Liebe Freunde,
Anfang September 1973 konnte ich ein paar Tage bei meinen Großeltern in Hamburg verbringen. Neben dem obligatorischen Wir-müssen-dem-Bub-mal-Hamburg-zeigen-Programm schaffte ich es, mich halbtagesweise abzusetzen, um Altona, Rothenburgsort und den Hauptbahnhof eisenbahnerisch und alleine zu erkunden. Die Zeit der 01.10 auf der Marschbahn war ja schon ein gutes Jahr vorbei, aber das hatten wir ja schon. 1973 kamen aber noch 01.5 aus Wittenberge mit den Interzonenzügen bis Hamburg-Altona.
Da ich keinerlei verwandtschaftliche Beziehungen in die DDR hatte, waren mir die Lokomotiven der Reichsbahn doch ziemlich fremd und so beschloss ich, mit einem 01.5 bespannten Interzonenzug bis zum Grenzbahnhof Büchen zu fahren. Die Wittenberger 01 0508 brachte mich dann am Samstag, den 8. September 1973, am frühen Nachmittag nach Büchen. Eigentlich wollte ich bei der nächstbesten Gelegenheit wieder zurück nach Hamburg fahren, zumal ich mein Erscheinen bei den Großeltern für den späteren Nachmittag angekündigt hatte. Da sollte aber nichts draus werden, denn schon bei der Einfahrt nach Büchen nahm ich die Umrisse einer Reichsbahn-Dampflok war. Also Programmänderung. Statt nach dem nächsten Zug Richtung Hamburg zu suchen, suchte ich den Weg zu der kleinen Lokbehandlungsanlage. Ein richtiges Bw schien es in Büchen nie gegeben zu haben? Selbst an eine Drehscheibe kann ich mich nicht erinnern.
Und dann stand ich vor ihr, vor 50 4067-0 vom Bw Hagenow Land.
Bild 1:
Nie zuvor sowas gesehen. Ich wusste zwar, dass die 50.40 eine Nachbauserie der Baureihe 50 war, zu der verschiedene Baugruppen der 23.10 verwendet wurden, wie Kessel, Führerhaus und Tender. Dass die 50.40 aber die zuletzt gebaute Dampflokbaureihe der DR und 50 4088 die letztgebaute Normalspurdampflok der DDR war (also das Pendant zur 23 105 der Bundesbahn), habe ich erst hinterher nachgelesen. Auf jeden Fall war ich von der 50 4067 recht beeindruckt, wenngleich das dritte Spitzenlicht einen eher provisorischen Charakter vermittelte. Vielleicht war es auch nur für Westfahrten notwendig.
Die musste inspiziert werden:
Das Führerhaus sah recht bekannt aus, ein Gattungsschild hatte ich noch nie an einer Dampflok gesehen, das RBD und Bw nur aufgemalt war, so was kannte ich auch aus dem Westen, und die fehlende Indusi ist mir erst dieser Tage aufgefallen.
Bild 2:
Das Fabrikschild am Zylinder musste ich natürlich auch fotografieren, wann sieht man denn so was. Die Fabriknummer ist leider nicht entzifferbar, das Baujahr 1960 jedoch eindeutig.
Bild 3:
Die Front der 50.40 hatte mit der mir bekannten Bundesbahn-50er-Front nicht viel Gemeinsames. Sinn und Zweck der Löcher in den Windleitblechen blieben mir verborgen.
Bild 4:
Ein schöner Rücken, … . Reichsbahn-Dampfloks funktionierten offensichtlich auch mit West-Wasser.
Bild 5:
Mein „Feindbild“, ich oute mich hier mal als Südwest-Wessi, wurde mit einer Einladung zur Besichtigung des Führerstands völlig auf den Kopf gestellt. Wie überhaupt die Atmosphäre an diesem warmen Septembersamstag in Büchen absolut entspannt und locker war. Von kaltem Krieg, es sollte ja noch 16 Jahre bis zur Wende dauern, nichts zu spüren.
