Hallo zusammen,
hier nun der zweite Teil unseres Reiseberichts. Eines vorweg: heute wird es sehr, sehr off topic geht es doch vor allen Dingen um den eigentlichen Reisezweck, den Besuch des Eurovision Song Contests (ESC) welcher der Auslöser und somit das erste grosse Ziel der Reise war. Kurz: es gibt vor allen Dingen Bilder aus Baku und von einem kleinen touristischen Programm am Folgetag des ESC zu sehen. Wer durchhält bekommt am Ende als Bonus sogar noch ein paar Eisenbahnfotos.
Also nichts für Hardcorefuzzies, aber wer sich auf einen skurilen Tag dominiert von den Mächten des schlechten Geschmacks mit uns einlassen will, wird sich hoffentlich daran erfreuen. Auch war sicher der ein oder andere hier im Forum schon mal in Baku und hat so die Möglichkeit einen persönlichen Vergleich Vorher / Nachher zu ziehen. Und glaubt mir: es hat sich viel in Baku verändert! Um mit den unvergessenen Worten Walter Bockmayers zu sprechen: "Ich sag nur soviel, ich hab den Wahnsinn verbrochen, jetzt fängt es an!" Ach, den ersten Teil verpasst? Kein Problem: man klicke hier: [
www.drehscheibe-foren.de]
Also, wo waren wir stehen geblieben? Richtig bei der Ankunft in Baku am 26.07.2012. Dort wurden wir nach der Ankunft wie bereits beschrieben umgehend von freundlichstem Personal bemuttert, die einfach alles für uns erledigten. Auch bekamen wir einen riesigen Packen Papier mit Stadtplänen und sonstigen Infos über die Stadt in die Hand gedrückt. So ausgerüstet konnte es dann ja wohl losgehen.
Doch zuerst mussten wir noch zu unserer Unterkunft. Martin hatte über eine Bekannte die beim deutschen akademischen Austauschdienst in Baku arbeitete Kontakte vor Ort und so fand sich eine Studentin, die uns ihre Wohnung in einem Plattenbau etwa 5 Km ausserhalb überliess um mit ihrem Freund ans Meer zu fahren. Das war für beide Seiten ein gutes Geschäft, hatten doch auch die Hoteliers gemerkt, dass an diesen Tagen eine erhöhte Zahlungsbereitschaft potenzieller Touristen existierte; die Zimmerpreise begannen bei ca. 200 Euro pro Person! Diese Summe - die etwa einem halben Monatslohn entspricht - zahlten wir für das Wochenende und wir erhielten im Gegenzug Einblick in das Baku, welches uns Alijew jun. lieber nicht zeigen wollte.
Hier der Ausblick aus dem Fenster. Für die übrigen Bewohner waren wir übrigens die Attraktion des Wochenendes und sobald sich jemand von uns auf dem Hof blicken liess, waren wir von Kindern umringt, die laut "Eurovision" jubelten. Die Propagandaabteilung hatte mit ihrer Volksindoktrination, dass der ESC die grösste und spassigste Veranstaltung in Baku seit den Armenierpogromen 1990 sei, ganze Arbeit geleistet.
Nach der Schlüsselübergabe und einer ausführlichen Dusche waren wir dann gerüstet und fuhren mit der Metro in die Stadt. Die Metro übrigens funktioniert nicht mehr mit Plastikchips wie zu seligen Sowjetzeiten (Aserbeidschan wird lt. Aussage eines Taxifahrers das Dubai des Kaukasus), sondern man lädt Guthaben auf eine Plastikkarte und das Fahrgeld wird dann von einem Lesegerät abgebucht. Wieder beim Bahnhof angekommen gingen wir auf direktem Weg Richtung Uferpromenade, da wir noch einen kurzen und wichtigen Programmpunkt im Hafen vor dem Vergnügen zu erledigen hatten.
Dort haben wir nicht übernachtet.
