Hallo!
Unter der Bezeichnung „Aktion Lindwurm“ oder auch „Operation Lindwurm“ lief der Abtransport von 102.000 Giftgasgranaten aus der Westpfalz zum Nordseehafen Nordenham.
Beginnend am 26.7.1990 wurden an 28 Werktagen insgesamt 560 Container mit Giftgasgranaten von einem US-Militärdepot bei Clausen (Nähe Pirmasens) mit Lkw nach (Bruchmühlbach-) Miesau gebracht. Dort wurden die Container gesammelt und in der Zeit vom 12.9.1990 bis zum 18.9.1990 auf Waggons verladen und nach Nordenham gefahren. In Nordenham erfolgte die Verladung auf zwei Schiffe, die die gefährliche Fracht zum Johnston-Atoll im Pazifik brachten, wo man die Granaten unschädlich machte.
Ab 12.9.1990 verkehrten täglich drei Züge, die über Ludwigshafen, Worms, Gießen, Kassel und Nienburg den Hafen Nordenham erreichten. Es gab zwar auch Ausweichstrecken für eventuelle Störfälle (z.B. entlang der Mosel), die aber nicht genutzt wurden. Bespannt waren die Züge mit jeweils zwei Loks der Baureihe 218 in der damals aktuellen orientroten Farbgebung, nur am 18.9. war mit 218 394 auch eine beige-türkise Lok im Einsatz.
Die Abfahrt des ersten Zuges sollte jeweils gegen 17 Uhr in Miesau sein, die beiden anderen Züge folgten im Abstand von wenigen Minuten. Zug 1 und 2 beförderten die Wagen mit den 20-Fuss-Containern und die Begleitmannschaft, Zug 3 war der Rettungszug mit Lazarettwagen, Gerätewagen und Spürpanzern. Die Wagen trugen an der Seite eine Nummerntafel von 1 bis 100, wobei nicht alle Nummern vergeben waren.
Die 218 blieben bis Kassel am Zug, dort übernahmen dann jeweils Hagener 218 den Weitertransport. Als Lokzug fuhren anschließend die sechs abgelösten 218er zurück nach Kaiserslautern.
Für diejenigen, die sich etwas tiefer mit dem Thema beschäftigen möchten, kann ich diese drei Links empfehlen:
1. Wikipedia: [
de.wikipedia.org]
2. Docu Center Ramstein: [
www.dc-ramstein.de]
3. Bahnpolizei mit vielen Bildern: [
bahnpolizeiderdb.de.tl]
Zur Überwachung der Züge und des Transportweges waren über 10.000 Mann der Länderpolizeien, des Bundesgrenzschutzes und der Bahnpolizei eingesetzt. Brücken über die Bahn wurden 15 Minuten vor Eintreffen der Züge gesperrt. Alle Straßen und Feldwege entlang der Gleise wurden intensiv bestreift. Ob das Fotografieren in Gleisnähe jetzt direkt verboten war oder nur „nicht erwünscht“, weiß ich heute nicht mehr. Später habe ich erfahren, dass es tatsächlich Platzverweise für Fotografen gegeben hat.
Um Unannehmlichkeiten aus dem Weg zu gehen, wählte ich als Fotopunkt das Gleisdreieck südlich des Wormser Bahnhofsvorfeldes. Man musste dazu ca. 80 Meter über das Gelände eines Möbelhauses gehen. Das war aber kein Problem, man kannte mich und ich hatte die Erlaubnis.
Um 17.35 Uhr hatte ich „Einsatzbeginn“, und ich fotografierte mich mit Loks der Baureihen 103, 110, 120, 140, 141 und 150 schon mal warm. Etwa um 18.45 Uhr bemerkte ich, dass kein Verkehr mehr über die einsehbaren Brücken stattfand. Nach einiger Zeit kam dann ein Hubschrauber entlang der Strecke von Ludwigshafen geflogen. Jetzt sollte es eigentlich gleich losgehen. Aber der Hubschrauber blieb über mir stehen wie festgeschraubt. Während ich mir dachte „hoffentlich ist die Radau-Kiste bald weg“, sah ich zwei Bahnpolizisten aus Richtung Bahnhof auf mich zu rennen. In der einen Hand hielten sie die Mütze und in der anderen Hand hatten sie ein Funkgerät. Als der erste mich erreicht hatte, rief er: „Ei, das sind ja sie. Das hätten wir uns gleich denken können!“ Und ins Funkgerät schrie er: „Den kennen wir. Das geht in Ordnung!“
Endlich verschwand der Hubschrauber. Die Ruhe kehrte wieder ein und man erklärte mir: „Da oben hockt der Häuptling drin. Der ist wegen ihnen ganz aufgeregt.“ „Gut“, sagte ich, „ich verschwinde dann gleich.“ Ich bekam die Antwort: „Nein, bleiben sie hier, das ist jetzt okay. Tschüss!“ Und sie gingen zurück zum Bahnhof. Da hatte ich Glück gehabt, dass mich die Männer von der Wormser Bahnpolizeiwache kannten. Nur deshalb gibt es jetzt auch die nachfolgenden Bilder.
Bild 1: Es war 18.58 Uhr, als am 12.9.1990 der erste Giftgaszug mit der Zugnummer Dgm 99011 und den Loks 218 387 und 218 373 durch Worms rollte. Das Gleis im Vordergrund gehörte zur stillgelegten Bahnstrecke Worms – Offstein.
Bild 2: Nachschuss auf den umgebauten Umbauwagen. Der Fensterabstand verrät, dass er mal ein AB3yg war. Zum Zeitpunkt der Aufnahme hieß er Pwg und hatte die Wagennummer 3. Die Beobachtungskanzel war besetzt; wie die von innen aussieht, zeigt ein Bild in dem oben angeführten Bahnpolizei-Link.
