Samstag 3. September 2005
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| Bahnhof | Ankunft | Abfahrt | Zug |
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| Shanghai km 0 | | 16:19| T138/139 |
| Suzhou km 84 | 17:06| 17:10| |
| Wuxi km 126 | 17:33| 17:37| |
| Changzhou km 165 | 18:04| 18:08| |
| Nanjing km 303 | 19:25| 19:29| |
| Bengbu km 484 | 21:15| 21:23| |
| Zhengzhou km 998 | 02:10| 02:18| |
| Sanmenxia West km 1267 | 05:38| 05:44| |
| Weinan km 1453 | 07:56| 07:58| |
| Xian km 1509 | 08:39| | |
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Gegen 7 Uhr wache ich auf. Die Landschaft draussen sieht nun schon etwas anders aus als am Vortag. Der Zug fährt am Rande eines Tales, die Gegend ist recht hügelig und es geht auch durch einige Tunnels.
Die Benutzung des Steh-WCs (Sitz-WCs sind mir in chinesischen Zügen nicht untergekommen) ist durch eine Verstopfung übrigens nur erschwert möglich, denn da drin schwimmt schon alles mögliche. Die Gefahr, dass bei nicht vorhersehbaren Bewegungen des Waggons da was überschwappt ist zu gross...
Der Zug hat in der Nacht eine Verspätung aufgerissen, so kommen wir erst um 9:30 in Xian an.
Kurz vor Xian, schon im Stadtgebiet:
Bei der Einfahrt in den Bahnhof passieren wir das Lokdepot
Angesichts der modernen Loks kannn man kaum glauben, dass es 20 Jahre vorher in Xian noch so ausgesehen hat, wie auf diesen Bildern von Niek Opdam:
Allen, die sich für Damfloks oder ganz allgemein für die chinesische Eisenbahn anno 1985 interessieren, seien diese Berichte von Niek Opden nahegelegt:
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drehscheibe-online.ist-im-web.de]
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drehscheibe-online.ist-im-web.de]
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drehscheibe-online.ist-im-web.de]
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drehscheibe-online.ist-im-web.de]
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drehscheibe-online.ist-im-web.de]
Zurück ins Jahr 2005, unser Zug fährt gerade in Xian ein:
Wir bahnen uns den Weg in Richtung Bahnhofsvorplatz. Erste Priorität hat nun die Beschaffung von Fahrkarten für die Weiterfahrt nach Urumchi heute abend. Wir haben dafür Zug T197 irgendwann gegen 2 Uhr nachts auserkoren, um etwas mehr Zeit in Xian zu haben und trotzdem rechtzeitig am 5.9. morgens in Urumchi zu sein. Der Zug nach Alma-Ata, den wir dort erreichen müssen, fährt zwar erst am Abend ab, aber wir müssen die hinterlegten Fahrkarten tagsüber abholen.
Als „Chefeisenbahner“ der Gruppe übernehme ich gerne den Fahrkartenkauf, die anderen setzen sich derweil auf den Boden hin. Ich mache mich auf die Suche nach dem Fahrkartenschaltern und finde auch bald einen englischsprachigen (als „foreign ticket office“ gekennzeichnet). Ich muss ein paar Minuten anstellen.
Bald komme ich dran und kaufe unsere Fahrkarten nach Urumchi. Als ich zurückkomme, kann ich dann meinen Freunden voll Freude verkünden, dass wir gerade sehr viel Geld gespart haben. Statt ca. 750 Juan pro Person, wie ich anhand der Angaben im Kursbuch berechnet habe, sind es nur 135 Juan geworden...
Meine Freunde ahnen natürlich schon was das bedeutet: Zwei Nächte und einen Tag im Hardseater!!!
Tja, die Ahnung ist richtig. Eigentlich wollten wir uns für diese lange Strecke sogar Softsleeper leisten. Aber im T197 hätte es gar nur mehr Hardseater ohne Platzreservierung gegeben (also Stehplatz), im 1043 gab es aber immerhin noch Sitzplätze mit Platzreservierung. Der 1043 fährt bereits um 18:35 in Xian weg, ist aber langsamer und kommt nur eine Stunde vor T197 um 8:20 in Urumchi an.
