Liebe HiFo-Leser,
zunächst einmal wünsche ich allen Lesern ein gutes neues Jahr. Vor einiger Zeit hatte ich euch ja hier im Forum die Geschichte und das rollende Material der Eisenbahn Myanmars/Burmas in mehreren Berichten etwas näher gebracht (den letzten Beitrag samt Inhaltsverzeichnis findet ihr
hier). Nun möchte ich euch dazu einladen, ein weiteres Mal ein bisschen über den heimischen Tellerrand zu schauen und euch nun eine weitere Eisenbahn in Asien (besser gesagt mehrere Eisenbahnen) etwas näher vorstellen. Diesmal entführe ich euch auf Taiwan, eine Insel mit vielen Bergen. Manch ein Leser wird jetzt vielleicht fragen: Taiwan? Gibt’s da überhaupt eine Eisenbahn? Ja, die gibt es! Und zwar nicht nur eine, sondern ganz viele verschiedene: von 610mm bis 1.435mm Spurweite ist fast alles vertreten, Dampf, Diesel und Elektrobetrieb, verträumte Kleinbahnen, atemberaubende Waldbahnen und Hochgeschwindigkeitsstrecken… . Es ist also alles dabei, was das Eisenbahnerherz begehrt. Es gilt, vieles Spannendes und Interessantes zu entdecken und ich würde mich freuen, wenn ihr mich auf dieser Entdeckungsreise begleitet und vielleicht an der einen oder anderen Stelle in Sachen Loks aus deutscher Produktion ein paar Informationen oder gar Bilder ergänzen könnt. Denn die allererste Lok, die auf Schienen in Taiwan unterwegs war, kam aus Deutschland. Dazu aber später mehr.
Und hier ist der Reiseplan für die kommenden Beiträge hier im HiFo:
0. Prolog
1. Geographie Taiwans
2. Geschichte Taiwans
3. Geschichte der Eisenbahn
3.1 Die erste Eisenbahn auf Taiwan (1877 – 1893)
3.2 Vollendung der Stammlinie (1895 – 1908)
3.3 Expansion und erste Rückschläge (1909 – 1937)
3.4 Die Eisenbahn im Krieg (1937 – 1945)
3.5 Der mühsame Wiederaufbau (1945 – 1958)
3.6 Ringschluss, Elektrifizierung sowie Niedergang der Nebenbahnen und des Güterverkehrs (1959 – 1991)
3.7 HGV, Pendlerverkehr und Metrolinien (1992 – heute)
3.8 Aktueller Zustand/Betrieb der TRA
3.9 Aktueller Zustand/Betrieb der THSCR
4. Eisenbahnstrecken auf Taiwan
4.1 Staatsbahn (TRA)
4.2 THSRC (Taiwan High Speed Rail Corporation)
4.3 Streckenportraits der Staatsbahnstrecken
4.4 Übersicht der Metrosysteme auf Taiwan
4.5 Geplante Strecken auf Taiwan
5. Weitere Bahnen auf Taiwan
5.1 Waldbahnen auf Taiwan
5.2 Zuckerrohrbahnen auf Taiwan
5.3 Industriebahnen auf Taiwan
5.4 Alishan Forest Railway
5.4.1 Geschichte
5.4.2 Strecken
5.4.3 Rollendes Material
6. Rollendes Material
6.1 Dampflokomotiven
6.1.1 Tenderlokomotiven (1.067mm)
6.1.2 Schlepptenderlokomotiven (1.067mm)
6.1.3 Dampflokomotiven der Taitung-Linie (762mm)
6.2 Diesellokomotiven
6.2.1 Diesel-hydraulische Lokomotiven (1.067mm)
6.2.2 Diesel-elektrische (Strecken-)Lokomotiven (1.067mm)
6.2.3 Diesel-elektrische (Rangier-)Lokomotiven (1.067mm)
6.2.4 Kleinlokomotiven/Schienentraktoren (1.067mm)
6.2.5 Diesellokomotiven der Taitung Line (762mm)
6.3 Elektrolokomotiven
6.4 Triebwagen
6.4.1 Dampftriebwagen
6.4.2 Benzoltriebwagen
6.4.3 Dieseltriebwagen
6.4.4 Triebwagen der Taitung Line (762mm)
6.4.5 Elektrotriebwagen
Wie ihr seht, haben wir also einiges vor uns. Beginnen möchte ich in diesem Beitrag mit einem kurzen Prolog, der die Motivation für die Erstellung dieser Berichtsreihe kurz schildert (wen es nicht interessiert, der kann das Kapitel überspringen). Danach folgt ein weiteres Kapitel über Geschichte und Geographie Taiwans, in dem die Eisenbahn zwar ebenfalls noch nicht vorkommt. Aber dieses Kapitel hilft einem, die Geschichte der Eisenbahn auf Taiwan, die ich dann im folgenden Kapitel beschreibe, besser zu verstehen.
Bevor wir uns auf die Reise begeben, möchte ich noch ein paar Dinge vorwegschieben, um unnötigen Diskussion vorzubeugen. Ich war bisher leider nur vier Tage auf Taiwan und das auch noch im Rahmen eines Familienurlaubs mit den Schwiegereltern. Eisenbahnbezogenes, eigenes Bildmaterial ist daher äußerst rar, deswegen greife ich meist auf frei verfügbares Bildmaterial von Wikimedia Commons zurück. Taiwan ist ein politisch heikles Thema, insbesondere für mich. Ich blende daher das Thema Politik weitestgehend aus bzw. schreibe politisch vollkommen neutral und freue mich auf rein eisenbahnbezogene Diskussionen/Ergänzungen. Ein weiteres heikles Thema ist das Thema Ortsbezeichnungen. Im DSO-Auslandsforum wurde mir schon vorgeworfen, dass ich bei meinen Reiseberichten aus China die aktuelle Pinyin-Bezeichnung von Orten verwende und nicht alte, eingedeutschte Bezeichnungen (wie z.B. „Xinjiang“ anstatt „Sinkiang“ oder „Qingdao“ anstatt „Tsingtau“). Bei Taiwan wird das noch schwieriger. Während man in Festlandchina inzwischen ausschließlich die Pinyin-Bezeichnung verwendet, sind in Taiwan hauptsächlich die Wades-Giles-Romanisierung sowie weitere Romanisierungen in Verwendung, Pinyin setzt sich erst so langsam durch. Dazu kommt dann noch, dass in der Kolonialzeit und während der japanischen Besatzungszeit von 1895 bis 1945 die Orte auch noch weitere Bezeichnungen hatten. So gibt es für die größte Stadt auf der Insel u.a. die folgenden Bezeichnungen: Taipei/T’ai-pei (Wades-Gilles), Taibei (Pinyin), Taihoku (japanische Bezeichnung), Taipeh-fu (Kolonialzeit), Tai-pak (Taiwanese Hokkien), Taipeh (andere Romanisierungen). Ich halte mich weitgehend an die international aktuell am meisten verwendete Bezeichnung (also z.B. Taipei). Teilweise verwende ich auch englische Bezeichnungen (z.B. „Western Line“, „Mountain Line“ oder Details bei Loklisten), da ich die Informationen später auch auf meiner Homepage veröffentlichen möchte. Ein paar der Informationen und Bilder sind auch nicht HiFo-reif, im Rahmen einer Gesamtdarstellung möchte ich aber nicht darauf verzichten, zumal der Schwerpunkt auf der Historie und nicht der Gegenwart liegt. Der geneigte Leser möge mir all diese Punkte verzeihen. Ich hoffe, dass dieser Beitrag sowie die folgenden Beiträge dennoch ein bisschen Freude und Interesse erzeugen.
