Liebes Forum,
nachdem die letzten Organisationsarbeiten am Forenausflug so gut wie abgeschlossen sind, ist nun Zeit für die Fortsetzung des Reiseberichts von Brasov nach Odessa.
Erinnern wir uns: wir sind am Abend mit der Dieselelektritschka von Chisinau in Bender 2 angekommen und illegal ein-, wieder aus und erneut legal eingereist. Ihr erinnert euch nicht mehr? Geht mir fast genauso: hier ist der Link zum ersten Teil: [
www.drehscheibe-foren.de]
Also auf in einen neuen Tag: nach einer recht abenteuerlichen Nacht in einem Plattenbau präsentierte sich der 30. August erneut eher herbstlich, sodass wir erneut gleich am Morgen den täglichen Programmpunkt "Baden" streichen konnten. Das restliche Programm sollte vom Wetter jedoch unberührt bleiben; wir wollten in die Sowjetunion! Nun ist es schon so, dass man bei der Einreise in gewisse Ex-Sowjetrepubliken die Uhr nicht nur um Stunden, sondern eher besser gleich um Jahre zurückstellen sollte. Eine Zeitmaschine gibt es jedoch selbst in Tiraspol nicht.
Aber so was ähnliches: Andrej Smolensky ist nach eigener Aussage transnistrischer Patriot und möchte Touristen seine Heimat näher bringen. Er glaubt an das touristische Potenzial des Landes und seine im Frühjahr 2013 gegründete Firma «SMOLENSKI-TOUR» bietet seitdem gegen Westwährung verschiedene geführte Touren durch das Land u.a. auch in deutscher Sprache an.
Gut, die "Brandytour" schied aus; weder ich noch die Kinder mögen Cognac. Für die "Art Tour" bin ich ein viel zu grosser Banause, Fussballtour hört sich zwar gut an, interessiert aber sonst niemanden in der Familie und auch für den Rest gab es diverse Ausschlusskriterien. So entschlossen wir uns mit der "Sowjettour" den Bestseller im Angebot zu wählen und wir haben es nicht bereut: [
transnistria-tour.com] Die Unterkunft in einer originalen Sowjetwohnung die uns Andrej verschaffte hingegen schon... das war wirklich nur was für die ganz harten.
Um 9 Uhr morgens holte uns Andrej ab und zuerst fuhren wir zum OVIR um die Registrierung für den Aufenthalt bei Überschreitung von mehr als 10 Stunden zu erledigen. Das verlief unkompliziert und bald darauf standen wir vor diesem Park.
Das Kotowskidenkmal und die nebenan stehende Ehrentafel für die örtlichen Helden der Sowjetunion ließen wir erst einmal links liegen um zu einer kleinen Freilichtbühne zu gelangen.
Dort stellte sich Andrej überraschend auf die Bretter die auch in Tiraspol die Welt bedeuten - hier jedoch aus Beton waren - und hieß uns in einer kleinen Ansprache nun auch offiziell in Transnistrien willkommen. Danach begann er zur Einstimmung auf den Tag die transnistrische Nationalhymne, deren Melodie von niemandem geringerem als dem Sohn des Schöpfers der Hymne der Sowjetunion, Boris Alexandrov komponiert wurde zu singen. Das Lied gewann zwar 1943 bei dem Wettbewerb um den Ersatz der „Internationalen“ nur den zweiten Platz, wurde aber trotzdem sehr populär. Transnistrien dichtete nach der Unabhängigkeit flugs einen neuen Text zur bewährten Melodie und so sang Andrej von den Tälern und Hügeln, von Morgensternen des ergrauten Dnister und vielem poetischen mehr anstatt der unzerbrechlichen Union der der freien Republiken.
Als nächstes ging es zum Theater und da auch hier der Nationalfeiertag vor der Tür stand wurde gleich das Festprogramm veröffentlicht.
Zum Nationalfeiertag fiel uns auf, das überall gefegt und die Bordsteine an den Straßen gestrichen wurden... ich habe mir an einem später noch die Schuhe besaut bzw. geweisst. So was kennt man ja eigentlich und es wäre auch nicht weiter bemerkenswert, nur erklärte uns Andrej für wen die Aufhübschung gedacht war. Patriarch Kyrill besuchte ein paar Tage nach uns sowohl Moldawien als auch Transnistrien, die beide zur russisch-orthodoxen Kirche gehören und wollte es wohl nett und auch ohne Schlaglöcher haben.
