Wer oder was ist eigentlich Nesebar?
Добър ден (Dobr den)!
Flo1979 und „Naher Osten“ (vulgo (Süd-) Osteuropa), wie passt das denn zusammen? Der schreibt doch sonst immer nur Berichte aus dem Fernen Osten! In der Tat gilt mein Hauptinteresse der Eisenbahn im Fernen Osten. Dennoch lese ich hier im Forum auch ab und an Berichte aus dem „Nahen Osten“. Dabei lief mir immer wieder ein sagenumwobener und fast schon mythischer Zug mit dem Namen „Nesebar“ über den Weg. Aber nach wem oder was wurde der Zug eigentlich benannt? Diese Frage blieb für mich offen (ja, ja, ich weiß: einfach mal in Google eingeben …), im letzten Urlaub konnte ich die Frage dann aber zufälligerweise endlich für mich beantworten. Davon handelt dieser Bericht, ein paar Eisenbahnbilder fielen dabei auch noch ab. Wer jetzt einen ausführlichen Reisebericht über eine Fahrt mit dem „Nesebar“ erwartet, den muss ich leider enttäuschen. Ebenso muss ich Leser enttäuschen, die mit off-topic Anteilen sowie humorvollen und etwas bissigen Textpassagen nichts anfangen können. Allen anderen (liest ab hier überhaupt noch jemand mit?) wünsche ich jetzt viel Spaß beim Lesen (Wagenfetischisten finden die Bonusbilder am Ende des Berichts).
Treue Leser meiner Berichte hier auf DSO wissen ja, dass ich mir die Befriedigung meiner ferrosexuellen Bedürfnisse im Fernen Osten in Form von aferrosexuellen All-inclusive Pauschalurlauben mit meiner Familie hart erarbeiten muss. Diesmal hatte meine Frau Bulgarien ausgesucht und damit es sich richtig lohnt, haben wir meine Schwiegereltern auch noch gleich mit eingepackt. Da von Frankfurt keine passenden Flüge verfügbar waren, mussten wir auf Köln/Bonn ausweichen. Mit Rail & Fly und reichlich Zeitpuffer ging es also mit S-Bahn, ICE und S-Bahn Richtung Flughafen Köln/Bonn. Die S1 nach Frankfurt Hbf. hatte nur vier Minuten Verspätung, das ist für Deutschlands S-Bahn mit der meisten Verspätung schon mehr als überpünktlich, der ICE nach Köln Messe/Deutz sowie die S-Bahn zum Flughafen waren dann sogar auf die Sekunde pünktlich. So waren wir viel zu früh am Flughafen, zum Glück gibt es im Terminal einen McDonalds mit Tablets samt jeder Menge installierten Kinderspielen. Am Check-In-Schalter gab es dann nochmals ein bisschen Aufregung. Ich hatte vorab im Internet auf nicht offiziellen Seiten recherchiert, dass Touristen mit einem Schengen-Visum für die Einreise nach Bulgarien kein bulgarisches Visum benötigen. Zur Sicherheit wollte ich das noch vom bulgarischen Konsulat in Frankfurt oder der bulgarischen Botschaft in Berlin bestätigt haben. Leider verliefen Anfragen per Telefon und e-Mail komplett im Sand. „Willkommen im Land des Achselzuckens“ wie es einst in einem schönen DSO-Reisebericht über Bulgarien treffend beschrieben wurde. Nach einigem Hin und Her durften meine Frau und meine Schwiegereltern dann doch einchecken.
