Die sechs meterspurigen Stammnetz-Pendelzüge der Rhätischen Bahn werden demnächst ausrangiert und verschrottet. Bereits jetzt werden solche Züge nur noch ausnahmsweise eingesetzt. Die Stammnetz-Pendel erfüllen die Anforderungen des Behinderten-Gleichstellungs-Gesetzes nicht.
1 – Ein Stammnetz-Pendel im neusten Corporate Design, zusammengesetzt aus einem Triebwagen, je einem Zwischenwagen der Typen EW I und Spitzenverkehr sowie einem Steuerwagen, unterwegs von Landquart nach Malans. Im Hintergrund von links die Churfirsten, Gonzen, Alvier, Fläscherberg und, weit hinten ganz rechts, das Alpstein-Massiv (12.11.2018).
2 – Im älteren Anstrich unterwegs ist dieser Zug, mit zwei Zwischenwagen vom Typ Spitzenverkehr, ebenfalls zwischen Landquart und Malans (1.10.2011).
3 – Im Cavadürli, mit Blick hinunter ins Mittlere Prättigau (26.6.2018).
Vier Stammnetz-Pendel, bestehend aus den Be 4/4 511-514, den Steuerwagen ABDt 1711-1714 und den Zwischenwagen B 2411-2414 in der EW I-Bauart, stehen seit 1971 im Einsatz.1979 folgten zwei weitere Züge, bestehend aus den Be 4/4 515-516, den ABDt 1715-1716 und den B 2415-2416. Die Führerstände dieser beiden Züge wurden den Be 4/4 511-514 entnommen, die seither, wie die Be 4/4 515 und 516 von Beginn weg, nur noch über den einen Führerstand am vorderen Triebwagen-Ende verfügen. Die Kasten der nachgelieferten Trieb- und Steuerwagen unterscheiden sich in einigen Details von jenen der erstgelieferten, ebenso die Drehgestelle unter den nachgelieferten Steuer- und Zwischenwagen. 1987/88 wurden schliesslich vier weitere, zu den Stammnetz-Pendeln passende Zwischenwagen in der Spitzenverkehrs-Bauart nachbeschafft.
Anfänglich verkehrten die Stammnetz-Pendel meistens drei-, später vierteilig. Anders als das herkömmliche RhB-Rollmaterial waren die Züge druckluft- und nicht vakuumgebremst und mit abweichenden Zug- und Stossvorrichtungen ausgerüstet. So konnten immer nur die 22 oben erwähnten Fahrzeuge (je 6 Trieb- und Steuerwagen sowie 10 Zwischenwagen) miteinander kombiniert werden. Anderes Rollmaterial wurde nie mitgeführt.
Einsatz-Schwerpunkte der Stammnetz-Pendel waren das Churer Rheintal (Landquart – Chur – Thusis) und das Prättigau (Landquart – Klosters). Mehr oder weniger regelmässig kam es aber auch zu Einsätzen auf (fast) dem gesamten übrigen RhB-Stammnetz. Lediglich zwischen Filisur und Spinas waren die Stammnetz-Pendel kaum je zu sehen.
Die Triebwagen verfügen über eine Thyristor-Steuerung – seinerzeit eine beachtenswerte Pionierleistung. Die Be 4/4 waren die ersten serienmässig mit Halbleiter-Elementen ausgerüsteten Triebfahrzeuge einer schweizerischen Eisenbahn!
In ihrer langen Einsatzzeit sind die Züge immer wieder erneuert und umgebaut worden. Erwähnenswert sind etwa die Anpassungen an den kondukteurlosen Betrieb, der Ausbau der ursprünglich die Raucher- und Nichtraucherabteile trennenden Zwischenwände und -türen, der Ersatz der Senk- durch Festfenster (ausser bei den von Beginn weg mit Festfenstern ausgerüsteten Spitzenverkehrswagen), der Einbau rechteckiger unterer Frontlampen an Stelle der ursprünglich runden bei gleichzeitigem Ausbau der ursprünglich separat vorhandenen Schlussleuchten sowie die Anpassung des Aussenanstrichs an das geänderte Corporate Design der RhB.
