siehe auch:
[CH] magische Orte der SBB: Der "Stangengarten" von Bellinzona, 1971-1979 (25B) [
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[CH] SBB: Ae 4/7 10901-10938 von 1927/30, die Normalen (Teil 1, 32B) [
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[CH] SBB: Ae 4/7 10901...11027 von 1927/35, die Normalen (Teil 2, 32B, +ÖBB 93) [
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[CH] SBB: Ae 4/7 10973-11002 von 1931/34, mit el. Bremse (19B) [
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[CH] SBB: Ae 4/7 10939...11017 von 1930/34, doppeltraktionsfähig (23B) [
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[CH] SBB: Ae 4/7 10904, 10926, 10954, 10956 und 11006, die Speziellen (23B) [
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Steigende Zuglasten am Gotthard veranlassten die SBB, die Schweizer Lokomotivindustrie zur Konstruktion einer schweren Lokomotive mit acht Antriebsachsen und elektrischer Bremse einzuladen. Um mit 770 t Anhängelast am Berg anfahren zu können, war eine Anfahrzugkraft von 50 t erforderlich. Aus 20 unterschiedlichen Vorschlägen der Industrie wählten die Schweizerischen Bundesbahnen zwei für den Bau je einer Probelokomotive aus. BBC baute im Wesentlichen eine verdoppelte Ae 4/7 mir Buchliantrieb, mit einigen konstruktiven Verbesserungen. Die 6240 PS starke Ae 8/14 11801 stand schon 1931 für Versuchsfahrten zur Verfügung. MFO verwendete den ebenfalls von Jakob Buchli entwickelten SLM-Universalantrieb und zwei Triebmotoren pro Achse, der Triebraddurchmesser wurde gegenüber der Ae 8/14 11801
von 1610 auf 1350 mm reduziert. Die mit 8250 PS auf dem Papier wesentlich stärkere Ae 8/14 11851 kam erst 1932 in Betrieb.
Der mechanische Teil für die beiden 34 m langen und rund 245 t schweren Kolosse stammte wie üblich von SLM Winterthur. Die äusseren Laufachsen jeder Lokhälfte waren mit der benachbarten Antriebsachse zu einem Javagestell zusammengefasst. Die dritte Laufachse befand sich in der Mitte, unter dem Transformator, sie konnte für schwere Anfahrten pneumatisch entlastet werden, sodass ein Teil des Trafogewichtes für zusätzliche Adhäsion zur Verfügung stand. So kamen die beiden Probelokomotiven zur abenteuerlichen Achsfolge (1A)’A1A(A1)’+(1A)’A1A(A1)’.
Die wirtschaftliche Depression führte dazu, dass der geplante Serienbau unterblieb. An der
Schweizerischen Landesausstellung 1939 mussten sich SBB und Lokomotivindustrie aber zwingend mit einem kraftstrotzenden Aushängeschild von internationaler Ausstrahlung beteiligen. BLS und Sécheron Genf zeigten die 5280 PS starke und 90 km/h schnelle Ae 6/8 205, eine Weiterentwicklung der Breda-Be 6/8 von 1926/31. SLM und MFO setzten auf das Fahrwerk und den SLM-Universalantrieb von Ae 8/14 11851 und konstruierten für die
"Landi'39" eine wahre Rekordlokomotive. Der technische Fortschritt und neue UIC-Normen zur zulässigen Fahrmotorerwärmung erlaubten eine erstaunliche Leistungssteigerung, und optisch wurde Ae 8/14 11852 anlässlich ihrer Präsentation an der Landi ’39 zum Hingucker: stromlinienförmige Verschalung in Schweisstechnik, schräggestellte Führerstände ohne Stirnwandtür, hellgrüner Anstrich, Gummihaut als Verbindung der beiden Lokteile. Die rechnerisch ermittelte Stundenleistung von 11’100 PS der 1939 noch nicht betriebsbereiten „Landi-Lok“ wurde aus propagandistischen Gründen auf
12’000 PS aufgemotzt, eine Loklegende war geboren.
Im Zweiten Weltkrieg waren die drei Ae 8/14 für den regen Gütertransitverkehr zwischen den Achsenmächten über die Gotthardstrecke von grossem Nutzen. Danach wurden sie nicht nur im Güterverkehr, sondern auch planmässig vor den schwersten Gotthardschnellzügen eingesetzt. Als ich mit Fotografieren begann, hatte Ae 8/14 11852 bereits das Zeitliche gesegnet. Die im Juli 1971 brandgeschädigte Doppellok konnte ich nur noch als Wrack im Stangengarten der HW Bellinzona ablichten, siehe [
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Nach einer äusserlichen „Pinselrevision“ kam der einstige Stolz der Nation ins Verkehrshaus der Schweiz nach Luzern.
