Hallo,
Daniel hat mir den Text und die Bilder zukommen lassen.
Er schreibt:
Letzter Besuch der Baureihe 38.10 im Bw Coesfeld
Aus zuverlässiger Quelle - geradezu bahnamtlich - hörte ich bei meinen häufigen Besuchen im Bw und auf den Stellwerken Coesfelds die Kunde, daß am letzten Maitag eine besondere Lok zum münsterländischen Bahnknotenpunkt käme. Zwar fuhren fünf Jahre vor dem Dampf-Aus bei der DB noch regelmäßig 50er, 41-Öler und gelegentlich 44er nach Coesfeld, selbst 011/012er fanden sich im untergeordneten Personenzugdienst in Coesfeld ein, aber eine P8? Wohl war die P8 53 Jahre lang im Bezirk Münster zu Hause gewesen. Die letzten Loks waren die Gronauer 38 2662 (z 25.02.66), 2703 (z 01.04.66), 3281 (z 01.04.66). Ich selbst hatte lediglich den schrottreifen Tender von 38 3390 im Bf Gronau entdeckt, letztes Relikt einer ehemals oldenburgischen P8. Seitdem war das „Mädchen für alles“ nie mehr aufgetaucht! Ich konnte es zunächst gar nicht glauben. Und doch war es so!
Bild 1 Auf dem Führerstand der P8 durfte ich die Rangierfahrten im Bw und Rbf Coesfeld mitmachen
Aus dem fernen Tübingen kam 38 2383 für einige Sonderfahrten in den Norden. Die Personale vom Bw Oberhausen-Osterfeld-Süd wollten aber nicht nur Extratouren durchführen, sondern gerne zwischendurch „Plandampf“ machen (wenn auch damals noch keiner dieses Wort kannte). Am 31.05.1972 führte 038 382-8 dann tatsächlich den planmäßigen abendlichen Personenzug P 2635 (Gesamtzuggewicht 257 t) von Essen über Oberhausen nach Coesfeld, um als Rückleistung den nächtlichen Güterzug Dg 7952 nach Osterfeld Süd zu übernehmen. Das konnte ich mir nicht entgehen lassen! Vom schmalen Taschengeld wurde ein 30-Din/400 ASA-Film für Vaters Kamera erstanden, das Blitzgerät geladen und der Kassettenrekorder neu mit Batterien und Tonband bestückt. So ausgerüstet machte ich mich auf den Weg, um die früher allgegenwärtige, aber nun bei uns höchst seltene preußische P8 aufzunehmen. Das gelang auch ohne Schwierigkeiten.
Wo sonst eine 50er von Osterfeld-Süd zu erwarten war, kam jetzt wirklich pünktlich um 21.26 Uhr die P8 an. Vom Oberhausener Personal wurde ich auf den Führerstand der Maschine eingeladen und durfte im Bahnhof und im Bw die Rangierfahrten mitmachen. Als „dat Maschinken“ auf der Coesfelder Drehscheibe stand, meinte der Heizer mit Blick auf Ringlokschuppen und Wasserturm: „Dat wär' hier doch 'ne ideale Museumsdienststelle! Ihr könntet die P8 hierbehalten und von hier aus Sonderfahrten machen. Aber dat machen die Herr'n da oben sicher nich' mit, woll?!“
Lokführer und Heizer hatten Spaß an der alten Dame „P8“. Als jedoch 050 173-4 mit dem Dg 7952 von Rheine (Abfahrt 22.00 Uhr, Ankunft Coesfeld 23.44 Uhr) eintraf und Lokführer und Heizer bei der Übergabe das Zuggewicht von 816 Tonnen (für eine 50er kaum ein Problem) hörten, war die Freude mit einem Schlage nicht mehr groß, dafür gab es ein mächtiges Geschimpfe der Ruhrgebietler: „Mann, Mann, Mann, wie soll'n wir mit dat Maschinken und dem Zug denn die Steigung bei Zweckel schaffen? Die hat doch bloß'n paar mickrige Atükes! Kerl, wat dat noch werd'n soll! Aber dat hilft ja alle nix, 'ne andre Lok kriegen wir nu' auch nich' mehr un' die P8 muß doch morgen auf Sonderfaahrt nach Koblenz!“
