Liebe HiFo-Leser,
leider ist die Sommerpause beruflich und familiär bedingt viel länger ausgefallen als ursprünglich geplant. Jetzt geht es aber weiter mit meiner Serie über die Eisenbahnen auf Taiwan und ich freue mich, dass ihr wieder mit dabei seid auf dem nächsten Reiseabschnitt über die Insel mit den vielen Bergen. In den letzten Berichten haben wir die umfangreichen Waldbahnen besichtigt, nun wird es zuckersüß, denn heute reisen wir zu den Zuckerrohrbahnen auf Taiwan. Vorab an dieser Stelle schon einmal vielen Dank an Heino Vogel, der mir einige Informationen und Bilder zu den Zuckerbahnen zur Verfügung gestellt hat. Im ersten Teil schauen wir erst einmal ein bisschen auf die Geschichte der Zuckerbahnen auf Taiwan, die zu Blütezeiten ein Netz von über 3.000km betrieben. In einem Folgebeitrag werfen wir dann ein Blick auf das rollende Material, u.a. viele Dampfloks von O&K und Henschel sowie knapp 100 Dieselloks von Diema. Hier zur besseren Übersicht nochmal unser Reiseplan:
0. Prolog
1. Geographie Taiwans
2. Geschichte Taiwans
3. Geschichte der Eisenbahn
3.1 Die erste Eisenbahn auf Taiwan (1877 – 1893)
3.2 Vollendung der Stammlinie (1895 – 1908)
3.3 Expansion und erste Rückschläge (1909 – 1937)
3.4 Die Eisenbahn im Krieg (1937 – 1945)
3.5 Der mühsame Wiederaufbau (1945 – 1958)
3.6 Ringschluss, Elektrifizierung sowie Niedergang der Nebenbahnen und des Güterverkehrs (1959 – 1991)
3.7 HGV, Pendlerverkehr und Metrolinien (1992 – heute)
3.8 Aktueller Zustand/Betrieb der TRA
3.9 Aktueller Zustand/Betrieb der THSCR
4. Eisenbahnstrecken auf Taiwan
4.1 Staatsbahn (TRA)
4.2 THSRC (Taiwan High Speed Rail Corporation)
4.3 Streckenportraits der Staatsbahnstrecken
4.4 Übersicht der Metrosysteme auf Taiwan
4.5 Geplante Strecken auf Taiwan
5. Rollendes Material
5.1 Dampflokomotiven
5.1.1 Tenderlokomotiven (1.067mm)
5.1.2 Schlepptenderlokomotiven (1.067mm)
5.1.3 Dampflokomotiven der Taitung-Linie (762mm)
5.2 Diesellokomotiven
5.2.1 Diesel-hydraulische Lokomotiven (1.067mm)
5.2.2 Diesel-elektrische (Strecken-)Lokomotiven (1.067mm)
5.2.3 Diesel-elektrische (Rangier-)Lokomotiven (1.067mm)
5.2.4 Kleinlokomotiven/Schienentraktoren (1.067mm)
5.2.5 Diesellokomotiven der Taitung Line (762mm)
5.3 Elektrolokomotiven
5.4 Triebwagen
5.4.1 Dampftriebwagen
5.4.2 Benzoltriebwagen
5.4.3 Dieseltriebwagen
5.4.4 Triebwagen der Taitung Line (762mm)
5.4.5 Elektrotriebwagen
6. Weitere Bahnen auf Taiwan
6.1 Waldbahnen auf Taiwan
6.2 Alishan Forest Railway
6.2.1 Geschichte
6.2.2 Strecken
6.2.3 Rollendes Material
6.3 Zuckerrohrbahnen auf Taiwan
6.3.1 Geschichte
6.3.2 Rollendes Material
6.4 Sonstige (Klein)Bahnen auf Taiwan
6.4.1 „Push cart lines“
6.4.2 Minenbahnen
6.4.3 Salzbahnen
6.3 Zuckerrohrbahnen auf Taiwan
6.3.1 Geschichte
Vielen Menschen ist es unbekannt, aber Taiwan war lange der weltweit viertgrößte Zuckerproduzent hinter Indien, Kuba und Indonesien. Rohrzucker spielte einst eine wichtige Rolle in Taiwans Wirtschaftswunder im 20. Jahrhundert, aber die Geschichte des Zuckers auf Taiwan begann schon viel früher. Spätestens im 17. Jahrhundert unter der kurzen niederländischen Herrschaft gelangte Zuckerrohr, das keine heimische Kulturpflanze auf Taiwan war, auf die Insel. Erste Berichte über eine Zuckerrohrmühle, die niederländische Vorbilder auf Indonesien hatte, gibt es ebenfalls aus Zeiten der Ming-Dynastie. Der gewonnene Zucker wurde damals schon nach Japan verkauft. Die Mengen blieben aber über Jahrhunderte auf überschaubarem Niveau. Erst durch die japanische Besatzung 1895 kam Schwung in den Zuckeranbau. Durch den Sieg im Russisch-Japanischen Krieg kam es zu einem Wirtschaftsaufschwung in Japan und die Essensgewohnheiten änderten sich. Zucker war seinerzeit bereits das fünftgrößte Importprodukt Japans und der Wunsch der Regierung nach einheimischer Abdeckung des Bedarfs stieg. Da kam der neue Besitz Taiwans gerade recht.