0. Prolog
In diesem Kapitel möchte ich kurz die Motivation für diesen Beitrag erläutern. Er hat daher keinen Eisenbahnbezug und wen es nicht interessiert, der kann gleich zu Kapitel 1 bzw. Kapitel 2 (wenn er sich nicht für Geschichte und Geographie der Insel interessiert) springen.
Für viele Menschen ist das Jahr 2020 mit Covid19/Corona sicher ein einschneidendes Jahr. Bei mir ist es etwas anders, da fing es nämlich schon Ende 2019 an. Kurz vor Weihnachten gab es nochmals Zuwachs im Heimat-BW. Die Jungloks Nr. 2 („Julian Anran“) und Nr. 3 („Johanna Jinghao“) verstärken nämlich seither den Bestand. Mit ihren initialen Maßen (LüP: 52cm/47cm, Leergewicht 3.200g/2.500g, Achsfolge 0, später A‘1’A‘, dann A’A‘ und schließlich A‘) und den daraus bedingten geringen Vorratsbehältern für Wasser und Kohlenhydrate müssen sie sich erst einmal an das neue Leben auf Schienen im heimatlichen Lokschuppen gewöhnen. Längere Ausflüge zu fernen Eisenbahnstrecken waren/sind für Papa daher erst einmal nicht drin. Dann kam auch noch dieses Virus dazu und während mancher Arbeitnehmer so wegen entfallener Pendelstrecken oder leider auch Arbeitslosigkeit/Kurzarbeit plötzlich mehr Freizeit hatte, war es bei mir genau anders herum. Wichtige Projekte, Probleme in der Produktion und Aufträge direkt vom Vorstand sorgten für teils sehr lange Tage und oft auch Nächte im heimischen Keller, wo ich mein Homeoffice aufschlagen musste. Zum Glück sorgte das Virus dafür, dass meine Schwiegereltern zunächst nicht nach China zurück konnten und uns so bei der Pflege der Jungloks (die übrigens seit der siebten Woche im heimischen Lokschuppen weitgehend mehr als zehn Stunden durchschlafen) unterstützen konnten. Während der langen Zeit im Homeoffice gibt es zwischendurch in stundenlangen Besprechungen auch viel Zeit, wo man vor Corona nur aus dem Fenster des Besprechungsraumes schauen konnte, jetzt aber die Zeit zuhause am Laptop sinnvoller nutzen kann, insbesondere dann, wenn man wie ich eine ausgeprägte Multitasking-Fähigkeit besitzt.
So begann ich also zwischendurch während der Zeit im Homeoffice damit, vergangene Reisen nach Asien für das DSO-Auslandsforum aufzuarbeiten. So auch die Reise 2017, als es mich neben dem obligatorischen Besuch bei der Verwandtschaft in Peking auch ein paar Tage nach Thailand und Taiwan verschlug. Beim Abstecher nach Taiwan war wie oben schon beschrieben für Eisenbahn eigentlich überhaupt keine Zeit und so überlegte ich, ob ich überhaupt dazu etwas schreiben sollte. Schließlich überwand ich aber die Skepsis und wollte die paar entstandenen Eisenbahnbilder dann doch im Rahmen eines Reiseberichts zeigen. Für einen geeigneten Rahmen wollte ich auch ein paar Informationen zum Thema Eisenbahn auf Taiwan ergänzen und recherchierte ein bisschen im Netz. Schnell merkte ich, dass englischsprachige Informationen zum Thema Eisenbahn in Taiwan im Netz eher rar gesät sind. Das Gefundene ließ aber durchaus auf interessante Details schließen. Und wie es bei mir eben so ist: wenn ich mich mal an einem komplexen Thema festgebissen habe, dann lässt es mich so schnell auch nicht mehr los (da kommt eben der studierte Mathematiker in mir durch). Auf chinesisch- und japanisch-sprachigen Seiten fanden sich dann viele weitere Details, die den ursprünglich geplanten Rahmen von ein paar Sätzen bei weitem sprengten. Und so entstanden dieser und die folgenden Beiträge.
1. Geographie Taiwans
Die „schöne Insel“ (die ursprüngliche Bezeichnung Taiwans war ja Formosa, das sich aus dem portugiesischen „Ilha Formosa“ = „schöne Insel“ ableitete) bekam ihren heutigen Namen von holländischen Händlern, die im 17. Jahrhundert eine Handelsniederlassung namens „Tayouan“ (abgeleitet von Namen eines nahe gelegenen Eingeborenenstammes) gründeten, aus „Tayouan“ wurde dann irgendwann „Taiwan“. Auf der knapp 36.193km² großen Insel (von der Fläche her liegt die Insel also irgendwo zwischen der Schweiz und Belgien) leben ca. 23 Millionen Menschen, nur Bangladesch hat eine höhere Bevölkerungsdichte, wenn man Klei/Stadtstaaten nicht berücksichtigt. Der Großteil der Menschen lebt im Nordwesten der Insel, wo es entlang der Küste größere Ebenen gibt. Der Rest des Landes ist sehr stark gegliedert, die Insel wird vor allem im Osten von sieben, bis zu knapp 4.000m hohen Bergketten in Nord-Süd-Richtung durchzogen (damit ist Taiwan hinter Neuguinea, Hawaii und Borneo die vierthöchste Insel der Welt). Die Insel liegt am nördlichen Wendekreis, das Klima ist tropisch bis subtropisch, oben in den Bergen gemäßigt bis sogar alpin. Wie das benachbarte Japan ist Taiwan auch extrem stark erdbebengefährdet, zudem richten Taifune regelmäßig schwere Verwüstungen (Überschwemmungen, Erdrutsche) an, was auch die Eisenbahn massiv betrifft.
Bild 1: Satellitenbild Taiwans (Quelle [visibleearth.nasa.gov], Jeff Schmaltz, MODIS Rapid Response Team, NASA/GSFC / Public domain, in Wikimedia Commons).
Bild 2: Reliefkarte Taiwans (CIA / Public domain in Wikimedia Commons).
