Hallo HiFo!
Moritz Stambke, der Ober-Maschinenmeister der Bergisch-Märkischen Eisenbahn, berichtete im November 1872 bei der Sitzung des Westfälischen Bezirksvereins über die Kesselexplosion einer frisch an die BME abgelieferten Baulok im September 1872 im Bahnhof Witten. Dieser in der Zeitschrift des Vereines Deutscher Ingenieure wiedergegebene Bericht [Stambke 1872] liefert Details zu einer kaum dokumentierten Lokomotivgruppe.
Die explodierte Lok war die erste von drei von der Lokomotivfabrik Cockerill in Seraing gelieferten Lokomotiven. Anhand der Lieferliste und der Sekundärliteratur [Menninghaus 1990, S. 209] lassen sich für die Lokomotiven die Fabriknummern 778, 816 und 817 identifizieren.
Dem Bericht zufolge ereignete sich die Explosion bei der Abnahmefahrt im Bahnhof Witten. Wobei der Begriff „Abnahmefahrt“ eigentlich zu kurz greift. Der Beschreibung nach begann die Abnahmeuntersuchung bereits morgens um 9 Uhr. Ab diesem Zeitpunkt stand die Lok unter Dampf. Früh ergaben sich Schwierigkeiten mit dem Sicherheitsventil, das bei dem auf 10 Atm (in Belgien) bzw. 9 Atm (in Preußen) konzessionierten Kessel um 2 Atm zu früh abblies und sich auch nicht durch schärferes Spannen der Federn korrigieren ließ. Die Lok erhielt daher gegen 11 Uhr eine andere Federwaage, die auf 8,5 Atm. eingestellt wurde.
Nach dieser Reparatur erfolgte das Druckablassen einerseits zwar korrekt, andererseits aber so heftig, dass die Lok an einen anderen Ort gefahren wurde, um die Passagiere der Personenzüge nicht durch das Abblasgeräusch zu belästigen bzw. zu beunruhigen. – Wäre die Lok nicht umgesetzt worden, wäre die Anzahl der bei der Kesselexplosion verletzten Personen wahrscheinlich größer gewesen.
Die Explosion ereignete sich dann einige Stunden später um 15:15 h. Die Lok war zehn Minuten vorher auf ein Nebengleis rangiert worden. Bei der Explosion wurden die vier auf der Lok befindlichen Personen (Ingenieur, Werkführer, Lokführer und Heizer) und ein in der Nähe stehender Weichensteller getötet.
Als Explosionsursache wurde letztlich ein ovales Mannloch (Reinigungsöffnung) in der Kesselplatte identifiziert. Das ovale Loch war mit den Durchmessern 300 * 400 mm einerseits sehr groß und andererseits an seinen Rändern unverstärkt ausgeführt. Die Untersuchung ergab, dass von dem Loch aus wenigstens sechs Risse ausgingen. Außerdem waren die Zerstörungen in der direkten Umgebung des Mannloches am Größten. Stambke führt aus:
Zitat
Die Betrachtung ergibt ferner, dass bei einem so großen Loche auf den Rest des Bleches nicht die Festigkeit des fehlenden Querschnittes gleichmäßig übertragen wird, sondern dass die Kanten des Mannloches unverhältnismäßig höher in Anspruch genommen werden, und hier die tangential wirkenden Kräfte die Grenze der absoluten Festigkeit sehr wohl erreicht haben. Dazu kommt noch der radiale Druck auf die ganze Fläche des wie gewöhnlich von innen eingelegten Mannlochdeckels, welcher auf ein Umbiegen der Mannlochkanten hinwirkt. Bei Versuchen mit den beiden anderen Lokomotiven gleicher Konstruktion bewirkte ein Druck von 15 Atm. in der Tat eine solche Ausbiegung der Mannlochkante, die in dem einen Fall sogar mit einer Größe von 2 bis 3 mm bleibend wurde.
Die Ursache der Explosion war demnach die Schwächung der Kesselplatte durch das Mannloch bei gleichzeitiger Verwendung von ungeschweißtem Blech. Bei den beiden anderen Maschinen wurden daher die Mannlöcher zu Handlöchern umgearbeitet, die zur Reinigung völlig ausreichten.
Zu den Lokomotiven …
…liegen nur sehr wenige Informationen vor. Stambke erwähnt, dass es sich um Stehkessel-Lokomotive mit einem Treibraddurchmesser von „etwa 0,5 m“ handelte, die von der Lokomotivfabrik Cockerill in Seraing geliefert wurden. Der Kessel war auf 10 Atm konzessioniert. Sonst gibt der Bericht in der Zeitschrift des Vereines Deutscher Ingenieure nichts her. Die von Eisenbahnfreunden erstellte bzw. abgeschriebene Lieferliste gibt für die Loks den Typs III an.
Im INDUSTRIAL RAILWAY RECORD [Industrial Railway Record 1965] findet sich eine Aufstellung der Cockerill-Typen mit den Grundmaßen und Lieferzeiträumen. Demnach hatten die Treibräder des Typs III einen Durchmesser von 615 mm und die Zylindermaße lagen bei 250 x 260 mm. Im Zeitraum von 1872 bis 1927 wurden insgesamt 373 Exemplare gebaut. Das passt zu dem Lieferjahr und den Angaben von Stambke.
