Von der Pionierleistung zum Stilllegungskandidaten – Die wechselvolle Geschichte von Chinas erster eigener Eisenbahn
Ich hatte ja vor kurzem von meinem diesjährigen China-Aufenthalt in drei Beiträgen hier im Forum berichtet. Im
letzten der drei Berichte hatte ich ja bereits von meinem Ausflug an die Bahnstrecke an der Chinesischen Mauer berichtet. Es verdichten sich aktuell die Gerüchte, dass diese einzigartige Strecke demnächst wohl stillgelegt wird. Daher möchte ich euch ein bisschen mehr über diese Strecke erzählen, vielleicht animiert der Bericht den einen oder anderen von euch ja noch zu einem Besuch der Strecke, bevor es vielleicht zu spät ist. Viel Spaß beim Lesen.
Die erste Eisenbahnlinie Chinas war nur wenige Monate in Betrieb. Die Briten hatten 1876 bei Shanghai eine kurze Bahnstrecke ohne Genehmigung gebaut, die kurz darauf vom chinesischen Kaiserreich aufgekauft und abgebaut wurde, da sich die rückwärtsgewandte Qing-Dynastie vor der Eisenbahn fürchtete. Erst in den 1880er-Jahren entstand rund um die Kohleminen von Tangshan mit britischer Unterstützung eine Kohlebahn. Nach der Niederlage im ersten Chinesisch-Japanischen Krieg 1895 und weiteren Niederlagen gegen andere Kolonialmächte musste das Kaiserreich ausländischen Gesellschaften Konzessionen zum Bau von Eisenbahnstrecken in China erteilen, zudem erkannten insbesondere auch die chinesischen Militärs die Vorteile der Eisenbahn.
Im Norden und Westen ist Peking von einer teilweise mehr als 2.000m hohen Bergkette, über die auch die Chinesische Mauer verläuft, umgeben. Zum militärischen Schutz der Hauptstadt wurde hinter den Bergen rund 150km nordwestlich von Peking die alte Handelsstadt Kalgan (heute Zhangjiakou), das Tor zur Mongolei, zur Garnisonsstadt und Festung ausgebaut. Diese sollten nun per Eisenbahn an die Hauptstadt angebunden werden, wobei man aus militärstrategischen Gründen komplett auf ausländisches Know-How und Kapital verzichtete. Die Bauleitung wurde Zhan Tianyou (auch Jeme Tien-Yow genannt) übertragen, einer der wenigen Chinesen, der damals bereits Erfahrung im Eisenbahnbau gesammelt hatte.
Bild 1: Zhangtianyoux [Public domain], by [www.saac.gov.cn], from Wikimedia Commons | Zhan Tianyou wurde 1861 in Südchina geboren. Im zarten Alter von zwölf Jahren wurde er von der kaiserlichen Regierung zusammen mit weiteren Jungen auserwählt und nach Amerika geschickt, um dort eine westliche Ausbildung zu erhalten. Mit zwanzig Jahren hatte er einen Bachelor als Bauingenieur mit Schwerpunkt Eisenbahnbau erworben, kurz darauf beorderte die kaiserliche Regierung alle chinesischen Studenten wieder zurück nach China und Zhan Tianyou musste Dienst bei der chinesischen Marine als Übersetzer leisten. Über alte Schulfreunde kam er in Kontakt mit einem britischen Ingenieur, der gerade die Erweiterung der oben bereits erwähnten Kohlebahn bei Tangshan bis nach Tianjin (damals Tientsin) leitete. Er wurde als Ingenieur eingestellt und leitete in den nächsten zwölf Jahren den weiteren Ausbau der Linie Richtung Shenyang (damals Mukden). Weitere Meriten verdiente er sich mit dem Bau einer Privatbahn für die chinesische Kaiserin Cixi. So war die Verantwortung für den Bau der ersten eigenen chinesischen Eisenbahn die logische Folge. Er schloss den Bau erfolgreich ab, wenige Jahre später starb er dann 1919 zwei Tage vor seinem 58. Geburtstag. Beigesetzt wurde er am Bahnhof Qinglongqiao, wo sein Grab auch heute noch besucht werden kann. Bis heute wird er als „Vater der chinesischen Eisenbahn“ von den Chinesen verehrt. |
Bild 2: Zhan Tianyou als Statue am Spitzkehrenbahnhof Qinglongqiao, im Hintergrund sein Grab. |
Der Bau der „Imperial Peking–Kalgan Railway“, so die damalige Bezeichnung für die Bahnstrecke von Peking nach Zhangjiakou stellte Zhan Tianyou vor ein großes Problem, schließlich mussten die hohen Jundu-Berge (军都山) nördlich von Peking überwunden werden und er hatte keinerlei Erfahrung mit dem Bau von Gebirgsbahnen. Eine Streckenführung durch das schluchtartige Tal des Yongding-Flusses verwarf er aufgrund zu vieler Kunstbauten und damit zu hoher Kosten. Stattdessen entschied er sich für eine Streckenführung über einen Pass bei Badaling. Um die knapp 700m Höhendifferenz zu überwinden, wurde kurz vor dem Pass in Badaling eine Spitzkehre in Qinglongqiao angelegt, wozu ein Teil der Chinesischen Mauer abgerissen werden musste. Zudem wird der Pass mit einem Tunnel unterquert. Dennoch hat die Strecke rund um Badaling noch immer Steigungen mit bis zu 3,8%. Der Bau der Strecke begann 1905, vier Jahre später wurde die 195km lange Strecke offiziell eröffnet. Ausgangspunkt der Strecke in Peking war der spätere Nordbahnhof.