Bild 3: So sahen die Wagen mit den Giftgas-Containern aus. Oben links an der Hauswand sieht man Werbung für das Möbel- und Einrichtungshaus RHEINMÖVE. Wer aus der Umgebung kommt und das entsprechende Alter hat, wird sich vielleicht noch an Chris Howland erinnern, der jahrelang auf dem Radio-Sender SWF3 im Werbeblock vor den Nachrichten die magischen Worte sprach: „Rheinmowe in Woorms – da muss man hin!“ Im Jahr 2002 wurde das Möbelhaus RHEINMÖVE geschlossen, Chris Howland hat es bis 2013 geschafft.
Bild 4: Um 19.04 Uhr kam Dgm 99012 mit den Zugloks 218 383 und 218 372. Das Bild ist weitgehend identisch mit Bild 1, ich habe mich trotzdem fürs Zeigen entschieden. Im Hintergrund sieht man die Neusatzbrücke, die wie die beiden anderen Brücken über die Bahn in Worms rund eine halbe Stunde lang gesperrt war.
Bild 5: Wieder ist ein Pwg mit Dachkanzel im Zug, dieser trägt die Wagennummer 43. In seinem früheren Leben war er ein B3yg.
Bild 6: Ein Fahrzeug der Bundeswehr. Zur Bedienung dieser Fahrzeuge waren auch Bundeswehr-Soldaten im Zug.
Bild 7: Als letzter erschien um 19.12 Uhr der Begleitzug mit der Zugnummer Dgm 99013. Vorgespannt waren 218 379 und 218 386. Er bestand u.a. aus 17 ehemaligen Schnellzugwagen, die speziell für diesen Einsatz eine Rettungs- und Lazaretteinrichtung erhalten hatten, zwei Gerätewagen MDy und Transportwagen mit Gasspürpanzern der Bundeswehr.
Bild 8: Ein ehemaliger Halbgepäckwagen war auch dabei.
Bild 9: Die letzten zehn Wagen des Begleitzuges. Die beiden MDy-Gerätewagen hatten die Nummern 90 und 91.
Bild 10: Das Zugende. Wagen 98 und 99 trugen die Gasspürpanzer, Wagen 100 die Absetzrampe für die Fahrzeuge. Beinahe hätte mir die am linken Bildrand gerade noch erkennbare 103 201 den Begleitzug zugefahren. Oben warteten die Verkehrsteilnehmer darauf, dass die Brücke endlich wieder freigegeben wird.
Bild 11: Am 14.9.1990 ging es erneut auf Lindwurm-Pirsch. Als Fotopunkt wählte ich die Wormser Eisenbahnbrücke, hessische Seite. Um niemanden nervös zu machen, versteckte ich mich hinter Bäumen und kam erst dann heraus, als der Hubschrauber vorbei geflogen war. Eine Uhrzeit habe ich diesmal nicht notiert, es wird wieder um 19 Uhr gewesen sein, als der Dgm 99011 mit den Zugloks 218 369 und 218 371 auf der Brücke erschien.
Bild 12: Seitenbild von den Loks. Während die vordere 218 369 als vermutlich einzige die Loknummer über dem DB-Keks trug, hatte die 218 371 die Loknummer unter dem Keks stehen.
Bild 13: Bei den Wagen 1 und 2 fiel auf, dass ihnen die beige Zierlinie über dem Längsträger fehlte.
Bild 14: Für den Dgm 99012 hatte ich den Fotopunkt um etwa eine Zuglänge weiter in Richtung Hofheim/Ried verlegt. Mit Loknummern kann ich diesmal leider nicht dienen.
Bild 15: Den Begleitzug Dgm 99013 erwartete ich nach erneutem Fotopunkt-Wechsel am Ortseingang von Hofheim/Ried. Dort wanderten dann 218 383 und 218 373 auf das Dia.
Bild 16: Nachschuss mit dem alten Einfahrsignal von Hofheim. Auch schon lange Geschichte. Am Schluss lief wieder Wagen 100 mit seiner Absetzrampe.
Bild 17: Leider konnte ich nur noch am 16.9.1990 dem Lindwurm nachstellen. Was an diesem Tag los war, weiß ich heute nicht mehr. Jedenfalls verpasste ich den ersten Zug, dafür wurde mir der zweite zugefahren. Fotopunkt war Worms, Im Winkel. Immerhin konnte ich den schon von Bild 5 bekannten Pwg mit der Wagennummer 43 noch einmal ablichten.
Bild 17a: Das Auge des Gesetzes hatte mich erfasst.
Bild 17b: Ich habe mal die Nummer vergrößert, weil vielleicht jemand Interesse daran hat.
Bild 18: Wagen 48 fotografierte ich auch noch, er hatte zwei 20-Fuss-Container der US-Armee geladen.
Bild 18a: „Do not use forklifts“.
Bild 19: Der Begleitzug war mit 218 387 und 218 373 bespannt und fuhr um 19.01 Uhr an mir vorbei. Wie damals üblich, war das Spitzenlicht am Tag nicht angeschaltet.
Bild 20: Der Nachschuss war schließlich mein letztes Bild vom Lindwurm.
Wer möchte, der kann sich den Lindwurm auch noch bei Youtube in einem kurzen Film ansehen.
Hier ist der Link: [
www.youtube.com]
Der Abtransport der C-Waffen verlief störungsfrei. Er soll über 100 Millionen DM gekostet haben.
Gruß
Harald