Nebenan die Behörde für Wasserersparnis.
Na ja, unsere einzig seriöse Vorbereitung auf dieses Event (und damit auch auf Baku) waren halt die fantastischen Bakublogs der Herren Niggemeier und Heinser, für die ich ihnen bis an mein Lebensende dankbar sein werde. [
bakublog.tv] So "sozialisiert" ist es für uns Ehrensache gewesen - auch auf die Gefahr hin des billigen Plagiats bezichtigt zu werden - als Hommage an die beiden nur die ältesten, abgelutschtesten Witze und Kalauer sowohl vor Ort, als auch in diesem Reisebericht unterzubringen. Stefan und Lukas: für Euer Schaffen ein von ganzem Herzen kommendes: "Merci Baku"
Zu unserer Besorgung: die Schiffe nach Turkmenistan sind Eisenbahnfähren und verkehren ohne festen Fahrplan. Auch nehmen nicht alle Schiffe Passagiere mit und so mussten wir uns erst mal erkundigen, wann wohl die Möglichkeit bestünde nach Türkmenbashi überzusetzen, da unsere Transitvisa erst ab Dienstag galten. Nach etwas Suche fanden wir den "Schalter" (im Hafenempfangsgebäude gibt es ausser einem Restaurant nämlich gar nichts) in einer kleinen Hütte etwa 500 Meter entfernt und bekamen dort die Auskunft, dass das nächste Schiff am Montagnachmittag ablegen würde. Eine Reservierung sei zwar nicht möglich, aber wenn wir morgens um 10 da seien, wäre es kein Problem auf dem Schiff mitzukommen. Na, das hörte sich doch perfekt an und als wir auf dem Rückweg in einem Restaurant auf der Promenade erst mal das Mittagessen einnahmen, verliess im Hintergrund gerade eine Fähre den Hafen um auf Wochenendruhe vor Anker zu gehen.
Auf diese gute Nachricht ein erstes aserbeidschanisches Bier
Und dann gab es im Biergarten noch diesen Sendemast, dezent als Palme getarnt.
Gestärkt liefen wir entlang des kaspischen Meers Richtung Altstadt. Die Parkanlagen sind mit diversen Attraktionen wie Vergnügungsparks (warum sind wir eigentlich nicht Schiffschaukel gefahren?), Kiosken, Restaurants, Parkbänken und Wasserspielen ausgerüstet. Dieses Denkmal der staatlichen Humorplanungskommision war während unseres Aufenthalts das einzige Anzeichen für eine wie auch immer geartete Art von Ironie in Aserbeidschan.
Aber auch an die ESC-Touristen hatte man gedacht und eine Fanmeile eingerichtet. Das Bier des offiziellen ESC-Sponsors gab es - wenn auch im Plastikbecher - für nur einen Manat (ziemlich exakt 1 Euro) und auch für sonstige Unterhaltung jeder Art war von Brauereiseite gesorgt. Ja, es existieren auch solche Bilder von uns, aber ihr glaubt doch nicht allen Ernstes, dass ich diese hier zeige. Stattdessen findet sich jetzt dieser Jungaseri, der uns arglos bat ihn zu fotografieren bei DSO wieder ;-)
Auch die Tourismusinformation hatte an alles gedacht und diverse geführte Ausflüge zu touristischen Ausflugszielen rund um Baku angeboten, die sofort gebucht werden konnten. Warum im Hochsommer die Wintersportgebiete angepriesen wurden erschliesst sich erst auf den zweiten Blick auf das Bild rechts oben. Wer hat´s eröffnet? Der freundliche Herr für den wir interessiert die Karte studieren ist übrigens ein deutscher Fotograf, der im Auftrag der Sponsoren den Werbeerfolg dokumentieren sollte und uns ansprach, ob wir ihm nicht helfen könnten. Es sei heute noch niemand stehengeblieben und er bräuchte doch so dringend ein Foto mit Besuchern. Gern geschehen, quid pro quo :-)
Doch nun gegenüber in die Altstadt. Der Jungfrauenturm
Alle Gebäude waren auf Hochglanz poliert und sandgestrahlt.