Jahrzehntelang bin ich fast täglich mehrmals als Fahrgast in einem Stammnetz-Pendelzug mitgefahren – meistens über kurze Strecken. So sind tausende von Fahrten zusammengekommen. Ich habe die Züge als sehr zuverlässig erlebt. Lediglich mit der mich nicht ansprechenden Inneneinrichtung der Spitzenverkehrs-Zwischenwagen konnte ich mich nie anfreunden.
Bald bleibt nur noch die Erinnerung. Aus heutiger Sicht ist zu erwarten, dass es Ende 2021 keinen dieser Züge mehr geben wird. Die Erhaltung eines Stammnetz-Pendels oder von Teilen davon ist nicht vorgesehen und würde auch wenig Sinn machen – diese Züge können nicht mit anderem Rollmaterial kombiniert werden und sie wirken schlicht zu modern, um als Nostalgiezüge zu begeistern.
Wie oben schon gesagt haben bereits heute, knapp 50 Jahre nach der Inbetriebnahme des ersten Stammnetz-Pendels, vierteilige Stammnetz-Allgra’s und Capricorn’s den grössten Teil der jahrzehntelang den Stammnetz-Pendeln zugeteilten Aufgaben übernommen. Und so stehen die sechs Vororts-Pendel derzeit die meiste Zeit auf Abstellgleisen herum, auf den Schneidbrenner wartend.
Es folgen ein paar Bilder von speziell formierten Stammnetz-Pendelzügen:
4 – Doppelpendel, bestehend aus einer vier- und einer zweiteiligen Komposition, in Cazis (16.2.1979).
5 – Mit zwei Steuerwagen ist dieser Zug von Cazis nach Thusis unterwegs (9.11.1986)..
6 – Doppelpendel, zwischen Rodels und Rothenbrunnen (3.11.1981).
7 – Doppelpendel, bei Bonaduz (17.10.1988).
8 – Zug mit zwei Steuerwagen auf der Hinterrheinbrücke bei Reichenau (14.10.1974).
9 – Zwei Trieb- und ein Steuerwagen, auf der gleichen Brücke (1.10.2011).
10 – Sehr bunt gemischter Zug mit zwei Triebwagen, einem Zwischenwagen Typ Spitzenverkehr und einem Steuerwagen, zwischen Chur und Felsberg (3.3.2012).
11 – Mit zwei Steuerwagen unterwegs ist dieser Zug. Zwischen Felsberg und Chur (3.6.2020).
12 – Doppelpendel, bei Zizers (17.5.1986).
13 – Triebwagen als Alleinfahrer sind nie fahrplanmässig gefahren. Hier ein Solo-Triebwagen auf Probefahrt, angetroffen zwischen Malans und Landquart. Zu sehen ist der Be 4/4 515, der seit Ablieferung nur über einen Führerstand verfügt (9.10.1988).
14 – Ein fünfteiliger Stammnetz-Pendel, ebenfalls zwischen Malans und Landquart unterwegs (24.7.1994).
15 – Achtteiliger Doppel-Pendel, bei Malans. Im Hintergrund die Churfirsten, der Gonzen und der Alvier (6.7.2014).
16 – Sechsteiliger Doppelpendel, nahe Jenaz (28.7.1983).
17 – Achtteiliger Doppelpendel im Engadin, zwischen Samedan und Celerina (8.2.2003).
18 – Ebenfalls im Engadin, bei la Punt Chamues-ch, ist dieser sechsteilige Doppelpendel unterwegs (14.3.2010).
19 – Ein ganz normaler vierteiliger Pendel, bei Celerina (31.3.2001) …
20 - … und hier bei Ardez (19.10.2018).
21 – Stammnetz-Pendel mit zwei Steuerwagen in der Ruinaulta oberhalb der Station Versam-Safien (27.8.2015).
Es folgen ein paar Bilder ganz normaler Stammnetz-Pendel. Begeben wir uns auf eine Rundreise von Filisur über Davos, Landquart und Chur zurück nach Filisur!
22 – Auf dem Brombenzer Viadukt in der Zügenschlucht (16.7.1983).
23 – Bei Davos Glaris (19.3.1984).
24 – Im Oberlaret (26.2.2011).
25 – Ebenfalls im Oberlaret (26.10.2017).