Gerne nahm ich die Einladung an: Auf den ersten Blick keine großen Unterschiede zu einer Bundesbahn-Dampflok, den Seitenzug-Regler kannte ich schon von den Bundesbahn 23er und 41er mit Neubaukessel. Ob die hier auch immer klemmten?
Bild 6:
Die Anzeigen für die verschiedenen Drucklüfte und die Geschwindigkeit waren übersichtlich um die Steuerungsskala angeordnet.
Bild 7:
Die rotierende Klarsichtscheibe im Frontfenster war mir schon von außen aufgefallen, daher noch ein Bild von innen, wobei die V 200 auch mit drauf sollte.
Bild 8:
Die Treppe zum Kohlenbansen(?) ermöglichte dieses Weitwinkelfoto von etwas oben.
Bild 9:
Über Büchen lief auch für einen Samstagnachmittag recht viel Güterverkehr. Die nicht mal drei Jahre alte 120 296 vom Bw Hagenow Land fährt mit Getreidewagen (?) aus dem Osten kommend in Büchen ein.
Bild 10:
Nun wurde 50 4067 für die Rückfahrt vorbereitet. Ein paar Schippen Kohle und schon konnte es losgehen. „Klack“ wird Herr Trofimoff gleich sagen.
Bild 11:
Beim Vorziehen der 50 4067 gelang mir dieser Ost-West-Östliche Schnappschuss: 220 023, die knapp zwei Jahre später als erste von drei V 200.0 die grässliche o/b-Lackierung erhalten sollte, eingerahmt von den Reichsbahnloks 40 4067 und 120 296.
Bild 12:
50 4067 zieht weiter vor.
Bild 13:
Wenngleich ich kein so großer Freund von Bilderserien aus der Reihe „….. und noch einen Meter“ bin, möchte ich heute einmal meinen Prinzipien untreu werden; zu viele Details aus dem Umfeld sind auf den Bildern zu erkennen.
Bild 14:
Noch im Bahnhofsbereich lag die Brücke über den Elbe-Lübeck-Kanal. 50 4067 musste bis zu dieser Brücke vorziehen. Die Brücke wurde nach der Wende im Zuge des Ausbaus der Strecke von Hamburg nach Berlin durch eine doppelspurige Stahlbogenbrücke ersetzt.
Bild 15:
1973 verfügte Büchen noch über recht ausgedehnte Gleisanlagen. Einen Rangierbahnhof sucht man heute vergeblich, da ist jetzt alles stromlinienförmig auf Durchzug ausgerichtet. Nun, die Notwendigkeit Güterzuge umzuspannen besteht ja auch schon einige Jahrzehnte nicht mehr.
Bild 16:
Bild 17:
Von der Ausfahrt der 50 4067 aus Büchen habe ich keine Fotos, da standen damals bei mir Tonaufnahmen im Vordergrund. Der Güterzug, den 50 4067 Richtung Osten zog, hatte eine beträchtliche Länge, dementsprechend knackig wurde die Tonaufnahme dann auch. Das sollte meine einzige Begegnung mit einer 50.40 der DR bleiben. Leider blieb mit 50 4073, die beim Bayerischen Eisenbahnmuseum in Nördlingen gepflegt wird, nur eine einzige Lokomotive dieser formschönen Baureihe erhalten. Das mag sicher dem Umstand geschuldet sein, dass die 50.40 der DR bereits 1980 vollständig ausgemustert worden war.
Bevor ich wieder zurück nach Hamburg fahren konnte, gelang mir noch diese Porträt der Schweriner 118 275. Auch eine Baureihe, die mir noch nie begegnet war.
Bild 18:
Insgesamt war das ein sehr ertragreicher Ausflug nach Büchen, der die Ansprache, die ich mir wegen verspäteter Rückkehr anhören durfte, durchaus wert war. Was haben wir es heute mit den Händis doch so leicht… .
Wünsche Euch allen ein schönes zweites Adventswochenende.
Matthias Maier