Alte Hollywoodkulissen vor neuen Hollywoodkulissen
Aber hier ist was von der Verschönerungspolizei übersehen worden; finde den Fehler.
Kunst im öffentlichen Raum. Aus uns unerfindlichen Gründen heisst dieses Werk "The brain"
Die Metrostation am anderen Ende der Altstadt.
Ebenfalls mit Gesang vor dem Eingang, klang gar nicht mal schlecht. Und bei mehr als einem Beitrag abends haben wir ihn uns herbeigesehnt.
Und ein gemütlicher Präsidentenpalast.
Mal was generelles zur Architektur. Kam uns die saakashvilische Städteplanung Tiflis' vor, als sei der Initiant auf einem LSD Trip, konnte hier nur Kokain im Spiel sein. Grössenwahnsinnig verspiegelte Wolkenkratzer neben dummneoklassizistischen Gebäuden mit Baujahr 2011, die nicht mal ins Wien des 19. Jahrhunderts gepasst hätten standen einträchtig illuminiert nebeneinander. Geld schiesst zwar einer alten Fussballerweissheit zufolge keine Tore, doch es baut geschmacklose Städte. Doch bei all den pausenlos auf uns einstürmenden Eindrücken kamen wir gar nicht so schnell dazu darüber nachzudenken. Abgesehen davon wurde es langsam Abend und wir mussten wir doch noch unsere im Internet erworbenen Voucher gegen Tickets einlösen.
Zu diesem Zweck gab es ein Büro unweit des Palastes und dort erlebten wir eine grosse Überraschung. Wie bereits beschrieben galt für uns eher das Motto "Dabeisein ist alles" und so hatten wir die günstigsten Tickets bestellt. Bei der Einlösung gab es jedoch ein kleines Problem mit der Platzzuteilung und als der Angestellte seine Chefin um Hilfe bat, griff diese kurz zum Telefonhörer, bestellte in der ESC-Amtssprache Deutsch (die ganze ESC-Organisation wurde für eine Handvoll Petrodollars von der Fa. Brainpool erledigt) ein paar Plätze nebeneinander aus irgendeinem Sonderkontingent und überreichte uns dann mit den Worten "Jetzt haben sie wirklich gute Plätze" unsere Eintrittkarten. Aufdruck: Block 10, Row 2, Seat 8 - 12! Danke Anke!
Hier freut sich Herr Kopetschke über seine Zutrittsberechtigung. Beim ESC sitzen Sie in der zweiten Reihe.
Zufrieden warfen wir draussen noch einen Blick auf die Bucht (vorne übrigens die neuerbaute Standseilbahn) und begaben uns dann per ESC-Taxi (die Firma gehört lt. Aussage eines Fahrers irgendeinem Cousin des Herrn A. und er selbst sei nach der Zwangsverschrottung seines früheren Autos nun angestellt) zu unserem Domizil um noch eine Mütze Schlaf nachzuholen. Die Show begann um Mitternacht Ortszeit um für Mitteleuropa einen angemessenen Sendebeginn um 21 Uhr MESZ zu gewährleisten.
Gegen 22 Uhr war es dann soweit... Party for everybody! Nach einem erholsamen Schläfchen und Vorglühens mit aserbeidschanischen Wässerchen machten wir uns auf den Weg zur Crystal Hall und begleitet von hunderten Einheimischen schritten wir zum Taxistand. Die Plattenbauviertel hatten jedoch keine Londontaxis im ESC-Design zugeteilt bekommen, sondern lediglich ein paar alte Ladas aus den 70er Jahren warteten auf Kundschaft. Umso besser um stilvoll vorfahren zu können.