2. Geschichte Taiwans
Bis ins 17. Jahrhunderts war Taiwan praktisch ausschließlich von Eingeborenen besiedelt, Taiwan gilt vielen Forschern als ursprünglicher Herkunftsort aller austroasiatischer Völker (Malaien, Indonesier, Polynesier, Aborigines). Bereits 1583 erreichten Portugiesen als erste Europäer die Insel, ließen sich dort aber nicht dauerhaft nieder. 1624 gründeten dann Holländer die erste Handelsniederlassung, später versuchten das auch die Spanier, die aber von den Holländern wieder vertrieben wurden. Gleiches Schicksal erlitten dann aber auch die Holländer, sie wurden 1662 von Festlandchinesen vertrieben, 1683 wurde Taiwan dann offiziell von der chinesischen Qing-Dynastie annektiert. Im Chinesisch-Französischen Krieg 1887 konnten die Chinesen Taiwan erfolgreich gegen die Franzosen verteidigen und erhöhten anschließend den Status Taiwans von einer Präfektur zu einer Provinz. Die neu gewonnene Macht nutzte der Gouverneur zu einer Modernisierung, u.a. wurde auch die erste chinesische Eisenbahn auf Taiwan gebaut (sieht man von dem letztlich erfolglosen, nicht einmal einjährigen Versuch der Briten in Shanghai sowie ein paar Kohlebahnen im Nordosten Chinas ab).
Nach der Niederlage im Chinesisch-Japanischen Krieg 1895 musste das Chinesische Kaiserreich Taiwan an die Japaner abtreten. Diese begannen mit der Industrialisierung der Insel, bauten die Infrastruktur, landwirtschaftliche Produktion und das Bildungssystem massiv aus. Die Ureinwohner und die Chinesisch stämmigen Siedler, die in den vorherigen Jahrhundert auf die Insel eingewandert waren, wurden unterdrückt, es gab immer wieder Aufstände.
Nach der japanischen Niederlage im Zweiten Weltkrieg wurde Taiwan von Streitkräften der chinesischen Republik (Kuomintang) militärisch besetzt, allerdings wurde Taiwan erst 1952 im Rahmen von Reparationsverhandlungen mit Japan offiziell China zugeschlagen, obwohl es „das“ China da schon gar nicht mehr gab. Denn nach zahlreichen verheerenden Niederlagen der Armee der chinesischen Republik unter Führung von Chiang Kai-shek gegen die Kommunisten unter Führung Mao Tse-tungs flohen die verbliebenen Soldaten samt großen Teilen der intellektuellen und wirtschaftlichen Elite Chinas nach Taiwan. Die Alliierten gingen zunächst davon aus, dass die Kommunisten Taiwan ebenfalls noch erobern würden. Erst nach dem militärischen Eingreifen der Volksrepublik China im Koreakrieg begannen insbesondere die USA mit massiven militärischen und wirtschaftlichen Hilfen für Taiwan. So blieb es bei „zwei Chinas“, die Anspruch auf das Territorium des jeweils anderen erheben. Bis 1971 war Taiwan auch der offizielle Vertreter „Chinas“ bei den Vereinten Nationen, seither erkennen auf den Druck der Volksrepublik nur noch wenige Staaten Taiwan diplomatisch an. Dennoch hielten und halten die USA an ihrer wirtschaftlichen und vor allem militärischen Unterstützung Taiwans fest, obwohl sie Taiwan nicht (mehr) diplomatisch anerkennen.
Die Kuomintang errichteten auf Taiwan eine Militärdiktatur, sorgten aber auch für wirtschaftliche Reformen. Zusammen mit dem Knowhow und Kapital der vom Festland geflüchteten Elite sowie amerikanischer Unterstützung begann in den 60er-Jahren ein fast beispielloser, wirtschaftlicher Aufschwung. Lag 1962 das Bruttosozialprodukt pro Kopf noch gleichauf mit der Republik Kongo, so war Taiwan 2012 an 23. Stelle des Human Development Index der UN angekommen (zum Vergleich, Deutschland stand 2017 auf Platz vier hinter Norwegen, Australien und der Schweiz). Mit der wirtschaftlichen Öffnung der Volksrepublik begann Taiwan seinerseits mit massiven, privaten Investitionen in China, mehr als 10% aller Taiwanesen arbeiten mittlerweile in der Volksrepublik. Politisch begann in Taiwan nach Jahrzehnten der Militärdiktatur, etwas zeitverzögert zur wirtschaftlichen Entwicklung, in den 80er-Jahren die Demokratisierung.
3. Geschichte der Eisenbahn
3.1 Die erste Eisenbahn auf Taiwan (1877 – 1893)
Die allererste Eisenbahn auf Taiwan war eine 1877 eröffnete Kohlenbahn, die in Badouzi nahe Keelung an der Nordspitze Taiwans von der Mine zum Hafen führte. Betrieben wurde die Bahn allerdings mit Pferden, Dampflokomotiven wurden nicht eingesetzt. Während man im Chinesischen Kaiserhaus sehr technikfeindlich aufgestellt war (so zwangen die kaiserlichen Beamten die Briten, ihre 1876 in Shanghai gebaute Eisenbahnlinie nach wenigen Monaten Betrieb wieder abzubauen), war der chinesische Gouverneur Taiwans der neuen Technologie durchaus aufgeschlossen. So holten auf Taiwan ansässige, chinesische Kaufleute die in Shanghai abgebauten Schienen, um damit im Südwesten eine Bahnlinie zwischen Tainan und Kaohsiung zu bauen. Das Material reichte dafür aber nicht aus und schließlich scheiterte das Projekt an mangelnden finanziellen Ressourcen.
Bis zur Entstehung der ersten, echten Eisenbahn dauerte es dann noch weitere zehn Jahre. Wie oben bereits kurz beschrieben, bekam der chinesische Gouverneur 1887 nach dem Sieg gegen französische Truppen mehr Macht vom chinesischen Kaiser erteilt. So begann er 1887 in Eigenregie mit dem Bau der ersten Eisenbahnlinie auf Taiwan zwischen dem Hafen Keelung an der Nordostspitze Taiwans und der Provinzhauptstadt Taipei. Für den Bau und Betrieb suchte man sich eine private Firma aus Shanghai, die mit britischer Unterstützung mit dem Bau von Brücken, Gebäuden und der Bestellung von rollendem Material begann, die Gouverneursverwaltung kümmerte sich um den Landerwerb. Da man mit der privaten Firma nicht zufrieden war, übernahm die Regierung auch den Bau der Strecke, wobei sie Unterstützung von einem deutschen Ingenieur namens Becker bekam. Als Spurweite wählte man Kapspur, bis heute haben alle Strecken der taiwanischen Staatsbahn eine Spurweite von 1.067mm (Ausnahme war lediglich die Taitung Line an der Ostküste, die von 1917 bis 1985 762mm Spurweite hatte).
Am 25.8.1888 verkehrten dann die beiden ersten aus Deutschland importierten Lokomotiven auf der ersten Teilstrecke im Stadtgebiet von Taipei. Die weiteren Arbeiten verzögerten sich dann aber, da über 60% der Arbeiter aufgrund von Hitzeschlag und Krankheiten starben. Mit der Unterstützung von Soldaten wurde der Bau fortgesetzt. Allerdings hörten die Soldaten und ihre Generäle nicht auf die Vermessungsingenieure und so hatte man sich beim Bau des längsten Tunnels, der von beiden Seiten vorangetrieben wurde, um fast zwei Meter verfehlt. Im Oktober 1891 verkehrte dann endlich der erste Zug auf knapp 30km Streckenlänge zwischen Keelung und dem Bahnhof Twatutia in Taipei. Wie bei der ersten Eisenbahnlinie Deutschlands wurden die Loks zunächst von britischen Lokführern gefahren. Zur Ausstattung der Bahn gehörten vier Dampflokomotiven (davon die zwei bereits erwähnten aus dem Hause Hohenzollern) sowie 14 Personenwaggons.