Nun wurde mächtig eingeheizt, das Feuer geschürt und neu aufgebaut. Die P8 hatte bald spitzen Druck, die Bremsprobe war beendet, die Abfahrtszeit gekommen, doch von „Ausfahrt frei!“ war noch immer keine Rede. Das brachte das Oberhausener Personal endgültig auf die Palme: „Boh glaubse, dem stoßen wir getz aber Bescheid!“ So gab es mitten in der Nacht ein kräftiges Konzert mit der hellen preußischen Dampfpfeife, um den Fahrdienstleiter (und auch die Nachbarschaft) zu wecken. Schließlich ging der Signalflügel hoch, das grüne Licht erstrahlte, was der Lokführer mit einem weiteren Pfiff quittierte. Die P8 mußte sich mächtig anstrengen, um den langen Güterzug in Bewegung zu setzen. Aber sie schaffte es! Und sie ist auch unterwegs nicht hängen geblieben, wie ich später hörte.
Als ich schließlich mit einem lachenden und einem weinenden Auge (wegen der herrlichen, stundenlangen Dampflokerfahrung und zugleich wegen des unvermeidlichen Abschiedes von dieser Dampflokbaureihe) um Mitternacht vom Bw nach Hause geradelt war, stand ich vor verschlossener Tür. O Schreck: Schlüssel vergessen! Alles Klingeln nutzte nichts, nicht einmal das Rütteln an den Rolladen weckte meine in Tiefschlaf versunkenen Geschwister auf. Meine Eltern waren von einem Besuch noch nicht zurückgekehrt. Nun wollte ich nicht draußen vor der Tür die Nacht zubringen, - es wurde noch kühl im Mai -, sondern setzte mich in einen Gartenstuhl in der Garage und schlief dort selig ein. Gegen 2.30 Uhr wachte ich in ungewohnter Lage wieder auf und versuchte es nochmals mit Klingeln. Nach einer Weile öffnete mein Vater mit nicht sehr erfreutem Gesicht: „Wo kommst Du denn um diese Zeit wohl noch her?“ Die Antwort „Aus der Garage“ wurde für einen schlechten Scherz gehalten: „Du kannst mir viel erzählen!“ Einem gerade siebzehnjährigen Schüler war zwar auch damals schon manches zuzutrauen, ich hatte aber die halbe Nacht doch tatsächlich mit niemand anders als der „Pe-Acht“ zugebracht. Meinen weiteren Ausführungen „Ich war im Bw, wegen dieser besonderen Lok, die nur heute nacht noch einmal nach Coesfeld kam“ setzte der knappe Kommentar „Du und Deine Eisenbahn! Ab ins Bett!“ ein Ende. Es gab kein weiteres Nachspiel, man hatte sich zu Hause längst mit meinem „Tick“ abgefunden.
Was mir von dieser Nacht bis heute blieb, sind Erinnerungen, ein Tonband mit den Stimmen der P8 und ihres Personals, Nachtfotos der preußischen Lok im BW Coesfeld und der Original-Bremszettel mit der letzten P8-Leistung nach Coesfeld, zugleich dem endgültig letzten planmäßigen Einsatz einer preußischen P8 in Westdeutschland!
Bild 2 Im Bw Coesfeld bei Nacht
© P. Dr. Daniel Hörnemann
Das war es schon. Mehr Bilder sind leider nicht vorhanden. Ich hoffe, der Beitrag gefällt. Danke noch mal an Daniel für das zur Verfügung stellen.
Gruß
Jürgen
edith: Aus dem kleinen Bw ein großes BW gemacht.
edith: Ich habe einen Hinweis erhalten, das Bw richtig ist, danke für den Hinweis.
4-mal bearbeitet. Zuletzt am 2021:01:26:23:28:53.