Als ich an der Sicherheitskontrolle meine Spiegelreflexkamera aus dem Rucksack holen musste, wurde ich von einem Zwei-Meter-Schrank des privaten Sicherheitsdienstes angesprochen: „Ey, kannst du jetzt Objektiv für iPhone kaufen. Brauchst du jetzt nix mehr große Kamera.“. Hätte nur noch gefehlt, dass er mir unter der Hand gleich noch ein Objektiv für mein iPhone vercheckt hätte. Die Bundespolizistin war um einiges freundlicher wie ihre Stinkstiefel-Kollegen am Frankfurter Flughafen. Mein Sohn durfte erst ausreisen, nachdem er ihr gesagt hatte, was in seiner Junior-Tüte alles drin war (sie war vorhin bei McDonalds wohl in der Schlange direkt hinter ihm). Am Gate wartete dann das Touristenvolk auf den Einlass in den Charter-Flieger: mehrere Abi-Klassen auf Saufabschiedsfahrt, ein paar Rentner und zwei Glatzen, deren Tätowierungen keinerlei Zweifel an der politischen Gesinnung offen ließen. Tja, wenn man schon im 17. Bundesland urdeutschen Volktugenden (Zeigen der Reichkriegsflagge, Grölen und Saufen bis zum Kotzen) nicht mehr nachgehen kann, dann muss man eben nach Bulgarien ausweichen. Die Zustände in Deutschland werden aber auch immer schlimmer, wenn man selbst am Rückzugsort altgedienter NPD-Kader nicht mehr deutscher Volkskultur frönen kann. Zur Krönung wurden die beiden Glatzen auch direkt hinter meinen Schwiegereltern platziert. Nicht mal im deutschen Charter-Flieger entkommt man den Migranten! Im hinteren Teil stimmten sich die Abi-Klassen mit Dosenbier und dem Einstudieren von Saufliedern auf ihren Urlaub ein. Die beiden Rentner in der Reihe vor uns störte das nicht, dafür nahmen sie Anstoß daran, dass mein Sohn auf seinem Tischchen ruhig mit seinen Spielzeugautos spielte. Sie beschwerten sich sogar bei der bei der Stewardess. Die reagierte aber absolut professionell. Anstatt einer Ermahnung brachte sie uns einen zweites Kartenspiel und wir konnten eine Autobahn samt Brücken über die Tischchen der gesamten Dreiersitzreihe hinweg bauen (Stichwort Autobahn und deutsche Volkstugenden, man muss sich ja anpassen…). Eisenbahnfreunde schreien jetzt wieder auf. Wenn man schon mit dem Flieger und nicht mit der Eisenbahn nach Bulgarien reist, dann sollte man an Bord anstatt Autos doch wenigstens Eisenbahn spielen. Aber leider sind die Platzverhältnisse bei Sun Express so eng, dass selbst der temporäre Aufbau einer Feldbahn in Größe „Z“ scheitert.
Ich war also bester Laune, als wir in Варна (Varna/Warna) landeten, bis ich plötzlich den Flughafennamen am Empfangsgebäude sah. Schriftart, Farbe und Symbol kommen mir doch bekannt vor. Sind wir jetzt in Frankfurt gelandet? Nicht ganz, aber der Flughafen Варна (Varna/Warna) gehört mehrheitlich der Fraport AG und Kenner meiner Berichte wissen, wie sehr ich dieses Unternehmen und seinen Hauptstandort schätze. Das Empfangsgebäude war zwar baulich in einem weitaus besseren Zustand wie das Terminal 1 in Frankfurt (was man vom Rest Bulgariens nicht unbedingt behaupten kann), aber operativ kann man problemlos mit Frankfurt mithalten. Die beiden Beamten an der Einreisekontrolle trugen T-Shirts, die in Sachen Design und Material eher an T-Shirts der bulgarischen Nationalmannschaft (ist da eigentlich gerade ein abgehalfterter, ehemaliger deutscher Fußballprofi Trainer?) erinnerten. Nachdem einer der beiden Beamten die ersten fünf Touristen kontrolliert hatte, ging er einfach aus seinem Kabuff heraus, ließ die verdutzte Schlange einfach stehen und ward nie wieder gesehen. Warum man auch knapp eine dreiviertel Stunde benötigt, um das Gepäck aus dem Flugzeug (weit und breit das einzige Flugzeug auf dem Flughafen) in das wenige Meter entfernte Empfangsgebäude zu transportieren, bleibt wohl das Geheimnis der Fraport AG.
Bild 1: Wenn der Urlaub schon so anfängt, dann kann das eigentlich nichts werden. Glücklicherweise gab es im restlichen Urlaub keinen Niveau-Limbo unterhalb des Fraport-Varna-Niveaus.
Auf dem Parkplatz wurden wir dann schon von einem älteren Fahrer samt Mercedes-Minibus, der einst für ein Münchner Taxiunternehmen im Einsatz war, in Empfang genommen und souverän ins ca. 50km entfernte Обзор (Obsor/Obzor) gebracht. Der Ort ist absolut zu empfehlen, er liegt weitab der üblen Touristenlokationen Goldstrand und Sonnenstrand an einer Bucht mit langem Sandstrand, eingerahmt von dicht bewaldeten Hügeln und Steilküsten. Der kleine Ort selbst besteht aus einer bunten Mischung an ein paar leider sehr baufälligen Strandvillen, Überbleibseln aus der sozialistischen Zeit und den typischen, meist unverputzten Backsteinhäusern. Unser Hotel wurde größtenteils von Einheimischen, Russen und Einwohnern der Republik Moldova, die fast allesamt mit dem eigenen PKW angereist waren, frequentiert (auch die Russen waren mit eigenem PKW angereist; gibt es Autofähren von Russland nach Bulgarien? Denn mit russischem Kennzeichen durch die Ukraine fahren, ist aktuell wohl eher nicht so empfehlenswert…).