Bild 3: Die erste Dampflok auf Taiwan namens „Teng Yung“. Gebaut wurde sie 1887 bei Hohenzollern.
Bild 4: Dieses Bild zeigt den ersten Bahnhof in Taipei kurz nach der Eröffnung. Links kann man zwei Satteltankloks erkennen. Sie gehören zu den sechs Exemplaren, die Hawthorns 1889 bzw. 1893 nach Taiwan lieferte. Sie waren fast alle bis Anfang der 1930er-Jahre noch in Betrieb. Die Loks rechts müsste eine der beiden Hohenzollern-Loks sein. Damit sind auf dem Bild dreiviertel aller Loks zu sehen, mit denen der offizielle Betrieb aufgenommen wurde (The original uploader was Aco at Chinese Wikipedia., Public domain, via Wikimedia Commons).
Bild 5: Dieses Bild zeigt einen Streckenabschnitt zwischen Keelung und Taipei kurz nach der Eröffnung (臺灣總督府交通局鐵道部(Taiwan Governor-General), Public domain, via Wikimedia Commons).
Bild 6: Dieses Bild zeigt eine der sechs Satteltankloks von Hawthorns, die die ersten Streckenloks auf der Strecke zwischen Keelung und Taipei waren (Governor-General of Taiwan(臺灣總督府), Public domain, via Wikimedia Commons).
Auch in südlicher Richtung liefen die Arbeiten. Im Stadtgebiet von Taipei konnte noch 1889 die 425m lange Brücke über den Tamsui-Fluss eröffnet werden. Im November 1891 hatte man Taoyuan erreicht, im Juli 1892 Zhongli und im Juni 1893 konnte schließlich die gesamte Linie von Taipei in Richtung Südwesten bis nach Hsinchu um knapp 80km verlängert werden. Ein Weiterbau der Strecke scheiterte zunächst daran, dass keinerlei finanziellen Mittel mehr vorhanden waren. Der bisherige Bau hatte den Provinzhaushalt komplett ausbluten lassen.
Bild 7: Dieses Bild zeigt die erste Holzbrücke über den Tamsui-Fluss in Taipei. Sie wurde kurz nach der japanischen Machtübernahme in Taiwan durch einen Neubau ersetzt (Unknown author, Public domain, via Wikimedia Commons).
Bild 8: Das Eisenbahnnetz Taiwans im Jahre 1893. Es beschränkt sich auf die Strecke vom Hafen Keelung an der Nordspitze der Insel über die Inselhauptstadt Taipei bis nach Hsinchu.
3.2 Vollendung der Stammlinie (1895 – 1908)
Nach der Annektierung Taiwans durch die Japaner im Jahre 1895 kam die einzig bestehende Eisenbahnstrecke zunächst unter die Führung des japanischen Militärs. Das Militär besserte zunächst Schienen und Schwellen der bestehenden Strecke aus und verlängerte die Strecke mittels einer temporären Bahnlinie, die im Februar 1898 schließlich von Hsinchu bis nach Kaohsiung verlief. Sie diente aber nur militärischen Zwecken und war eher eine einfache Feldbahn. Zudem wurde die bestehende Strecke zwischen Keelung und Taipei, die den Verkehrsbedürfnissen der Japaner nicht mehr genügte, vom japanischen Militär komplett umgebaut, indem Steigungen entschärft und enge Kurvenradien beseitigt wurden, teilweise erfolgte auch eine komplett neue Trassierung.
Bild 9: Das von den Japanern neu errichtet Bahnhofsgebäude von Taipei (The original uploader was Aco at Chinese Wikipedia., Public domain, via Wikimedia Commons).
Bild 10: Auch der Bahnhof von Keelung erhielt 1908 von den Japanern ein neues Empfangsgebäude (Unknown author, Public domain, via Wikimedia Commons).
Um die anti-japanischen Aufstände auf der Insel zu unterdrücken, sah der Gouverneur eine Verlängerung der bestehenden Linie bis Kaohsiung als richtige Eisenbahnlinie als zwingend notwendig an. Ein Bau und Betrieb durch den Staat scheiterte aber zunächst an den zu hohen Kosten. Mehrere Privatinitiativen japanischer Industrieller verliefen ebenso im Sande wie die Gründung einer Aktiengesellschaft, die aber nicht genügend Aktien unters Volk brachte. Es gab auch Initiativen zum Bau weiterer Eisenbahnen, die aber an den geographischen Hürden scheiterten oder einfach daran, dass Vermessungsteams von indigenen Bewohnern massakriert wurden.
Da alle privaten Initiativen scheiterten, beschloss der Gouverneur schließlich den Bau einer staatlich finanzierten Eisenbahnlinie von Hsinchu nach Kaohsiung. Im November 1899 wurde unter dem Gouverneur ein Eisenbahnministerium eingerichtet, das den Bau und Betrieb der Bahn übernahm, nachdem die bestehende Strecke zwischen Keelung und Taipei bereits 1897 vom Militär in zivile Verwaltung übergegangen war. Der Bau der Strecke zwischen Hsinchu und Kaohsiung wurde von beiden Seiten in Angriff genommen, im November 1900 konnte bereits der südlichste Abschnitt zwischen Kaohsiung und Tainan in Betrieb genommen werden. Zwischen Hsinchu und Taichung wurde eine Streckenführung abseits der Küste durch gebirgiges Gelände gewählt. Aufgrund dessen sowie des Ausbruchs des Russisch-Japanischen Krieges 1904 verzögerte sich der Weiterbau. Da der russische Zar seine baltische Flotte zur Unterstützung in den fernen Osten geschickt hatte und diese Flotte Taiwan passieren würde, wurden kurzfristig temporäre Eisenbahnen von den bereits fertigen Teilen der Stammbahn zu den Häfen gebaut, der Weiterbau der Stammbahn selbst ruhte zunächst. Die rund 400km lange Gesamtstrecke von Keelung über Taipeh nach Kaohsiung konnte dann schließlich 1908 durchgängig eröffnet werden. Damit waren die wichtigsten Städte an der dicht besiedelten Westküste an die Eisenbahn angeschlossen. Bereits 1901 wurde in Taipei eine kurze Stichstrecke zum Hafen in Tamsui (Danshui) eröffnet (Tamsui Line), 1907 wurde am anderen Ende der Strecke eine Stichstrecken nach Jiuqutang gebaut, die später in der Pingtung Line aufgehen sollte.