Schnell wurden wir uns handelseinig (die üblichen Taxis haben keine Taxameter, aber mittlerweile kannten wir ja den Preis) und beschwingt fuhren wir an der leerstehenden iranischen Botschaft vorbei - die Iraner hatten aus Protest gegen den ESC den Botschafter aus Baku abgezogen, hätten uns ja wenigstens dort übernachten lassen können - Richtung Zentrum. Bis wir an einer Strassensperre halten mussten. Kein Problem dachten wir, und kramten rasch unsere Eintrittskarten hervor. Doch die Staatsmacht zeigte sich unbeeindruckt: mit den Tickets sei ja alles schön und gut, aber nicht in diesem Fahrzeug. So mussten wir aussteigen, zahlten dem Fahrer den vereinbarten Preis (er konnte ja nichts dafür) und während wir noch rätselten wie wir nun weiterkommen sollten, hatte die Polizei schon ein neues, ESC konformes Transportmittel für uns auf der Strasse anhalten lassen, dem Fahrer die Anweisung erteilt uns schnellstens zur Veranstaltung zu bringen und schon gings weiter. Da kann die FIFA noch was lernen und der Cousin des Präsidenten will ja auch leben.
Vielleicht noch ein Wort zu den "Organen". Sämtliche öffentlichen Bediensteten verhielten sich uns gegenüber zwar distanziert, aber extrem zuvorkommend um uns Wünsche zu erfüllen, die wir noch gar nicht hatten. So wurde für uns u.a. auf einer stark befahrenen Strasse der Verkehr angehalten um sie passieren zu können, wir wurden aus der Schlange der Standseilbahn geholt und als erstes zur Kabine eskortiert usw. Von der Behandlung am Bahnhof sprach ich schon. Es muss definitiv die Order ausgegeben worden sein, dass ESC-Touristen für ein paar Tage alles dürfen und bekäme der Polizeiminister auch nur eine Klage über einen Untergebenen zu Ohren, lande der fehlbare Beamte umgehend im Lager. Frei nach dem Marquis von Posa: Geben Sie Narrenfreiheit, Sire! Uns kam das doch sehr entgegen: wann hat man mal die Gelegenheit die Staatsmacht eines autoritären Staates gegen ein Entgelt von nur 160 Euro drei Tage für sich tanzen zu lassen?
Dann waren wir da: vergesst alles, was ihr bislang über Gigantismus gehört habt. Die ganze Stadt war in alle denkbaren Farben getaucht, die nicht mehr grösste Fahne der Welt (aber immerhin ist sie noch die grösste aserbeidschanische Fahne der Welt) war majestätisch angestrahlt, die Flammentürme gefielen sich nicht nur in der Darstellung von Flammen, sondern auch eines fahnenschwenkenden (welche wohl?) Mannes und über der ufoartigen Crystal Hall schwebte ein hunderte Meter hoher Lichtkegel... Leni Riefenstahl und Albert Speer hätten ihre Freude gehabt. Wobei wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnten, dass es noch eine Stufe besser geht....
Das Taxi hielt auch nicht direkt vor dem Eingang, sondern alle Besucher wurden von einem zentralen Parkplatz über verschiedene Umwege mit mehreren Sicherheits- und Zugangskontrollen zum für sie vorgesehenen Eingang geleitet. So blieb Gelegenheit während des Fusswegs das ganze Ensemble hinreichend zu würdigen.
Die Sicherheitskontrollen hingegen konnten wir überlisten. Gemäss Zutrittsbedingungen waren politische Botschaften und Fahnen nichtteilnehmender Länder verboten... wir jedoch hatten beides in einem dabei :-) Zwar hatte ich nach dem Ausscheiden des entzückenden Liedes "Näg ja blundar" der noch entzückenderen Pernilla Karlsson (aber wer hat ihr denn dieses fürchterliche Kleid im Halbfinale verpasst? Und ihre hochgesteckte Frisur der Vorentscheidung hat mir auch besser gefallen!) im Halbfinale meine Finnlandfahne schweren Herzens daheim gelassen. Egal, kann man bei der nächsten Schärenkreuzfahrt oder der Rückeroberung Ostkareliens sicher nochmals brauchen.
