Liebe Freund der historischen Eisenbahn,
nachdem zu diesem Thema in den letzten Tagen einige sehr schöne Fotos und auch ein paar z. T. jedoch sehr spekulative Textbeiträge hier gepostet wurden, möchte ich nun auch meinen „Senf“ dazugeben.
Das Industriestammgleis der Gemeinde Neuenmarkt entstand als Kind des sog. „Leberplans“. Im März 1972 beschloss der Gemeinderat Neuenmarkt dessen Bau und bereits am 16. November 1972 wurde es feierlich in seiner gesamten Länge eingeweiht. Bauausführendes Unternahmen war die Firma Wilhelm Markgraf aus Bayreuth. Am Einweihungstag verkehrte ein Sonder-„Zug“ von Gleis1 des Bahnhofs Neuenmarkt-Wirsberg bis zum Gleisende, kurz vor der Staatsstraße Neuenmarkt – Trebgast, wo das Gleis an einem Prellbock endete. Der Zug wurde auf der „Hinfahrt“ gezogen von einer Bayreuther 211, einem roten Gesellschaftswagen für die örtliche, regionale und überregionale Prominenz einschließlich Vertretern der DB und einem leeren gedeckten Güterwagen als “Pseudo-Fracht“.
Wie im beiliegenden Plan zu sehen, zweigte es am Ladegleis des Bahnhofs mit einer Rechtsweiche ab. Vorweg: so richtig „zum Laufen“ kam es eigentlich nie und heute ist es gesperrt und nicht mehr befahrbar wegen diverser Spurerweiterungen.
Anschließer von Beginn an waren:
- die Speckstein und Talkumwerke Angermann und Co.
- die Firma Metzeler Gummitechnik, Werk Getefo, auf deren Initiative hin der Gemeinderat aktiv wurde,
- die Firma ABM Baumüller (Hersteller von Elektromotoren) am Gleisende, ohne separate Weiche, nur eine betonierte Platte.
Etwa 1980 kam hinzu:
- der Landhandel BayWa
Der Anschluss ABM wurde von dieser Firma praktisch nicht genutzt.
Anfang der 1980er Jahre wurde auf einer gegenüber liegenden Freifläche dort ein Sägewerk angesiedelt, das dieses Anschluss nunmehr sporadisch nutzte. Der Anschluss Metzeler wurde auch so gut wie nie benutzt. Die Firma Angermann ging ca. 1980 pleite. Bis dahin versendete sie ihre Produkte (Talkummehl, das aus Speckstein gewonnen wurde, welcher bergmännisch in ein einer Grube oberhalb von Wirsberg gebrochen wurde und mit einer 500 mm Grubenbahn zu Tage gefördert wurde) als Sackware in diversen Schiebewandwagen (Hbis) und als lose Ware in kugelförmigen Haus- zu Haus-Behältertragwagen (ich bin kein Wagenexperte!).
Das Agl. lag übrigens in einem engen Bogen (R = 100) und es musste vor Bedienung darauf geachtet werden, die Kupplungen ganz aufzudrehen, um dort auch entkuppeln zu können.
Die Baywa erhielt u. a. Düngetorf in Ballen auf Rungenwagen und Kohle für den Hausbrand in Schüttgutwagen (Fc, Fz), im Frühjahr Düngemittel im Empfang und im Herbst im Versand Getreide in geschlossenen Schüttgutwagen (Td).
Das Sägewerk erhielt ab und an Stämme auf Vierachser Rungenwagen, an Versand kann ich mich nicht erinnern.
Die Bedienung übernahm die Neuenmarkter Rangierlok V 60 (260) und zwar die Zustellung am Morgen von 7:33 bis 7:39 und die Abholung am Nachmittag von 17:20 Uhr bis 17:25 Uhr. Die Zeiten gelten für einen angenommenen Durchschnitt von 1 Wagen/Tag und sind dafür eigentlich viel zu knapp bemessen - ein Anzeichen dafür, dass sogar dieser geringe Durchschnittswert noch zu hoch ist.
Die Wagen für Angermann, Baywa, Getefo (normale Gbs) wurden auf der „Hinfahrt“ gezogen, die Wagen für ABM (Gbs? – ich habe dort nie einen Wagen gesehen) geschoben, denn ein Umfahrgleis gab es nicht. Rückfahrt entsprechend umgekehrt.
Das Sägewerk ging ca. 1982 pleite. An seiner Stelle entstand etwas später ein großer Logistikpark, der den Gleisanschluss auf insges. 4 Gleise erweiterte (eines davon das urspr. Agl. ABM) und auch umfangreichen Verkehr abwickelte. Bis in 2002 MORA C zuschlug.
Bis ca. 2010 wurde die Firma dann durch die kurzlebige Regental-Cargo aus Neuenmarkt mit Containerganzzügen über Hof zu den Nordseehäfen bedient, ca. 2 mal die Woche (Ladegut Tabak und Tabakwaren), Zuglok u. a. diverse MAK Bauarten, Siemens ER 20, alle in blau-weißer Lackierung, aber auch durch Loks der Press, wie beiliegendes Foto von Roland Fraas vom September 2009 zeigt. Das ist jetzt auch vorbei und die Firma betreibt ca. 200 Lkw.
Die Anschlussgleise Angermann, BayWa und Getefo wurden spätestens mit MORA C aufgegeben, die Anschlussweiche BayWa z. B. im Jahr 2008 ausgebaut, der Anschluss Logistikpark Gammisch ist auch unbefahrbar aufgrund diverser Rückbauten im Werksgeländegemacht worden.
Anbei auch ein schlechtes Foto von mir von der letzten Bedienung des Sägewerks, mehr Fotos vom Betrieb auf dem Stammgleis habe ich leider nicht.
Freundliche Grüße aus dem Eisenbahnerdorf am Fuße der Schiefen Ebene
Jürgen Goller
Das Foto entstand am Videoüberwachten Zufahrtstor, rechts das Gleis Richtung Streckenende kurz vor der Staatstraße