Bild 11: Das Eisenbahnnetz Taiwans im Jahre 1908. Die seit 1893 neu hinzugekommenen Strecken sind rot markiert. Die Linie entlang der Westküste zwischen den beiden größten Städten Taipei und Kaohsiung ist fertiggestellt. Dazu kommen in Taipei und Kaohsiung jeweils noch kurze Stichstrecken nach Tamsui bzw. Jiuqutang.
3.3 Expansion und erste Rückschläge (1909 – 1937)
Mit der Fertigstellung der Stammbahn begann auch das Industriezeitalter auf Taiwan. In den Bergen gab es relativ große Vorkommen an Kohle und Gold, in den fruchtbaren Ebenen wurde der großflächige Anbau von Zuckerrohr vorangetrieben. Durch die Siege in den Kriegen gegen China (1895) und Russland (1904/05) war Japan zur Großmacht aufgestiegen und Taiwan kam eine strategische Rolle im neuen japanischen Großreich zu. So wurden weitere Eisenbahnprojekte auf Taiwan vorangetrieben, die aber aufgrund finanzieller Engpässe nur teilweise umgesetzt werden konnten. Mit dem Ersten Weltkrieg, der Japan nur am Rande betraf, kamen die Pläne zum Ausbau weiter ins Stocken. Nach dem schweren Erdbeben 1923 in Tokio wurden dann praktisch nur noch die in Bau befindlichen Projekte vollendet. Statt einer geplanten Ringbahn um die Insel und einer zentralen Durchmesserlinie wurde die Stammbahn somit nur an den nördlichen und südlichen Enden verlängert, dazu kamen noch ein paar abzweigende, kurze Stichstrecken sowie eine isolierte Strecke an der Ostküste.
Bild 12: Der japanische Kronprinz Hirohito besuchte 1923 den Bahnhof in Hsinchu (Unknown author, Public domain, via Wikimedia Commons).
Die Ostküste Taiwans ist geographisch sehr stark gegliedert, meist handelt es sich um schwer zugängliche Steilküste. Nur zwischen Hualien und Taitung gibt es ein etwas breiteres Hochtal, das landwirtschaftlich genutzt werden kann (insbesondere zum Anbau von Zuckerrohr). Daher wurde ab 1909 an der Ostküste mit dem Bau der Taitung-Linie zwischen Hualien und Taitung begonnen. Aufgrund der schwierigen geographischen Verhältnisse wählte man eine Spurweite von 762mm (erst ab 1982 wurde die Linie auf Kapspur umgespurt). Die ersten Abschnitte wurden 1917 eröffnet, die gesamte Strecke konnte dann erst 1926 in Betrieb genommen werden. Die Strecke blieb bis 1979 isoliert vom restlichen Eisenbahnnetz auf Taiwan.
Bild 13: Eine Postkarte aus den Anfangsjahren der Taitung Line (Unknown author, Public domain, via Wikimedia Commons).
Am nördlichen Ende der Stammbahn wurde 1924 die Strecke in Richtung Osten nach Su-ao verlängert (Yilan Line). So war zumindest der nördliche der Teil der Ostküste an das Bahnnetz angeschlossen, der Lückenschluss nach Hualien in Richtung Süden erfolgte dann erst 1979! Im Süden wurde die bereits bestehende Stichstrecke nach Jiuqutang in mehreren Etappen 1907, 1914 und 1923 bis Xizhou/Nanzhou verlängert. Der weitere Lückenschluss nach Taitung an der Ostküste erfolgte dann erst 1991!
Bild 14: Der Bahnhof Yilan an der Yilan-Line im Eröffnungsjahr 1919 (Unknown author, Public domain, via Wikimedia Commons).
Bereits relativ kurz nach Eröffnung der Stammstrecke wurde der steigungsreiche Abschnitt zwischen Changhua und Zhunan im Landesinneren zum Nadelöhr. Insbesondere Gütertransporte hingen oft mehrere Tagen oder gar Wochen aufgrund der geringen Kapazitäten der Bergstrecke fest. So wurde 1922 die Stammstrecke um eine Umgehungsstrecke entlang der Küste erweitert, um die großen Steigungen der Strecke im Landesinneren zu umgehen. Die Strecke im Landesinneren zwischen Changhua und Zhunan im Landesinneren firmiert seither unter dem Namen „Taichung Line“ oder „Mountain Line“, die Umgehungsstrecke an der Küste als „Coast Line“.
In den 1920er-Jahren wurden dann noch zwei von der Stammbahn ausgehende Stichstrecken, die als Privatbahnen für den Kohletransport („Pinxi Line“) bzw. zum Bau eines Wasserkraftwerks („Jiji Line“) angelegt wurden, von der Staatsbahn übernommen. Das zusammenhängende Kapspur-Netz im Norden und Westen hatte jetzt eine Länge von ca. 730km, dazu kam dann noch die isolierte Taitung-Linie mit 762mm Spurweite an der Ostküste mit einer Länge von ca. 170km, die Staatsbahn verfügte also zu Beginn des Zweiten Weltkriegs über ein Netz von ca. 900km Länge. Der Verkehr wurde weitgehend mit Dampfloks abgewickelt, nur im Personenverkehr waren schon einige Benzoltriebwagen japanischer Herkunft im Einsatz.
Neben der Staatsbahnstrecken entstanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts zahlreiche kleine Privatbahnen zum Holztransport (darunter auch die bekannte Alishan Forest Railway) und zum Zuckerrohrtransport. Die Bahnen in Privatbesitz hatten meistens eine Spurweite von 762mm. Die Waldbahnsysteme hatten oft Streckennetze mit bis zu 100km Länge, teilweise sogar mehr. Das „Zuckerrohrnetz“ in Zentral- und Südtaiwan wurde hauptsächlich unter Führung der japanischen Meiji Sugar Co. gebaut, zur Blütezeit hatte es Taiwan eine Streckenlänge von über 3.000km (!).
Bild 15: Dieses Bild aus dem Jahre 1906 zeigt die Minenbahn von der Bogong Mine nach Huludun auf der linken Seite des Daan-Flusses. Viele der kleinen Minen-, Wald- und Zuckerrohrbahnen wurden wie auf dem Bild ersichtlich von Hand ohne Lokomotiven betrieben.
Bild 16: Das Eisenbahnnetz Taiwans im Jahre 1937 (exklusive der Wald- und Zuckerrohrbahnen sowie sonstiger privater Industrie- oder Kohlebahnen). Die seit 1909 neu hinzugekommenen Strecken sind rot markiert. Die Eisenbahn tastete sich langsam an die Ostküste der Insel heran. Im Nordosten entstand quasi als Verlängerung der bestehenden Western Line von Keelung nach Kaohsiung die Yilan Line bis Su’ao. Die eigentliche Ostküstenstrecke (Taitung Line) blieb bis 1982 isoliert vom restlichen Schienennetz. An der Westküste entstand die Coast Line zwischen Zhunan und Changhua, um den Engpass der Mountain Line zwischen Zhunan und Taichung zu umgehen. Im Süden wurde die Stichstrecke bis nach Nanzhou verlängert. Dazu kamen dann noch zwei kurze Stichstrecken: die Pinxi Line von Sandiaoling nach Jingtong, eine private Kohlebahn, die die Staatsbahn von einer Kohlenmine übernahm sowie die Jiji Line von Ersui nach Checheng, die die Staatsbahn vom Betreiber eines großen Wasserkraftwerks übernahm.