26 – Im Saaser Stutz (28.7.1983).
27 – Im Fuchsenwinkel, wo die Bahnstrecke heute durch einen Tunnel verläuft (12.5.1978).
28 – Ausgangs Grüsch vor der Kulisse des Vilan und – auf halber Höhe – des Dorfes Seewis im Prättigau (24.2.1993).
29 – Kurz vor der Klus, unterhalb der Station Seewis-Pardisla (18.6.2008).
30 – Ausgangs der Klus, auf der Prättigauer Seite (8.7.1994).
31 – Ausgangs der Klus, auf der Herrschäftler Seite 21.10.2006).
32 – Bei Malans (19.11.2006).
33 – Ebenda (5.5.2013).
34 – In der Station Malans (2.6.1978).
35 – Zwischen Malans und Landquart (10.4.2011).
36 – Ebenda, Blickrichtung Chur (19.4.2011).
37 – Ebenda, Blickrichtung Norden mit Churfirsten, Gonzen, Alvier, Fläscherberg und Alpstein und, ganz rechts, einem Teil des Falknis (29.5.2005).
38 – Ausgangs Landquart. Hinten das Dorf Mastrils (14.8.2010).
39 – Zwischen Igis und Zizers vor der Kulisse des Falknis (10.5.1986).
40 – Kurz vor Zizers. Im Hintergrund das Scesaplana-Massiv (18.5.1986).
41 – Nochmals ein Bild der Hinterrheinbrücke bei Reichenau (25.12.2006).
42 – Bei Bonaduz (15.10.2006).
43 – Ebenda (1.8.2011).
44 – Bei Rhäzüns (15.8.1978).
45 – Blick vom Heinzenberg hinüber ins Domleschg mit der Kirche Tumegl/Tomils, Schloss Ortenstein und – oberhalb des hintersten Erstklassfenster des Steuerwagen knapp erkennbar – der kleinen, sehenswerten Kapelle Sogn Luregn ob Paspels (3.8.2008).
46 – Zwischen Rothenbrunnen und Rodels verläuft das Bahntrassee auf dem einst vom Ingenieur-Pionier Richard La Nicca erbauten Hinterrhein-Damm (21.10.2008).
47 – St.Peter Mistail bei Alvaschein (11.6.1979).
48 – Wo ist wohl diese Aufnahme entstanden? In den ersten Jahren fuhren Stammnetz-Pendel fahrplanmässig bis Filisur – von Tiefencastel her ebenso wie von Davos her (5.7.1980).
49 – Begegnung im Bahnhof Filisur: Links die Ge 4/4I 610 vor dem Regio nach Davos, in der Mitte die Ge 6/6II 706 vor dem Schnellzug nach Chur, rechts vorne der Be 4/4 513, auf Fahrgäste nach Alvaneu, Surava, Solis (so dort jemals jemand ausgestiegen ist) und Sils wartend (4.8.1973).
50 – Im winterlichen Bahnhof Filisur (2.1.1980).
Die Ablösung für die Stammnetz-Pendelzüge steht bereit:
51 – Die fünf vierteiligen Stammnetz-Allegra 3101-3105, auch Stammnetz-Pendelzug STZ genannt, sind 2011/2012 abgeliefert worden. Sie haben die Stammnetz-Pendel von den heute S1 und S2 genannten Verbindungen Schiers – Rhäzüns und Chur – Thusis verdrängt, sollen demnächst aber ins Engadin verschoben werden. Ihre Dienste im Churer Rheintal sollen dann …
52 – … ebenfalls vierteilige Capricorn-Triebzüge übernehmen, auch Regional-Pendelzüge (RTZ) genannt. Die RhB beschafft insgesamt 56 solche Züge! Der erste hat vor knapp zwei Jahren das RhB-Netz erreicht. Eine offizielle Premièrenfahrt wurde fünfviertel Jahre später durchgeführt, doch die Inbetriebsetzungs-Phase ist auch heute noch bei Weitem nicht abgeschlossen. Eine kleine Randnotiz: Die Inbetriebsetzungs-Phase der ersten Stammnetz-Pendelzüge hat 1971 gerade einmal zwei Monate lang gedauert.
Bernhard Studer
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