Moin!
Durch Helmuts interessanten Beitrag zu den Eisenbahnfähren inspiriert, habe ich mal die auf der Festplatte schlummernden Scans durchgeschaut, denn ich erinnerte mich an einige zu diesem Thema passende Bilder aus Lübeck. Tatsächlich wurde ich fündig und von dem Tag gibt es noch etwas mehr, so dass sich ein eigener Beitrag lohnt.
Entstanden sind die Bilder 02.06.1999. Zu zweit sind wir losgezogen, um die verbliebenen Werkloks in Lübeck abzuklappern. Wir hatten zwar keinerlei Termine, aber trotzdem erwies sich die Aktion als recht erfolgreich.
Angefangen haben wir im Vorwerker Hafen. Der dort ansässige Brennstoffhändler Boie besaß eine eigene Lok, um die zugestellten Wagen an den Ladestellen zu verteilen. Das Aufkommen war lange Zeit relativ hoch, denn neben den üblichen Kesselwagen für die Gasanlieferung gab es hier auch gedeckte Wagen, in denen nachfüllbare Gasflaschen der DB transportiert wurden.
Deutz 57486 / 1963 / KK 140 B trug die Hausfarben des Unternehmens und stand zur Besuchszeit perfekt in der Morgensonne. 2006 wurde sie verkauft.
Die Lok noch einmal seitlicher.
Nächste Station war der Skandinavienkai in Travemünde. Von der Südseite her hat man einen ganz guten Einblick in das Gelände. Wir hatten gelesen, dass PBSV den Rangierdienst für die Beladung der Eisenbahnfähren hier übernommen hatte. Eigentlich wollten wir nur mal schauen, ob die Loks von außen abzulichten sind. Aber es war viel besser, denn es waren grade zwei Eisenbahnfähren im Hafen und es gab einiges zu tun.
Ein Übersichtsbild aus dem Dickicht: Am Liegeplatz 8 des Skandinavienkais liegt die Railship III und auf der Laderampe ist gerade Lok 01 von PBSV zu sehen. Links im Hintergrund liegt am Liegeplatz 7 die Malmö Link von Nordö Link.
Von weiter vorne ergab sich dieser seitliche Blick auf das Heck der Railship III.
An dieser Stelle passt ein kleiner Exkurs:
Das Unternehmen Railship AG mit Sitz in St. Gallen wurde 1973 als gemeinsame Tochter von insgesamt 4 Unternehmen gegründet. Diese Unternehmen waren die Reedereien H. M. Gehrckens und EFFOA, die Uniwaggon AG und Ostmare AG. Hinter der Uniwaggon AG standen die Speditionen Schenker und Kühne & Nagel, wobei Schenker dann 1982 die Anteile von Kühne & Nagel übernommen hat. Zweck des Unternehmens war der Aufbau einer Eisenbahnfährverbindung nach Finnland, um die dortige Eisenbahn an das westeuropäische Gleisnetz anzuschließen.
Das Konzept sah eine Eisenbahnfähre mit großer Kapazität vor. Dem Problem der verschiedenen Spurweiten begegnete man mit einem eigenen Wagenpark. Diese Wagen konnten durch den Tausch der Drehgestelle bzw. Brandsätze umgespurt und damit durchgängig eingesetzt werden. Die Beladung des Schiffes erfolgte über eine Rampe am Heck auf das Hauptdeck. Die beiden darüber und darunter gelegenen Ladedecks waren über einen doppelstöckigen Fahrstuhl erreichbar, der etwa mittig im Schiff angeordnet wurde. Die Verteilung auf die fünf Gleise eines Decks erfolgte über einen im Bug angeordneten Drehwinkel, wobei man in der Eisenbahnwelt wohl auch von einer Segmentdrehscheibe sprechen könnte. Für die umfangreichen Rangierbewegungen zur Verteilung der Waggons an Bord wurden diverse Uniloks eingesetzt, die während der Überfahrt an Bord blieben.
Nach der Gründung wurde die Erstausstattung bestellt, bestehend aus dem Fährschiff Railship I, 308 Schiebewandwagen und 165 Flachwagen. Der Betrieb wurde am 05.02.1975 mit der ersten Abfahrt der Railship I ab Travemünde nach Hangö aufgenommen. In Hangö, dem Zielhafen auf finnischer Seite, befanden sich die Anlagen zum Umspuren der Wagen. Die Kapazität der 150 m langen Railship I, die bei der Rickmerswerft in Bremerhaven gebaut wurde, erlaubte den Transport von 60 je 20 m langen Wagen.