Bis zum Beginn der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er-Jahre entwickelte sich der Verkehr bestens. Bereits 1912 begann man damit, den Abschnitt Keelung – Taipei der Stammbahn zweigleisig auszubauen (1919 abgeschlossen). Innerhalb von rund 20 Jahren hatte sich der Verkehr auf der Stammbahn mehr als vervierfacht. Allerdings erfolgten keine ausreichenden Investitionen in die bestehenden Strecken und das rollende Material. Parallel zum Einbruch des Verkehrs in der Weltwirtschaftskrise kam auch die zunehmende Konkurrenz durch das Automobil. Die Eisenbahn war aufgrund der Vernachlässigung oft nicht mehr konkurrenzfähig. So investierte man ab Anfang der 1930er-Jahre in das Bestandsnetz und das rollende Material. Aufgrund des feuchten Klimas und der Küstennähe hatten die Schienen eigentlich nur eine Lebenszeit von 15 Jahren, aber selbst auf der Stammstrecke lagen weitgehend noch Schienen aus der Anfangszeit der Bahn. Teilweise waren die Schienen schon um bis 13mm abgefahren, bis sie schließlich ausgetauscht wurden. Bis Ende 1936 waren 40% der Schienen ausgetauscht, zudem hatte man bis 1935 die Streckenabschnitte Taipei – Zhunan sowie Tainan – Kaohsiung der Stammbahn („Western Line“) zweigleisig ausgebaut. Das rollende Material pfiff ebenfalls aus dem allerletzten Loch. Während sich in den rund 20 Jahren seit 1910 der Personenverkehr um den Faktor 6,1 und der Güterverkehr um den Faktor 6,7 zugenommen hatte, war das rollende Material nur um den Faktor 4,1 gewachsen (Stand 1936 209 Lokomotiven, 497 Personenwagen und 4.278 Güterwagen). Die meisten Lokomotiven waren veraltet, fast alle Nassdampflokomotiven aus der Anfangszeit der Bahn waren noch im Einsatz. In den 1930er-Jahren wurden zwar noch einige Exemplare japanischer Dampflok-Einheitsbaureihen beschafft, aber kurz vor dem Start des Zweiten Weltkriegs war die Staatsbahn auf Taiwan alles andere als in einem guten Zustand.
Auch die vielen privaten Wald- und Zuckerrohrbahnen erlebten bis zur Weltwirtschaftskrise einen beispiellosen Aufschwung. Auf mehr als 1.000km Streckenlänge boten diese Bahnen sogar regelmäßigen Personenverkehr an. Zwischen Mitte der 20er-Jahre und Mitte der 30-Jahre brachen die Verkehrszahlen auf diesen Bahnen oft um mehr als 50% ein, einige dieser Bahnen stellten den Betrieb auch noch vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs teilweise ein.
3.4 Die Eisenbahn im Krieg (1937 – 1945)
Im Fernen Osten begann der Zweite Weltkrieg bereits 1937 mit dem japanischen Angriff auf die chinesische Republik. Auch die Eisenbahn auf Taiwan musste ihren Kriegsbeitrag leisten. Rollendes Material wurde teilweise auf das chinesische Festland transportiert und umgespurt, um den japanischen Vormarsch zu unterstützen. Der Fahrplan auf Taiwan wurde stark eingeschränkt, auf Fahrkarten wurden hohe Strafgebühren erhoben. Gleichzeitig fiel Taiwan aber auch eine hohe strategische Bedeutung bei der japanischen Expansion nach Südostasien sowie in Richtung Pazifik („Pearl Harbour“) zu. Nicht als kriegsrelevant erachtete Strecken wurden teilweise abgebaut, dafür wurden insbesondere neue Stichstrecken zu Häfen, Flughäfen und kriegswichtigen Industrieanlagen gebaut.
Der japanische Expansionsfeldzug durch Asien war zunächst ähnlich wie der deutsche Expansionsfeldzug durch Europa höchst erfolgreich. Mit dem amerikanischen Eingreifen nach dem Angriff auf Pearl Harbour wendete sich dann aber langsam das Blatt. Taiwan wurde nun zur Festung ausgebaut. Küstennahe Eisenbahnstrecken wurden teilweise abgebaut (so wurde der erst 1941 gebaute Abschnitt Linbian – Fangliao der Pingtung Line bereits 1944 wieder abgebaut), um ein Anlanden alliierter Truppen zu erschweren. Die alliierten Truppen landeten allerdings nie auf Taiwan, stattdessen erfolgten aber ab Anfang 1945 schwere amerikanische Luftangriffe, die auch die Eisenbahn erheblich trafen. Gegen Ende des Krieges waren fast alle großen Brücken zerstört, 1.392 Loks und Waggons waren nicht mehr einsatzfähig (48% des Lokbestandes und 20% der Waggons). Der Eisenbahnbetrieb auf Taiwan war weitgehend eingestellt.
Bild 17: Bombardierung des Bahnhofs Zhunan durch US Bomber im Jahre 1945 (Image by George Lane on flickr).
3.5 Der mühsame Wiederaufbau (1945 – 1958)
Als das japanische Kaiserhaus am 15. August 1945 bedingungslos kapitulierte, blieb die Lage auf Taiwan zunächst unklar. Der japanische Gouverneur führte die Amtsgeschäfte zunächst fort, erst Mitte Oktober erreichten die ersten Soldaten der chinesischen Republik (Kuomintang) die Insel und übernahmen nach fast genau 50 Jahren japanischer Besatzungszeit nach und nach wieder die chinesische Kontrolle über die Insel. Sonderlich beliebt waren sie aber nicht. Sie wurden von den meisten Taiwanesen nur als neue Besatzungsmacht angesehen, zumal sich die japanischen Besatzer auf Taiwan im Gegensatz zu anderen besetzten Regionen (Korea, Mandschurei) durchaus zivilisierter aufführten. Japan verzichtete übrigens erst 1952 offiziell auf den Besitzanspruch Taiwans, übergab die Kontrolle aber auch nie offiziell an ein anderes Land. Mit der Niederlage auf dem Festland gegen die kommunistischen Truppen unter Mao Tse-Tung flohen 1949 die verbliebenen Kuomintang samt weiten Teilen der wirtschaftlichen und intellektuellen Elite nach Taiwan.
Die meisten Führungs- und Ingenieurspositionen bei der taiwanesischen Staatseisenbahn wurden vor und während des Krieges von Japanern bekleidet. Aufgrund des ungeklärten Status Taiwans verblieben sie zunächst dort und waren eine wertvolle Hilfe beim Wiederaufbau der Eisenbahn nach dem Krieg. Erst im Juni 1947 wurden rund 5.300 japanische Beschäftigte der Staatsbahn zurück nach Japan geschickt. Die Eisenbahn wurde zunächst von einem Eisenbahnkomitee unter Führung der Kuomintang verwaltet. Diese wollten vom Festland übernommene chinesische Verwaltungs- und Betriebsstandards einführen, scheiterten jedoch am Widerstand der Beschäftigten. Bis heute ist die Eisenbahn auf Taiwan daher sehr stark japanisch geprägt (Signalisierung, rollendes Material, Uniformen, Arbeitsprozesse usw. gleichen bis heute größtenteils denen der JR).
