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Die Baureihe 427 (ET 27) - Der Vorfahre der S-Bahn-Triebwagen
Seit der "Erstausstrahlung" am 07. Dezember 2004 ist eine Menge Wasser den Neckar heruntergeflossen. Grund genug diesen Beitrag
rundzuerneuern und mit zusätzlichen Aufnahmen zu versehen. Viel Spaß beim Lesen und beim Betrachten der z.T. recht seltenen Bilder!
Anfang der sechziger Jahre wurden S-Bahn-Netze für die westdeutschen Metropolen immer dringlicher. Da jedoch lediglich Berlin und Hamburg S-Bahn-Netze besaßen und diese zudem noch als Gleichstrombahnen ausgeführt waren, beschloß man die neuen Triebzüge als Wechselstromtriebwagen zu konzipieren, um dieser Entwicklung von Gleichstrom-Inselbetrieben Einhalt zu gebieten.
Ursprünglich als zweiteiliger und spurtstarker Triebwagen geplant, ergänzte man ihn später um einen antriebslosen Mittelwagen, nachdem klar geworden war, dass im Großraum Stuttgart die angedachten 120 km/h Höchstgeschwindigkeit nur selten erreicht wurden. Die Anfahrbeschleunigung sank dadurch von 0,6 m/s² auf 0,42 m/s² (andere Quellen 0,48 m/s²), was aber als vertretbar angesehen wurde. Alle Achsen der Triebköpfe waren angetrieben, sodass sich eine Dauerleistung der Fahrmotoren von 1200 kW (8 x 150 kW) bei 84 km/h ergab. Die Zuglänge betrug 73,85 Meter, die größte Achslast 16 to. Ansonsten hatte man den ET 27 für S-Bahn-spezifische Anforderungen, wie schneller Fahrgastwechsel, unterschiedliche Bahnsteighöhen und kurze Haltestellenabstände ausgerüstet, was sich auch in der Fußbodenhöhe von nur 900 mm niederschlug, was an vielen Bahnsteigen ein stufenloses Einsteigen erlaubte. Zumindest den kurzen Haltestellenabständen widersprach aber an sich die verringerte Anfahrbeschleunigung durch die Einfügung eines antriebslosen Mittelwagens. Für den Mechan-Teil waren die Firmen M.A.N und Wegmann/Kassel zuständig, die elektrische Ausrüstung kam von AEG und BBC.
Untergestell und Wagenkastengerippe wurden in Stahlleichtbauweise ausgeführt. Unter dem Wagenkasten war eine 500 mm hohe Bodenwanne angebracht, die zum einen die elektrischen Baugruppen enthielt und zudem zur Festigkeit des Wagenkastens beitrug. Die auf dem Dach installierten Geräte wurden durch Sichtschürzen den Blicken der Reisenden entzogen. Aufgrund der niedrigen Bauweise wählte man Drehgestelle der Bauart München-Kassel, die oberhalb der Achslager keine Rahmenteile mehr besitzen und somit für diese Bauform hervorragend geeignet waren. Der Durchmesser von Treib- und Laufrädern betrug neu lediglich 900 mm. Neben mehrlösigen Luftdruck-Scheibenbremsen verfügte der Triebwagen auch über eine elektrische Widerstandsbremse.
Besondere Aufmerksamkeit galt bei der Konstruktion der Triebwagen den Einstiegstüren, da diese bis auf 625 mm über Schienenoberkante hinabreichten, aber auch an höheren Bahnsteigen öffnen mussten, ohne über die Wagenbegrenzung hinauszureichen. Man entschied sich für taschenlose Schwenkschiebetüren, bei denen das Öffnen durch eine pneumatische Hilfe unterstützt wurde, so dass sie sich leicht und zügig öffnen ließen. Die Wagen waren untereinander mit Hülsenpuffern und Schraubenkupplungen verbunden, die ebenfalls nur eine Höhe von 800 mm vorwiesen, so dass ein stufenloser Durchgang durch den Zug möglich war, während an den Zugenden automatische Scharfenbergkupplungen installiert wurden.