Also nun statt 4er-Schlafwagen in einem T-Zug Sitzwagen in einem buchstabenlosen Zug unterster Kategorie (in dem auch Sitzwagen nur halb so viel kostet wie Sitzwagen in einem T-Zug...). Na, das kann ja heiter werden...
Hier die Fahrkarte:
13,5 Euro für 2568 Kilometer ist auch nicht übel – fast so gut wie ein Citystar-Ticket von der Slowakei nach Vladivostok und zurück, allerdings kann man erstere Fahrkarte auch tatsächlich ohne weitere Zuschläge verwenden...
Wir nehmen die Situation mit etwas Galgenhumor auf. Wir haben schon öfter spasseshalber über mögliche Sitzwagenfahrten gewitzelt, jetzt wird es Realität...
Aber mehr dazu später. Da wir nun Xian schon nach 9 Stunden Aufenthalt wieder verlassen müssen, dürfen wir nicht viel Zeit verlieren. Zweck unseres Zwischenhaltes in Xian ist ja die Terrakotta-Armee, die sich ca. 50 Kilometer westlich von Xian befindet. Dorthin wollen wir aber nicht mit dem ganzen Gepäck, ausserdem wollen wir uns sowieso für tagsüber ein Zimmer nehmen.
Gleich im Bahnhof gibt es ein Hotel mit laut Preisliste sehr günstigen Tarifen. Aber dort will man uns offenbar nicht nehmen. Keine Ahnung warum.
Also wollen wir es bei einer Jugendherberge versuchen. Mit einem Taxi fahren wir ins Stadtzentrum, wo sich gleich am zentralen Platz mit dem Glockenturm eine Jugendherberge befindet.
Dort nehmen wir uns ein Zimmer für tagsüber und deponieren unser Gepäck.
Weil es schnell gehen soll, versuchen wir nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Terrakotta-Armee zu kommen, sondern nehmen ein Taxi. Nachdem wir den Stadtverkehr hinter uns gelassen haben, fahren wir über die mautpflichtige Autobahn Richtung Westen. Eine Autobahn wie bei uns, mit dem kleinen Unterschied, dass auf dem Pannenstreifen alle paar hundert Meter Verkaufsstände herumstehen, an denen alles mögliche verkauft wird...
Wir kommen aber trotz allem heil an. Während unser Fahrer wartet, besichtigen wir die Terrakotta-Armee, wobei ein spezielles "Schnellbesichtigungsverfahren" zur Anwendung kommt....
Bei der Terrakotta-Armee handelt es sich um 7000 lebensgrosse Tonfiguren, die im 3 Jahrhundert vor Christi Geburt als Grabbeigabe für Kaiser Qin Shihuangdi entstanden sind und erst 1974 entdeckt wurden.
Siehe [
de.wikipedia.org]
Wir kaufen noch ein paar Mini-Terrakotta-Figuren als Souvenir ein, dann geht es zurück nach Xian zur Jugendherberge.
Dort nutzen wir noch die Duschgelegenheit und essen in der zur Jugendherberge gehörenden Gaststätte noch – zur Abwechslung mal – eine Pizza...
Danach machen wir uns mit dem Taxi auf den Weg zum Bahnhof.
Noch schnell ein Foto vom Glockenturm:
Wir sind gegen 17:30, also eine guite Stunde vor der Abfahrt am Bahnhof. Der Bahnhof liegt knapp ausserhalb der die annähernd quadratische Innenstadt umgebenden Stadtmauer.
Das gleiche Bild wie in Peking – unzählige Wartende vor dem Bahnhof.
Wir gehen zum Warteraum für Zug 1043, und als wir diesen betreten, sind auf einmal ein paar Hundert Augenpaare auf uns gerichtet. Wir sind die einzigen Ausländer in diesem Zug und fallen natürlich sofort auf. Mit unseren Rucksäcken wirken wir wahrscheinlich auf die anderen Fahrgäste wie frisch vom Mars gelandet...
Der Warteraum – mittlerweile haben sich die Chinesen schon an unseren Anblick gewöhnt.
Eine halbe Stunde vor der Abfahrt werden dann die den Zutritt zum Fussgängerübergang abschliessenden Zugänge geöffnet. Chaotische Zustände brechen aus, jeder der sicher 1000 Fahrgäste will offenbar der erste sein. Manche überklettern sogar die Absperrungen. Wir lassen uns aber Zeit und haben keinen Stress.