Auch von den anderen beiden Ae 8/14 kann ich kein einziges Betriebsbild zeigen, denn ihre Einsätze waren für mich nicht nachvollziehbar. Dankbar nahm ich im August 1973 ein Angebot meiner Kollegen an, die von einem Fototermin im Depot Erstfeld wussten. Dort angekommen die erste Enttäuschung: Ae 8/14 11801 steht mit einer ausgebauten Achse neben Be 6/8 II 13259 im Freien.
Ae 8/14 11801 kann leider nicht in eine günstigere Position verschoben werden. Die 1970/71 letztmals hauptrevidierte und dabei auch in einigen Teilen modernisierte Doppellok hat als historische SBB-Lokomotive bis heute überlebt, als einzige betriebsfähige Ae 8/14.
Ae 8/14 11851 erhielt nach einem Kabelbrand bereits 1960/61 eine umfassende Modernisierung. Auffälligste Neuerung war der Anbau eines Ae 6/6-Führerstandes für sitzende Bedienung. Am Fototermin rollt die SLM/MFO-Doppellok von 1932 aus dem Depot Erstfeld.
Leider wird Ae 8/14 11851 bald von einer Ae 6/6 zugeparkt, und es bleibt nur noch die steile Perspektive.
Beide Aufnahmen leiden unter dem Umstand, dass die damals verwendete Agfa Isolette-Balgenkamera weder einen Entfernungsmesser noch einen Belichtungsmesser besass. Pardon, ich konnte es nicht besser...
Ae 8/14 11801 und Ae 8/14 11851 waren noch bis 1977 im Einsatz, in den letzten Jahren nur noch in Vorspann- und Zwischendiensten auf der Gotthard-Nordrampe. Ae 8/14 11851 wurde 1977 abgebrochen, während Ae 8/14 11801 im Hinblick auf das Gotthardjubiläum 1982 eine Revision R1 erhielt und seit 1984 als betriebsfähige historische Lok im Depot Erstfeld beheimatet ist.
Ae 8/14 11852 wurde zum Vorbild der 1939 bestellten Gotthard-Schnellzuglokomotive Ae 4/6. Die 1941-45 gebauten Ae 4/6 10801-10812 waren sozusagen
halbierte Ae 8/14. Die SBB forderten aber den Verzicht auf die dritte Laufachse und den Einbau einer Stirnwandtür. Kriegsbedingter Kupfermangel und der Zwang zu weitgehenden Gewichtsreduktionen führten zur Verwendung von
Aluminium im elektrischen Teil, aber auch im Aufbau (Führerstand, Seitenwände).
Erstmals erhielten leistungsstarke SBB-Lokomotiven mit elektrischer Bremse eine Vielfachsteuerung. So konnten zwei je 5540 PS starke Ae 4/6 bei Bedarf eine Ae 8/14 ersetzen. Die auch bei den Ae 4/6 eingebauten Drehgestelle für die Laufachse und die anschliessende Antriebsachse führten zur Achsfolge (1A)’Bo(A1)’.
Die letzten SBB-Schnellzuglokomotiven mit 1350 mm hohen Triebachsen und beidseitigen Laufachsen machten sich weder beim Personal noch beim Betrieb beliebt. Die Lokführer litten unter der Schleuderneigung der mit 1385 PS pro Achse reichlich motorisierten Kraftpakete, dem Gestank der Alu-Kabel und -Wicklungen, wenn sie sich erhitzt hatten, und der enormen Lärmentwicklung der geradverzahnten SLM-Getriebe. Die nur für stehende Bedienung eingerichteten Führerstände waren auch nicht mehr zeitgemäss. Der Betrieb litt unter häufigen Ausfällen wegen Getriebeschäden, heissgelaufenen Gleitlagern und Achsbrüchen. Die geplante Höchstgeschwindigkeit von 125 km/h konnte nie eingeführt werden, die Ae 4/6 blieben auch auf den flachen Zulaufstrecken zum Gotthard auf 100-110 km/h limitiert.
Bis zum Erscheinen der Ae 6/6 führten die zwölf Ae 4/6 in zehn Diensten sämtliche Gotthard-Schnellzüge, sie mussten sich aber häufig durch Ae 4/7 vertreten lassen. Der Umbau auf Kupferkabel und (teilweise) neue Antriebe brachte einige Verbesserungen, aber die modernen Ae 6/6 verdrängten die Ae 4/6 bis 1965 in untergeordnete Dienste. Das waren in erster Linie leichte Güter- und Eilgutzüge, dazu einzelne Personenzüge.