Ein interessantes Schild zur Hebung der Verkehrssicherheit der jungen Staatsbürger
Viele weitere Sehenswürdigkeiten folgten und zwischen allen erzählte uns unser Reiseleiter sehr kurzweilig Interessantes aus Geschichte und Gegenwart der Stadt sowie über die Architektur und die Stadtplanung zu alten Zeiten. Dass unsere Kinder ihm nicht mit der nötigen Aufmerksamkeit lauschten, tja... so ist halt das Leben.
Die Universität
Juri Gagarin hat wie in jeder ordentlichen Sowjetstadt ein Denkmal. Übrigens kamen wir bei dieser Gelegenheit auf Sigmund Jähn zu sprechen und Andrej wunderte sich darüber dass ich als Westbürger ihn kenne. Beim weiteren Gespräch stellte sich heraus, dass er den Schauspieler der den Sprecher der Aktuellen Kamera in "Goodbye Lenin" spielte für einen Radiobeitrag über Transnistrien des Deutschlandradios, auch schon mal hierher geführt hat. Der habe auch als erstes Sigmund Jähn erwähnt!
Ach ja: hier wäre noch Gelegenheit gewesen zur Erfreuung eines Forenkollegen ein paar "Wuschel" zu deponieren, aber die waren versehentlich zuhause geblieben...
Das Rathaus (mit Wladimir Iljitsch aber ohne Wladimir Fuchs)
Dafür freut sich dessen Herrchen sicher über diesen O-Bus
Und die Ehrenbürger der Stadt
Hier finden wir zum ersten Mal in der Öffentlichkeit etwas über den früheren Staatschef Igor Smirnow. Zwar schaffte er es 2011 nachdem Russland ihm die Unterstützung entzogen hatte zu seiner eigenen Überraschung nicht einmal in die Stichwahl um das Präsidentenamt, aber der Kandidat des Kremls gewann sie auch nicht. Stattdessen wurde Jewgeni Schewtschuk Präsident und verordnete dem Land eine Demokratisierung und Öffnung. Igor Smirnow blieb als Trostpreis für seine Verdienste die Ehrenbürgerwürde, aber ansonsten wird er mittlerweile meiner Einschätzung nach eher wie der etwas peinliche Onkel auf einer Familienfeier, der halt notgedrungen dazugehört, angesehen.
Zu meinem Erstaunen ist auch der frühere Bürgermeister Moskaus Juri Luschkow Ehrenbürger Tiraspols. Ich habe zwar nicht herausbekommen warum, hingegen beim googeln entdeckt dass er sich auch in Österreich verdient gemacht hat. Er ist nämlich zugleich Träger des großen goldenen Ehrenzeichens für Verdienste um das Land Wien! Wobei man relativieren sollte, dass der Landeshauptmann Niederösterreichs Erwin Pröll sich ebenfalls mit diesem Orden schmücken darf. Da haben sich ja zwei gefunden, die nicht nur optisch gut zusammen passen...
Aber genug der großen Politik. Folgt man der Strasse des 25. Oktober passiert man einen Buchladen, wo es auch Souvenirs zu kaufen gibt. Ich glaube Andrej ist ob unseres Kaufrausches verzweifelt.Noch ein paar Meter weiter gelangt man auf die Prachtmeile der Stadt: General Suvorov wird gerade mit Blumen geschmückt und neben ihm befindet sich etwas scheinbar ganz unsowjetisches: die einzige Gedenktafel in englischer Sprache des Landes.
Wir betreten nun das (wieder O-Ton) "Allerheiligste jeden Transnistriers" mit der Gedenkstätte für die Gefallenen des Unabhängigkeitskrieges. Auch hier wird gleichzeitig des Toten des großen Vaterländischen Krieges, sowie sonstigen Opfern gedacht. Nur ins angeschlossene Museum schaffe ich es mal wieder nicht.
Stattdessen ein Blick vom Aussichtspunkt auf den einzigen Sandstrand Transnistriens, der sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum Präsidentenpalast befindet. Martin wollte unbedingt zu Dokumentationszwecken ein Familienfoto von uns beim Planschen im Dnister, doch bei knapp 18° Außentemperatur war an so ein Unterfangen nicht zu denken.
