Die Y-förmig angelegte Berner Oberland-Bahn BOB wurde Mitte 1890 eröffnet. Oberhalb des Betriebsmittelpunktes Zweilütschinen befinden sich auf beiden Streckenästen je zwei Abschnitte mit Zahnstange System Riggenbach. An der normalspurigen, schon 1872/74 eröffneten Bödelibahn Därligen - Interlaken - Bönigen baute die BOB den neuen Bahnhof Zollhaus, den späteren Bahnhof Interlaken Ost.
Die Tallinie Interlaken - Wilderswil - Zweilütschinen misst gut 8 km, sie kommt bei maximal 25 Promille Steigung ohne Zahnstange aus. Weite Abschnitte wurden in den letzten Jahrzehnten begradigt, mit einem zweiten Gleis ausgerüstet und für höhere Geschwindigkeiten ertüchtigt. In Zweilütschinen befindet sich seit Anbeginn die BOB-Werkstätte.
Der 4 km lange Ast nach Lauterbrunnen weist beidseits der Ausweiche Sandweid Zahnstangenabschnitte mit 90 Promille Steigung auf. In Lauterbrunnen schliessen die BLM nach Mürren und die WAB nach Wengen und weiter zur Kleinen Scheidegg an.
Der 10,5 km lange Ast nach Grindelwald besitzt zwischen den Ausweichen Burglauenen und Lütschental einen Zahnstangenabschnitt mit 120 Promille, zwischen Schwendi und Grindelwald einen solchen mit 105 Promille. Auch von Grindelwald kann man mit der WAB auf die Kleine Scheidegg gelangen, wo die Jungfraubahn zur Weiterfahrt Richtung Jungfraujoch bereitsteht.
In den ersten Betriebsjahren führte die BOB nur die 1. und die 2. Wagenklasse. 1893 setzte die Thunerseebahn dem bisherigen Inseldasein der Bödelibahn zwischen Thuner- und Brienzersee ein Ende. Nun brachten direkte Wagen zahlungskräftige Touristen aus Frankreich und Deutschland ohne Umsteigen nach Interlaken West. Wegen den schwachen Bödelibahn-Brücken mussten die Herrschaften für die letzten 2 km bis Interlaken Ost, dem Ausgangspunkt der BOB. noch einmal umsteigen. Um die Ausstellung direkter Billette zu ermöglichen, deklassierte die BOB ihre durchwegs dreiachsigen Personenwagen ohne Umbau zu 2. und 3. Klasse.
Gleichzeitig stellte die BOB das Gesuch, den unergiebigen Winterbetrieb einstellen zu dürfen. Nicht einmal 10’000 Fahrgäste benützten damals die BOB in den vier Wintermonaten. Das Gesuch wurde abgelehnt, und die BOB behalf sich mit der Anschaffung der winzigen HG 2/2 11 „Eiger“ und des wintertauglichen Vierachsers BCF4 30. Zweimal täglich wurden mit diesem Miniaturzug beide Endpunkte bedient. Die Fahrgäste von und nach Grindelwald „durften“ jeweils im Bahnhofbuffet Zweilütschinen ausharren, bis der kleine Zug aus Lauterbrunnen zurückgekehrt war.
Bald stellte sich heraus, dass der Dampfbetrieb viel zu teuer und auch zu umständlich war. Die HG 3/3 1-6 von 1890/93 waren für die gut besetzten Hochsaisonzüge zu schwach, und die 1906 nach Brünigbahn-Vorbild beschafften HG 3/3 7-8 in Verbundbauart wirkten nur als Tropfen auf den heissen Stein. Um den sommerlichen Ansturm der Touristen überhaupt bewältigen zu können, nahm die BOB noch 1910 die HG 3/3 9-10 in Betrieb. Zu diesem Zeitpunkt war den Verantwortlichen jedoch bereits klar, dass ein kostengünstiger und gleichzeitig leistungsfähiger Betrieb nur mit elektrischen Lokomotiven denkbar war.
Zum Jahreswechsel 1913/14 war die mit Gleichstrom 1500 Volt gespeiste Fahrleitung fertig, und die erste der bei SLM bestellten Elektrolokomotiven HGe 3/3 21-28 nahm die Probefahrten auf. Im August 1914 waren die Dampflokomotiven bereits aus dem Betrieb verschwunden. Zwei dienten noch jahrzehntelang als eiserne Reserve, zwei dienten als Baulok auf der Strecke Chur - Arosa, und sieben Stück konnten nach Italien verkauft werden, wo sie auf den Strecken Rocchette - Asiago und Spezzano Albanese - Lagonegro eine neue Heimat fanden.