Doch als alter Erzkatholik wollte ich mich natürlich nicht ohne seelischen Trost und Beistand in diese Hölle der degenerierten Dekadenz importierter Lustknaben begeben um nicht der Gefahr ewiger Verdammung anheimzufallen und entschied mich daher für die Mitnahme einer Vatikanfahne nicht ohne den Hintergedanken vielleicht auch den ein oder anderen verstockten Teilnehmer zur Umkehr und Läuterung zu bewegen. Auch dachte ich vor den Augen der Weltöffentlichkeit für die Teilnahme des Vatikans werben zu können. Das wäre doch mal ne Show :-)
Martin hingegen als Verfechter des klassischen Vielvölkerstaates war da pragmatischer und brachte angesichts der hohen Teilnehmerzahl aus mittlerweile unabhängigen Balkanstaaten einfach die gute alte Jugoslawienfahne mit rotem Stern (konnte man auch bei einem bekannten Forenausflug in einem ähem "Museum" kaufen) mit. Als wir hingegen unseren Platz (der sich dann doch nicht ganz in der absoluten zweiten Reihe befand, vor uns befand sich noch eine Zone für die akkreditierten Fanclubs) einnahmen, merkten wir dass noch jemand für die nötige Kulisse gesorgt hatte.
Die Planungskommision hatte nichts dem Zufall überlassen und so fanden wir ein umfangreiches Angebot an persönlich zugeteilten Memorablia und Winkelementen, sowohl des ESC als auch des aserbeidschanischen Staates vor. Zudem verteilten vor und während der Show permanent Mitarbeiter weitere Fahnen, womit sich Markus eine Griechenlandfahne erschnorren konnte und mit fortwährenden "Hellas" Rufen jeden Beitrag unterstützte. Meine Frau Manja blieb staatstragend beim Gastgeberland und so konnte der ESC beginnen. Ach ja: während der Show konnten wir noch Fahnen von Transnistrien und Abchasien erkennen :-)
Die Lümmel von der zweiten Bank.
In der zweiten sieht man besser. Der Blick auf die cutiest, prettiest, hottest babes in the competition. Exactly six of them :-)
Auch die spätere Siegerin war ganz in unserer Nähe.
Der Platz war einfach perfekt: wir hörten Engelbert (wenn mir vor einem Jahr jemand erzählt hätte ich würde einmal im Leben Engelbert live sehen und es würde mir auch noch gefallen, hätte ich diese Person in die geschlossene Anstalt einweisen lassen) auch ohne Mikro croonen, rochen die Plätzchen der Buranovskie Babushki und wenn die Phyrotechnik Flammen aufschiessen liess wurde es uns heiss im Gesicht. Auch hatten wir direkten Blick auf den Telepromter der Moderatoren, was angesichts der sehr hölzernen Ansagen erfrischend komisch war. Es fehlte nur die vorbereitete Textzeile: "And the winner in Aserbeidschan" ;-)
Kurz: es war der beste ESC meines Lebens den ich je live verfolgen durfte, wenngleich die Inszenierung dem Regime angemessen vollkommen steril , humor- und seelenlos war... wir vor Ort hatten einen Riesenspass. Nur eines war definitv unpassend; es gab nämlich in der Crystal Hall nichts zu trinken. An den Verkaufständen wurde lediglich Wasser und Red Bull angeboten. Angesichts der Tatsache dass der Hauptsponsor eine Brauerei war und die meisten Beiträge traditionell ohnehin nur im Suff zu ertragen sind, war das die einzigste Menschenrechtsverletzung die sich das System Alijew gegenüber uns erlaubt hat. Hier der Link für alle die sich's (nochmal?) ansehen wollen: [
www.eurovision.de] Nur uns sieht man nirgends, die Kamera hütete sich peinlich davor - vermutlich aus Angst doch ungenehme Transparente zu zeigen - irgendwo in die Menge zu halten.