Hier endete nun das offizielle Programm welches wir zeitlich schon gut überzogen hatten und eigentlich war nur noch vorgesehen, dass Andrej uns zum Eingang der Festung Bender bringen sollte, ab wo wir dann den Teil der ebenfalls im Sortiment von Smolenski Tours befindlichen "Kulturtour" alleine bestreiten wollten.
Doch unserem Führer schien unsere Gesellschaft zu gefallen und er schlug vor noch gemeinsam Essen zu gehen; das Tourprogramm sähe an dieser Stelle übrigens ein Mittagsessen im Cafe "Abajour" im Sowjetstil vor. Wie sich dieser Punkt mit der tatsächlich besuchten "Andy's Pizza" in Einklang bringen lässt wird zumindest uns - wir nehmen an es geschah mit Rücksicht auf die Kinder die nun wirklich quengelig wurden - ein Rätsel bleiben. Obwohl, die Freundlichkeit der Genossin Bedienung, die als vorbildliches Mitglied der Arbeiterklasse auch im westlich dekadenten Fastfoodtempel althergebrachtes bewahrte, war durchaus traditionell sowjetisch und ihr nur sehr geringer Wille Umsatz zu generieren ein vorbildlich leuchtendes Beispiel für gelebten Antikapitalismus ;-)
Dennoch fröhlich und völlig gesättigt verließen wir das Lokal und machten uns mit dem Auto auf den Weg nach Bender. Die Festung ist seit zwei Jahren wieder zugänglich aber ohne einen Ortskundigen ist es fast unmöglich den Eingang zu finden. Dieser liegt in einem Industriegebiet und nach Entrichtung des Eintritts von 50 PMR-Rubeln in einer Baracke muss man bis zur eigentlichen Festung erst mal durch verfallende Kombinate laufen.
Doch dann wird es sehr nett, auch das Wetter hatte mittlerweile wie auch in den vergangenen Tagen ein Einsehen mit uns und es bot sich von einem Aussichtspunkt aus ein schöner Blick auf den Fluß. Man kann auch - sollte die Aussicht von unten nicht genügen - auf den Befestigungsmauern herumlaufen und den Wachturm erklimmen. Ferner gibt es ein kleines Museum welches sich vor allem - das ist meiner historischen Bildung bislang entgangen; Sören weiss vielleicht mehr darüber - mit Karl XII von Schweden beschäftigt, der nach dem verlorenen schwedisch-russischen Krieg hier ab 1709 fast 4 Jahre in osmanischem Asyl lebte. Es gibt auch was für die kleinsten: das pädagogisch wertvolle Kinderprogramm besteht in einem Besuch der Folterkammer.
An diesem Freitag jedoch schien die Anlage eher Asyl für motivsuchende Fotographen von Hochzeitsgesellschaften zu bieten. Etwa alle 15 Minuten fuhren neue Autos vor aus denen Hochzeitsgesellschaften stiegen, deren Damen auf Stillettos mit dem Untergrund der Anlage kämpften und die bei der Erstellung des Hochzeitsbild festgehalten werden mussten um nicht umzufallen. Den ganzen Tag begegneten uns noch Hochzeiten; es scheint Glück zu bringen an diesem Termin geheiratet zu haben.
Transnistrische Hochzeitskutsche (später am Abend aufgenommen)
Wie auch immer: dadurch dass die Autos nicht aus Richtung des Haupteingangs sondern direkt aus Richtung der Dnisterbrücke kamen, schloss ich dass es dort einen Ausgang geben müsse. Und da wir nur wenig Lust hatten den langen offiziellen Rückweg anzutreten und eh noch die nahe Kirche (die gerade renoviert wurde) besichtigen wollten, gingen wir einfach mal in diese Richtung.