Bild 2: Eines der besten Hotels am Platz in Обзор (Obsor/Obzor), das zumindest vom Äußeren her einiges verspricht. Meine Frau …
Bild 3: ... stieg aber lieber im Klassiker aus dem Urlaubskatalog ab. Preislich schenkten sich die beiden wahrscheinlich wenig.
Bild 4: Immerhin, bei Sonnenuntergang war die Silhouette des Hotels ganz ansehnlich.
Bild 5: In Обзор (Obsor/Obzor) selbst scheint die Zeit an vielen Ecken seit einigen Jahren still zu stehen.
Bild 6: Größte Attraktion ist das 6D-Kino (was immer das auch sein mag) am Marktplatz. Zehn Лева (Lewa) war mir und meiner Familie der Spaß leider nicht wert.
Bild 7: Der Strand war dafür umso schöner. Breit, sandig, sauber und meistens sehr leer.
Bild 8: Die Steilküste links und rechts der Bucht hat durchaus seinen Reiz, hier kann man stundenlang wandern, ohne auch nur einer einzigen Person zu begegnen.
Bild 9: Rückblick von der Steilküste auf die Bucht von Обзор (Obsor/Obzor).
Bild 10: Aber auch der Strand in der Bucht hat durchaus seine Reize.
Für den Preis war das Hotel unschlagbar, dennoch wollten wir auch ein bisschen auf Entdeckungstour gehen. Also mietete ich an einer Straßenecke in Обзор (Obsor/Obzor) auf einem staubigen Parkplatz einen Kleinwagen. Nach Entrichtung einer Reservierungsgebühr von 5 Лева (Lewa) wurde mir zugesagt, dass der Mietwagen am nächsten Morgen um neun Uhr zum Hotel gebracht werden würde. Ich wartete am nächsten Morgen pünktlich um neun Uhr vor dem Hotel auf das Auto, das aber erwartungsgemäß natürlich noch nicht da war. Als nach über einer Stunde Wartezeit aber noch immer kein Leihwagen in Sicht war, stiefelte ich zum staubigen Parkplatz am Ortseingang. Dort war man sehr verwundert, man hätte doch gerade das Auto zu meinem Hotel geschickt. Mittlerweile war es halb elf, vereinbart war eigentlich neun Uhr. „Kein Problem“ war die lächelnde Antwort der Vermieterin. Das Auto wurde schnell zurückgerufen und wir einigten uns aufgrund der Verspätung anstatt der eigentlich vereinbarten 50 Лева (Lewa) Leihgebühr pro Tag auf 45 Лева (Lewa), umgerechnet knapp 25€. Dafür bekam ich das Traumauto einer jeden Sozialpädagogikstudentin: ein Opel Corsa mit Blümchendekor, der einst auf den Straßen Viersens unterwegs war. Auf die Fragen bezüglich Versicherung und die verschiedensten Dellen und Kratzer bekam ich die lächelnde Antwort „Kein Problem!“. Dafür gab es allerdings eine Warnung, dass die Polizei momentan sehr viel kontrollieren würde und hohe Geldbeträge für Geschwindigkeitsüberschreitungen kassieren würde, da aktuell wohl die Gehälter auf dem Weg von Sofia an die Schwarzmeerküste teilweise versickern. Auf meine Frage nach Geschwindigkeitsbegrenzungen bekam ich erstaunlicherweise keine Antwort, sondern die Rückfrage, wo ich denn hinfahren möchte. Auf meine Antwort Варна (Varna/Warna) kramte die Dame vom Autoverleih eine kleine, vergilbte und verknitterte Straßenkarte hervor und erläuterte mir detailliert für einzelne Straßenabschnitte und Dörfer bis Варна (Varna/Warna) die jeweiligen Geschwindigkeitsbegrenzungen: von 30km/h bis 120 km/h war so ziemlich alles dabei. Als sie mit den Erläuterungen fertig war, hatte ich alles schon wieder vergessen. „Kein Problem!“ aber war meine lächelnde Antwort (man ist ja bemüht, sich den lokalen Bräuchen anzupassen), den kleinen Corsa würde ich mit fünf Insassen auf der hügeligen Landstraße sowieso selten auf mehr als 70km/h beschleunigen können. Zum Abschluss gab es dann noch die Warnung vor der Mafia in Варна (Varna/Warna) und die dringliche Bitte, dort doch nur auf offiziellen, kostenpflichtigen und bewachten Parkplätzen zu parken.