Trotzdem waren wir sehr zufrieden und als wir um vier Uhr morgens die Veranstaltung verliessen sind wir zur Krönung einem Kamerateam des aserbeidschanischen Fernsehens in die Arme gelaufen, die uns nach einem Statement fragten. Die Antwort Martins war ebenso klar wie vorformuliert stereotyp: "Thank you Aserbeidschan, it was a great show..." Fragt mich bitte jedoch nicht, ob und wo dieser Beitrag gesendet wurde.
Sonntag: 27.05.2012
Nach dem ganzen Grand Prix Wahnsinn sollte es heute ein kulturell ernsthaftes Alternativprogramm geben. Südlich von Baku befinden sich etwa 300 der weltweit 700 aktiven Schlammvulkane, sowie die Felszeichnungen von Gobustan, welche zum Unesco Weltkulturerbe gehören und beide an einem Nachmittag erreichbar sind; wir waren ja erst gegen 5 Uhr morgens im Bett. Eine geführte Rundfahrt wurde auch an dem in der Fanmeile erwähnten Stand für 80 Manat p.P. angeboten doch bei diesem Preis nahmen wir das lieber selbst in die Hand. Auch vermerkte unser Reiseführer, dass man unbedingt mit dem Bus bis Gobustan fahren solle, da Bakuer Taxifahrer den Weg zu den Vulkanen nicht kennen.
Los gings daher mit der Marshrutka vom südlichen (zentralen?) Busbahnhof und nach längerer Wartezeit in der Hitze wurden wir nach etwa einer halben Stunde Fahrzeit an der Schnellstrasse herausgelassen. Dort gab es allerdings absolut gar nichts, sodass wir uns in den Ort bemühten. Die Idee war (die Querträger der Fahrleitungsmasten waren sichtbar), am Bahnhof ein Taxi aufzugabeln und damit die Besichtigung zu gestalten.
Am Bahnhof angekommen entpuppte sich dieser als taxifrei und so fragten wir als erstes den Fdl nach einer Möglichkeit eines zu organisieren. Er bat uns sofort herein und zeigte uns das Stellwerk, doch ehe er anfangen konnte Tee zu kochen erzählten wir ihm, dass wir nicht so viel Zeit für den Ausflug hätten... wir wären sonst nie mehr aus dem Büro gekommen. Jedenfalls schickte er uns dann zur Bahnhofswirtschaft, wo der Wirt schnell ein Besuchsprogramm für uns arrangierte.
Dieses sah vor, dass er uns ein Taxi rufe, wir die Vulkane, das Museum und die Felszeichnungen besuchen und anschliessend bei ihm zu Abend essen bevor wir um 18.47 die Elektritschka zurück nach Baku nehmen könnten. Das klang doch nach einem guten Plan und daher sagten wir zu. Er rief das Taxi an (der Taxifahrer entpuppte sich als sein Bruder oder sonst ein Verwandtschafter) und bat uns zur Überbrückung der Wartezeit auf ein Bier herein. Dazu gab's etwas getrockneten Fisch mit Brot sowie gesalzene Kichererbsen und glücklicherweise kam auch hier das Taxi recht schnell und rettete uns vor dem Versumpfen.
Eingang zur Bahnhofswirtschaft Gobustan
Biergarten der Bahnhofswirtschaft Gobustan
Beim Verlassen der Wirtschaft sahen wir dann die südfahrende Elektritschka aus Richtung Baku mit etwa 45 Minuten Verspätung hereinkommen. So entstand es das erste Eisenbahnfoto dieses Berichts.