Am Wochenende waren die Ae 4/6 fast vollzählig in Bellinzona, Erstfeld und Luzern abgestellt. Das war der übliche Anblick in Bellinzona: Ae 4/6 10811, 10809 und 10808 (rechts angeschnitten) warten auf erste Einsätze am Montag oder auch erst am Dienstag, dazwischen steht eine Be 4/6-Triebwagen als Reserve für die Luino-Pendelzüge, Juli 1974.
Mein erstes Ae 4/6-Porträt: 10811 in Bellinzona, Juli 1974.
Auch für Ae 4/6 10808 nehme ich mir Zeit. Verteilung und Form der Seitengangfenster und Lüftungsgitter nahmen schon 1941 die Gestaltung der zukünftigen Ae 6/6 vorweg.
Als erste SBB-Lokomotiven erhielten die Ae 4/6 die Führerstandseinrichtung auf der linken statt auf der rechten Seite. Zur Vermeidung von Zugluft wurden die Führerstandstüren auf der linken Seite um 1960 verschweisst, die Aufstiege entfernt.
Bei Ae 4/6 10808 wurden auch die Stirnwandtüren verschweisst. Deshalb fehlt das Übergangsblech. Hinter ihr steht ein alter Kranwagen in Bereitschaft.
Ae 4/6 10801 schied schon 1965 nach einem Brandschaden aus, Ae 4/6 10802 wurde 1977 ausrangiert. Ae 4/6 10807-10812 haben ab 1961 neue Radsätze und BBC-Federantriebe anstelle der störungsanfälligen SLM-Universalantriebe erhalten, der übermässige Lärm konnte durch den Einbau schrägverzahnter Getriebe gemildert werden. Lokführer schätzten den Umbau auf sitzende Bedienung. Entsprechend wurden die nicht umgebauten Maschinen nur noch zurückhaltend eingesetzt. Die 1977/ 1981 ausrangierten Ae 4/6 10802-10804 sind mir nie vor die Linse gefahren, umso häufiger aber Ae 4/6 10805, die als einzige nicht umgebaute Lok bis Mai 1983 durchhielt.
Ein typischer Ae 4/6-Dienst war die Bedienung des Bahnhofes Castione-Arbedo ab Bellinzona. Hier wurden fast alle Güterwagen auf Rollschemel der Rhätischen Bahn RhB geladen und dann auf der Meterspur zu den Kunden in San Vittore (Stahlwerk), Grono (Metallverarbeitung und Zement), Leggia (Schrotthändler) und Lostallo (Holzverlad) verbracht. Nur die für Soazza und Mesocco bestimmten Güter mussten wegen der tunnelreichen Zufahrt in Castione auf Schmalspurwagen umgeladen werden.
Ae 4/6 10805 rangiert Güterwagen im Bahnhof Castione-Arbedo, Februar 1979. Das Bild lässt den Schluss zu, dass Ae 4/6 10805 entgegen den Angaben in der Literatur irgendwann auch noch auf sitzende Bedienung umgebaut wurde und deshalb so häufig und so lange eingesetzt wurde.
Ae 4/6 10805 hat ihren Güterzug auf das Streckengleis umgesetzt.
Mit heulendem Getriebe beschleunigt Ae 4/6 10805 ihren Güterzug Richtung Bellinzona, die Fahrt wird nur wenige Minuten dauern.
Ae 4/6 10805 ist in Sisikon mit einem Eilgutzug nach Arth-Goldau unterwegs, Juli 1982.
Von Luzern aus bedient Ae 4/6 10805 das Stahlwerk in Emmenbrücke. Anfang Mai 1977 wartet sie auf Gleis 1, bis die Rangierlokomotive Ee 3/3 den Güterzug nach Luzern fertig zusammengestellt hat.
Am Güterschuppen holt Ae 4/6 10805 die Stückgutwagen ab, die Wagenladungen aus dem Stahlwerk hängen am Zugschluss.
Zug 31368 Bellinzona - Locarno war ab 1977 ein sicherer Wert für den Einsatz einer Ae 4/6. Im Grunde war es ein Dienstzug (Überfuhr einer Ae 4/6 für den Güterzug Locarno - Bellinzona), dem zwei Wagen 2. Klasse angehängt wurden. Ae 4/6 10805 verlässt das Depot Bellinzona für den Abenddienst nach Locarno, Juli 1978. Im Hintergrund rangiert eine Ee 3/3 der ersten Generation, mit Führerstand am Fahrzeugende.
Ae 4/6 10805 macht einen gepflegten Eindruck.
