Liebe Forenfreunde und -kollegen,
nachdem im Newsforum [
www.drehscheibe-online.de] auch während des Heiligabends und heute morgen (bis die Moderation endlich ein Einsehen hatte) die Sau und der Hund mit Beleidigungen und unfreundlichen Bemerkungen durchs Dorf getrieben wurde, soll es bei uns im Auslandsforum doch lieber friedlich zugehen und ich lade Euch deshalb alle zu einem entspannten Weihnachtsspaziergang ein.
Gut, da draußen ist es etwas kalt und trüb weshalb wir lieber in wärmere Gefilde ausweichen und nach Georgien disloziieren wollen... genauer gesagt nach Chiatura. Schon viele Berichte sind über die magische Seilbahnstadt erschienen, aber bislang hat sich meines Wissens nach noch kein Reisebericht mit allen Seilbahnen Richtung Sackhere beschäftigt. Ich möchte deshalb dieses Thema - nicht zuletzt als Dank und Geschenk an meine treue Leserschaft ;-) - vervollständigen und einen hoffentlich kompletten Überblick über die restlichen Seilbahnen im Tal zwischen Chiatura und Sackhere präsentieren.
Zur besseren Verständlichkeit unseres Spaziergangs habe ich auf Grundlage der Informationen von Open Street Maps eine kleine Landkarte gebastelt und jeweils die Bergstationen in Laufrichtung durchnummeriert. Leider ist sie etwas klein geraten, aber besser habe ich es nicht hinbekommen. Die normalen Straßen sind enthalten, lediglich ein "Fußweg" querfeldein musste neu definiert werden.
Also auf zu einem entspannten Wandern, auf dass sich die Kalorien des Festbratens nicht ganz zu doll festsetzen. Laufen wir los! Ach ja: zum Zeitpunkt der Wanderung im Juni 2017 war übrigens die Seilbahn 6 noch nicht im Kartenmaterial enthalten, die haben wir nur gefunden, da uns die Bahnwärterin in der Station 5 darauf aufmerksam gemacht hat. Vielen Dank nachträglich dafür!
Ausgangspunkt des Tages war Kutaisi 1 wo um 5.30 zu völlig unchristlicher Zeit ein Zug durch die Schlucht des Kvirila losfährt. Die Route ist zwar nach Verlassen der Hauptbahn in Zestafoni sehr langsam aber trotzdem recht kurzweilig, an allen Stationen stiegen Reisende ein und aus und die Landschaft im Tal ist überwältigend. Um 8.55 erreichten wir dann den Endbahnhof Sackhere.
Nach dem Frühstück in einem nahegelegenen Restaurant war noch etwas Zeit zum Stadtbummel bevor der Zug zurück fuhr. Auch Sackhere hatte einmal eine Seilbahn zu einem Kloster, die mittlerweile jedoch außer Betrieb ist; hier die ehemalige Talstation.
Noch einmal der Zug komplett, der vorbildlich gegen unbeabsichtigtes Entlaufen gesichert ist!
Und da immer noch etwas Zeit war, ging ich noch zum Bahnhofsfriseur um mich für einen Lari rasieren zu lassen.
Kurz darauf fuhren wir zurück und stiegen inmitten der prachtvollen Industrieruine des Bahnhofs Chikauri zur allergrößten Verwunderung des Zugbegleiters aus.
Es fährt ein Zug nach Kutaisi.
Und es finden sogar Rangierbewegungen in ein Anschlußgleis statt; die Industrieruine ist nämlich noch in Betrieb!
Andere hingegen fühlen sich hier sauwohl und wollen nie wieder weg... sie haben ja kein Gefängnis um den Hals. Ach ja: das erste Mal wo wir je die "Gefängnisschweine" sahen war auf einem Besuch in Chiatura vor vier Jahren. Insoweit waren wir auch nach dieser Aufnahme zuversichtlich endlich welche zu finden.