Im Jahre 1964 wurden fünf Fahrzeuge dieser Baureihe an die DB ausgeliefert. Die Baureihenbezeichnung lautete bis 1968 ET 27a/EM 27/ET 27b, ab 1968 427.1/827.0/427.4, die Achsanordnung war Bo’Bo’/2’2’/Bo’Bo’. Die Züge trugen die Gattungsbezeichnung BD4ym/AB4ym/B4ym. Auffallend war dabei, dass beide Triebköpfe denselben Grundriss aufwiesen, also beide Triebköpfe über ein Gepäckabteil verfügten, obwohl nur der 427.1 (ET27a) als BD, also 2. Klasse mit Gepäckabteil, geführt wurde. Das „Gepäckabteil“ im 427.4 (ET 27b) wurde als Traglastenabteil für Reisende ausgewiesen. Die 1. Klasse-Abteile befanden sich links und rechts neben der mittleren Einstiegstür des Mittelwagens mit insgesamt 24 Sitzplätzen. In der 2. Klasse waren 161 Sitzplätze vorhanden (inklusive Notsitze und Traglastenabteil). Die Abteile wurden sehr geräumig ausgeführt, was in der 2. Klasse zu einer Abteillänge von 1670 mm (Sitzplatzanordnung 2 + 2; bezogen mit graublauem Kunstleder), und in der 1. Klasse von 2100 mm (Sitzplatzanordnung 2 + 1; bezogen mit graublauem Plüsch) führte. Die Belüftung der Fahrgasträume erfolgte über in der Decke eingebauten Motorlüfter. Die Fenster waren im oberen Teil klappbar und in zwei Stellungen zu arretieren.
Geliefert wurden die Fahrzeuge im herkömmlichen purpurroten Anstrich, und mit einem relativ breiten, kieselgrauen Zierstreifen und einer ebensolchen Umrandung der Stirn- und Führerstandsseitenfenster. Bodenwanne und Drehgestelle erhielten einen schwarzen Anstrich, die Dachschürze wurde hellgrau ausgeführt. Im Februar 1976 wurde 427 102 als erster Triebwagen dieser Baureihe nach einer Unfallreparatur (Kollision mit einer 193 im Herbst 1974 bei Bondorf) in den damals aktuellen Farben oceanblau-beige lackiert.
Als Hochspannungsausrüstung besaß jeder Triebkopf einen Stromabnehmer DBS 54, sowie einen Hauptschalter vom Typ DBTF 20 i 200. Beide Triebköpfe waren über eine Dachleitung auf dem Mittelwagen verbunden, konnten also mit einem Stromabnehmer gefahren werden. Durch die ursprüngliche Planung als zweiteiliger Triebzug, besaß der Mittelwagen außer der Dachleitung keine antriebsrelevanten Teile. Als Transformator diente ein fremdgekühlter Spartransformator mit Zwangsölumlauf. Die Triebwagen verfügten über ein 28-stufiges Niederspannungsschaltwerk, mit dem bis zu drei Triebwagen von einem Führerstand aus gesteuert werden konnten. Die Fahrmotoren waren vierpolige eigenbelüftete Wechselstromreihenschlussmotoren des Typs EKB 330 mit einem Durchmesser von lediglich 600 mm. Für jeden Fahrmotor war im Dach ein Zusatzlüfter eingebaut. Die Züge besaßen einen Tatzlagerantrieb mit einseitig schräg verzahntem Vorgelege. Beim Bremsen bildete jede Fahrmotorgruppe einen Bremskreis.
Der ET 27 001 war mit einem Bremsfahrschalter ausgerüstet, der nach Erreichen der vollen Erregung (bei etwa 60 km/h) den Bremswiderstand in 14 Stufen mit sinkender Geschwindigkeit nach und nach abschaltete, so dass eine etwa gleichbleibende elektrische Bremskraft bis kurz vor dem Stillstand erhalten blieb. Kurz vor dem Stillstand schaltete die E-Bremse ab und die Luftdruckbremse zu, so dass der Triebwagen angebremst stehen blieb. ET 27 002 bis 005 verfügten lediglich über einen konstanten Bremswiderstand. Bei voller Erregung (etwa bei 60 km/h) sank die elektrische Bremskraft proportional mit der sinkenden Fahrgeschwindigkeit ab. Bei sinkender elektrischer Bremskraft, wurde von einem bremsstromabhängigen Bremsventil die Druckluftbremse automatisch verstärkt und die Bremskraft somit ausgeglichen. Kurz vor erreichen des Stillstandes übernahm die Druckluftbremse dann vollständig. Jeder Triebkopf versorgte eine Hälfte der Zugbeleuchtung, so dass bei Ausfall einer Hälfte, immer noch die andere Hälfte die Zugbeleuchtung sicherstellte. Dadurch konnte auf eine Notbeleuchtung verzichtet werden.