Bild 3: Historische Aufnahmen aus einer kleinen Ausstellung im Bahnhofsgebäude von Qinglongqiao. Leider war die Ausstellung bei meinem Besuch verschlossen, daher konnte ich nur durch das Fenster fotografieren. Der Gleisplan ist inzwischen stark vereinfacht.
Bild 4: Eine historische Aufnahme der Spitzkehre in Qinglongqiao kurz vor der Passhöhe bei Badaling, der Bahnhof Qinglongqiao liegt rechts außerhalb des Bildes.
Bild 5: Das Gesamtensemble des Bahnhofs Qinglongqiao.
Bild 6: Anschrift am Bahnhof Qinglongqiao. Damals nutzte man noch nicht die Pinyin-Schreibweise zur Transkription der chinesischen Schriftzeichen, daher die etwas ungewohnte Schreibweise „Chinglungchiao“.
Bild 7: Ein S2-Zug fährt von Badaling kommend in den Bahnhof Qinglongqiao ein. Der Bahnhof und seine unmittelbare Umgebung stehen unter Denkmalschutz, im Bahnhofsgebäude gibt es auch ein kleines Museum, das bei meinem Besuch allerdings geschlossen war. Im Bahnhof Qinglongqiao finden nur noch Betriebshalte statt (der Lokführer muss vom vorderen Triebkopf in den hinteren Triebkopf wechseln), trotz des betriebsbedingten Halts von ca. fünf Minuten darf man weder aus- noch einsteigen. Für den Bau der Bahnstrecke musste ein Teil der hier verlaufenden Chinesischen Mauer abgerissen werden. Damals ein Sakrileg.
Bild 8: Die Bahnhofseinfahrt am Bahnhof Qinglongqiao. Der S2-Zug kommt von rechts oben aus Richtung Badaling, der Bahnhof befindet sich in meinem Rücken, geradeaus geht es den Berg hinab Richtung Peking. Die Berge im Hintergrund machen deutlich, dass es sich um eine Gebirgsbahn handelt.
Bild 9: Zur Verdeutlichung des Streckenverlaufs hier nochmal ein Bild aus gleicher Position ohne Zug.
Bild 10: Außer dem Bahnhof Qinglongqiao gibt es nur wenige Gebäude aus der Bauzeit der Bahn, die noch erhalten sind. Hier ist es ein alter Güterschuppen zwischen Nankou und Shahe.
Bild 11: Stattdessen dominieren inzwischen die Bahnhofsgebäude im sozialistischen Einheitsstil.
Bild 12: Neben der Spitzkehre in Qinglongqiao mussten auf dem Weg durch das enge Tal nach Badaling auch mehrere Tunnels angelegt werden.
Bild 13: Einer der zahlreichen Tunnels, die beim Bau der Strecke angelegt wurden. Später wurde die Strecke beim zweigleisigen Ausbau teilweise neu trassiert.
Bild 14: Alte Kilometersteine und Gleise, ausgestellt am Bahnhof Qinglongqiao.
Bild 15: nach dem Tode Zhan Tianyous wurde diese Stele am Bahnhof Qinglongqiao aufgestellt.