Am 1. März 1948 ging das Eisenbahnkomitee dann schließlich in der staatlichen „Taiwan Railway Administration“ (TRA) auf, die bis heute einen großen Teil des Schienenverkehrs auf Taiwan durchführt und dem Verkehrsministerium untergeordnet ist. Auch die Wald- und Zuckerbahnen gingen in jeweils staatlichen Forstverwaltungen bzw. der staatlichen „Taiwan Sugar Corporation“ auf.
Der Zustand der Eisenbahn war schon vor dem Krieg schlecht, nun kamen die Kriegszerstörungen noch hinzu. Eine erste Bestandsaufnahme erbrachte, dass rund 150km Strecke komplett zerstört sind (incl. rund 1.400 Brücken und Durchlässen), im Schnitt jede zweite Schwelle durchgefault ist und weniger als die Hälfte der Lokomotiven in einem betriebsfähigen Zustand sind. Das verbleibende, rollende Material war zudem hoffnungslos überaltert. Der damalige Sekretär im Eisenbahnkomitee gab der Bahn noch maximal sechs Monate, bis der Betrieb komplett zusammenbrechen würde. Da aber das Know-how größtenteils noch im Lande war, ging der Wiederaufbau relativ schnell von statten. Bereits Anfang der 1950er-Jahre waren alle Strecken soweit wieder aufgebaut und fast alle Lokomotiven wieder betriebsfähig aufgearbeitet, zusätzlich erhielt man nochmals im Rahmen von Reparationen neue Dampfloks aus Japan. Das war auch dringend notwendig, denn mit der Flucht der Kuomintang nach Taiwan nahmen die Verkehrsanforderungen an die Bahn nochmals erheblich zu.
Bild 18: Die Lok CT277 (1953, Hitachi, 12102) der Baureihe CT270 wurde nach dem Krieg nach Taiwan geliefert. Sie blieb im Gegensatz zu vier anderen Exemplaren der gleichen Baureihe nicht erhalten (Photo by中國農村復興聯合委員會 / Public domain from Wikimedia Commons).
Nach dem Wiederaufbau der Bahn begann in den 1950er-Jahren auch der langsame Ausbau der Eisenbahn. Von den Japanern während des Krieges abgebaute Strecken wurden wieder in Betrieb genommen und 1951 konnte als erste neue Strecke die „Neiwan Line“ in Betrieb genommen werden, deren Bau bereits von den Japanern während des Krieges begonnen worden war. Im Jahre 1957 wurde dann die Shenggang Line von Tanzi nach Daya im Stadtgebiet von Taichung in Betrieb genommen, die hauptsächlich der Anbindung eines Militärlagers diente. Ab 1956 beschaffte man auch die ersten, neuen Dieseltriebwagen aus Japan, um damit einen Schnellzugverkehr zwischen Taipei und Kaohsiung einzurichten, zudem wurden Benzoltriebwagen aus der Vorkriegszeit mit neuen Dieselmotoren ausgerüstet. Die einzelnen Zuckerbahnnetze aus der japanischen Besatzungszeit, die bisher isoliert voneinander waren und auf die jeweiligen Zuckerfabriken ausgerichtet waren, wurden bis Mitte der 1950er-Jahre unter der Führung der staatlichen „Taiwan Sugar Corporation“ miteinander verknüpft und der regelmäßige Personenverkehr wurde wieder aufgenommen. So kamen die Zuckerbahnen zu einer letzten Blüte, bevor sie ab Ende der 1950er-Jahre der zunehmenden Konkurrenz des Straßenverkehrs nach und nach zum Opfer fielen.
Bild 19: Das Eisenbahnnetz Taiwans im Jahre 1958 (exklusive der Wald- und Zuckerrohrbahnen sowie sonstiger privater Industrie- oder Kohlebahnen). Die seit 1937 neu hinzugekommenen Strecken sind rot markiert. Große Veränderungen gab es nicht. Im Süden wurde die Pingtung Line noch während des Krieges aus strategischen Gründen bis Fangliao samt einer kurzen Kurzstrecke nach Donggang verlängert. Teile davon wurden aber zum Kriegsende hin schon wieder abgebaut und erst nach dem Krieg wieder aufgebaut. In den 1950er-Jahren entstanden dann zwei neue Stichstrecken: die Neiwan Line (Hsinchu – Neiwan) sowie die Shenggang Line (Tanzi – Daya).
3.6 Ringschluss, Elektrifizierung sowie Niedergang der Nebenbahnen und des Güterverkehrs (1959 – 1991)
Die Militärdiktatur der Kuomintang führte die Insel weiter mit eiserner Hand, sorgte aber ab Anfang der 1960er-Jahre für einen Wirtschaftsboom, der mit kurzen Unterbrechungen bis heute anhält. Bis 1971 war Taiwan internationaler Vertreter China in Organisationen der UN, nun übernahm die Volksrepublik China die offizielle Repräsentanz. Dies hatte insbesondere auf die Fahrzeugbeschaffung im Ausland Konsequenzen. Ab Ende der 1980er-Jahre wandelte sich auch die Politik von einer Militärdiktatur hin zu einer Demokratie. Auch die Eisenbahn wandelte sich in dieser Zeit erheblich. Einerseits wurde sie massiv ausgebaut, 1979 wurde die Stammbahn elektrifiziert und 1991 konnte, genau hundert Jahre nach Eröffnung der ersten, offiziellen Bahnstrecke, endlich der Ring um die Insel geschlossen werden. Andererseits hatte der schnelle Wandel der Wirtschaft auch einen Niedergang des Güterverkehrs und der Nebenstrecken zur Folge. Die Analogien zur Entwicklung der Eisenbahn in Westdeutschland während der gleichen Epoche sind teilweise frappierend.
Durch die massive Industrialisierung ab 1960 gingen nochmals mehrere Stichstrecken in Betrieb, die vor allem dem Kohlenverkehr oder der Anbindung von Häfen diente. Insbesondere mit amerikanischer Entwicklungshilfe, die nach dem Koreakrieg massiv zunahm (Taiwan sollte als Bollwerk gegen den Kommunismus gestärkt werden), konnte die Eisenbahn modernisiert werden. So wurden größere Mengen an diesel-elektrischen Loks aus den USA beschafft und die Signalisierung auf der Stammbahn zwischen Keelung/Taipei und Kaohsiung wurde modernisiert, aus Japan wurden weitere Dieseltriebwagen beschafft.
Bild 20: Dieses Bild aus dem Jahre 1998 zeigt Lok R111. Sie gehört zur Klasse R100, von denen EMD 1969 insgesamt 39 Exemplare nach Taiwan lieferte (Lexcie, CC BY-SA 3.0 [creativecommons.org], via Wikimedia Commons).