Zunächst wurden die Triebwagen im Ruhrgebiet gründlich getestet, bevor sie im Januar 1965 dem Bw Tübingen zugeteilt wurden. Zum Winterfahrplan 1970/71 kamen die Züge zum Bw Esslingen, bevor dieses eine Außenstelle des Bw Stuttgart wurde. Zum Sommer 1978 schließlich gelangten sie zum Bw Plochingen. Das Einsatzgebiet blieb aber eigentlich in dieser Zeit immer gleich. Unter anderem wurde von Stuttgart nach Horb, Ludwigsburg und Geislingen/Steige gefahren. Zum Winterfahrplan 1978 änderte sich dieses Schlagartig. Stuttgart Hbf wurde nicht mehr angefahren, ebenso entfielen alle Leistungen auf der Gäubahn. Statt dessen fuhr man von Plochingen aus nach Tübingen und Ulm und über Stuttgart-Münster nach Kornwestheim. Am 31. Mai 1981 kehrten die Züge zurück zum Bw Tübingen, das Einsatzgebiet blieb vorerst weitgehend unverändert. Immer öfter waren in den Plänen auch Triebwagen der Baureihen 425 oder 455 anzutreffen. Ab 1983 verlagerten sich die Einsätze in Richtung Kornwestheim.
Als erster Zug schied am 30. November 1984 der 427 103/827 003/427 403 aus dem Bestand aus, ohne zuvor auf „z“ gestellt worden zu sein. Am 12. Februar 1985 wurde der 427 101/827 001/427 401 von der Ausbesserung zurückgestellt, die verbliebenen Garnituren erreichten weiterhin Tübingen, Plochingen, Kornwestheim, Neu-Ulm und Schorndorf. Mit Ablauf des Sommerfahrplanes 1985 wurden die verbliebenen drei 427 auf „z“ gestellt und erst am 24. Dezember 1986 ausgemustert. Zunächst wurde nur der 427 103/827 003/427 403 im Oktober 1988 im AW Bad Cannstatt verschrottet, während die anderen vier zunächst auf der Suche nach einem Käufer in die Schweiz gelangten, bevor auch sie 1994 in Haltingen verschrottet wurden. 427 105/827 005/427 405 blieb bis 1995 nach einigen Testfahrten in der Schweiz abgestellt, bevor er 1995 zurück nach Deutschland kam und heute von der FzS e.V. aufgearbeitet wird.
Bild 01: Am 15. September 1970 steht 427 101/827 001/427 401 gerade mal sechs Jahre im Dienst, als er in seinem (noch) Heimat-Bw Tübingen abgelichtet wird. Et-
wa vierzehn Tage später wurden die 427 an das Bw Esslingen abgegeben. Noch ist die Fahrzeugnummer auf einem schmalen weißen Streifen auf der „Schaku“ zu finden:
Bild 02: Am 16. September 1977 fotografierte D. Überhorst den noch recht frisch lackierten 427 001/827 001/427 401 bei der Ausfahrt aus dem Stuttgarter Hbf:
Bild 03: Am 30. Juli 1981 steht der 427 101/827 001/427 401 im Bf Tübingen zur Fahrt nach Plochingen bereit, als ein unbekannter Fotograf auf den Auslöser drückte:
Bild 04: Zwölf Jahre später, am 17. Juli 1982, ist er als N 6246 bei Kirchentellinsfurt unterwegs:
Bild 05:
Bild 06: 427 401/827 001/427 001 verläßt am 05. Juli 1983 als N 5248, Geislingen - Plochingen, den Bf Geislingen West (Foto: A. Lehnert):
Bild 07: Vier Tage später fotografierte er den 427 401/827 001/427 101 im Bf Plochingen:
Bild 08: Am 16. August 1979 steht der 427 102/827 002/427 402 als N 5264, Geislingen (Steige) - Kornwestheim, im Ausgangsbahnhof zur Abfahrt bereit:
Bild 09: Die sieben Minuten Aufenthalt im Bf Plochingen nutzte ich noch für
diese Aufnahme. Die „Schaku“-Abdeckung ist zu diesem Zeitpunkt farblos:
Bild 10: Anders ein Jahr später, am 23. Juli 1980, als eine Doppelgarnitur, bestehend aus 427 102/827 002/427 102