Die mutige und gut durchdachte Investition zahlte sich vorerst nicht aus, denn im Moment der Elektrifizierung brach der Erste Weltkrieg aus, und die ausländischen Feriengäste kamen nicht mehr ins Berner Oberland. Immerhin: Von der Kohlennot 1917-20 und ihren extremen Auswirkungen auf die dampfbetriebenen Bahnen der Schweiz war die BOB kaum betroffen. Die acht HGe 3/3 von 1914 waren als Pionierfahrzeuge mit getrenntem Antrieb für Adhäsion und Zahnstange mit verschiedenen Kinderkrankheiten behaftet. Vor allem die Zahnstangeneinfahrten verursachten ständig Probleme. 1926 erschien die nachgebaute HGe 3/3 29 mit verschiedenen Verbesserungen.
Die Inbetriebnahme von modernen Triebwagen verdrängte die HGe 3/3 in untergeordnete Dienste. 1965 wurden die niemals mit +GF+-Kupplung, Sicherheitssteuerung und moderner, Brünig-kompatibler Heizkupplung ausgerüsteten HGe 3/3 21, 23, 27 und 28 abgestellt. Ihr Abbruch erfolgte zwar erst nach 10 Jahren, doch habe ich keine der hinter Werkstätte Zweilütschinen abgestellten Lokomotiven fotografiert. Schauen wir uns die überlebenden fünf HGe 3/3 der BOB etwas genauer an.
HGe 3/3 22 erhielt 1935 ein neues Getriebe mit federnden Zahnrädern. 1956 erhielt sie die MFO-Sicherheitssteuerung und eine neue Heizkupplung anstelle der altertümlichen Dachruten. 1961 wurde sie nach einem Unfallschaden zur SLM Winterthur geschickt. Von dort kehrte sie mit der halbautomatischen +GF+-Kupplung zurück. Erste Begegnung mit HGe 3/3 in Zweilütschinen, bei strömendem Regen. Dokumentation muss sein. Im Hintergrund die 1970 eröffnete neue Werkstätte.
Die Bauart der BOB HGe 3/3 wirkt ausgesprochen gedrängt. Lieber hätte die BOB vier- oder gar sechsachsige Lokomotiven nach Art der Ge 2/4 oder Ge 4/6 der Rhätischen Bahn angeschafft, auch eine übersichtlich aufgebaute Drehgestell-Lokomotive in Krokodil-Bauart stand zur Debatte. Dafür hätte die BOB aber die kurze Sektordrehscheibe im Bahnhof Grindelwald ersetzen müssen, und diese Zusatzinvestition war nicht zu stemmen.
HGe 3/3 22 in Interlaken Ost. Jeder Führerstand besitzt drei Türen. Die aussermittig eingesetzte Stirnwandtür ist nur für dienstliche Zwecke zugelassen. Das 1956 angebrachte Heizkabel sticht markant ins Auge.
HGe 3/3 22 steht für eine nachmittägliche Leerfahrt nach Zweilütschinen in der Abstellgruppe des Bahnhofes Interlaken Ost bereit. Von hier aus sind signalmässige Ausfahrten möglich. Noch steht die offene Wagenhalle, im Hintergrund sind ältere Wagen abgestellt. Zu HGe 3/3 22 folgt ein ausführlicher Beitrag mit Fotos aus dem Güterzugdienst.
HGe 3/3 24 erhielt 1940 als letzte ihrer Art ein neues Getriebe, um 1965 folgten +GF+-Kupplung, Sicherheitssteuerung und Heizkabel. Im April 1974 steht sie untätig vor der Werkstätte Zweilütschinen.
Die langlebige, heute noch als Ausstellungsstück in Zweilütschinen vorhandene HGe 3/3 24 habe ich erstaunlicherweise kaum je im Betrieb erlebt. Im Juni 1986 rangiert sie in Interlaken Ost vor bereits erröteten Personenwagen der Brünigbahn.
Kaum habe ich sie entdeckt, macht sie sich für die Solo-Rückfahrt nach Zweilütschinen bereit. Hier ist das separate Ausfahrsignal für die Abstellgruppe gut zu erkennen.
BOB HGe 3/3 25 erhielt das neue, gefederte Getriebe 1939, um 1965 folgten +GF+-Kupplung und Heizkabel. In den Siebzigern traf ich sie nur einmal im Freien an, vor der Werkstätte Zweilütschinen, in Gesellschaft je eines alten Personenwagen der BOB und der Jungfraubahn.