Über eine Brücke geht es zur Hauptstrasse und wenn man sich von dort aus nach rechts hält, erreicht man nach kurzer Zeit die erste Talstation, von wo aus man zu den Bergstationen eins und zwei fahren kann.
Wenn man sich traut. Bitte einsteigen, die Fahrt kostet (wie auch alle übrigen Seilbahnen im Tal) den Einheitspreis von 0 Tetri. Wir haben jedoch überall ein kleines Trinkgeld für die Seilbahnbediensteten hinterlassen.
Von innen
Panoramablick nach aussen
Und die Bergstation 1 in voller Pracht
Nach etwas Aussicht genießen fahren wir wieder hinunter, nicht jedoch ohne von den Tarifen und Beförderungsbedingungen Kenntnis genommen zu haben.
Und wieder auf die gegenüberliegende Seite hinauf. Besonders der Blick auf die Plattenbauten erfreut hier das Auge des Betrachters.
Oben angekommen ist außer der schönen Aussicht absolut nichts zu sehen. Nur ein Häusl wartet auf Bedürftige
Wieder auf der Hauptstrasse geht es nach nur wenigen hundert Metern zu Bergbahn 3. Hier ist es jedoch etwas schwieriger bergauf zu fahren, weil die örtliche Bevölkerung gerne im Kiosk der Talstation Brüderschaft mit den auswärtigen Besuchern auf deren Kosten trinkt. Nach zwei Tschatscha hingegen und einem Souvenirfoto dürfen wir die Gondel besteigen.
Auch in der Bergstation scheint man einer kleinen Erfrischung mit gebrannten Wässerchen nicht abgeneigt zu sein...
Nur ein paar Meter weiter links liegt die Seilbahn 4; diese überquert ein Seitental des Flusses...
... und verbindet ein Bergwerk mit der Zivilisation. Hier die gegenüberliegende Station mit dem Bergwerkseingang im Hintergrund.
Leider ist das Betreten des Geländes verboten, aber der freundliche Wachmann zeigt uns einen Platz um die Grubenbahn, die sich gerade bereit machte um in den Stollen einzufahren, legal fotografieren zu können.
Und jetzt musste zum ersten Mal richtig gewandert werden. Nämlich von der Bergstation 4 zur Bergstation 5
Man hätte die Station auch mit dem Dienst-Kfz der Bedienerin (?) erreichen können...
Die Gondel
Die Bedienerin
Die Aussicht
Und der Fußboden, in den sich jemand verewigt hatte...
Unten angekommen wollten wir eigentlich auf der Hauptstrasse weiter Richtung Sackhere zur Seilbahn 7 laufen, als die freundliche Seilbahnführerin von Bahn 5 uns fragte, ob wir nicht auch die nächste Bahn über den Fluß fahren wollten und zeigte uns Bahn 6, die wir überhaupt nicht auf dem Schirm hatten. Also schnell ein Bild gemacht und wieder nach oben eingestiegen. Die gezeigte Dame lehnte übrigens ein Trinkgeld vehement ab...
Bei Seilbahn 6 angekommen war erst einmal Gelegenheit zur Erleichterung; trotzdem warten die Beförderungsfälle etwas skeptisch auf die Überfahrt!
Aber die Gondel kam und fuhr sicher über den Abgrund bis gegenüber.
Von hier aus wussten wir jetzt erst mal nicht so recht weiter und schlugen uns der Einfachheit halber querfeldein in Richtung der vermuteten Seilbahn Nr. 7 von der wir noch gar nicht wussten, ob sie auch in echt oder nur auf der Karte existiert... vom Zug aus kann man sie nämlich nicht sehen. Es folgen daher ein paar Impressionen von georgischer Landschaft...
... sowie der Tierwelt. Das Borstenvieh wieder zu unserer Enttäuschung wie Gott es geschaffen hat!