Bild 11: Mit diesem Traumauto einer jeden Sozialpädagogikstudentin fuhren wir zu fünft durch das bulgarische Küstengebirge. Einst war das Auto wohl hauptsächlich auf den Straßen Viersens unterwegs. Da ist es allerdings bei weitem nicht so hügelig wie an der bulgarischen Küste zwischen Варна (Varna/Warna) und Бургас (Burgas).
Bestens vorbereitet konnten wir uns dann nach dem Mittagessen (ursprünglich wollten wir ja schon vor dem Mittagessen los) auf den Weg nach Варна machen. Aus dem Radiosender, der sich wie der Rückspiegel nicht mehr verstellen ließ, dudelten Dance- und Technoklassiker aus den 90er-Jahren. Das passte wunderbar, denn auf der Straße waren auch größtenteils Modelle aus den 90er-Jahren unterwegs, u.a. ein Getränkelieferwagen mit Frucade-Werbung (gibt’s das überhaupt noch?). Auf der kurvigen Landstraße über hügelige, meist dicht mit Eichenwäldern überzogene Landschaft war recht wenig Verkehr. An die Geschwindigkeitsbegrenzung hielt sich außer mir keiner, außerdem scheint das Überholen in Bulgarien nur an den unübersichtlichsten Stellen bei Gegenverkehr erlaubt zu sein. In den Dörfern fühlte ich mich dann nicht wie in den 90er-Jahren, sondern eher wie in den 50er- oder 60er-Jahren. Wo immer eine Straße, ein Park oder eine Bushaltstelle neu gebaut oder renoviert waren, stand ein großes Schild mit dem jeweiligen EU-Förderprogramm davor.
Bevor wir Варна (Varna/Warna) erreichen noch ein paar Infos zum Reiseziel. Die Stadt ist mit knapp 350.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt Bulgariens und hat nach Бургас (Burgas) den zweitgrößten Hafen Bulgariens. Gegründet wurde die Stadt im 7. Jhd. v. Chr. von griechischen Siedlern unter dem Namen Odessos. Seit dem 7. Jhd. n. Chr. stand die Stadt unter slawischer Herrschaft. Ende des 14. Jahrhunderts eroberten die Osmanen die Stadt, die dann mit kurzen Unterbrechungen im 19. Jahrhundert (kurzzeitige Besetzungen durch Russland, Frankreich und Großbritannien) bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zum Osmanischen Reich gehörte. Seit 1866 verbindet eine Eisenbahnlinie (eine der ersten im damals Osmanischen Reich) Варна (Varna/Warna) mit Pyce (Russe/Ruse) an der Donau und damit mit dem Rest Europas, die ersten Züge des Orient-Express endeten einst in Варна (Varna/Warna). Dadurch erlebte die Stadt als Handels- und Hafenstadt einen wirtschaftlichen Aufschwung. In der sozialistischen Zeit wurden die Werften sowie die Industrie rund um die Stadt (die zwischen 1949 – 1956 in „Stalin“ umbenannt war) ausgebaut, zudem war (und ist) Варна (Varna/Warna) Hauptsitz der bulgarischen Admiralität. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs kämpft die Stadt wie der Rest des Landes mit erheblichen wirtschaftlichen Problemen, Haupteinnahmequelle ist heutzutage der Tourismus, dessen Ausbau bereits in den 70er-Jahren am nahen Goldstrand (Златни пясъци) forciert wurde. Bis heute ist Варна (Varna/Warna) Endpunkt einiger Zug- und Kurswagenverbindungen aus den ehemaligen sozialistischen Bruderländern (dazu unten noch etwas mehr).
Bild 12: Eines der wenigen Gebäude am Hafen von Варна (Varna/Warna), das nicht aus der sozialistischen Zeit stammt. Die restlichen Gebäude am Hafen erinnerten mich bezüglich Architektur und Farbgebung eher an den Hafen in 남포 (Namp’o).
Bild 13: Blick vom Fähranleger auf den Hafen und die Werft von Варна (Varna/Warna). In den Hafenbecken und Werften herrschte gähnende Leere, die Mole hat man touristisch etwas aufgewertet, indem man ein paar Kübel mit Palmen aufgestellt. Und weil Варна (Varna/Warna) laut eines total heruntergekommenen Schildes am Stadteingang 2017 offizielle Jugendhauptstadt Europas ist, hat man auch eine große Hüpfburg auf der Mole aufgestellt.
