Nach einer kleinen künstlerischen Pause geht´s jetzt weiter mit den nordkoreanischen Reisebetrachtungen.
Teil 1 lest Ihr
hier...
Bevor es losgeht, möchte ich mich noch bei allen Kommentatoren im Teil 1 bedanken. Selten bei DSO so viel gelernt!
Nun aber zu Tag 2:
Am darauffolgenden Morgen war der Frühstückssaal unseres Hotels voller Menschen. Alles Touristen. Was wollten die alle hier? Wir dachten, wir wären Exoten. Aber Pustekuchen. Die Antwort kam schnell: In Pyongyang fand das jährliche Musikfestival statt, eine große Gruppe russischer Veteranen machte Propaganda, und wenige Tage zuvor liefen 200 Ausländer beim Pyongyang-Marathon mit. Auch eine Gruppe von 25 trinkfesten Jugendlichen war nach Pyongyang gekommen, um sich mit preiswertem Fusel die Leber zu ruinieren. Sachen gibt’s... Zur Zeit hielten sich sich 500 ausländische Touristen in der Stadt auf, davon 450 in unserem Hotel. Das hatte Pyongyang noch nicht erlebt...
Heute morgen stand einer der heikelsten Punkte des Besuchs auf unserem Programm (zumindest für mich, denn ich wollte auch immer mal nach Nordkorea, um als im Westen Geborener und hundertprozentiger Demokrat am eigenen Leib zu erleben, wie schnell man sich einem autoritäten Regime auch ohne großen Druck anpaßt. Oder eben nicht. Sozusagen ein Selbstversuch. Bislang waren wir immer nur Zuschauer des System gewesen, heute wurden wir zu Akteuren, die nach den Regeln des Systems agieren mußten. Wir wußten ja schon in etwa, was uns erwartete – dennoch ist es immer etwas anderes, nur über Personenkult zu lesen, oder selber im Personenkult zu funktionieren und die Verbeugungen vor den Führern zu machen.
Natürlich wurde jede Fahrt durch die Stadt zur Fotopirsch umfunktioniert - und wir konnten bei unseren Reiseleiterinnen immer wieder ein paar Minuten extra heraushandeln, um Straßenbahnen oder O-Busse unterwegs aufzunehmen. Gelegentlich war sogar ein unvorhergesehener Halt drin. Trotz aller Beschäftigungstherapie beim Fuzzen unterwegs waren wir doch etwas angespannt. Das lag weniger am Personenkult, dem wir bald "live" begegnen sollten, sondern natürlich auch an dem Mythos "Züricher Straßenbahn", deren Strecke ja ausschließlich zum Heranführen von Besuchern des Präsidentenpalasts errichtet wurde. Im Vorfeld der Reise hatten wir einen offiziellen Besuch gefühlt 5 Millionen Mal angefragt und mindestens 6 Millionen Ablehnungen erhalten.
Ein paar Schnappschüsse aus dem Bus heraus:
Wir besichtigten also den Präsidentenpalast, heute das Mausoleum des Ewigen Führers und des Großen Führers. Schon die Fahrt dorthin war eine psychologische Tortur: wir fuhren direkt am Straßenbahndepot der Züricher vorbei. Können wir anhalten? Nein.
Dann die erste Kurbeli in voller Fahrt genau parallel zu uns. Anhalten? Nein.
Schon die Selektion der Besucher erfolgt nach einem strengen Prinzip: Ausländer und Einheimische werden zunächst in voneinander getrennten Warteräumen auf den Besuch vorbereitet. Letzte Instruktionen unserer Reiseleiterinnen: nicht lachen, keine Fotos!
Dann ging´s los. Wir waren die ersten Ausländer dieses Tages im Palast - und dann kam der denkwürdige Moment, an dem beide Besuchsstöme zueinanderkamen: links die Einheimischen, rechts die Ausländer. Man beäugte sich: neben uns stand eine Gruppe nordkoreanischer Soldaten. Hielten die überhaupt 2 Tage Krieg durch? Der Fanatismus erschafft vielleicht neue Heldentaten... Aber vielleicht nahm ich die Kleinheit der Körper auch nur deshalb so wahr, weil die Uniformmützen so unförmig groß waren. Die weiblichen Soldaten jedenfalls entsprachen wieder dem Idealmaß. Und so ausgemergelt sahen einige Soldatinnen auch nicht aus. Zumindest scheint die Familie Kim einen ziemlich ausgeprägten Frauengeschmack zu haben. . Umgekehrt bemühte man sich, nicht zu auffällig in unsere Richtung zu schauen. Zuviel Interesse war möglicherweise schon nicht mehr opportun. Schließlich waren wir ja die Bösen. Nochmals Kontrolle: waren auch wirklich alle Kameras abgegeben worden?