Wir umgingen eine Bauststelle und fanden uns auf einmal in einer Kaserne wieder. Meiner Frau war das gar nicht recht, doch ich lief unbeirrt weiter da wir - wäre unser "Besuch" hier verboten gewesen - von den vielen Soldaten schon längst aufgehalten worden wären. Und tatsächlich grüssten uns die Soldaten nur freundlich. Niemand störte sich an uns, doch als wir von weitem das verschlossene Kasernentor sahen, wollte sie erneut umdrehen. Doch wozu hat man einen so 100% linientreuen Ehemann wie mich dabei? Richtig: die Wachen salutierten (na gut, ich übertreibe leicht), nickten uns ebenfalls freundlich zu und öffneten bereitwillig den Ausgang. Wir standen nun direkt vor den beiden Dnisterbrücken.
Und auf einmal sah ich in der Ferne etwas aufregendes. Tatsächlich, hier näherte sich von Tiraspol her der Zug 65 aus Moskau. Jetzt war alles egal: entgegen aller normalen Gewohnheiten entwand ich unserer irritierten Familienfotografin die Kamera, tarnte mich unauffällig vor ein paar vorbeilaufenden Soldaten durch Schuhebinden als harmloser Spaziergänger und war auf die Sekunde bereit als der Zug über die Brücke kam. Ich gebe immer gerne zu, dass die Bilder meiner Reiseberichte ausschließlich der Illustration des Textes dienen (ich bin ja eher ein Mann des Wortes) und sie entsprechen normalerweise absolut keinem gemeinhin hier vorherrschenden Standard. Aber auf das zweite Bild unten bin ich wirklich stolz! Das geneigte Forenpublikum beachte auch auf Bild 1 den Brückenposten der russischen Friedenstruppe mit Kalschnikow, der als Person der Zeitgeschichte leider irrtümlich mit auf das Bild gelangte ;-)
Unbehelligt von irgendwelchen Offiziellen (der Lokführer hatte wohl keine Meldung an die Organe gemacht) wechselten wir auf die andere Strassenseite wo sich wieder ein Gedenkpark mit einem Panzer, einem Glockenturm nebst ewiger Flamme und dem Schild "Dir sei der Ruhm, PMR" für die Opfer des Unabhängigkeitskrieges befindet. An diesem schönen Sommertag ein beklemmender Kontrast zum Besuch des moldawischen Militärmuseums am Vortag, wo ein Video von den Kämpfen 1992 auf exakt dieser Brücke zu sehen war.
Eigentlich hätte ich gerne noch Bender City gesehen, doch nun hatte der Nachwuchs keine Lust mehr. Und von einem Eisenbahnmuseum im Bahnhof 1 um sie zu animieren wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nichts. Abgesehen davon hatten wir ihnen morgens schon versprochen nachmittags zum Popedapark zurückzukehren und dort die Benutzung der diversen Fahrgeschäfte in Aussicht gestellt. Und auch für unsere Füße klang die Verlockung noch etwas gemütlich in einer Parkwirtschaft beim Bier zu sitzen nach einer guten Idee.
Kurz darauf kam schon der nächste Trolleybus der Linie 19 und für 2,80 Rubel (20 Cent) fuhren wir fast bis vor die Haustür des örtlichen Alkoholversorgers. Die Fa. Kvint bietet in ihrem Werksverkauf ein wirklich beeindruckendes und günstiges Sortiment an Weinen und Spirituosen und ich kaufte noch rasch ein paar Mitbringsel für daheim... der slowakische Zoll hat übrigens zwischen Chop und Cierna nichts davon gefunden ;-) Von dort aus sind es nur ein paar Meter zum Park, wo wir den Rest des Nachmittags blieben. Zum Leidwesen unserer Kinder (und auch meinem; ich wäre zu gerne Riesenrad gefahren) waren praktisch alle Attraktionen außer Betrieb. Doch es gab Go-Karts zu leihen auf denen die Jungs beim Spaziergängerjagen die Parkwege unsicher machten.
Die letzte Station des Tages sollte das berühmte "Cafe Eilenburg" sein, welches ähnlich wie die Städtepartnerschaft mit Tiraspol leider nicht mehr existiert. Stattdessen gibt es in den Räumen eine Art Bistro (den Namen hab ich vergessen) mit leichter Verpflegung, welches mir anfangs eher etwas ungemütlich erschien. Als jedoch die überaus freundliche Bedienung auf die Frage welches Bier man führe die gängigen Großmarken aufzählte, danach aber die einheimische Sorte "Alte Festung" der Brauerei Bender anpries, war ich von diesem Etablissement voll überzeugt.