In einem Schiguli machten wir uns dann auf der Piste auf den Weg zu den Schlammvulkanen. Die Strecke ist nur bei trockenem Wetter befahrbar und so mussten wir nach dem Gewitter der vergangenen zwei Nächte einmal aussteigen um Gewicht zu reduzieren. Aber schliesslich erreichten wir unser Ziel.
Wir spazierten etwas herum, doch nach kurzer Zeit drängte unser Taxifahrer zum Einsteigen was wir nicht verstanden und uns wunderten... hatten wir doch alle Zeit der Welt und den Ausflug auch eher zeitlich grosszügig angegangen. Dummerweise konnte er auch kein Russisch um uns den Grund für die Eile mitzuteilen. So stiegen wir dann etwas angesäuert wieder ein und fuhren weiter bis wir an diesen Bahnübergang in der nördlichen Ausfahrt des Bahnhofs Alyat gelangten, wo sich gerade die Schranken senkten. Was für uns ein Grund zu Freude war gefiel dem Fahrer gar nicht; trotzdem stiegen wir aus um einen Notschuss des von Süden kommenden Güterzugs zu machen.
Und den Schrankenposten nochmal in Ruhe im Detail; ich hätte schwören können die Schrankenwärterin gestern abend schon mal in einem anderen Outfit gesehen zu haben ;-)
Beherzt fuhren wir nun auf der Hauptstrasse wieder nach Norden und noch immer war uns nicht klar, was die Hetzerei sollte. Bis wir unterhalb des Felsens zum Museum kamen, wo wir bereits erwartet wurden und uns das Schild mit den Geschäftszeiten die Augen öffnete. Das Museum schliesst um 16 Uhr und mittlerweile war es fast 17.30. Nun war auch klar weshalb der Fahrer dauernd telefonierte; er hatte uns (vermutlich mit dem Verweis auf die angeordnete Sonderbehandlung für ESC Besucher) vorgemeldet, sodass wir das Museum noch im Schnelldurchgang besichtigen konnten.
Hier ein früher Vorfahre Alijews in vorbildlicher Führerpose.
Hurtig gings dann auf den Felsen mit den Malereien hinauf, da auch dort schon ein Mitarbeiter auf uns wartete um uns herumzuführen. In einem Reiseführer lasen wir vor dem Besuch, dass man die Felszeichnungen am besten mit Zahnpasta markieren solle um gute Bilder machen zu können. Wir verzichteten mit Rücksicht auf das Weltkulturerbe auf die Umsetzung.
Von hier gab es eine vorzügliche Aussicht
Im Hintergrund sieht man schon das Gewitter aufziehen, welches uns noch zum Verhängnis werden sollte. Deshalb und mit Rücksicht auf den Feierabend des Personals beschlossen wir zu gehen. Ein Blick auf die Uhr sagte uns, dass wir die Zeit ohnehin schon gut überzogen hatten und die Elektritschka wohl nur noch sehr knapp erreicht werden könnte. Auch die Fahrzeit vo etwa zwei Stunden per Zug zurück nach Baku war auch nicht gerade attraktiv, da wir mittlerweile doch ziemlich Hunger hatten. So machten wir dem Fahrer per Zeichensprache klar, dass wir nicht mehr zum Bahnhof, sondern besser zu einem Restaurant an der Hauptstrasse gebracht werden wollen. Und er fand ein hervorragendes Plätzchen, zwar war der Laden trocken und es gab kein Bier aber der findige Wirt organisierte nach diesem Prachtdinner noch ein Fläschchen Wodka zur Verdauung:
Zurück in Baku mussten wir uns erst mal umziehen, da wir beim Warten auf die Marshrutka an der Hauptstrasse im Gewitter erst mal klatschnass geworden waren. Martin, Markus und ich beschlossen zum Abschied noch einmal Baku bei Nacht ohne Menschenmassen zu besichtigen und begaben uns daher per Taxi in die Stadt. Die war nicht weniger imposant als am Abend zuvor und als wir am "Euroclub" vorbeikamen, wollte Martin unbedingt noch mal den Wirkungsort der Herren Niggemeier und Heinser besichtigen.
