Am 3. Juni 1973 hat der Sommerfahrplan begonnen und im Schnellzugdienst mit 012 haben sich, quasi über Nacht, der Lok- und der Personalbedarf verdoppelt. Trotzdem: Nachdem ich im März und im April schon jede Menge 012-Dienste gehabt hatte, Dienste auf der Planlok 012 104 mit Hauptlokführer Bernhard Altevolmer, will es anfangs des Sommerfahrplans mit der "hohen Achse" nicht so recht klappen. Endlich: Als ich mich am 10. Juni nach Rückkehr von Dortmund-Hörde nach meinem nächsten Dienst erkundige, wird mir eröffnet, dass ich ab Folgetag - als U- und K-Vertreter - wieder Schnellzugdienst machen darf.
Das Planlok-Prinzip ist allerdings ein bisschen durcheinandergewirbelt, weil der hohe Lokbedarf bei dem knappen Lokbestand ständiges Umdisponieren erfordert. Und so bekomme ich - mit Oberlokführer Norbert Lange - mal 012 082, mal 012 077, mal 012 100, je nach dem, was gerade verfügbar ist. Nur an meine, doch irgendwie heißgeliebte, 012 104 komme ich nicht ran.
Am 21. Juni haben wir eine schöne Tagestour; Mit dem Bäderschnellzug D1339 nach Emden-Außenhafen bis Emden Hbf, dort Übergabe der Lok an Emder Personal, anschließend sich-Kultivieren in Emden Hbf sowie telefonische Meldung auf der Emder Lokleitung und dann in die Stadt (paddeln, Eis essen oder was sonst das Herz begehrt). Gegen 16 Uhr 40 müssen wir wieder auf dem Bahnhof sein, denn da bringt uns Emder Personal mit einer anderen 012 den E1941 an den Bahnsteig, einen vorwiegend von Berufstätigen genutzten kurzen Eilzug von Emden nach Norddeich, dessen Beförderung für Lok und Personal nicht gerade die größte Herausforderung ist. Wesentlich herausfordernder dann aber die Rückleistung von Norddeich nach Rheine mit E1938, der ein paar Tonnen mehr an den Zughaken bringt und vor allem extrem kurze Fahrzeiten hat.
16 Uhr 40, wir stehen auf dem Bahnsteig an Gleis 2 des Emder Hbf und philosophieren über Gott und die Welt. "Da kommt unsere Eisenbahn" meint Norbert plötzlich und auch ich werde die bullige Silhouette unserer 012 gewahr, die gerade - mit flackernder Zwiebel über dem Kamin - unter der Bahnsteigüberführung hervorkommt. Und ich werde noch etwas gewahr: "012 104-6" steht an der Rauchkammertür.
"Wo warst `n du so lange?" möchte ich ihr entgegenschreien. Aber natürlich bleibe ich cool.
Wir steigen auf, die beiden Emder (in Rheine meist "Joker" genannt) steigen ab und um 16 Uhr 51 geht die Fahrt mit unseren vier Silberlingen los. Eigentlich könnten es ruhig ein paar mehr sein: In Emden sind ganze Heerscharen von Werktätigen, zum großen Teil VW-Arbeiter, eingestiegen.
In Norddeich eine Überraschung: Die Garnitur des E1938 ist um vier zu überführende Leerwagen verstärkt. Muss man für solche Spiele denn ausgerechnet den 1938 nehmen, der ausnehmend knappe Fahrzeiten hat und zu allem Überfluss in Leer noch einen Postwagen an die Zugspitze bekommt? "Naja", meint Norbert, "uns fragt ja keiner." Nach Resignation klingt mir das allerdings nicht, zumal ich ihn kenne: Er wird alles versuchen, auch nicht eine Minute Fahrzeit zuzusetzen.
Wie gesagt, ich kenne Norbert, aber er kennt auch mich: Hinter Emden Rbf, 012 104 röhrt den 120 km/h entgegen, kommt er zu mir rüber und meint: "Musst fahren wie `n Bekloppter, aber ich seh´schon, du kommst mit dem Wasser nich´nach . . . " Das kann ich nur als Provokation empfinden, denn wir haben, bei Kesseldruck knapp unter 16, bei voll geöffnetem Regler 3/4 Wasser im Glas, Tendenz beileibe nicht fallend. Doch die Provokation ist wohlüberlegt, Norbert weiß schon, wie er mich anzusprechen hat. Ich schneide ihm `ne Grimasse, er grinst.
In Leer müssen wir uns noch den Postwagen aus dem Stumpfgleis holen und um 20 Uhr 25 geht die Jagerei in den traumhaft schönen Sommerabend weiter. Natürlich muss ich aufpassen, wir haben bei einer Planlast von 300 heute an die 500 Tonnen und, wie gesagt, kriminelle Fahrzeiten. Aber 012 104 reagiert auf jeden Handgriff (Ölschieber, Brennerdruck, Luftklappen, Mischvorwärmerpumpe, Strahlpumpe) so, wie sie reagieren soll. Ich lehne mich zurück, blicke nach vorn zum Kamin, aus dem ich einen Orkan vernehme, habe allerdings fast einen Kloß im Hals, wenn ich daran denke, dass hier ein Schauspiel abläuft, dessen baldiges Ende absehbar ist.
Kann ich wissen, dass ich Jahrzehnte später erneut mit 012 104-6 zu tun bekommen werde? Intensiv zu tun, mit schmierigen Händen, versauten Klamotten und sehr viel Herzklopfen?
Fritz
2-mal bearbeitet. Zuletzt am 2018:12:25:11:40:05.
geschrieben von: 012 055-0
Datum: 25.12.18 11:37
Moin und frohe Weihnachten!
Den Postwagenzug in Leer zu erleben war mir nur selten vergönnt, weil das schon Insbettgehzeit war.
Aber wenn, war es ein Hochlicht, das Rangieren des Postwagens vom Nebengleis, das heftige Pumpen für die Bremsprobe, herrlich.
Vor dem inneren Auge erlebe ich das gerade wieder live!
Auf Ton habe ich das konserviert mit der 012 082, die Tage drauf z gestellt wurde.
Vor der Ledabrücke ein wütender Pfiff, weil ein Leerzug mit 2 x 44 entgegenkam...
... anschließend ein abziehender Auspuffsturm in den Abendhimmel als die Brücke frei war.
Und, ja, 012 104 wird dringend erwartet!!!