Und ja: Transnistrien kann nicht nur Wässerchen und Cognac,sondern auch Pivo! Das naturtrübe Helle und ein (für meinen Geschmack jedoch etwas zu schwach gemälztes Dunkles) brauchen sich vor den einheimischen Spirituosen höchstens bei der Anzahl des Vol % verstecken ;-)
Wir verbrachten den Abend dort sehr gediegen, obwohl das Warten auf das Essen etwas länger dauerte, da "die Küche den Nationalfeiertag vorbereiten" müsse. Aber das erfuhren wir schon bei der Bestellung und wir hatten ja Zeit. Nach dem Verlassen des Lokals bewunderten wir noch die mittlerweile festlich illuminierte Ul. 25. Oktober bei Nacht wo immer noch an den Vorbereitungen zum großen Festtag gearbeitet wurde bis uns die Marshrutka (der O-Bus verkehrt nur bis 19.30) in unser Quartier brachte. Nach einem Gläschen des landesüblichen Wodkas „Pridnestrowje“ (die Nobelmarke von Kvint ist „Volk“) als Schlummertrunk kehrte rasch Nachtruhe ein.
Der Abreisetag aus Tiraspol begann mit einer letzten Prüfung unseres geplagten Reiseleiters. Wie nicht anders zu erwarten bestand ich auf der Abreise mit dem Zug und das wäre so weit auch nicht schlimm gewesen. Doch ich wollte wieder in Bender 2 einzusteigen um die Strecke komplett bereist zu haben! Die paar hundert Meter Bender 2 1/2 Bender 2 zählen wir jetzt mal nicht… abgesehen davon wurden sie bei der Anreise paralell zu den Gleisen zu Fuß zurückgelegt.
Das war nun gar nicht in seinem Sinne und er versuchte mich vom Einstieg im Bahnhof Tiraspol zu überzeugen. Vergeblich, direkt nach der Ankunft – unwissend dass wir hier nicht einreisen dürfen - hatten wir uns schon nach dem Fahrpreis erkundigt und die Bahnhofsolga mit Oberlippenbart (authentisch sowjetisch!) nannte uns den Preis in PMR-Rubeln.
Zwei Tage später fürchtete Andrej hingegen nach den gemachten Erfahrungen mit der Einreise wir düften dort auch nicht ausreisen. Das hätte gut sein können, war mir aber relativ egal: ich musste trotzdem da hin! Wobei man fairerweise einräumen muß, dass es nicht ganz leicht ist einem von unserem Hobby noch nicht Erleuchtetem die goldenen Regeln der Streckenbereisung zu erklären. Einen Sinn konnte er in meinem Vorhaben deshalb auch nicht finden, doch setzte ich mich mit brutaler Imperialistenlogik („Mir fehlen sonst 10 Kilometer Strecke und wer zahlt schafft an“) durch und so fuhr er uns nach Bender.
Kurz vor dem Bahnhof fiel mir auf einmal auf, dass ich meine Jacke mit dem Paß vergessen hatte. @#$%&; also noch mal zurück zur Unterkunft und nach dem erneuten Einsteigen in das Kraftfahrzeug versuchte er abermals uns mit dem Hinweis auf die Zeit nach zum Bahnhof Tiraspol zu bringen. Eine der Regeln des Eisenbahnbetriebsdienstes besagt bekanntlich, dass jederzeit eine richtig zeigende Uhr zu tragen ist und ich erklärte ihm anhand dieser dass noch genug Luft sei; der Zug halte in Bender schliesslich 25 Minuten. Husch, nochmal ab nach Bender 2... erste Züge der Verzweiflung erschienen auf seinem Gesicht.
Nein, es war wirklich kein guter Tag für ihn, da neben den komischen Touristen auch das Auto mittlerweile Probleme machte. Er musste es (es wäre sonst nicht mehr angesprungen) vor dem Bahnhof mit laufendem Motor abstellen, was einen argwöhnischen Milizionär aufmerksam machte. Der konnte mit der Erklärung technischer Art auch erstmal besänftigt werden. Aber als ich anschliessend im Empfangsgebäude ein paar Fotos machte entdeckte mich dabei das Schalterreptil von vor zwei Tagen und stürmte wutentbrannt auf den Bahnsteig um den gleichen Milizionär zu holen, der dann das Fotographieren höchstamtlich untersagte. Andrej war in diesem Moment gerade dabei ein Abschiedsbild von uns auf dem Bahnsteig zu machen und ich glaube spätestens da verstand er endgültig die Welt nicht mehr. Immerhin konnten wir die Gelegenheit nutzen dem Vertreter der Staatsmacht unsere Einreisezettel mit Registrierung abzugeben und durften so offiziell ausreisen.