Die Regierung arbeitete einen detaillierten Plan zur Industrialisierung der Zuckerproduktion auf Taiwan aus. Große Flächen der Insel vor allem im Süden und Westen wurden für den Zuckerrohranbau freigegeben und der Bau großer, mit Dampfmaschinen betriebener Zuckermühlen gefördert. Die Regierung trat allerdings nicht als Investor auf, sondern vergab Lizenzen an Privatunternehmen verbunden mit strengen Regulierungen (u.a. später auch für die einheitliche Spurweite von 762mm für die Zuckerrohrbahnen). So gründeten sich rund um die Jahrhundertwende mehrere große Unternehmen und begannen mit dem großflächigen Anbau von Zuckerrohr und der industriellen Zuckerproduktion. Die erste industrielle Zuckermühle entstand 1901 in Qiaotou (nördlicher Stadtrand von Kaohsiung), bis 1915 wuchs die Anzahl auf 35 Zuckermühlen unter Führung von insgesamt 13 Firmen.
Spätestens ab Beginn der 1930er-Jahre erhielt die Zuckerindustrie auch eine militärstrategische Bedeutung. Der Krieg gegen China begann bereits 1937 und die Pläne für eine weitere Machtexpansion des Japanischen Kaiserreichs lagen schon längst in den Schubladen. Da es in Japan selbst als auch in den von Japan besetzten Gebieten (Taiwan, Korea, Mandschurei) nur wenige bis keine Erdölvorräte gab, wurde die Gewinnung von Ethanol für Verbrennungsmotoren insbesondere in Kampfflugzeugen extrem wichtig. So erhielt die Zuckerindustrie auf Taiwan nochmals einen kräftigen Schub, zudem forcierte die Regierung Fusionen und Übernahmen, so dass es 1939 auf Taiwan 43 Zuckermühlen in den Händen von acht Firmen gab, 94% der Zuckerproduktion (und der angeschlossenen Produktion von Ethanol) lagen in den Händen der vier größten Firmen Enshuiko, Meiji, Dai Nippon/Nitto Kogyo und Taiwan/Formosa Sugar Company (letztere ist nicht zu verwechseln mit der staatlichen Taiwan Sugar Corporation TSC, die erst 1949 entstand). Die Zuckermühlen konzentrierten sich auf die fruchtbaren Ebenen an der südlichen Westküste, an der Ostküste gab es lediglich vier Zuckermühlen und nur eine in Puli im Inland (die übrigens als einzige Zuckermühle ein Netz abweichend in 610mm Spurweite betrieb). Die Nebenprodukte des Zuckerherstellungsprozesses (Extraktion, Kochen und Kristallisation) wie feuchte Bagasse und Melasse wurden in Kraftstoff, Papier oder organischen Dünger umgewandelt und ebenfalls teilweise exportiert.