Nun aber genug der Geschichte, setzen wir die Reise fort. Ohne Zwischenfälle und Polizeikontrollen erreichten wir nach einer guten Stunde Fahrt Варна (Varna/Warna). Nachdem meine Frau und meine Schwiegereltern in Обзор (Obsor/Obzor) erfolglos auf Krabbenfang waren, wollten sie es am Hafen von Varna versuchen. Also steuerte ich einen Parkplatz in Hafennähe an, der sich auch noch rein „zufällig“ direkt vor dem Bahnhof befand (ohne dies natürlich meiner Familie zu sagen). Schnell wurde die Familie zum Hafen gebracht, und ich verabschiedete mich wieder in Richtung Parkplatz, um auf das Auto aufzupassen (Stichwort Mafia und so). Dabei „verlief“ ich mich dann aber und landete „zufällig“ auf dem Bahnsteig. Und wenn man schon mal da ist…
Im Bahnhof standen zwar größtenteils nur Personenwagen herum, darunter aber auch ein paar Exemplare aus der Ukraine und Weißrussland (Details für „Wagenfetischisten“ am Ende des Berichts). Insofern hatte sich der Ausflug schon gelohnt. Dazu gab es noch ein paar Rangiermanöver sowie einen aus- und einen einfahrenden Regionalzug. Mich hätte es ja schon gereizt, mit einem dieser Zwei- oder Dreiwagenzüge mit weit zu öffnenden Fenstern über die marode Eisenbahninfrastruktur zu schaukeln. Aber die Familie wartete ja am Hafen. Während ich mit den weißrussischen Wagen durchaus einen guten Fang gemacht hatte, war der Krabbenfang leider erfolglos. Im Folgenden die fotografische Ausbeute vom Bahnhof. Die Bilder entstanden größtenteils mit meinem iPhone (daher bitte die Qualität entschuldigen), da ich mir nicht sicher war, wie man auf bulgarischen Bahnhöfen auf fotografische Aktivitäten reagiert. Das zahlreich vorhandene Personal (Rangierer, Wagenmeister, Schaffner, Sicherheitsleute) ignorierte mich aber komplett, als ob ich unsichtbar wäre. Nur die weißrussische Schlafwagenschaffnerin winkte mir kurz zu. So holte ich dann schließlich auch meine Spiegelreflexkamera heraus. Meine Frau meckert ja immer, wenn ich meine Spiegelreflexkamera mitschleppe, das iPhone würde doch sowieso viel bessere Bilder machen. Hier ist der Gegenbeweis. Insbesondere wenn die Sonne nicht scheint, kann man die iPhone-Bilder größtenteils in die Tonne kloppen.
Bild 14: Der Bahnhof von Варна (Varna/Warna) von der Straßenseite aus gesehen. Von außen sieht der frisch renovierte Bahnhof ja recht gepflegt aus. Dieses Bild ändert …
Bild 15: … sich nach Betreten der Bahnsteige aber ziemlich schnell.
Bild 16: Aber es gab auch durchaus gepflegtes Wagenmaterial zu sehen. Allerdings nicht aus Bulgarien, da ist gepflegtes Wagenmaterial eher unbekannt. Dieser Wagen stammt aus der Ukraine. Genauer gesagt …
Bild 17: … ist es der Kurswagen aus Львів/Lwiw/Lviv/Lwów/Lemberg/ Львов/Ilyvó/Léopol/Leopoli/לעמבערג/Լվով (habe ich jetzt alle möglichen Schreibarten für die Stadt aufgelistet?).
Bild 18: Angehängt war der ukrainische Wagen an noch exotischeres Rollmaterial, nämlich ...
Bild 19: … weißrussisches Wagenmaterial in Form der Kurswagen aus Мiнск/Минск/Minsk.
Bild 20: Auf dem Nachbargleis hatte Lok 44 107 kurz zuvor einen Zweiwagenzug in den Bahnhof gezogen (bulgarische Kursbuchexperten können bestimmt den Zug bestimmen. Ankunft Freitag ca. 15:30 in Варна (Varna/Warna)).
Bild 21: So sieht klassisches, bulgarisches Wagenmaterial aus. Balkan style eben.
Bild 22: Nachdem der örtliche Rangierhobel die Waggons abgeholt hat, rollt 44 107 zurück ins Depot.