Bild 16: Ein Denkmal am Bahnhof Qinglongqiao erinnert an den Bau der Strecke und ihren Erbauer.
Der Verkehr auf der Strecke entwickelte sich gut, bis 1921 wurde die Strecke um 391km über Datong bis nach Hohhot verlängert, zwei Jahre später erreichten die Gleise nach weiteren 283km die vorläufige Endstation Baotou.
Bild 17: Diese alte Streckenkarte zeigt einen Ausschnitt des Eisenbahnnetzes in China aus dem Jahre 1949. Zur Orientierung: rechts unten ist Shanghai. Gesondert markiert ist die Strecke Beijing – Zhangjiakou – Datong – Hohot – Baotou.
Trotz aller Streckenerweiterungen hatte China 1949 gerade mal rund 21.000km an Eisenbahnstrecken, für ein großes Land mit einer schon damals riesigen Bevölkerung (400 Millionen) war das absolut unzureichend. So starteten die Kommunisten ein riesiges Programm zum Ausbau der Eisenbahn. Im bisherigen Netz war die Jingbao-Bahn (Abkürzung für Beijing-Baotou-Bahn, die Chinesen bezeichnen Eisenbahnstrecken meistens mit der letzten Silbe des Ausgangspunkts und der Anfangssilbe des Endpunkts) ein absoluter Engpass. Fast alle Züge aus den rohstoffreichen Provinzen Shanxi und Innere Mongolei mussten über die eingleisige Strecke und die Spitzkehre in Qinglongqiao verkehren. So wurde zwischen 1952 – 1955 die Fengtai–Shacheng-Bahn (Fengsha-Bahn) gebaut, die westlich der bisherigen Strecke entlang des Yongding-Flusses verlief und den Engpass bei Badaling somit umging. Zhan Tianyou hatte diese Streckenführung aufgrund hoher Kosten ja noch verworfen. Kein Wunder, denn die Fengsha-Bahn hat auf einer Länge von 105km insgesamt 67 Tunnels und 81 Brücken. Nun konnten die schweren Güterzüge über die fast steigungsfreie Fengsha-Bahn umgeleitet werden, auf dem Abschnitt Shahe – Shacheng der alten Jingbao-Bahn verkehrten fortan fast ausschließlich Personenzüge. Da der Personenverkehr auch aufgrund des massiven Ausbaus des Eisenbahnnetzes in der Inneren Mongolei (u.a. Anschluss an die Mongolei) ebenfalls massiv zunahm, wurde die Altstrecke der Jingbao-Bahn trotz Beschränkung auf den Personenverkehr zweigleisig ausgebaut. Dazu wurde bei Qinglongqiao ein zweiter Spitzkehrenbahnhof für das zweite Gleis angelegt, der sich spiegelbildlich westlich des alten Spitzkehrenbahnhofes Qinglongqiao befindet. Zudem wurde die Strecke zwischen Peking und Badaling im engen Tal größtenteils neu trassiert.
Bild 18: Übersichtskarte des Bahnhofs Qinglongqiao. Die beiden Schienenstränge links unten führen in den Spitzkehrenbahnhof Qinglongqiao West, der beim zweigleisigen Ausbau spiegelbildlich zum Bahnhof Qinglongqiao angelegt wurde. Bergfahrende Züge machen heute im Bahnhof Qinglongqiao West kehrt, talfahrende Züge im Bahnhof Qinglongqiao.
Bild 19: Auf diesem Bild kann man recht gut erkennen, wie die Strecke später um ein zweites Streckengleis erweitert wurde.
Bild 20: Teilweise erfolgte innerhalb des Tales auch eine komplette Neutrassierung, alte Tunnels aus der Bauzeit der Bahn wie dieser wurden dadurch obsolet.
Bild 21: Ein S2-Zug zweigt nach links in Richtung des neueren Spitzkehrenbahnhofs Qinglongqiao West ab, das Gleis rechts führt zum älteren Spitzkehrenbahnhof Qinglongqiao, der sich in etwa unterhalb des Mauerabschnitts im Hintergrund befindet. In China herrscht auf der Schiene Linksverkehr vor. Züge von Peking nach Badaling verkehren daher über den Spitzkehrenbahnhof Qinglongqiao West, in Gegenrichtung fahren die Züge über den Spitzkehrenbahnhof Qinglongqiao.