Während die Japaner ab 1906 in den dicht bewaldeten Bergen nach und nach zahlreiche Waldbahnen errichten, begann gleichzeitig auch bei den einzelnen Zuckermühlen das Bahnzeitalter. Die 1901 gegründete Zuckerfabrik in Qiaotou nahe Kaohsiung legte 1906 als erste Zuckerfabrik auf Taiwan Schienen mit 762mm Spurweite in die umliegenden Felder, der Betrieb erfolgte aber zunächst noch per Hand oder Wasserbüffeln. Aber bereits ein Jahr später wurden die ersten Dampflokomotiven eingesetzt. Es handelte sich um drei Satteltankloks von Porter aus den USA mit Achsfolge 0-4-0ST bzw. 0-6-0ST (Fabriknummern 3832 – 3834). Am 20. Mai 1909 führte dann mit der Zuckerfabrik in Xinying die erste Zuckerbahn auch fahrplanmäßigen Personenverkehr auf ihren Gleisen durch, nachdem es bereits schon 1908 öffentlichen Verkehr auf den Zuckerrohrbahnen gab. Das Netz entwickelte sich rasant: 1908 hatten fünf Firmen schon 320km in Betrieb (davon 140km mit öffentlichem Verkehr) und 240km in Bau/Planung.
Die einzelnen Zuckermühlen und Firmen bauten ihre Netze unabhängig voneinander, das Grundprinzip war aber meistens gleich. Die Schienen erschlossen meist sternförmig ausgehend von den Zuckermühlen das Umland, um das geerntete Zuckerrohr in die Fabriken zu bringen. Gezogen wurden die Waggons anfangs meist durch Menschen oder Wasserbüffel. Darüber hinaus hatten die Mühlen aber auch Anschlussbahnen an das Netz der Staatsbahn (meist in 1.067mm Spurweite) oder den nächsten Hafen, um die fertigen Zuckerprodukte zu exportieren. Hier wurden meist von Anfang an Lokomotiven eingesetzt, nach und nach erfolgte das aber auch auf den Strecken in die Felder. Von dort zweigten oft recht lose, meist fliegend verlegte und sehr kurze Gleise in die Felder. Hier wurden wenn überhaupt nur sehr kleine Loks mit einem Gewicht von max. 3t eingesetzt. Auf vielen Strecken wurde auch sehr umfangreicher öffentlicher Personen- und Güterverkehr angeboten. Während die Staatsbahn die Insel nur sehr weiträumig erschloss, spielten die Zuckerrohrbahnen eine extrem wichtige Rolle bei der feinmaschigen Verkehrserschließung der Insel. Ob die Firmen aufgrund der staatlich vergebenen Lizenzen zum öffentlichen Betrieb „verdonnert“ waren oder ob sie dies aus Eigennutz zur besseren Auslastung der Bahnen betrieben (die Strecken und Lokomotiven waren nur in den wenigen Monaten zur Erntezeit voll ausgelastet, den Rest des Jahres lagen sie sonst weitgehend brach), ist unklar. Vermutlich war es eine Mischung aus beidem. Die Bedeutung ist aber nicht zu unterschätzen. So beförderte Meiji auf seinem Netz im Jahre 1922 760.000 Fahrgäste und 59.000t Güter ohne Zuckerbezug, von den 30 eingesetzten Dampfloks bei Meiji waren 14 fast ausschließlich im öffentlichen Verkehr eingesetzt. Auch vier weitere Zuckerfirmen hatten 1922 mehr als 250.000 Fahrgäste auf ihrem Netz zu verzeichnen. Zu Spitzenzeiten nach dem Krieg wurden auf dem Gesamtnetz aller Zuckerbahnen (630km von rund 2.900km Gesamtnetz) 60.000 Fahrgäste am Tag bei 300 Zugpaaren und 6 Mio. Tonnen Güter im Jahr befördert!