Irgendwann kommen wir auch dran und gehen dann über die Überführung zum Zug. Blick auf die Bahnsteige:
Wir suchen und finden unseren Waggon. Dort sind natürlich schon massenhaft Leute, aber wir schaffen es einzusteigen und uns den Weg zu unseren Plätzen zu bahnen. Das alles natürlich unter sehr interessierten Blicken der anderen „normalen“ Fahrgäste. Dann dürfen wir uns auch noch um die Plätze streiten, bis sich herausstellt, dass wir im falschen Waggon sind. Die Anzeige an der Tür stimmt anscheinend nicht oder gilt für den nächsten Waggon. Als ab in den nächsten Waggon, dort dasselbe Theater. Irgendwann gelingt es uns aber, unsere Plätze zu besetzen und auch noch Stauraum für unser Gepäck zu finden.
Leider habe ich von diesen chaotischen Zuständen kein Foto, aber ich wollte durch das Auspacken des Fotoapparates nicht noch mehr auffallen, als es ohnehin schon der Fall war. Daher muss ich mich auf eine verbale Beschreibung beschränken. Es handelt sich um einen Grossraumsitzwagen mit Sitzteilung 2+3 in Vis-a-vis-Bestuhlung. Bei jedem Fenster gibt es einen kleinen Tisch. Insgesamt ist der Waggon für 110 Fahrgäste oder so konzipiert. Die Fenster sind umgekehrte Halbfenster, d.h. man kann die untere Hälfte öffnen.
Mit ein paar Minuten Verspätung fahren wir schliesslich in Xian ab. 2568 km Strecke und knapp 38 Stunden Fahrt liegen bis Urumchi vor uns:
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| Bahnhof | Ankunft | Abfahrt | Zug |
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| Xian km 0 | | 18:35| 1043 |
| Xianyang km 23 | 18:53| 18:56| |
| Wugong km 73 | 19:30| 19:32| |
| Caijiapo km 130 | 20:11| 20:13| |
| Baoji km 173 | 20:48| 20:56| |
| Tianshui km 328 | 22:35| 22:41| |
| Gangu km 395 | 23:32| 23:34| |
| Longxi km 474 | 00:29| 00:31| |
| Dingxi km 558 | 01:32| 01:34| |
| Lanzhou km 676 | 03:20| 03:29| |
| Wuwei Nan km 966 | 08:35| 09:05| |
| Wuwei km 979 | 09:19| 09:21| |
| Jinchang km 1053 | 10:15| 10:17| |
| Shandan km 1170 | 12:00| 12:02| |
| Zhangye km 1223 | 12:40| 12:42| |
| Quingshu km 1360 | 14:09| 14:11| |
| Jiuquan km 1424 | 15:00| 15:02| |
| Juayuguan km 1446 | 15:26| 15:36| |
| Yumen km 1479 | 16:17| 16:20| |
| Diwopu km 1556 | 17:22| 17:24| |
| Shulehe km 1601 | 18:31| 18:37| |
| Dunhuang km 1743 | 20:43| 20:51| |
| Hami km 2015 | 00:19| 00:34| |
| Liushuquan km 2074 | 01:26| 01:29| |
| Shanshan km 2285 | 03:53| 03:59| |
| Qiquanhu km 2372 | 05:01| 05:04| |
| Turpan km 2425 | 06:05| 06:12| |
| Urumqi km 2568 | 08:20| | |
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Durch den Fahrtwind wird es bald etwas erträglicher, aber mit der Vorstellung, eineinhalb Tage in diesem Waggon zu verbringen, kann ich mich trotzdem noch nicht ganz anfreunden. Tagsüber wäre es kein Problem, aber mir fällt keine einigermassen bequeme Stellung ein, die einen guten Schlaf zulassen würde. Ich habe zwar schon einige Sitzwagennachtfahrten hinter mir, aber de facto keine guten Erinnerungen daran – auch nicht in irgendwelchen liegesesselartigen Dingern. Nur in einem Abteil mit maximal drei Leuten geht es einigermassen, wenn man die Sitze ausziehen kann.