Bild 22: Beim Ausbau der Strecke wurden auch neue Stellwerke gebaut.
Trotz des Ausbaus der Altstrecke blieb die Strecke ein Nadelöhr. Aufgrund der großen Steigungen waren bei den schweren Personenzügen immer zusätzlich Vorspann- oder Schubleistungen notwendig, dazu kam die Spitzkehre in Qinglongqiao. Daher wurde die Fengsha-Linie 1972 zweigleisig ausgebaut und 1984 elektrifiziert. Seither nahmen auch vermehrt die Personenzüge die Abkürzung über die Fengsha-Bahn, die Altstrecke versank mehr und mehr in der Bedeutungslosigkeit. Nennenswerten Verkehr gab es nur noch, weil der Abschnitt der Chinesischen Mauer bei Badaling seit den 1950er-Jahren renoviert und zur Top-Touristenattraktion ausgebaut wurde. Die meisten Menschen, die die Chinesische Mauer besichtigen, tun dies in Badaling. Für die Olympischen Sommerspiele 2008 wollte man die Bahnverbindung von Peking nach Badaling ausbauen, gleichzeitig wollte man auch den zunehmenden Pendlern aus den Städten nördlich des Gebirges (Yanqing, Shacheng) eine bessere Verbindung nach Peking anbieten. So entstand die S2, eine der wenigen Nahverkehrslinien der Chinesischen Staatseisenbahn (die ansonsten praktisch ausschließlich Fernverkehrsverbindungen anbietet). Da die Altstrecke noch immer nicht elektrifiziert ist, wurden spezielle Triebzüge entwickelt: die Baureihe NDJ3. Dabei handelt es sich um Dieseltriebwagen mit jeweils einem Triebkopf am Ende sowie sieben gekuppelten Personenwaggons (sechs Wagen der 1. und 2. Klasse, ein Bistrowagen). Man kann sich jetzt drüber streiten, ob es sich um einen Triebwagen oder einen lokbespannten Zug handelt (dessen Personenwaggons aber nur mit den NDJ 3-Triebköpfen kompatibel ist). Durch die beiden Triebköpfe entfällt das Umsetzen der Lok in der Spitzkehre von Qinglongqiao. Ausgangspunkt der Züge in Peking war der Nordbahnhof, die Züge verkehren dann abwechselnd nach Yaqing bzw. Shacheng. Wochentags verkehren sieben Zugpaare pro Tag, von Freitag bis Montag verkehren wegen der höheren Touristenzahlen noch drei zusätzliche Zugpaare (Stand Anfang 2018). Pünktlich zum Beginn der Olympischen Spiele nahm auch die S2 am 6. August 2008 den Betrieb auf. Parallel wurde aber auch bis 2008 eine Autobahn von Peking nach Badaling gebaut, so dass die meisten Touristen heute mit dem Bus oder dem eigenen PKW anreisen. Außer der S2 gibt es nur noch einen einzigen Fernverkehrszug am Tag, der den Weg über die Altstrecke nimmt (Edit: auch dieser Zug ist seit Mitte April Geschichte, es verkehrt nun ausschließlich die S2 auf der Strecke).
Die Baureihe NDJ3
Bezeichnung: | NDJ 3 "Harmony Great Wall" |
Hersteller: | Qishuyan |
Herstellungsjahr: | 2008 (4 Exemplare), 2017 (2 Exemplare) |
Länge Triebkopf: | 25.500mm |
Höhe Triebkopf: | 4.433mm |
Breite Triebkopf: | 3.105mm |
Vmax | 160 km/h (designt für 200 km/h) |
Motor: | 2M7T (12-Zylinder) |
Antrieb: | diesel-elektrisch |
Leistung: | 6.360 kW |
Achsfolge Triebkopf: A1A-A1A |
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Einsatzgebiet: | Seit 2008 auf der Linie S2 (Beijing – Shacheng/Yanqing),
an Chinesisch Neujahr 2009 eine Einheit kurzzeitig als Expresszug Shijiazhuang - Beijing West - Tianjin - Qinhuangdao (T596 / 597 und T598 / 595),
eine Einheit wurde im Juni 2019 kurzzeitig für den Expresszug Shenyang – Fushun verwendet
Zwei neue Einheiten werden seit Ende 2017 auf der neu eingerichteten Huaimi Linie eingesetzt. |
Besonderheiten: | Sowohl die Inneneinrichtung wie auch die Lackierung orientieren sich an den CRH1- und CRH2-HGV-Baureihen.