HGe 3/3 25 mit ausgebleichter Farbe im Rangierdienst, Interlaken Ost. Am Haken hat sie den Gepäckwagen D3 515 und alle noch verbleibenen dreiachsigen Personenwagen der BOB.
BOB HGe 3/3 25 mit Güterzug nach Lauterbrunnen im Bahnhof Wilderswil, rechts angeschnitten Züge der Schynige Platte-Bahn.
Die HGe 3/3 der BOB sind je nach Farbmischung unterschiedlich ausgebleicht. Dies ist an den im Mai 1987 ausrangierten HGe 3/3 25 und 22 gut zu erkennen.
Abschied von HGe 3/3 25…
…und HGe 3/3 22.
BOB HGe 3/3 26 habe ich als erste der Lokomotiven von 1914 im Einsatz erlebt. Sie leistete im November 1977 Rangierdienst in Interlaken Ost. Die ersten Aufnahmen hellte ich mit einem kurz vorher erstandenen Metz-Blitzgerät auf.
BOB HGe 3/3 26 war 1914 an der Landesausstellung in Bern ausgestellt, sie kam erst 1915 auf der BOB in Betrieb. HGe 3/3 26 erhielt das neue, gefederte Getriebe 1936, ab 1960 folgten nach und nach MFO-Sicherheitssteuerung, +GF+-Kupplung und SBB-Heizkabel.
Begegnung mit ABDeh 4/4 302 von 1949.
HGe 3/3 26 stellt ältere Personenwagen nach dem Vorheizen für einen Zusatzzug auf Gleis 1 bereit. Die Planzüge fahren ab Gleis 2.
HGe 3/3 26 war schon aus der Entfernung durch das Dächlein über dem mittleren Frontfenster eindeutig zu erkennen.
Mein einziges Streckenbild von HGe 3/3 26 zeigt sie vor dem Güterzug nach Lauterbrunnen, zwischen Interlaken Ost und Wilderswil. Die kleinen Heizöl-Zisternen auf dem ersten Wagen sind für den Umlad auf die Bahnen nach Wengen und Mürren gedacht, die beiden grossen Zisternenwagen sind wohl im Auftrag der Armee unterwegs, der letzte Wagen bringt frisch bandagierte Achsen zur BOB-Werkstätte Zweilütschinen. HGe 3/3 26 wurde 1983 als erste der modernisierten Maschinen ausgemustert. Sie erhielt den ursprünglichen grünen Anstrich und wurde als Schauobjekt an eine Firma in Bern verkauft, später ging sie an das Bahnmuseum Kerzers.
Die 1926 nachgelieferte BOB HGe 3/3 29 war bereits aus Distanz eindeutig zu erkennen, da das mittlere Frontfenster erhöht eingesetzt war. Erste Begegnung mit der abgestellten Lokomotive, Mai 1973 , vor der Werkstätte Zweilütschinen. Sie trägt das „antike“ Revisionsdatum 15.4.69.
Meine ersten Betriebsbilder von HGe 3/4 29 zeigen die kleine Lokomotive mit zwei der ältesten BOB-Vierachser im Bahnhof Zweilütschinen. Sie wartet auf Abruf, um bei Bedarf in Lauterbrunnen Fahrgäste abzuholen, die im Regelzug keinen Platz finden. Triebwagen ABeh 4/4 305 wird zuerst abgerufen.
Fast 20 Jahre lang war dies das Modernste, was die BOB zu bieten hatte: HGe 3/3 29 von 1926 mit ABi 201 und 202 von 1930. Schon 1953 erhielt HGe 3/3 29 die SBB-Heizkupplung ein, 1955 folgte die MFO-Sicherheitssteuerung ("Totmannpedal") und später die +GF+-Kupplung.
Leider wurde der einzige mit HGe 3/3 bespannte Personenzug, den ich je gesehen habe, bis zum Eindunkeln nicht abgerufen. Das war’s!
HGe 3/3 29 fährt heute auf der Museumsbahn Blonay - Chamby. Ich habe sie aber vor dem Verkauf noch mehrmals im Einsatz erlebt, vor Güterzügen und auch vor Extrazügen für Eisenbahnfreunde. Dazu folgen separate Beiträge hier im HiFo.
Gruss, Werner
mein HiFo-Inhaltsverzeichnis:
[
www.drehscheibe-foren.de]
8-mal bearbeitet. Zuletzt am 2018:07:05:13:10:05.