Dann ging´s los. Erst eine Gruppe Soldaten, dann wir. Die Psychologie der Macht ist überall gleich: riesige Hallen, Granit und Marmor. Die Macht ist groß, der Mensch ganz klein. Durch endlose Gänge und Hallen gingen wir an unzähligen Portraits und Devotionalien der beiden Führer vorbei. Auch zwei grüne Personenwagen der koreanischen Staatsbahn, die die beiden Führer auf ihren Fahrten nutzen, waren ausgestellt. Zudem noch ein Schiff (in echt!) von Kim II. Mehrere Stockwerke hinab dann Richtung Heiligtum: den beiden Hallen, in denen Kim Il-sung und Kim Jong Il einbalsamiert lagen. Ich hatte mir lange überlegt, wie die Situation wohl sein würde: schluchzende Nordkoreaner, Ohnmachtsanfälle, herzergreifende Trauer? Und was würde ich wohl empfinden? Als erstes fiel mir auf, daß niemand mehr ein Wort sprach. Schon auf dem mehrere Hundert Meter langen Gang in den Präsidentenpalast schauten alle Besucher wie versteinert. Von unzähligen Klimaanlagen gekühlte Luft erfüllte den Gang, pathetische klassische Musik in allen Räumen, schwarz gekleidete Angestellte. Manchmal fiel es mir schwer, nicht selber ergriffen zu sein, sondern einen kühlen Kopf zu behalten. Als geschichtlich interessierter Deutscher erkannte ich vieles wieder, von dem mir die Altvorderen erzählt hatten.
Dann war er da, der große Moment: zuerst wurden wir in einer auf koreanische Körpermaße ausgerichteten Schleuse mit Luft abgeduscht: sehr kalt und sehr intensiv. Die erste, ungeplante Verbeugung mußte ich mit 1,93m Körpergröße schon leisten. Einige wenige Schritte noch – und dort lag er: in einem Raum von mindestens 20 Meter Höhe, in ewiger Kälte, schwach rot erleuchtet, aufgebahrt unter rotem Samt. Kim Il-sung.
An jeder Ecke des Sarkophargs ein unbeweglich dastehender Soldat in voller Uniform, dazu noch einige zivile Aufpasser. Vor uns eine Gruppe nordkoreanischer Soldatinnen, denen wir in kurzem Abstand folgten. Am Fußende in einer Reihe von 5-6 Personen aufgestellt, dann ein kurzes Kopfnicken (mein Rücken und meine Erziehung in einer parlamentarischen Demokratie gibt keine koreanische 90° Klappmesserverbeugung mehr her), dann im Gänsemarsch weiter um den Sarkopharg. An der Seite das gleiche Ritual, weiter zur Stirnfront, nochmals nicken. Dann immer noch im Gänsemarsch wieder hinaus. Nach einer Minute ist alles vorbei. Habe ich mich jetzt anständig verhalten? Anständig in nordkoreanischen Augen? Anständig in meinen Augen? Ich würde sehr gerne wissen, was die Nordkoreaner in diesem Moment denken. Sicher etwas anderes als ich.
Der anschließende Besuch des Sarkophargs von Kim Jong Il war dann schon fast Routine. Komisch: tot und einbalsamiert (na ja, lebend und einbalsamiert wäre jetzt nicht so prickelnd) sahen die beiden Führer irgendwie ganz klein aus.
Wieder im Freien steuerten wir zielstrebig auf den nächsten, für uns entscheidenden Punkt auf dieser Reise zu: könnte es uns gelingen, ein Bild der ex-Züricher-Straßenbahnwagen zu machen? Die Linie verkehrt ohne Zwischenhalte ausschließlich als Zubringer zum Präsidentenpalast, Ausländern ist die Mitfahrt verboten, und auch das Fotografieren ist eigentlich nicht erlaubt. Einzig ein Foto aus dem Tor des Palasts heraus wurde im Vorfeld genehmigt.
Die klassisch grüne Garnitur stand an der Betriebshaltestelle. Jetzt schnell ein Sicherheitsbild vom Gelände des Palastes aus gemacht. Hauptsache, man hat „etwas“. Dann durch das Tor durch und erstmal die Lage gecheckt: Uniformen in jeder Farbe überall. Wer war nun Aufpasser und wer Besucher? Wer könnte bei zu viel Fotografieren nervös werden? In bewährter Manier tasteten wir uns vorwärts: bis zum Blumenkübel, aber nicht auf die Straße. Dann zum Zebrastreifen. Jetzt mußten unsere Reiseleiterinnen das erste Mal einschreiten, weil es einem Wachmann dann doch zu viel wurde. Wir lösten die Situation mit einer freundlichen Frage, ob wir nicht gleich auf die andere Straßenseite dürften - dann hätte der Wachmann hier Ruhe. Bingo.
So kamen wir am Ende zu Hunderten von Bildern, alle mit Genehmigung gemacht. Komisch: warum ist es im Vorfeld unmöglich, ein offizielles OK zu erhalten - und vor Ort ist alles locker? Da die Überwachung unserer Aktivitäten garantiert zu 100 % erfolgte, und wir definitiv auch an einem derart offiziellen Ort nichts unternehmen dürfen, was nicht der offiziellen Sicherheitslinie entspricht, hätte man -rein theoretisch- alles doch viel einfacher haben und gleich zusagen können...