Die Personenwaggons haben spezielle Panoramafenster und (einst) drehbare Sitze.
Die Baureihe NDJ 3 sollte wohl als Prototyp für diesel-elektrische HGV-Triebwagen entwickelt werden. Die rasante Elektrifizierung des chin. Streckennetzes machte diesel-betriebene HGV-Triebwagen obsolet, bevor sie erst in Serie gebaut wurden. |
Bild 23: Ein Zug der Baureihe NDJ3 im Bahnhof Qinglongqiao.
Bild 24: Insbesondere auch für Besucher der Chinesischen Mauer wurde die S2 eingerichtet. Auf dem Weg von Peking durch das immer enger werdende Tal berührt die Bahnstrecke immer wieder die Chinesische Mauer. Das Gegengleis liegt übrigens links außerhalb des Bildes.
Bild 25: Die Inneneinrichtung des Personenwagens in der ersten Klasse, die zweite Klasse hat etwas engere Sitze und die in China typische 2+3 Bestuhlung. Beide sind aber sehr bequem. Unterschieden wird zwischen 1. Und 2. Klasse bei den Fahrkarten aber nicht, insbesondere wenn man mit der Yikatong-Karte bezahlt.
Bild 26: Blick in den Bistro-Wagen in der Zugmitte. Auffällig sind insbesondere die besonders tief gezogenen Fenster.
Bild 27: Abgestellte Wagen der S2 im Bahnhof Nankou. Einst hatte dieser Bahnhof eine sehr große Bedeutung, schließlich wurden früher hier Züge geteilt, wieder zusammengeführt und/oder mit Vorspann oder Schublok ausgestattet. Alles längst Geschichte, die Triebzüge der S2 schaffen es alleine über die Berge. Nankou ist nur noch Haltepunkt und Abstellplatz für gerade nicht benötigte S2-Garnituren.
Bild 28: Mit etwas Glück erwischt man auch mal einen Sonderzug wie hier am 24. April 2018. Hintergrund der Sonderfahrt sind mir unbekannt, scheint aber jemand wichtiges an Bord gewesen zu sein.
Waren die Olympischen Spiele der Geburtshelfer für die S2 und damit auch der Garant für den Fortbestand der Altstrecke, so werden die Olympischen Spiele vermutlich auch zum Sargnagel der S2 und der Altstrecke. Denn 2015 fiel die Entscheidung, dass Peking als erste Stadt der Welt neben den Sommerspielen auch Gastgeber für die Olympischen Winterspiele 2022 sein wird. Alle alpinen und nordischen Disziplinen werden allerdings nicht in Peking, sondern in Yanqing und Zhangjiakou ausgetragen. Um diese Orte schnell und direkt mit Peking zu verbinden, wurde eine Hochgeschwindigkeitsstrecke geplant, die diese drei Orte miteinander verbinden und gleichzeitig auch einen Zwischenhalt in Badaling bekommen soll. Der Bahnhof Badaling soll dabei 102 Meter unter der Erde liegen und damit der tiefste HGV-Bahnhof der Welt sein. Und wie in China üblich, werden gleich Nägel mit Köpfen gemacht. Man begann direkt mit den Bauarbeiten, dazu wurde 2017 auch der Streckenabschnitt Peking Nordbahnhof – Changping samt dem gesamten Nordbahnhof stillgelegt und abgebaut. Die neue HGV-Strecke soll zwar auch im Nordbahnhof enden, im Stadtgebiet wird die Strecke aber komplett unterirdisch verlaufen, zudem wird ein neues, repräsentatives Empfangsgebäude das gerade mal gut zehn Jahre alte bisherige Empfangsgebäude ersetzen. Der Startpunkt der S2 wurde daher temporär vom Nordbahnhof nach Huangtudian an der U-Bahnlinie 13 verlegt. Die neue HGV-Strecke soll bereits 2019 eröffnet werden, die Altstrecke ist damit dann obsolet, da alle relevanten Stationen an der Altstrecke auch von der HGV-Strecke angebunden werden. Die HGV-Züge der allerneusten Generation sollen ohne Lokführer verkehren! Es gibt bis jetzt zwar keine offiziellen Aussagen, was mit der Altstrecke passiert, aber nach der Eröffnung der HGV-Strecke gibt es keinen Grund mehr, an dem pittoresken Abschnitt durch das enge Tal bei Badaling und der Spitzkehre bei Qinglongqiao festzuhalten, zumal die HGV-Züge nur 20 Minuten von Peking nach Badaling benötigen sollen, bisher benötigt die S2 dazu fast 90 Minuten. Allenfalls als Museumsbahn hätte die Strecke noch eine Überlebenschance, in Shibanxi hat man die alte Schmalspurbahn zu einer 5-Sterne-Touristenattraktion ausgebaut und wird seither von Touristen überrollt. Danach sieht es bei der Altstrecke der Jingbao-Bahn aktuell aber nicht aus.