Die Fotos von Bender 2 möchte ich Euch natürlich nicht vorenthalten.
Die Schalterhalle
Und der (recht übersichtliche) Fahrplan
Und es gab vor der Abreise ein letztes Problem: wir hatten keine Fahrkarten weil der Computer an diesem Morgen auch den Geist aufgegeben habe und Olga beschied uns, dass Tickets beim Personal zu lösen seien. Auch das noch... fürsorglich bestand er darauf zu warten bis der Zug gehalten hatte um Verhandlungen mit dem Schaffner zu führen. Der hingegen nickte nur, wies mit der Hand auf um einzusteigen und wir verabschiedeten uns voneinander. Andrej fuhr davon und alles schien gut zu sein. Alles? Nicht ganz: im Wissen dass in PMR-Rubeln hätte gezahlt werden müssen, hatte ich ausreichend davon, die aber der CFM-Schaffner nicht annehmen wollte. Meine Griwnas langten auch nicht für alle und so zogen wir uns zu Sondierungsgesprächen hinter verschlossenen Türen ins Dienstabteil zurück.
Im Vergleich zu den derzeitigen Koalitionsverhandlungen über das Bilden einer Bundesregierung ging das relativ fix, auch war der Provodnik im Gegensatz zu der Tea-Party Fraktion der US-Republikaner fiskalisch eher unideologisch eingestellt und nach kurzer Zeit schon verkündete ich der wartenden Öffentlichkeit, dass wir uns über den Erwerb eines „Globalpreises“ in Rubeln verständigt hätten. Ein den Zug begleitender Milizionär erklärte sich gegen ein kleines Schmiergeld zu einem Schwarztausch der PMR-Rubel bereit, nur eine Quittung sah ich selbstredend nicht. So kann ich Euch leider nicht sagen, welche Fahrscheine die transnistrische Bahn herausgibt; das war das einzig wirklich ärgerliche an der ganzen Aktion.
Dann ging´s los. Unser Provodnik verteilte die Einreisezettel und mit etwa 50 km/h strebten wir wiederum auf Holzbänken der Ukraine entgegen.
Der Zug war an diesem Samstag morgen recht gut besetzt und in Tiraspol gab es erstaunlicherweise viele Ein- und Aussteiger. Sogar ein Fahrrad reiste mit.
Kurz hinter der Hauptstadt wird die Strecke bis zum Grenzbahnhof Novosavitskaya sogar zweigleisig und auf der Grenzbrücke sieht man bereits das Gleis von Pervomaisc hereinkommen, welches auch noch befahren wird. Hier der verschwommene Ausblick auf die Staatsgrenze zwischen einem real existierenden sowie einem offiziell nichtexistenten Staat.
Im Bahnhof Kuchurgan fand die Passkontrolle statt und es wurde auf E-Lok gewechselt, leider durfte der Zug nicht verlassen werden.
Das Empfangsgebäude
Unser bisheriges Pferdchen geht in die Pause
In Rozdilna wurde es noch mal voll, aber wir hatten ja einen guten Platz. Und nach einer weiteren Stunde erreichten wir unser Ziel Odessa.
Hier endet mein Reisebericht. Wir blieben noch zwei Tage in dieser auf ganz andere Weise hochinteressanten Stadt, bevor wir die Rückreise mit dem FIR 108 nach Chop, Kosice, einem Zwischenstop zum Wandern im slowakischen Paradies und weiter mit dem Excelsior via Cheb antraten. Aber von diesen Streckenabschnitten und ihren (Nacht-) Zügen gibt es ja auf DSO so viele schöne Reiseberichte, sodass ihr keine weiteren Ergüsse von mir ertragen müsst. Benutzt doch einfach die Suchfunktion ;-)
Vielleicht noch ein kurzes Wort zu Transnistrien. Seit dem Regierungswechsel (auch wenn man nach wie vor unter russischem „Vormund“ steht, der halt einen Großteil der Party bezahlt) hat sich das Land geöffnet und Tiraspol ist eine sehr angenehme Stadt geworden Ich hatte schon bei meinem ersten Besuch vor drei Jahren einen recht positiven Eindruck, der sich noch weiter verbessert hat.
