Zwischen Orient und Okzident - Teil 2: Im Orientexpress für Arme
Zum ersten Teil: LINK
Nachdem im ersten Teil über slowenische Umwege Villach erreicht wurde, ging es in Kärnten nun "richtig" los. Viele werden es schon erraten haben, der Optima Express sollte mich in den nächsten 30+ Stunden schienengebunden quer durch den Balkan in die Türkei bringen. Seit Jahren erfreut sich der Autoreisezug anscheinend treuer Kundschaft und stellt im Jahr 2021 m. W. die einzige Schienenverbindung aus Europa in das Land von Kebap und Baklava dar.
Ca. 30 Minuten Fussmarsch von Villach Hbf entfernt fand am dortigen Terminal 2 in einem bescheidenen Häuschen der Check-In statt. Die meisten Autos standen auch schon zum Verlad bereit, und ich nutzte die grosszügig bemessene Zeit zwischen Check-In und Abfahrt für Fotos und People Watching. Es warteten vor allem ältere Leute auf dem spärlich ausgerüsteten Bahnsteig und oftmals überstieg das Gepäckgewicht wohl jenes der Besitzer, die Autos waren grösstenteils bis oben vollgepackt mit diversen Habseligkeiten.
1 - Da hoch wollen wir
2 - Und das ist der Star des Tages, der aus alten deutschen (?) Liegewagen und einem slowenischen Speisewagen gebildete Optima Express
3 - Sowohl Lüftung als auch Stromversorgung im Speisewagen sind während der Wartezeit sichergestellt
4 - Ein näherer Blick auf die Liegewagen zeigt etwas grössere Mittelabteile mit Doppelfenstern welche jedoch m.W. nicht gesondert verkauft wurden
5 - Ach ich mag den österreichischen Humor :)
6 - Abendliche Stimmung am Bahnsteig kurz vor dem Einstieg
Irgendwann durften wir dann in den Zug, wobei die Abteil- und Wagenzuteilung unter Betreuern und Fahrgästen gleichermassen für babylonische Verwirrung sorgte. Laut meinem Ticket sollte ich im Wagen 5 im Abteil 5 nächtigen, nach längeren betreuerinternen Diskussionen auf serbisch sollte es dann jedoch doch Wagen 2, Abteil 3 sein.
Mir egal, dort angekommen gesellte ich mich zu zwei älteren Herren, von welchen sich einer als Deutsch sprechender Österreich-Türke herausstellte. Meine paar Brocken Türkisch waren für eine Unterhaltung mit dem anderen Abteilnachbarn leider nicht ausreichend, so dass die Konversation schnell abebbte. In der Zwischenzeit wurden vom Betreuer diverse leere Abteile zugeschlossen, während in den belegten Abteilen jeweils 3-4 Leute waren. Laut dem sehr sympathischen Österreich-Türken aus meinem Abteil, der den Zug schon seit über 15 Jahren nutzt, gängige Praxis, kurz nach der Abfahrt würden die Betreuer dann jeweils durch den Wagen gehen und gegen ein kleines Entgelt die leeren Abteile verkaufen, selbstverständlich ohne Beleg. Er hoffe diesmal mit 30 Euro durchzukommen, meinte er mit einem Achselzucken. Der zweite Abteilgenosse probierte es auf seine Art und setzte sich zwischendurch in ein leeres, offenes Abteil und zog die Vorhänge. Der mit allen Wassern gewaschene Betreuer spürte ihn jedoch zielsicher wieder auf, so dass wir kurze Zeit später wieder zu dritt waren. Kaum war der Zug abgefahren fand ich mich jedoch auch schon wieder alleine im Abteil wieder, da beide die vom Betreuer geforderten 30 Euro für ein Einzelabteil quittungslos quittierten. Letzterer war nun jedoch augenscheinlich unzufrieden, dass ich ohne Bakschisch nun ebenfalls zu einem Einzelabteil gekommen war, musste jedoch wohl oder übel den Tatsachen ins Auge blicken. Eine gute Entscheidung, bei einer erneuter Umquartierung wäre ich dann nicht mehr ganz so kooperativ gewesen…
7 - Während wir fleissig rangiert wurden senkte sich die Nacht über die Gleisanlagen
8 - Ganz so schnell wie hier angedeutet würden wir nie unterwegs sein…die Rangierlok auf dem Weg in den Feierabend
Währenddessen wurden die Liegewagen mit Speisewagen an die Autotransportwagen rangiert, wobei ein alles in allem ansehnlicher Zug entstand, welcher die balkantypischen Dreiwagenzüge locker in den Schatten stellte. Pünktlich wurden denn auch die Bremsen gelöst und man liess uns auf die bekannte Strecke in Richtung Slowenien. Am offenen Fenster ging es zügig in die Nacht hinein, welche mit dem klaren Himmel zum Sternegucken aus der Horizontalen einlud.