und 427 104/827 004/427 404 in den Tübinger Hbf einläuft. Jetzt ist die Abdeckhaube gelb lackiert:
Bild 11: Am 17. Juli 1982 ist der 427 102/827 002/427 402 soeben im Hbf Tübingen angekommen und wird
gleich ins Bw einrücken. Inzwischen wurde auch die Fahrzeugnummer wieder auf der Abdeckung angebracht:
Bild 12:
Bild 13: Wie schon angedeutet, wechselte die Farbgebung der Abdeckhauben mehrmals. Am 24. Mai 1985, wenige Mo-
nate vor der Abstellung, sehen wir den Triebwagen im Hp Gingen/Fils mit roter Klappe und aufgemalter Betriebsnummer:
Bild 14: Am 01. September 1984 ist der Triebzug, nunmehr mit dem Triebkopf mit Traglastenabteil voraus, im Bf Reichenbach (Fils) zu sehen:
Bild 15: Im April 1984 ist der 427 103/827 003/427 403 im Bf Göppingen anzutreffen. Ein gutes halbes Jahr später schied er als erster 427 aus:
Bild 16: Und am 14. September 1982 427 403/827 003/427 103 im Bf Geislingen-West:
Bild 17: Diese Doppeleinheit, bestehend aus 427 104/827 004/427 404 und 427 102/827 002/427 402, hielt D. Spillner am 24. Mai 1979 im Bf Plochingen im Bild fest:
Bild 18: Am 25. Juni 1982 fand im AW München-Freimann eine Ausstellung statt, auf der u.a. auch zahlreiche Elektrotrieb-
wagen präsentiert wurden. Sowohl V. Möller, als auch J. Stender fotografierten den 427 104 auf dem Ausstellungsgelände:
Bild 19:
Bild 20: Zweimal 427 104/827 004/427 404. Zunächst am 21. April 1984 im Bf Süssen...
Bild 21: ...und sodann ein Jahr später, am 14. April 1985 im Bf Geislingen/Steige:
Bild 22: Am 21. April 1984 war es A. Lehnert, der den 427 404/827 004/427 104 im Bf Reichenbach (Fils) auf den Auslöser drückte:
Bild 23: Am 09. August 1978 verläßt der letzte rote 427, der 427 105/827 005/427 405, den Stutt-
garter Hbf. Mit Aufnahme des S-Bahn-Betriebes liefen die 427er den Stuttgarter Hbf nicht mehr an:
Bild 24: Im August 1976 steht der 427 405/827 005/427 105 im Bf Böblingen abfahrbereit. Nach 1978 kamen die 427 nicht mehr auf der Gäubahn zum Einsatz:
Bild 25: Bei strömenden Regen fotografierte R. Rogge am 12. Oktober 1981 diese Doppelgarnitur
bestehend aus 427 105/827 005/427 405 und einem der anderen vier Triebzüge im Bf Plochingen:
Bild 26: Der 427 405/827 005/427 105 verläßt am 06. Juli 1984 den Bf Geislingen West zur Fahrt als N 5248 nach Plochingen:
Bild 27: Am 12. Juli 1985 ist der 427 105/827 005/427 405 im Bf Westerstetten eingetroffen:
Bild 28: Zum Schluss noch einmal ein Farbvergleich. Stefan Motz stellte diese Aufnahme von
427 402 und 427 105 (rot) am 20. April 1978 in Stuttgart-Zuffenhausen zur Verfügung:
Gerade mal vierundzwanzig Jahre wurden die Triebwagen der Baureihe 427. Sie werden gerne als Urahn der BR 420 bezeichnet, da einige der mit den Triebwagen gemachten Erfahrungen beim Bau der Reihe 420 berücksichtigt wurden. Es hat etwas länger gedauert, als ich gedacht hatte, da doch wohl nicht allzu viel Literatur über diese Triebwagen vorhanden ist. Insofern wurde es auch mal Zeit, an diese Splittergattung zu erinnern. Ich hoffe, dass mir dieses gelungen ist.
Bis neulich – natürlich im HiFo
Rolf Köstner
Man hat nicht richtig gelebt, wenn man nie in einem ICE gesessen hat, der in Hamm geteilt worden ist.
Ich bin ein Boomer!
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