Und auf einmal standen wir vor der letzten Seilbahn Nr. 7, die wiederum ein Nebental des Kvirila, der sich hier dank Schwermetallablagerungen übrigens pechschwarz durch die Landschaft schlangelt, überquert. Der Ausblick ins Tal offenbart schon etwas verdächtig On-Topices...
Doch zuerst fahren wir nochmal Seilbahn!
Ein letzter Blick zurück zur Station Nr. 7 und wir machen uns dann auf den Abstieg ins Tal, um zum Abschluss des Tages den geheimnisvollen Ammendorfer der uns schon vorher aufgefallen war zu besuchen.
Doch vorher entdeckten wir diese Lok auf einem Abstellgleis...
... von der wir bis heute noch rätseln, ob sie wirklich fahrtüchtig war. Der Ammendorfer war es jedenfalls definitiv nicht mehr!
Kurz nach dem Entstehen dieser Bilder nahmen wir eine daherkommende Marshrutka nach Chiatura und aßen dort erst einmal ein paar Chinkali. Später machten wir aus Spaß noch einmal eine Lustfahrt mit der blauen Friedensbahn, bevor uns die nächste Marshrutka nach Zestafoni brachte. Auch dort machte der Bahnhofsfriseur einen sehr guten Eindruck, aber mehr als einmal am Tag rasieren - wer redet hier vom Haareschneiden? Welche Haare bitteschön? - geht halt nun mal nicht. Die Zeit verging ja auch beim Bier, bevor und die Elektritschka kurz vor 21 Uhr wieder in Kutaisi absetzte. Es war - auch wenn wir schon wieder keine Gefängnisschweine gesehen hatten - ein perfekter Tag und ich hoffe nun mit diesem Reisebericht endlich dem Rätselraten über die noch verkehrenden Seilbahnen um Chiatura gelöst zu haben.
Dennoch überlege ich gerade, ob ich Euch mit derartig düsteren Bildern des Verfalls in den Rest des diesjährigen Jahres entlassen soll? Aber warum denn eigentlich nicht? Gerade an Weihnachten sollte doch - auch wenn es wie im eingangs verlinkten Thread nicht immer danach aussieht - die Hoffnung überwiegen, dass die Welt (und auch unser Forum) vielleicht doch wenigstens zeitweise etwas besser wird.
In Chiatura jedenfalls scheint sich die Welt zu bessern. Längst sieht es nicht mehr so elend wie vor ein paar Jahren aus und dazu tragen vielleicht auch gerade die Seilbahntouristen bei, die etwas Geld in der Stadt lassen... wir haben vor Ort sogar eine japanische Reisegruppe angetroffen und Seilbahn fahren gesehen! Vielleicht auch deshalb ist der frühere "Seilbahnhauptbahnhof" in der Innenstadt gerade eine Baustelle, es werden nämlich anstelle der alten dort drei neue Bahnen gebaut, und ich freue mich schon heute auf den ersten Reisebericht aus Chiatura, der uns den Fortschritt dokumentiert. Auch wenn ich persönlich ja eher ein Freund des Gammels und des Verfalls bin... übernachten kann man in Chiatura übrigens mittlerweile auch! Also nicht zögern und hinfahren; es lohnt sich!
Wir hingegen widmen uns im nächsten Teil dann wieder mehr dem Verfall und reisen deshalb in ein "Land", dessen flüssige Botschafter schon gestern für einen vergnüglichen heiligen Abend gesorgt haben. Ansonsten gilt das unten gesagte mit dem Zusatz, dass ich Euch allen stets eine gute Reise wünsche, auf das auch das neue Jahr eines mit vielen interessanten Diskussionen und Reiseberichten hier im DSO-Auslandsforum werde.
Erik
Wer in Deutschland das öffentliche Eisenbahnwesen benutzt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren. (Karl Lagerfeld, dt. Modeschöpfer 1933 - 2019)
2-mal bearbeitet. Zuletzt am 2017:12:25:20:40:57.