Bild 23: Danach ist der südliche Bahnhofsteil wieder leer. Direkt an den Bahnhof schließt sich das Werft- und Hafengelände an. Auf einem Anschlussgleis hat man ein paar Waggons abgestellt, so wie diesen …
Bild 24: … WLD. Sieht noch rollfähig aus und kommt ab und an wahrscheinlich noch zum Einsatz.
Bild 25: Bevor jetzt aber wieder Kritik kommt, dass ich die bulgarische Eisenbahn so negativ bewerte. Es gibt durchaus auch modernes Rollmaterial bei der bulgarischen Staatsbahn. Dessen Zustand entspricht aber auch schon eher dem gängigen Balkan-Niveau.
Bild 26: Kurz danach verließ ein mir unbekannter Zug, gezogen von Lok 44 001 einen Zug aus dem Bahnhof. Aufgrund der Nummer vermutlich das erste Exemplar dieser Baureihe. Hat sie deswegen eine besondere Lackierung?
Bild 27: Auf Gleis 1 stand Lok 44 065 mit einem Zweiwagenzug nach Шумен/Schumen/Šumen.
Bild 28: Der örtliche Rangierhobel 55 206 brachte neue Personenwaggons an den Bahnsteig.
Bild 29: Die Einfahrt eines weiteren Personenzuges musste ich leider im Gegenlicht dokumentieren. Lok 45 113 zieht drei typisch bulgarische Wagen in den Bahnhof (Ankunft 16:08, welcher Zug könnte das sein?).
Bild 30: Mittlerweile kam auch die Sonne heraus. Rechterhand sind die weißrussischen Wagen abgestellt.
Bild 31: Schöner, osteuropäischer Dreiklang. Tschechoslowakische Elektrolok, rumänische Diesellok und weißrussische Wagen. Lok 44 065 verlässt mit einem Zweiwagenzug den Bahnhof Варна (Varna/Warna) in Richtung Шумен (Schumen/Šumen).
Bild 32: Das Nachbargleis ist jetzt wieder frei und der Rangierhobel kann einen Teil der Waggons …
Bild 33: … dort für einen weiteren Zug bereitstellen. Kursbuchexperten können sicher noch feststellen, um welche Züge es sich handelt.
Bild 34: Nach getaner Arbeit kann der Rangierhobel samt Rangierer wieder in das Depot zurückkehren.
Auf der Rückfahrt fuhren wir dann doch tatsächlich an vier Geschwindigkeitskontrollen vorbei, an denen überall einheimische Raser herausgezogen wurden. Die Autovermieterin hatte also doch Recht. Ich hatte mit dem Opel Corsa keinerlei Probleme mit der Einhaltung der Geschwindigkeit, zumal ja auch noch viele, von OSRAM gesponserte Verkehrsschilder vor den Radarmessungen warnten.
Jetzt steht eigentlich noch die Antwort auf die Frage im Titel dieses Berichts aus. Beim Blick auf die Straßenkarte im Mini-Kabuff des Autoverleihs hatte ich zufällig entdeckt, dass Несебър (Nesebar/Nessebar) eine Stadt ca. 50km südlich von Обзор (Obsor/Obzor) ist. Also nichts wie hin. Обзор (Obsor/Obzor) liegt genau auf der Grenze der beiden Oblaste Варна (Varna/Warna) und Бургас (Burgas). Die Straße im Oblast Бургас (Burgas) war in weitaus schlechterem Zustand wie im Oblast Варна (Varna/Warna). Und kaum hatten wir mühsam mit unserem schwach motorisierten Opel Corsa die südlichen Hügel oberhalb von Обзор erreicht, änderte sich auch das Musikprogramm. Statt 90er Mucke dröhnte plötzlich das Freitagsgebet aus Medina aus dem Autoradio, dessen Sender sich ja nicht mehr verstellen ließ. Ob da der Erdogan seine Hände im Spiel hat? Schließlich fuhren wir ja nach Süden in Richtung türkische Grenze.