Nachdem es mehrere Jahre einen regelrechten Boom bei den Zuckerfabriken und ihren Bahnen gab, stagnierte ab 1912 zunächst der weitere Ausbau des Zuckerbahnnetzes, auch der Umfang des öffentlichen Verkehrs stagnierte ab den 1920er-Jahren, da die Zuckerrohrbahnen die Ebenen inzwischen sehr engmaschig erschlossen. Erst ab Anfang der 1930er-Jahre kam es aus militärstrategischen Gründen zu einem Ausbau des Netzes sowie den Bau weiterer Zuckermühlen und Einrichtungen zur Ethanolgewinnung. Am Ende des Zweiten Weltkrieges addierten sich die einzelnen Zuckerbahnnetze zu einer Gesamtlänge 2.964,6km, davon waren 627,1km Strecken mit öffentlichem Betrieb, der Rest diente dem Transport von Zuckerrohr bzw. daraus gewonnen Produkten, eingesetzt wurden 279 Dampfloks. Das kleinste Netz betrieb die Taitung Sugar Company an der Ostküste mit 18,3km Länge und drei Dampfloks, das größte Netz hatte Dai Nippon mit 666km und 76 Dampfloks. Nicht mit eingerechnet in die Gesamtlänge sind die handbetriebenen Strecken, die hauptsächlich in die Felder verzweigten. Die staatliche Aufsicht ordnete bei den Genehmigungen der Zuckerrohrbahnen immer eine Spurweite von 762mm an, lediglich die etwas abgelegene Zuckerfabrik in Puli, die wohl keiner der großen japanischen Firmen gehörte, betrieb ein kleines Netz in 610mm Spurweite, das nach dem Krieg noch auf 762 umgespurt wurde, dann aber bereits 1954 stillgelegt wurde. Aber auch die einzelnen Netze gleicher Spurweite blieben voneinander isoliert, selbst wenn sie direkt nebeneinander lagen, da sie unterschiedlichen Unternehmen gehörten. Das Netz der Zuckerrohrbahnen war mehr als dreimal so lang als das Netz der Staatsbahn!
Bild 1: Ein historisches Bild der Zuckerfabrik Qiaotou aus der japanischen Besatzungszeit (屏東台灣製糖本社, Public domain, via Wikimedia Commons).
Bild 2: Ein historisches Bild mit einem Dampfzug auf der Xingang Line der Zuckerfabrik von Wushulin (Unknown author, Public domain, via Wikimedia Commons).
Durch die Ethanolproduktion hatten die Zuckermühlen eine hohe militärstrategische Bedeutung und wurden gegen Ende des Krieges insbesondere an der Ostküste durch US-amerikanische Luftangriffe stark beschädigt. Nach dem Krieg wurden alle Zuckermühlen samt ihren Bahnen sowie einem Drittel der Felder verstaatlicht und unter der Taiwan Sugar Corporation (TSC) zusammengefasst, die nicht mit der privaten Taiwan Sugar Company zu verwechseln ist. Letztere war vor dem Krieg eine der großen privaten japanischen Firmen, die dann alle in der TSC aufgingen. Die Kuomintang verfolgte für Taiwan das Ziel, die Importe zu reduzieren und gleichzeitig die Exporte massiv auszuweiten. Der Zuckerindustrie kam dabei eine Schlüsselrolle zu, denn Zucker sollte Exportartikel Nummer eins werden. Die Mühlen und das rollende Material waren allerdings weitgehend in schlechtem Zustand oder teilweise im Krieg zerstört, gleichzeitig stiegen mit den Exportplänen aber die Anforderungen. Daher wurde nochmals kräftig in die nun staatliche Zuckerindustrie investiert. Im Jahre 1948 wurden 45 neue Dampfloks aus Belgien (Tubize, Franco-Belge) erworben (davon sind bis heute 21 erhalten, 15 von Tubize, 6 von Franco-Belge) sowie 15 Plymouth V-Loks aus den USA, die mit Ethanol betrieben werden konnten, beschafft. Zudem wurden die bisher voneinander isolierten Netze miteinander verknüpft, teilweise wurden auch Dreischienengleise angelegt, um Wagen der Staatsbahn auf den Strecken verkehren zu lassen. Die einzelnen Netze waren durch in Ost-West-Richtung verlaufende Flüsse aus dem Gebirge an die Küste voneinander getrennt. Zwischen 1950 und 1953 wurden daher zur Verbindung der Netze insbesondere auch aus militärstrategischen Gründen zahlreiche neue Brücken angelegt, so dass schließlich eine 262,5km lange Strecke in Nord-Süd-Richtung entstand, damit im Falle einer Zerstörung der Western Line der Staatsbahn eine parallele Bahnverbindung von Nord nach Süd sichergestellt war. So hatte das Gesamtnetz der Zuckerbahnen zwischenzeitlich eine Gesamtlänge von bis zu 3.500km und war damit mehr als dreimal so groß als das Netz der Staatsbahn TRA! Die Mühlen wurden aber weiter weitgehend unabhängig voneinander verwaltet, behielten meist ihre eigene Werkstatt und hatten einen festen Bestand an Lokomotiven, ein Austausch zwischen den Mühlen erfolgte eher selten. Lediglich die Beschaffung von neuen Lokomotiven erfolgte zentral durch die TSC, die die Loks dann initial auf die einzelnen Mühlen verteilte.