Alle drei Bauloks müssen 1872 gebaut und abgeliefert worden sein. Die tradierte Lieferliste gibt zwar als Baujahr 1873 an, allerdings passt dies nicht zu den Aussagen von Moritz Stambke. Er sagt im November 1872, dass sie "mit zwei anderen [Loks] derselben Konstruktion von Cockerill" geliefert worden sei, dass bereits Versuche mit 15 Atm bei den beiden anderen Loks durchgeführt worden seien und dass "die fraglichen Maschinen im Uebrigen durchaus gut und zufriedenstellend seien". Das kann man alles nur sagen, wenn die Loks bereits im Betrieb sind.
Bauloks der BME
Ein weiteres Detail ist spannend: Stambke sagt, dass die Loks bei „Bauausführungen verwendet werden“ sollten. Es ist zwar durchaus möglich, dass damit Bauausführungen innerhalb der Hauptwerkstätte gemeint waren, andererseist ist es aber durchaus möglich - und meiner Einschätzung wahrscheinlicher - , dass Bauausführungen der BME gemeint sind. Dann hätte die Loks zur Bauabteilung gehört.
Über die Loks der Bauabteilung liegen jedoch kaum Informationen vor. Die Aktivitäten der Abteilung werden nicht in den Jahresberichten erfasst, dementsprechend ist auch der Lokbestand nicht bekannt. Bekannt sind bisher nur:
- aus der Lieferliste der Maschinenfabrik Darmstadt: 2 schmalspurige (900 mm) B-n2t Darmstadt, Fabrik-Nr/Baujahr: 27+28 / 1872
- aus diesem Bericht: 3 normalspurige Stehkessel-Loks, von denen die erste explodiert ist. Fabrik-Nummern: 778, 816, 817 - alle 1872 gebaut
- aus dem Geschäftsbericht der BME: 2 ausgemusterte normalspurige 1A1-Schlepptenderloks, die ursprünglich noch von der Aachen-Düsseldorf-Ruhrorter Eisenbahn stammten:
. . Kessler 139+141 / 1849, 1A1-n2, 1435 mm, neu an Ruhrort-Crefeld "HOMBERG 22" bzw. "VIERSEN 23" / ... / 1866 Übernahme der Bahn durch die Bergisch-Märkische Eisenbahn, Umzeichnung in "ISAR 254" bzw. "OCKER 255" / 1871 bzw. 1872 + => an Bauabteilung
(.. Bildbeleg der ISAR 254 im Sommer 1872 mit Bauzug in Bhf Bredelar beim Bau der oberen Ruhrtalbahn [
www.drehscheibe-online.de] / 1874 bzw. 1873 ++)
Es fällt auf, dass alle bisher bekannten Loks der Bauabteilung 1871/72 übernommen wurden. Entweder hatte man „großes“ vor, oder es fehlen bisher nur die Infos für andere Jahre.
Werner Menninghaus berichtet in seinem Buch über die BME auch von der Kesselexplosion [Menninghaus 1990, S. 209] allerdings waren die Loks seiner Aussage nach Werkloks der Hauptwerkstätte. Da es bisher nicht möglich war, die Quelle für diese Aussage nachzuvollziehen – ggf. die Schrift „100 Jahre Bundesbahn-Ausbesserungswerk Witten, 1863-1963, Verlag und Druck unbekannt, 1963 – orientieren wir uns an der Aussage von Moritz Stambke, der war zeitlich erheblich näher dran und sollte es gewusst haben.
Quellen und Literatur
Industrial Railway Record 1965
Seite „The French vertical boilered 0-4-0 shunter”. In: Industrial Railway Record. URL: [
www.irsociety.co.uk] (Abgerufen: 10. Juni 2019, 18:45 UTC)
Menninghaus 1990
Menninghaus, Werner u.a.: Bergisch-Märkische Eisenbahn (1843-1881) – Ausbesserungswerk Witten. Uhle & Kleimann, Lübbecke 1990
Stambke 1872
Stambke, Moritz: Explosion eines Lokomotivkessels. Bericht bei der XLIV. Sitzung des Westfälischen Bezirksvereins. IN: Zeitschrift des Vereines Deutscher Ingenieure, Düsseldorf 1873, Spalte 124-128
In der Bildmitte sehen wir die beiden Kesselschüsse. Im unteren war die Feuerkiste - jetzt fällt mir doch der heutige Name nicht ein... seht es mir nach - in der oberen die senkrechten Feuerrohe untergebracht, die direkt zum Schornstein führten. Auf dem linken unten Bild ist der untere Kesselring abgewickelt und mit den Rissen der Explosion versehen.
Nun meine Fragen in die Runde:
? Hat jemand ein Foto/Skizze einer Cockerill-Stehkessellok (Baujahr 1870-1890) vom Typ III? - Damit wir eine Vorstellung vom Loktyp bekommen...
? Liegen jemanden weitere Informationen zu den Bauloks der BME vor?
? Gibt es vielleicht irgendwo noch Fotos von Baumaßnahmen aus dem Bereich der KED Elberfeld?
? Liegt jemanden das Buch „100 Jahre Bundesbahn-Ausbesserungswerk Witten, 1863-1963, Verlag und Druck unbekannt, 1963" vor?
Besten Dank und Gruß
Christian
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