Nach gut einer Stunde Fahrt und mehrfachem Auf- und Ab durch das hügelige Hinterland, begleitet vom Singsang des Imams, erreichten wir die Bucht von Несебър (Nesebar/Nessebar) mit dem Sonnenstrand (Слънчев бряг). Der erste Eindruck war erschreckend. Betonbettenburg reihte sich dicht an Betonbettenburg, dazwischen Etablissements zur Befriedigung der Bedürfnisse von Sauftouristen. Несебър (Nesebar/Nessebar) selbst liegt auf einer vorgelagerten Felseninsel, die mittlerweile über einen Damm an das Festland angebunden ist. Wie Варна (Varna/Warna) wurde auch Несебър (Nesebar/Nessebar) einst von griechischen Siedlern als „Mesembria“ gegründet. Die Stadt entwickelte sich zunächst zu einem wichtigen Handelszentrum, später ging die Stadt in römischen und schließlich in byzantinischen Besitz über und verlor an Bedeutung. Erst im 9. Jahrhundert wurde die Stadt von den bulgarischen Slawen erobert und erlebte im 13. und 14 Jahrhundert wieder eine kleine Blütezeit, bis im 15. Jahrhundert die Stadt wieder vom Osmanischen Reich erobert wurde. Seit Ende des 19. Jahrhunderts gehört Несебър (Nesebar/Nessebar) zu Bulgarien. Anfang des 20. Jahrhunderts hatte die Stadt gerade mal noch tausend Einwohner, größtenteils griechische Fischer. Erst mit Beginn des Tourismus in den 1930er-Jahren stieg die Bevölkerungsanzahl wieder. In den 70er-Jahren wurde der Tourismus am nahen Sonnenstrand massiv ausgebaut, inzwischen gibt es dort über 800 Hotels mit mehr als 200.000 Betten („Schönen Urlaub noch!“). Seit 1983 gehört die Insel zum UNESCO Weltkulturerbe. Mittlerweile hat Несебър (Nesebar/Nessebar) über 10.000 Einwohner, die aber größtenteils auf der Festlandseite wohnen.
Bild 35: Blick von der Insel Несебър (Nesebar/Nessebar) in Richtung Sonnenstrand (Слънчев бряг).
Bild 36: Laut Wikipedia und bulgarischen Eisenbahnkarten besitzt Несебър (Nesebar/Nessebar) keinen Bahnanschluss. Das kann ich so nicht bestätigen, auch wenn mir dieser Loktyp zum ersten Mal begegnet …
Der erste, negative Eindruck von Несебър (Nesebar/Nessebar) wurde nicht besser, als wir kurz vor der Insel für zwei Лева (Lewa) pro Stunde einen staubigen Parkplatz fanden. Über den Damm ging es dann zu Fuß auf die Insel. Dort gab es aber außer ein paar kleinen Kirchen und ein paar ganz wenigen alten Häusern nichts wirklich Sehenswertes. Die meisten Häuser stammten größtenteils wohl aus den letzten 30 Jahren und machten auch keinerlei Versuche, ihr junges Alter zu verbergen. An einem zentralen Platz hat man erst vor kurzem in äußerst fragwürdigem Stil ein Hotel samt Nobelrestaurant hingestellt. In den Gassen reihen sich Souvenir, Pelz- und Handtaschengeschäfte, deren Anzahl die der sowieso schon recht zahlreichen Touristen übersteigt. Das Sortiment richtet sich wohl hauptsächlich an die Touristen aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Bei unserem Besuch wälzten sich mehrere Busladungen kasachischer Touristen, leicht erkennbar an ihren einheitlichen Kappen in Himmelblau samt gelben Kasachstan-Wappen, durch die engen Gassen, die aber wie wir wenig Interesse an den angebotenen Souvenirs zeigten. Insbesondere auch aufgrund der schwülen Hitze zogen wir uns dann schnell wieder zurück und fuhren, weiterhin begleitet durch das Freitagsgebet aus dem Radio, wieder gen Обзор (Obsor/Obzor), wo es uns weit besser gefiel. Damit ist die Frage aus dem Berichtstitel für mich auch beantwortet: „Wer oder was ist Nesebar?“ Eine Insel im Schwarzen Meer mit vielen Souvenirgeschäften, die (warum auch immer) UNESCO Weltkulturerbestatus genießt.
Bild 37: Auf dem Damm hinüber zur Insel hat man eine alte Windmühle gestellt.
Bild 38: Auf der Insel gibt es dann viele Kirche (hier die Църква „Христос Пантократор“ („Christus Pantokrator“ Kirche) aus dem 13. und 14. Jahrhundert), …
Bild 39: ... ein paar wenige Häuser im ursprünglichen Architekturstil mit gemauertem Erdgeschoss und einem aufgesetzten Stockwerk aus Holz und …
Bild 40: ... ganz viele Souvenirgeschäfte mit ganz wenigen Kunden. Das Schild „Sorry, we’re open“ an den Geschäften beschreibt die in Bulgarien vorherrschende Mentalität ganz gut.
Bild 41: Und selbst in die engen Altstadtgassen schafft es BoFrost (oder war es mal ein Eismann-LKW?).