Bild 29: Was haben Ming-Krieger auf Schienen mit der Eisenbahn zu tun? Nun, diese Statue in Badaling wirbt für die Olympischen Winterspiele 2022, die der Grund für den Bau einer neuen HGV-Strecke sind, die wiederum der Grund für die höchstwahrscheinliche Stilllegung der Altstrecke ist.
Bild 30: Großbaustelle der neuen HGV-Strecke. Hier wird die bis dato vom Nordbahnhof unterirdisch verlaufende HGV-Strecke an die Oberfläche treten und zunächst auf Brücken in Richtung Berge zustreben, die sie dann mit einem langen Tunnel durchquert.
Bild 31: Der Bau geht rasant voran, fünf Wochen zuvor standen hier nur die Pfeiler. Bereits in einem Jahr sollen über diese Strecke die ersten Züge rollen.
Wer also die erste eigene Eisenbahnstrecke Chinas noch in Betrieb erleben möchte, der sollte sich sputen! Die Fahrt mit der S2 ist im Gegensatz zu Fernfahrten mit der Chinesischen Staatsbahn denkbar einfach, billig ist es noch obendrauf! Man fährt einfach mit der U-Bahnlinie 8 oder 13 bis Huoying, nach wenigen hundert Metern Fußmarsch (gut ausgeschildert) hat man den Bahnhof Huangtudian erreicht. Eine Fahrkarte muss man nicht kaufen, die für die U-Bahn obligatorische Yikatong-Karte gilt auch auf der S2, es müssen lediglich mindestens 16CNY auf der Karte sein, die Fahrt selbst kostet einfache Strecke gerade mal 7CNY (umgerechnet 1€ für mehr als eine Stunde Zugfahrt auf einer der schönsten chinesischen Eisenbahnstrecken!). Den aktuellen Fahrplan findet man u.a.
hier (Edit: dieser Fahrplan stimmt auch nicht mehr, Mitte April 2018 gab es schon wieder einen neuen Fahrplan).
Bild 32: Bald gehen die Lichter auf der Altstrecke wohl aus. Bilder wie diese sind dann historisch.
Zum Abschluss noch ein paar Impressionen vom April diesen Jahres, vielleicht dem letzten Frühling der Altstrecke:
Bild 33: Ein S2-Zug fährt in den Bahnhof Qinglongqiao ein, um dort die Fahrtrichtung zu wechseln.
Bild 34: Die Blütezeit war Ende April schon fast vorbei. So bleibt es bei diesem Build, das mich ein bisschen an nordkoreanische Propagandagemälde erinnert.
Bild 35: Der Paradefotostandort an der Strecke zwischen Peking und Badaling. Leider versteckte sich gerade die Sonne
Bild 36: Eine aus Peking kommende S2 fährt in Kürze in den Spitzkehrenbahnhof Qinglongqiao West ein. Die durchgängigen Zäune entlang der Strecke machen einem das Leben als Eisenbahnfotograf schwer.
Bild 37: Auch nach Einstellung des Dampfbetriebs „dampft“ es zuweilen noch kräftig zwischen Peking und Badaling.
Bild 38: Kurz nach Sonnenuntergang fährt ein S2-Zug in den Spitzkehrenbahnhof Qinglongqiao ein.
Bild 39: Mit diesem Zug am Bahnhof Badaling trat ich den Rückweg nach Peking an. Wie lange wohl noch Züge an diesem Bahnhof halten? Der neue Bahnhof Badaling wird bereits gebaut. An gleicher Stelle, nur fast 200m tiefer.
3-mal bearbeitet. Zuletzt am 2018:06:24:13:48:55.