Ae 4/6 10805 holt zwei Personenwagen vom Abstellgleis.
Der Rangierer pfeift zur Bremsprobe.
Ae 4/6 10805 zieht vor, bleibt aber vor dem Karrenübergang noch einmal längere Zeit stehen. Trotz Mastschatten nutze ich die Gelegenheit für eine Aufnahme des seltenen Ae 4/6-Personenzuges zwischen der uralten Rangierlokomotive Ee 3/3 16319 und den gelben Handwagen der Post.
Natürlich nutze ich die Gelegenheit zur Mitfahrt nach Locarno. Mit zwei Wagen entpuppt sich die Ae 4/6 als wahrer Bolide. Der Lokführer macht sich einen Spass daraus, die fünftausend Pferdchen in der Magadino-Ebene nach jedem Halt ordentlich auf Trab zu bringen. Und ich halte mich am offenen Fenster mit beiden Händen fest, geniesse die warme Tessiner Abendluft, das Knallen des Hochspannungs-Stufenschalters und das Heulen des gradverzahnten Getriebes.
In Locarno ist Fotografieren fast unmöglich, Prellbock, Masten, Gebäudeschatten und unpassender Sonnenstand lassen keine vernünftige Perspektive zu. Erst als die Sonne ein erstes, hartes Streiflicht von der Hangseite produziert und sich Ae 4/6 10805 vor den Güterzug gesetzt hat, lohnt es sich, die Kamera hervorzunehmen. Von der Rampe des Güterschuppens gelingt diese Aufnahme.
Am Rangiertraktor von Locarno hängen die beiden Personenwagen, die Ae 4/6 10805 mitgebracht hat, dazu zwei Eilgutwagen und ein Paketpostwagen.
Bis zur Einführung des schweizweiten Taktfahrplans Ende Mai 1982 kam es in Art-Goldau fast jeden Werktag am frühen Vormittag zu einem Treffen von zwei mit Ae 4/6 bespannten Personenzügen. Um halb acht Uhr traf Zug 3308 aus Zug ein, zehn Minuten später Zug 1516 Luzern - Erstfeld. Am 19. Mai 1979 steht Ae 4/6 10811 mit Zug 3308 schon am Perron, als Ae 4/6 10805 mit Zug 1516 aus Luzern einfährt.
Prominente SBB-Insider unter den an diesem Tag anwesenden Fotografen sorgen dafür, dass die beiden Ae 4/6 10805 und 10811 für einige Minuten perfekt nebeneinander stehen, bevor Ae 4/6 10805 den Bahnhof Arth-Goldau mit ihrem Zug fahrplanmässig um 7.45 Uhr verlässt.
Kurz vor dem Zeigersprung bereichert ein Richtung Rapperswil ausfahrender SOB-Pendelzug die Szene
Genau diese beiden Ae 4/6 10805 und 10811 hielten bis Mai 1983 durch, dann wurden sie als letzte ihrer Gattung ausrangiert und bald darauf in Biasca abgebrochen.
Bleibt für mich die Frage, ob 10805 anlässlich ihrer letzten grossen Revision 1971 nicht doch auf
sitzende Bedienung umgebaut worden ist, wie einige Fotos und ihre Langlebigkeit vermuten lassen. Vielleicht liest hier ein Insider mit?
Die im Oktober 1982 ausgeschiedene Ae 4/6 10806 ist garantiert nie auf sitzende Bedienung umgebaut worden. Sie gehört aber zu jenen wenigen Maschinen, bei denen nach 1960 Stirnwandtür und Übergangsblech entfernt wurden. Hier leistet sie Ae 6/6 11505 Vorspann, vor einem Güterzug nach Erstfeld, Aufnahme zwischen Steinen SZ und Schwyz SBB, Juni 1979. Hinter Ae 4/6 10806 erscheint die markante Rigi-Silhouette.
Im Querschuss zeigt Ae 4/6 10806 ihr typisches, etwas hochbeiniges Profil.
In Schwyz ist Ae 4/6 10806 abgespannt worden, um einen Schotterzug Richtung Erstfeld zu führen. In der langen Geraden zwischen Altdorf und Erstfeld, wo einst der
Geschwindigkeitsrekord für Schweizer Dampflokomotiven aufgestellt wurde, erscheint Ae 4/6 10806 mit ihrem sehenswerten Dienstzug.
Der seit 1923 kanalisierte Bach heisst in der heutigen Landeskarte
Walenbrunnen, war aber früher als
Stille Reuss bekannt.
Fortsetzung folgt.
Gruss, Werner
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6-mal bearbeitet. Zuletzt am 26.02.21 09:51.