Die Investitionen blieben nicht ohne Folgen. 1952 wurden neue Zuckerrohrsorten eingeführt, die die Produktion wieder auf das Vorkriegsniveau brachten. Ende der 1950er-Jahre baute „Taisugar“ (Kurzbezeichnung der TSC) auf rund 100.000 Hektar Zucker an. Von 1952 bis 1964 war Zucker wichtigstes Exportgut Taiwans mit einem Anteil von bis zu 80% am Gesamtexport, 74% der Deviseneinnahmen des Landes stammten seinerzeit aus dem Zuckerexport. Die TSC hatte mehr als 100.000 Beschäftigte, 1954 waren rund 370 Dampfloks auf dem Zuckerbahnnetz in Betrieb. Ab 1960 setzte eine wachsende Rationalisierung ein, so wurde z.B. bereits 1954 die kleine Zuckermühle in Puli geschlossen, dennoch war immer noch eine steigende Zuckerproduktion zu verzeichnen. In den 1970er-Jahren wurden dann Elektronik und Textilien wichtigere Exportgüter, aber die Menge an produziertem Zucker war immer noch kaum rückgängig. Noch 1975 trug die Rohrzuckerproduktion zu einem Exporterlös von 5,1 Mrd. NT$ bei. Zwischen 1977 und 1979 bestellte man nochmals 91(!) neue Dieselloks bei Diema und stellte schließlich den Dampfbetrieb ein.
Ab 1976 fielen die internationalen Zuckerpreise jedoch kontinuierlich. Zudem drängte der (billigere) Zucker aus anderen Ländern auf den Markt. Nachdem Zucker jahrzehntelang der Exportschlager Taiwans war, wurde er plötzlich zur Importware. Die Zuckermühlen waren veraltet und noch weitgehend auf dem Stand aus der Gründungszeit zum Anfang des Jahrhunderts. Schließlich führte der finanzielle Verlust bei den Exporten zu Entlassungen von Mitarbeitern und Schließung vieler Zuckerfabriken von TSC (Mitte der 1970er gab es noch 25 Mühlen, Ende 1990 waren es schon weniger als ein Dutzend Mühlen). Dadurch reduzierte sich auch das Schienennetz der Zuckerbahnen kontinuierlich auf rund 240km Ende der 1990er-Jahre. Hinzu kam, dass die Unterhaltungskosten für Schienennetz und Rollmaterial stiegen und eine Abkehr von der Schiene zum kostengünstigeren und ungebundenen LKW-Transport einsetzte. Zu beachten ist dbaei, dass das Schienennetz nur während der „Zuckerkampagne“ (Dezember-März) genutzt wird. Vor Saisonbeginn ist das Netz erst einmal vom natürlichen Bewuchs zu befreien (Spritzzüge). In den 1980er-Jahren gab es noch einmal eine Rationalisierungswelle. Auf den Feldern wurden zentrale Ladestellen eingerichtet und in den Fabriken automatische Entladungsanlagen installiert. Zudem beschaffte man sogar noch eine Stopfmaschine von Plasser & Theuerer (war das ein Einzelexemplar oder kennt jemand weitere Stopfmaschinen in 762mm Spurweite?). Aber auch das konnte den Niedergang nicht mehr aufhalten. Heute gibt es auf ganz Taiwan nur noch zwei Zuckerfabriken (Huwei und Shanhua) gibt, die auch beide noch teilweise Züge einsetzen (in Shanhua nur noch betriebsintern, in Huwei gibt es immer noch ein rund 16km langes Netz, dass auch 2020 noch zur Zuckerrohrernte genutzt wurde). Auf Taiwan wird noch auf rund 18.000 Hektar Zuckerrohr angebaut, TSC deckt noch immer rund 70% des taiwanischen Zuckerbedarfs, wobei dieser zum Großteil aus importiertem Rohzucker produziert wird. Allerdings stammen nur noch 25% der Erträge von TSC aus der Zuckerproduktion, der Rest stammt aus der Orchideenzucht, Produktion von Biogas und Bioethanol, Hotels sowie aus dem Tourismus (u.a. Touristenverkehr auf den verbliebenen Streckenabschnitten, Details dazu im nächsten Beitrag).
