch ausstehenden Vorhaben gänzlich ad acta legen. Tatsächlich könnte auf den Hirzeltunnel verzichtet werden; gemäss ZEB soll die Linie St. Gallen-Zürich beschleunigt und so ein besserer Anschluss der Ostschweiz Richtung Süden geschaffen werden.

Anders liegen die Dinge auf dem Korridor Thalwil-Zug. Auf ihm wird der Personenverkehr nicht nur von Zürich über den Gotthard, sondern auch nach Luzern abgewickelt. Betriebliches Haupthindernis sind die beiden einspurigen Tunnel Zimmerberg und Albis.

Internationale oder regionale Priorität

Bleibt, wie die gegenwärtige ZEB-Planung das vorsieht, dieses Nadelöhr bestehen, ist ein weiterer Ausbau der Bahnverbindungen von Zürich in südwestlicher Richtung nicht mehr möglich. Eifrigster Verfechter des Zimmerberg-Basistunnels II ist der Kanton Zug, der seinerseits von den Innerschweizer Kantonen und auch vom Tessin unterstützt wird. Bis Ende Jahr formuliert die Regierung im Auftrag des Kantonsparlaments eine entsprechende Standesinitiative. Auf Zürcher Seite geniesst das Anliegen nicht erste Priorität, als vordringlich gelten dort der Durchgangsbahnhof und die Beseitigung der Engpässe Richtung Winterthur. Ein gegenüber dem Zimmerberg-Basistunnel II wesentlich günstigerer Kompromissvorschlag des VCS wurde vom Bund zwar geprüft, wegen «mangelnder Aufwärtskompatibilität» aber nicht weiter verfolgt, wie es heisst. Er sähe erst eine zweite Einspurröhre parallel zum bestehenden Albistunnel Sihlbrugg-Litti (Baar) vor und dann einen kurzen doppelspurigen Tunnel anstelle des heutigen Zimmerbergtunnels Sihlbrugg-Horgen Oberdorf vor. Die Variante des VCS würde wohl den Korridor Zürich-Zug nur unwesentlich beschleunigen; indessen würde sie ihn - anders als der Zimmerberg-Basistunnel II - nicht am für die Relation Zentralschweiz- Ausserschwyz/Glarus/Bündnerland wichtigen Umsteigebahnhof Thalwil vorbeiführen. Dies macht deutlich, wofür sich die Verfechter einer Entschärfung des Flaschenhalses zwischen Thalwil und Zug entscheiden müssen, wenn sie sich zwecks Vermeidung einer Nulllösung gemeinsam auf eine der beiden Varianten festlegen wollen: Soll dieser Korridor in erster Linie Bestandteil einer europäischen Hochgeschwindigkeitsverbindung ins Tessin und nach Mailand sein, oder steht doch eher der regionale und nationale Verkehr mit S-Bahnen und Pendlerzügen nach Luzern im Vordergrund?

Bello è affrontar la morte
Gridando libertà!
Amor di patria impavido
Mieta i sanguigni allori,
Poi terga i bei sudori
E i pianti la pietà.

Vincenzo Bellini, "I Puritani"