Den restlichen Urlaub verbrachten wir dann am größtenteils leeren Strand von Обзор (Obsor/Obzor). Auf der Rückreise wurde dann der positive Eindruck von der Bundespolizei am Flughafen Köln/Bonn von einem idealtypischen deutschen Beamten wieder komplett zerstört. Der ältere Beamte wollte meinen Schwiegereltern die Einreise trotz gültigem Visum verweigern, da angeblich kein Einreisegrund erkennbar wäre. Aber meine Schwiegereltern haben ja reichlich Erfahrung mit den Herrenmenschen der Bundespolizei. Dieses Mal wurden sie bei der Ankunft aus China am Flughafen Frankfurt zwischen Flugzeugtür und Empfangsbereich gleich viermal (!) von der Bundespolizei bzw. Zoll kontrolliert, jeweils schließlich ohne jegliche Beanstandung. Bei ihnen sorgte das für jede Menge Frust, da sie vom Flugzeug bis zum Empfangsbereich knapp drei (!) Stunden benötigten. Bei mir sorgte das für ein Loch im Geldbeutel, da ich 20€ Parkgebühren löhnen musste. Der Frankfurter Flughafen samt Bundespolizei und ich, das wir in diesem Leben leider nichts mehr. Die Reise mit dem Zug vom Flughafen Köln/Bonn nach Frankfurt verlief dagegen wiederum ohne jegliche Probleme, Kontrollen und Verspätungen. Trotz Temperaturen um 35° (damit war es abgesehen von dem einem „Hitzetag“ in Nesebar mehr als 10° wärmer wie in Bulgarien) funktionierte die Klimaanlage im ICE tadellos. Lediglich die Wagenreihung war verkehrt, was aber vorab angezeigt und durchgesagt wurde und mir ganz Recht kam. Den neben uns wollten auch drei zurückkehrende Abi-Abschlussfahrten mit dem ICE fahren. Die warteten nämlich im 1.Klasse-Abschnitt und mussten erst durch den halben Zug laufen, wo dann aber schon alle Plätze belegt waren.
Das war es dann schon wieder, ich danke allen Lesern, die bis hier durchgehalten haben. Falls Interesse besteht, weitere Bilder aus Bulgarien aus Bulgarien gibt es in meinem Flickr-Fotoalbum:
Bulgaria 2017
In Kürze geht es dann wieder weiter mit den Reiseberichten aus China. Und wie bereits avisiert hier noch ein paar Bilder für die Wagenfetischisten im Forum.
Als erstes die weißrussischen Wagen samt ukrainischem Anhang:
Bonusbild 1: Kurswagen Nr. 5 aus Minsk (014 10935).
Bonusbild 2: Kurswagen Nr. 4 aus Minsk (014 10927).
Bonusbild 3: Kurswagen Nr. 3 aus Minsk (013 16686).
Bonusbild 4: Kurswagen Nr. 2 aus Minsk (014 10893).
Bonusbild 5: Kurswagen Nr. 1 aus Minsk (014 10885).
Bonusbild 6: Kurswagen Nr. 20 aus Львів/Lwiw/Lviv/Lwów/Lemberg/ Львов/Ilyvó/Léopol/Leopoli/לעמבערג/Լվով (035 14601).
Bonusbild 7: Die weißrussischen Wagen haben sogar DB-Zulassung. Gab es in letzter Zeit Züge, mit denen weißrussische Wagen nach Deutschland kamen?
Nun das moderne Wagenmaterial der bulgarischen Staatsbahn:
Bonusbild 8: WLABmz 61 52 70-71 013-5.
Bonusbild 9: WLABmz 61 52 70-71 020-0.
Bonusbild 10: WLABmz 61 52 70-71 015-0.
Bonusbild 11: WLABmz 61 52 70-71 028-3.
Bonusbild 12: WLABmz 61 52 70-71 009-3.
Zum Abschluss noch das restliche, gesichtete Rollmaterial (soweit nicht schon weiter oben gezeigt):
Bonusbild 13: Bm 50 52 29-74 260-4.
Bonusbild 14: Bm 50 52 29-74 244-8.
Bonusbild 15: Ame 51 52 19-40 110-3.
Bonusbild 16: Bm 50 52 29-74 008-7
Bonusbild 17: Bm 50 52 29-74 270-3.
Bonusbild 18: Bm (Nummer leider nicht erkennbar).
Bonusbild 19: Kommt mir irgendwie so bekannt vor…
Bonusbild 20: Bm 51 52 20-47 952-8.
Bonusbild 21: Bm 51 52 20-47 579-9.