Vielleicht sind sich aber auch nicht alle nordkoreanischen Dienststellen untereinander grün?
Wir hatten ja noch einige Tage vor uns, aber schon jetzt war es an der Zeit, unseren unermüdlichen Reiseleiterinnen zu danken, die uns hier meterweise vorrücken ließen und jedes ursprüngliche „Nein“ im Laufe der Zeit zu einem „Ja, aber schnell“ änderten. Zum Schluß waren wir so weit in unbekanntes Gebiet vorgedrungen, daß selbst unseren Chefinnen mulmig wurde und dann endgültig zum Rückzug geblasen wurde. Eigentlich müßte ich dieses Lob für jeden Reisetag wiederholen.
Nicht so gern gesehen: Einheimische im Bild. Da die aber alle herausgeputzt waren, durften sie offiziöserweise mit drauf:
Dann war es Zeit, den Blutdruck unserer Reiseleiterinnen wieder etwas zu senken. Im Themenpark über die Geschichte Koreas durften wir danach ohne Einschränkungen fotografieren. So viel zu fuzzen gab es aber nicht, daher war der Besuch recht schnell wieder zu Ende...
Auf dem Weg zur ersten O-Bus-Sonderfahrt dieses Tages versuchten wir dann, das übliche Spiel zu spielen: Nahverkehrsabschüsse. Aber hoher Sonnenstand und viel zu viele moderne West- oder Chinaautos machten uns das Leben schwer. Die wirklich interessanten Fahrzeuge tauchten sowieso immer weit vor oder hinter uns auf, mehr als "Sichtungsbilder" kamen dabei nicht raus, eigentlich gleich ein Fall für die digitale Mülltonne.
Unser Sonderbus wurde bereitgestellt - und los gings! Endlich mal kein gelecktes Museumsfahrzeug, sondern frisch aus dem Betriebsdienst. Zwei Schilder hinter der Windschutzscheibe informierten alle Interessierte, daß die beiden Führer auch schon mal in diesem Bus mitgefahren seien. Mir stockte fast der Atem: hier also hatte der GROSSE oder der EWIGE Führer gesessen. Vielleicht sogar auf meinem Platz!?
Wahnsinn. Ich hätte mir doch noch ein Partei- oder Jucheabzeichen kaufen sollen!
Strenggläubigen Parteigenossen mußte das sehr komisch vorkommen: eine Gruppe Fremder fährt in einem uralten O-Bus durch die Stadt, die Fenster weit geöffnet, und mit Linsen zwischen 14 und 300 mm alles abfotografierend, was ihnen in den Weg kam. Noch schockierender muß es gewesen sein, als dieser Bus dann auch noch anhielt, wir ausstiegen, und ihn inmitten des regulären Verkehrs fotografierten! Alles genehmigt, und sogar unter 7-facher Aufsicht: 2 Reiseleiterinnen, deren Chef, plus zwei leitende Kader des Pyongyanger Verkehrsbetriebes, plus ein Busfahrer und eine Schaffnerin. „Offizieller“ geht es kaum.
Wir ahnten zu diesem Zeitpunkt nicht, daß die IM-Maschinerie schon auf Hochtouren lief. Bereits einen Tag später hörten wir folgende wahre Geschichte: ein besorgter Bürger hätte über die vielen Ausländer in der Stadt berichtet. Es wären sogar welche dabei gewesen, welche in einem gelben O-Bus gefahren seien, ausgestiegen wären, und auf der Straße Fotos gemacht hätten. Nicht nur eins, sondern viele von überall. Er könne dies gar nicht gutheißen, daß die Agenten des Imperialismus sich derart frei bewegen könnten!
Das System funktioniert. Gut, daß dieser Bürger nicht wissen konnte, was wir noch so alles anstellen sollten...
Hier hat der Fotograf viele Juchepunkte gesammelt: die Porträts der beiden Führer nicht durch Drähte und Oberleitung verschandelt, die beiden nicht aus unvorteilhafter Position fotografiert, viele Fahnen und Propaganda mit ins Bild genommen, das heilige Grün prominent ins Bild gerückt, ohne -hier nicht erkennbar- auf selbigen zu stehen!
Aber nicht nur bei den Bürgern erregten wir Aufsehen. Auch unter den anderen Touristengruppen machte schnell die Nachricht die Runde, daß es eine Gruppe Deutscher gäbe (excuso, Marco), die in der Stadt umherführen und Dinge machten, die vollkommen aus dem Rahmen fielen! Das hat uns schon ein bißchen stolz gemacht...
Mehr zu unserem aufregenden Nachmittagsprogramm dann im Teil 3!
Grüße,
Peter
Mein Traum von der perfekten DSO:
gutes Deutsch & gute Bilder!
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 2014:07:10:19:52:35.