Vor dem Eingang stand eine grosse Menschenmenge an der wir uns aber entschlossen vorbeidrängten und einfach unkontrolliert hineingingen. Und so waren wir mit der Jeunesse dorée beim Nachkonzert des Pausenacts des Vorabends gelandet. Die Herren versammelten sich im Anzug und von bei den doch sehr jungen, aber ausgesprochen hübschen herausgeputzten Damen waren Abendkleid und Plateauschuhe mit mindestens 15cm Stilettos Pflicht; es gab nämlich einen besonderen Künstler zu bewundern. "Emin", dessen grösste Qualifikation für den Auftritt in der Verwandtschaft mit (wem denn wohl?, ja er ist der Schwiegersohn des Präsidenten) liegen dürfte, ist gestern beim ESC noch von der Decke geschwebt. Heute begnügte er sich heute mit einer einfachen Bühne und vermied es auch die aserbeidschanische Fahne zu küssen.
Erstaunlicherweise fielen wir in unseren normalen Klamotten gar nicht auf, aber noch galt ja die Ausnahmeregelung. Wir kauften ein Bier, schauten uns ein paar Lieder an und wollten eigentlich wieder gehen als wir am Ausgang an Ständen vorbeikamen, an denen violette ESC-Taschen verteilt wurden. Auf die Frage ob wir so eine Tasche als Souvenier haben könnten, wurden wir nach unseren Eintrittskarten gefragt. Sowas hatten wir zwar gar nicht, trotzdem erhielten wir (Parole Eurovision!) drei Taschen und als wir sie öffneten fanden wir die neue Emin CD "After the thunder" darin. Davon mussten wir noch ein paar haben! Schnell ein neues Bier bestellt und an einem anderen Stand gefragt... wieder gab es drei Exemplare.
Nach unserem dritten Bier leerte sich langsam die Halle und der Absatz geriet ins Stocken. So wurde das Verteilpersonal zusehends freigiebiger ("take some more") mit den Taschen. Man stelle sich vor den Angestellten wären welche übrig geblieben, wo sich das Volk doch sicher um die Sangeskunst des Präsidentenschwiegersohns reissen müsste... ich sage nur Arbeitslager! So gelang es uns immer mehr CD´s an Land zu ziehen, bis wir schliesslich mit 37 Exemplaren den Euroclub verliessen. Die CD´s zogen später noch eine Schneise der kulturellen Verwüstung durch Zentralasien, da wir sie bei jeder Gelegenheit als Willkommensgeschenk verteilten, aber das ist eine andere Geschichte. Hier der Gewinner des Wettbewerbs "Wer erhält die meisten Tüten" mit 9 Exemplaren :-)
Es sind übrigens immer noch welche bei uns daheim übrig, da die geplante Massenversteigerung bei Ebay völlig wirkungslos blieb... niemand will das Zeug haben. Daher noch ein kleines Rätsel: wer mir als erstes sagt, wie die "Behörde für Wasserersparnis" in Wirklichkeit heisst und warum ich sie in diesem Bericht so genannt habe, gewinnt eine Tasche mit einer CD und einem Orignal ESC-Duftbaum der Brauerei Xirdalan. Antworten bitte hier öffentlich im Forum geben.
So das war´s dann für heute. Ich hoffe Euch nicht allzusehr gelangweilt zu haben und verspreche im dritten Teil wieder mehr Eisenbahnbezug. Wir verabschieden uns von Euch aus der Crystal Hall in Baku, sagen "Aserivederci" und geben zurück in die angeschlossenen Funkhäuser.
Erik
Edit fügte ein Bild an und korrigierte noch ein paar (aber sicher nicht alle) Rechtschreibfehler.
2-mal bearbeitet. Zuletzt am 2012:07:17:08:44:47.