Aber in diesem Yingzuoche-Waggon kann man natürlich keine Sitze ausziehen und man hätte ohnehin nichts davon, denn der Zug ist voll.
Aber noch ist es ehr zu früh zum Schlafen, auch wenn es draussen schon finster ist. Für die Chinesen sind wir natürlich die Sensation im Waggon und sie sind alle sehr freundlich und versuchem mit uns ins Gespräch zu kommen. Leider ist das aus sprachlichen Gründen sehr schwierig, nur einer kann ein paar Fragmente Englisch und mit unserem Sprachführer-Chinesisch ist es auch nicht allzu weit her...
An den folgenden Stationen, wie z.B. hier in Baoji...
...steigen immer mehr Leute zu, aber kaum welche aus. Der Auslastungsgrad steigt daher auf ca. 120 Prozent oder mehr.
Viele Leute sitzen einfach am Boden, beim Gang oder im Einstiegsbereich. Manche haben sich schon unter den Sitzen am Boden schlafen gelegt. Der Gang ist mit stehenden, sitzenden oder liegenden Fahrgästen und deren Gepäck teilweise so voll, dass man kaum mehr durchkommt. Auch wer zum Klo will, muss da etwas hartnäckig sein.
So schlimm, dass zu Massnahmen wie in diesem Link (http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID5183852_TYP6_THE5193740_NAV_REF_BAB,00.html) gegriffen werden muss, ist es aber dann doch nicht...
Aber egal wie voll der Zug auch ist, die Minibar aus dem Speisewagen kommt immer durch. Die Mitarbeiterein ist da gnadenlos, wer nicht das Feld räumt, der kann sich was anhören und es wird einfach mit dem Wagerl gedrückt, bis es irgendwie dann doch geht.
Einen kleinen Hoffnungsschimmer auf eine gute Nacht haben wir aber noch. In der Jugendherberge haben wir uns nämlich die Frage nach einem Schlafwagen-Upgrade auf chinesisch aufschreiben lassen.
Und irgendwann kommt dann tatsächlich so etwas wie der Zugchef durch den Zug, erkennbar an der etwas „wichtiger“ aussehenden Uniform. Ihm halten wir diesen Zettel vor die Nase:
Zu 100% kann er unseren Wunsch nicht erfüllen. Es gelingt ihm, uns irgendwie verständlich zu machen, dass es für heute Nacht nur zwei freie Plätze im Schlafwagen gibt, erst am nächsten Tag werden zwei weitere Plätze frei. Die Frage, was wir nun tun, ist schnell geklärt. Denn Veronika und Anja wollen freiwillig auf den Platz im Schlafwagen verzichten. Die beiden sind etwas auf dem Spartrip und finden es im Sitzwagen gar nicht so unbequem. Ausserdem sei das origineller und interessanter...
Florian und ich lassen uns das natürlich nicht zweimal sagen und kaufen die Upgrade-Tickets. Der Zugchef druckt die Upgrade-Tickets mit seinem „Gameboy“ auf der Stelle aus:
Kostenpunkt: 323 Juan
So, nun haben wir zwar einen Schlafwagenplatz, aber wir müssen ja noch irgendwie von Waggon 16 in den Waggon 8 kommen. Das ist angesichts des Auslastungsgrades alles andere als einfach. Wir nehmen daher nur das allernötigste mit und lassen die grossen Rucksäcke bei Veronika und Anja.
Trotzdem brauchen wir sicher 20 Minuten bis wir uns durch 6 Sitzwagen zum Speisewagen gekämpft haben. Wir müssen über viele Leute und allerlei Gepäck drüberklettern. In manchen Waggons ist es weniger schlimm, manche sind echt bummvoll... und überall starrt man uns wie Ausserirdische an... ;-)
Unser Waggon ist gleich neben dem Speisewagen und nachdem wir der Schaffnerin unsere Upgrade-Tickets gezeigt haben, dürfen wir in unser Abteil, wo noch zwei Betten frei sind. Die anderen zwei werden von zwei chinesischen Geschäftsleuten belegt.
Ich lege mich bald hin und geniesse dann doch noch einen schon nicht mehr erwarteten ruhigen Schlaf in einem normalen Bett mit richtiger Bettwäsche...
3-mal bearbeitet. Zuletzt am 2006:12:05:11:44:04.