Der Niedergang des öffentlichen Verkehrs (insbesondere des Personenverkehrs) auf den Zuckerbahnen setzte noch früher ein. Zunächst einmal ging es nach dem Krieg aber aufwärts. Durch die Flucht hunderttausender Anhänger der Kuomintang vom Festland nach Taiwan wurden die Zuckerbahnen zum Rückgrat des öffentlichen Transports. Im Jahre 1949 wurden 10% aller Eisenbahnfahrgäste auf der Insel mit Zuckerbahnen befördert! Zwischen 1953 und 1958 erreichte dann der Personentransport einen absoluten Höhepunkt. Es gab insgesamt 41 Betriebslinien mit einer Gesamtlänge von 675km, auf denen täglich 300 Zugpaare bis zu 60.000 Fahrgäste beförderten. Allerdings verliefen die Strecken oft parallel zur Staatsbahn und ab Anfang der 1960er-Jahre machte die Straßenkonkurrenz den Bahnen mehr und mehr zu schaffen. Bereits 1961 hatte sich das Angebot auf 25 Linien mit einer Gesamtlänge von 534,5km reduziert, nur noch 2% aller Personentransporte auf Taiwan erfolgte auf Zuckerbahnen. Mit dem Wirtschaftsaufschwung Taiwans in den 1970er-Jahren ersetzte der Motorroller mehr und mehr die Fahrten mit den Zuckerbahnen. Im Jahre 1971 hatten nur noch 17 Linien (391,5km) fahrplanmäßigen Personenverkehr aufzuweisen. Bis 1979 reduzierte sich der öffentliche Verkehr auf ein Netz von 120km. Das letzte Jahr mit fahrplanmäßigem Personenverkehr war 1981 mit drei Linien und einer Gesamtlänge von 18,7km. Die letzte Linie war die Beigang Line von Chiayi nach Beigang, auf der es zum Schluss noch drei tägliche Zugpaare zwischen Huwei und Chiayi gab. Seit einigen Jahren wird auf kleineren Teilabschnitten ehemaliger Zuckerbahnen wieder ein Touristenverkehr angeboten (Details dazu im nächsten Beitrag).
Bild 3: Ein Zug auf der Zuckerrohrbahn von Huwei, der letzten verbliebenen Zuckerbahn Taiwans mit Regelbetrieb außerhalb des Firmengeländes (Photo by 夢夢狐 / CC BY-SA (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0) in Wikimedia Commons).
Bild 4: Dieses Bild aus dem Jahre 2008 zeigt einen Zug der Zuckerfabrik von Huwei bei der Zuckerrohrernte (Heino Vogel, CC BY-SA 3.0 DE [creativecommons.org], via Wikimedia Commons).
Bild 5: Die Diema-Lok 126 (1977) hat nach der Ernte in den Zuckerfeldern bei Ma Kuang (Zuckerfabrik Huwei) ordentlich was zu ziehen (© Heino Vogel).
Bild 6: Auf dem Weg von den Zuckerfeldern zur Zuckerfabrik müssen die Züge durch das Städtchen Huwei fahren (© Heino Vogel).
Bild 7: Die Diema-Lok 136 rangiert voll beladene Waggons in den abgernteten Zuckerrohrfeldern bei Ma Kuang, Zuckerfabrik Huwei (© Heino Vogel).
Bild 8: Abgestellte Güterwaggons an der Zuckerfabrik von Hualien (Photo by Fred Hsu (Wikipedia:User:Fred Hsu on en.wikipedia) / CC BY-SA (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0) in Wikimedia Commons).
Mit diesen Bildern möchte ich den Beitrag erst einmal beenden. Im nächsten Beitrag widmen wir uns dann dem rollenden Material der Zuckerbahnen. Wer O&K und Henschel-Lieferlisten griffbereit hat, kann vielleicht schon einmal Dampfloks mit 762mm- und 1.067mm Spurweite heraussuchen, die nach Taiwan geliefert wurden. Ich habe zwar recht umfangreiche Informationen zu den eingesetzten Dampfloks gefunden, eine Gesamtübersicht aller O&K und Henschel-Loks konnte ich allerdings nicht recherchieren.
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 2021:09:10:09:38:46.