Am Morgen wachte ich nach einer sehr angenehmen Nacht mit nur einer einzelnen "Passport Kontrol" - bedingten Unterbrechung dann irgendwo im kroatischen Nirgendwo auf. Über Nacht war es kühl geworden im Abteil, mutmasslich da die Heizung nicht ordnungsgemäss funktionierte. Mit den Decken der drei nicht vorhandenen Abteilgenossen liess sich dieses Manko aber schnell beheben. Slawonien zeigte sich unterdessen immer noch öde wie eh und je, immerhin kamen wir flott durch die von Karrenwegen durchzogene Feldlandschaft voran. In Vinkovci hatte unser Zug dann Durst und kurz darauf statteten uns die kroatischen Grenzorgane einen Kurzbesuch ab, wobei die ganze Geschichte effizient und korrekt ablief. Auf serbischer Seite in Sid das Gleiche, die Zöllner erlaubten uns nach der Kontrolle auch ein kurzes Beinevertreten auf dem bahnsteigähnlichen Etwas, was vor allem den Vierbeiner im Wagen tierisch freute.
9 - Guten Morgen aus Vinkovci
10 - Auch diese slowenischen Wagen sonnten sich am frühen Morgen am Bahnsteig
11 - Höchste Zeit für einen Besuch im Speisewagen
12 - Bei einem Kaffee am offenen Fenster sieht die Welt gleich schöner aus. Schöner auf jeden Fall als das kroatische Graffiti auf Rädern am Nachbargleis
13 - Das Frühstück war auch in Ordnung. Brot gab es noch einiges mehr als auf dem Foto.
14 - Der Vollständigkeit halber noch die gesamte Speisekarte.
15 - Die kroatische Zuglok am Abspulen der letzten Kilometer vor der serbischen Grenze. Slawonien wie im Bilderbuch :-)
Der Auslauf für Zwei- und Vierbeiner sollte sich lohnen, begann doch nach dem langen Aufenthalt in Sid mit erneutem Lokwechsel ein quälend langer Abschnitt. Bis Belgrad kamen wir mit maximal 40-50 km/h voran, wobei tiefere Geschwindigkeiten eher die Regel denn die Ausnahme waren. Parallel baute China Railways fleissig an einer neuen Strecke, eine hiesige Kosten-Nutzen-Analyse würde der absurde Gigantismus mit Viergleisigkeit und einem Bahnhof Zeman mit sage und schreibe 9 Bahnsteiggleisen als Highlight aber wohl nicht ansatzweise überleben.
16 - Die Sid’sche Bahnhofsidylle mit Border Police, Rasengleis und dem unvermeidlichen Flirt
17 - Rege Bautätigkeit entlang der Strecke. Bzw. v.a. Zeugen von kürzlicher Bautätigkeit, während wir nebenherschleichen
18 - Ein Einzelabteil bietet ja gewisse Vorteile. Die Kombination aus mittlerer Liege und Fahrtwind bei serbischen Geschwindigkeiten war perfekt
19 - Typische Infrastruktur-Dimensionierung nördlich von Belgrad. Andernorts baut man für die gleiche Anzahl Züge alle x km einen Kreuzungsbahnhof auf eingleisiger Strecke…
Nach X Stunden Kriechgang, welche ich bevorzugt mit meiner Reiselektüre aus der Feder von Orhan Pamuk am offenen Fenster zu verbringen pflegte, rückten irgendwann endlich die Hochhäuser von Belgrad ins Blickfeld und der Zug tauchte von der Savebrücke ein in die Moderne von Beograd Centar, wobei ich erst mal kurz an einen ungewohnt menschenleeren Berliner Hbf denken musste.
20 - Dieser graffitiüberzogene Oldtimer kündigt die nahe serbische Hauptstadt an
21 - Daneben wirkt dieses Diagnosefahrzeug richtiggehend futuristisch
22 - Das eine oder andere Tram mit Basler Vergangenheit ist hier auch abgestellt…
23 - Über die moderne Savebrücke
24 - Da lohnt sich auch mal ein kurzer Blick zurück dem Zug entlang zu den weiter hinten eingereihten Autotransportwagen
25 - Die parallele Strassenbrücke ist auch modern und schon von weitem sichtbar…
26 - …im Gegensatz zum unter die Erde verbannten Bahnhof Beograd Centar. Repräsentiert ja auch irgendwie den Status der Eisenbahn in Serbien
Den Halt aus unbekannten Gründen in Belgrad 21 nehme ich dann auch zum Anlass, die Berichtsreihe hier portionengerecht zu unterbrechen. Im nächsten Teil geht es weiter in Richtung Orient, ich hoffe ihr fährt dann auch wieder virtuell mit und bedanke mich fürs Lesen.
Einen schönen Tag wünscht,
Samuel