Allgemein sind die Leute dort (wie natürlich auch in Moldawien) sehr freundlich und aufgeschlossen und auch die Zeiten von schikanösen Grenzkontrollen und Schmiergeldforderung scheinen endgültig vorbei zu sein. Ich habe nur eine etwas abenteuerliche Geschichte gehört, die aber mit einer vergessenen bzw. unterlassenen Registrierung zusammenhing. Und das ist nirgendwo im Breitspurland eine gute Idee. Einen Nachteil hat die Demokratisierung jedoch auch: die Militärparade zum diesjährigen Nationalfeiertag sei nach Meldung eines Gewährsmannes eindeutig zu wenig martialisch gewesen :-((((
Bedanken möchte ich mich deshalb vor allen Dingen bei Andrej Smolenski, der uns vieles über sein Land und dessen Geschichte erzählt hat. Seine Führungen kann ich wirklich vorbehaltlos weiterempfehlen. Sie sind hochinformativ und sehr kurzweilig, wobei der Geführte eines im Hinterkopf behalten sollte: Andrej ist in seinem Hauptberuf Übersetzer im "Propagandaministerium" und einer der Menschen hinter Radio PMR. Man wird also nicht jedesmal zwingend eine objektive Ansicht der Dinge erhalten, aber das gibt er auch selbst freimütig zu.
Ich habe ihn einmal gefragt wie die Nationalbank eigentlich die negative Aussenhandelsbilanz des transnistrischen Rubels ausgleiche; irgendwie müssen ja trotz international nicht konvertierbarer Währung die Importe bezahlt werden. Bei solchen oder ähnlichen Fragen versuchte er immer dezent auszuweichen und vom Thema abzulenken. Seine Antwort auf die obige Frage war nach längerer Überlegung übrigens: "Das musst Du die Nationalbank selbst fragen".
Aber vielleicht komme ich gar nicht mehr dazu: im Februar wurde ein Gesetzentwurf über die Abschaffung des PMR- und Einführung des russischen Rubels ins Parlament eingebracht. Wer also noch einmal in einem Laden Wodka mit Geldscheinen (von den wunderschönen Alumünzen wollen wir hier erst gar nicht anfangen) auf denen das Unternehmen des Verkäufers abgebildet ist kaufen möchte, sollte vielleicht nicht mehr allzulange warten...
Gute Reise und ich hoffe der Bericht hat gefallen
Erik
P.S. Eigentlich sollte die Reise von Odessa aus noch von einem anderen "Woksal" weiterführen. Aber am Meeresbahnhof gab angesichts der Nachsaison keine Schiffe mehr zu den weiter entfernt liegenden Stränden, sondern es wurden nur noch Rundfahrten angeboten. Dazu hatten wir keine Lust, und gingen stattdessen einfach zu Fuß zum nächstgelegenen Lanzheronstrand wo dieses Fahrzeug am Zugang stand. Bislang war ich der Ansicht Gerard Depardieu sei neuerdings Russe oder Tschetschene. Aber da die Wohnung in Grosny gerade etwas unbewohnbar ist, scheint er gezwungen auf die Ukraine auszuweichen. Oder ist er bei Putin schon wieder in Ungnade gefallen? Fragen über Fragen...
Wie auch immer: aus dem Kofferraum dieses Wagens wurde direkt am Strand Wein aus den Toplagen der Depardieu´schen Güter für nur 5 Griwna pro Plastikbecher verkauft. Und da konnte ich einfach nicht widerstehen...
Sehr zum Wohle allerseits ;-)
Edit schliff den Text unendliche Male
Wer in Deutschland das öffentliche Eisenbahnwesen benutzt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren. (Karl Lagerfeld, dt. Modeschöpfer 1933 - 2019)
9-mal bearbeitet. Zuletzt am 2013:10:17:00:03:45.