Das rasante Wirtschaftswachstum sorgte einerseits zwar für eine massive Zunahme der Fahrgäste, vor allem in den Ballungsräumen sowie auf der „Western Line“ zwischen den beiden größten Städten Taipei und Kaohsiung, gleichzeitig wuchs die Konkurrenz durch den Straßenverkehr insbesondere abseits der Stammbahn. So rückten wieder Pläne in den Vordergrund, die bereits teilweise schon vor dem Krieg in den Schubladen lagen, aber aus finanziellen Gründen bis dato nicht umgesetzt werden konnten. Dies betraf zum einen die Elektrifizierung (Oberleitung mit 25kV/60Hz) der „Western Line“ (Stammbahn), um dort die Kapazitäten und die Reisegeschwindigkeiten zu erhöhen. Zum anderen sollte endlich der Ringschluss und die Umspurung der „Taitung Line“ (auf der meist noch dampfgeführte Reisezüge über 762mm breite Gleise wie im 19. Jahrhundert schaukelten) erfolgen, damit die Bahn auch abseits der Stammlinie wieder konkurrenzfähiger werden würde. Ab 1979 nahmen die ersten elektrischen Züge zwischen Taipei und Kaohsiung den Betrieb auf, im gleichen Jahr konnte die bis dato isolierte Taitung Line an der Ostküste von Norden her durch den Bau der „North Link Line“ zwischen Su’ao und Hualien an das restliche Eisenbahnnetz angeschlossen werden. Anschließend erfolgte die Umspurung der „Taitung Line“ zwischen Hualien und Taitung auf Kapspur und 1991 konnte schließlich mit der Vollendung der „South Link Line“ zwischen Fangliao und Taitung der Ringschluss um die Insel erfolgen. Für den Pendlerverkehr in den Ballungsräumen wurden vermehrt elektrische Triebwagen beschafft, zusätzliche Dieseltriebwagen wurden für den Betrieb auf den neu gebauten Abschnitten der Ringlinie insbesondere aus Japan erworben. Die letzten Dampfloks schieden Mitte der 1980er-Jahre aus dem aktiven Dienst aus.
Bild 21: Die Lok E102 gehört zur ersten Elektrobaureihe, die in Taiwan eingesetzt wurde. GEC lieferte ab 1976 insgesamt 20 Exemplare nach Taiwan, die dem dortigen Klima aber überhaupt nicht gewachsen waren und erst nach mehreren Umbauten richtig einsatzfähig wurden. Alle Exemplare sind inzwischen außer Betrieb (Lexcie, CC BY-SA 3.0 [creativecommons.org], via Wikimedia Commons).
Bild 22: GEC lieferte ab 1978 ebenfalls 13 Elektrotriebwagen nach Taiwan. Wie die E-Loks hatten sie erhebliche Startschwierigkeiten. Bis auf zwei Triebzüge, die museal für Sonderfahrten unterhalten werden, sind alle Exemplare verschrottet (Lexcie, CC BY-SA 3.0 [creativecommons.org], via Wikimedia Commons).
Bild 23: Dieses Bild zeigt die Einfahrt eines Personenzuges in den Bahnhof Zhixue an der Taitung Line nach dessen Umspurung auf Kapspur (Encino, CC BY-SA 3.0 [creativecommons.org], via Wikimedia Commons).
Bild 24: Auf diesem Bild erkennt man ganz gut die menschenleere Landschaft, durch die die 1991 eröffnete South Link Line führt (billy1125, CC BY 2.0 [creativecommons.org], via Wikimedia Commons).
Neben diesen positiven Entwicklungen gab es aber parallel auch einen Niedergang im Güterverkehr und den Nebenbahnen zu verzeichnen. Die Industrie wandelte sich sehr schnell von einer Schwer- und Agrarindustrie hin zu einer kleinteiligeren Produktion, insbesondere Spielzeug und Schuhe, ab den 1970er-Jahren auch vermehrt Elektronikprodukte. Diese hat weit weniger Anforderungen an den Güterverkehr auf Schienen. Durch den massiven Straßenausbau und die kurzen Transportwege auf der relativ kleinen Insel wurde die Bahn selbst im Transport von Massengütern wie Kohle oder Zement immer weniger konkurrenzfähig gegenüber dem Transport auf der Straße. Zudem nahm die Landflucht in die Städte mehr und mehr zu, so dass einigen Stichstrecken und Anschlussgleisen jegliche Art von Beförderungsfällen abhanden kam. Ein paar konnten sich dank dem inzwischen gewachsenen Touristenverkehr halten, andere wurden aber stillgelegt und abgebaut. Oftmals war das Militär der letzte Kunde der Bahn, die Streitkräfte stellten aber auch Anfang der 1990er-Jahre auf Straßentransport um. Dank der Eröffnung der South Link Line erreichte das Netz der TRA 1991 seine größte Ausdehnung mit 1.164km, seither wurden fast 80km Strecke stillgelegt und meist auch abgebaut.
Bild 25: Das Eisenbahnnetz Taiwans im Jahre 1991 (exklusive der Wald- und Zuckerrohrbahnen sowie sonstiger privater Industrie- oder Kohlebahnen). Die seit 1958 neu hinzugekommenen Strecken sind rot markiert, seit 1958 stillgelegte Strecken sind orange markiert. Am auffälligsten ist der Lückenschluss des Ringes rund um die Insel. Erst 1991 wurde das fehlende Stück an der Südspitze der Insel in Betrieb genommen. Die nördliche Anbindung der bis dato isolierten Ostküstenstrecke zwischen Hualien und Taitung erfolgte bereits knapp zehn Jahre zuvor, zwischendurch wurde die Ostküstenlinie Hualien – taitung auch von 762mm auf 1067mm umgespurt. Dazu kamen dann noch ein paar wenige, kurze Stichstrecken zur Anbindung von Häfen oder Kohleminen/Kohlekraftwerken, die aber oft schon vor 1991 wieder stillgelegt wurden.
Noch viel härter als die normale Eisenbahn betraf der Wandel die Wald- und Zuckerbahnen. Durch massive Abholzung entzogen sich die meisten Waldbahnen selbst ihrer Grundlage, die letzten Waldbahnen an der Ostküste stellten Anfang der 1980er-Jahre den Betrieb ein. Lediglich die Alishan Forest Railway konnte sich dank Touristenverkehr bis heute halten. Auch auf den Zuckerbahnen nahm der Verkehr rapide ab. Gab es 1953 noch 41 Zuckerbahnstrecken mit regelmäßigem Personenverkehr (675km und bis zu 60.000 Fahrgäste pro Tag), so waren es 1961 nur noch 25 Strecken, 1971 blieben noch 17 übrig, 1981 noch drei und 1982 endete schließlich der Personentransport auf den Zuckerbahnen. Inzwischen gibt es auf ein paar kurzen Abschnitten wieder Museumsverkehr, aber lediglich eine Zuckerfabrik betreibt bis heute noch während der Zuckerrohrernte eine Bahn.
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