Der Erfolg der neuen Verbindung erforderte bald den Ausbau der Kapazitäten. 1979 wurde die Railship I bei Schichau-Seebeck in Bremerhaven um 27 m verlängert. Zwischen 1980 und 1983 wurden weitere 133 Wagen beschafft. Ein großer Schritt folgte 1984 mit der Beschaffung weiterer 360 Wagen und der am 22.11.1984 in Betrieb gegangenen Railship II. Das neue Schiff war mit 186,5 m etwas länger als die verlängerte Railship I. An Bord lagen Gleise mit einer Gesamtlänge von 1976 m. Gebaut wurde die Railship II bei Schichau-Seebeck in Bremerhaven. Wegen der weiter steigenden Transportmengen folgte 1990 mit der Railship III ein drittes Schiff, wieder bei Schichau-Seebeck gebaut. Die Railship III war etwas gleich groß wie die Railship II. Parallel wurde der Wagenpark weiter ausgebaut. Der eine Prospekt, der sich in meiner Sammlung befindet, stammt aus dem Jahr 1991 und nennt folgenden Bestand:
Großraumwagen:
40x Hbs, Radsatzfolge 2
160x Hbbins, Radsatzfolge 2
120x Hbbillns, Radsatzfolge 2
301x Habis-1, Radsatzfolge 2‘2‘
120x Habis-6, Radsatzfolge 2‘2‘
80x Habis-8, Radsatzfolge 2‘2‘
200x Sins, Radsatzfolge 2‘2‘
Flachwagen:
225x Laas-1, Radsatzfolge 2+2
80x Laans, Radsatzfolge 2+2
10x Sps-1, Radsatzfolge 2‘2‘
30x Sps-2, Radsatzfolge 2‘2‘
100x Snps, Radsatzfolge 2‘2‘
Summe: 1466 Wagen
Für die Folgezeit ist die Quellenlage bei mir leider dünn. 1998 wurde der Zielhafen auf finnischer Seite gewechselt und fortan ging die Fahrt nach Turku. Irgendwann in den neunziger Jahren muss der Höhepunkt in den Beförderungszahlen gewesen sein, denn nach der Jahrtausendwende ging es schnell bergab. Im Jahr 2001 schied Railship I als erstes Schiff aus und wurde verschrottet. 2002 wurde die Auflösung des Unternehmens beschlossen, was letztlich die Einstellung des Eisenbahnverkehrs über diese Linie bedeutete. Wann tatsächlich die letzten Wagen befördert wurden, ist mir leider nicht bekannt.
Die beiden verbliebenen Schiffe, die natürlich auch für den Transport gleislos rollender Ladung geeignet waren, wurden 2002 in Finnrider und Finnrunner umgetauft und fuhren fortan für Finnlines. 2003 wurden die schließlich verkauft und wurden 2004 in Rider und Runner umbenannt. Bis 2005 bzw. 2009 wurden die Schiffe noch bei Finnlines eingesetzt und dann an russische Eigner verkauft. Das Unternehmen Railship AG wurde im Juni 2004 aus dem Handelsregister gelöscht.
Aber es gab noch eine weitere Fähre zu beladen. Lok 007 der PBSV schiebt beladene Tragwagen auf die Malmö Link der Reederei Nordö Link.
Noch ein weiterer, deutlich kürzerer Exkurs: Der Fährverkehr bei Nordö Link war deutlich weniger spektakulär als bei Railship. Hier der leicht angepasste Text aus meiner Antwort auf Helmuts Beitrag:
Daneben gab es noch das Unternehmen Nordö Link, das mit seinen beiden Schiffen Malmö Link und Lübeck Link nach Malmö fuhr und dabei auch Eisenbahnwagen beförderte. Nach der Übernahme der Reederei durch Finnlines wurden um 2006 neue Schiffe beschafft bzw. von anderen Linien hierher umgesetzt, die nicht mehr für den Transport von Eisenbahnwagen ausgelegt waren. Der Betrieb als Eisenbahnfährverbindung endete 2007 mit dem Verkauf der beiden alten Schiffe. Letzter regelmäßig transportierter Zug hier war der von TX-Logistik gezogene mit weißer Ware aus Italien, der noch heute über Rostock nach Schweden verkehrt. Die beiden Schiffe Lübeck Link und Malmö Link hatte Nordö Link 1990 gebaucht übernommen.
Die Fracht ist verstaut und die 007 kommt von der Malmö Link zurück.
Die 01 fährt wieder zur Railship III, um die nächsten Waggons zu holen.
Die 01 zieht Waggons von der Railship III, eine Beschreibung, die auch für die beiden folgenden Bilder passt.
Danach führte unser Weg wieder landeinwärts.
Die Lübecker Hafengesellschaft (LHG) hatte damals eine eigene Lok, die für die Instandhaltung der Gleisanlagen eingesetzt wurde. Heute stand V6001 im Bahnhof am Skandinavienkai.
Neben der LHG betreibt die Hans Lehmann KG eigene Hafenanlagen in Lübeck, alle gelegen im Bereich Kücknitz, Siems und Herrenwyk. Im Betrieb Lehmannkai 2, der damals hauptsächlich dem Papierumschlag diente, hatte man eine eigene Lok, die bei unserem Besuch aber schon abgestellt war.
Die allrad 144 / 1988 / DH 90 kam fabrikneu hierher. Nachdem sie einige Jahre abgestellt war, wurde sie 2001 verkauft.
Direkt nebenan befand sich die Flender-Werft. Das Unternehmen ging 2002 insolvent und stellte den Schiffbau ein. Aus dem Werksgelände wurden Hafenflächen, die teilweise dem Lehmannkai 2 angegliedert wurden und auf denen andererseits der neue Seelandkai der LHG entstand.
Mit den Fabriknummern 12921 und 12922 besaß die Flender-Werft zwei 1957 gebaute Jung VN 234. Eine stand zuletzt abgestellt auf dem Gelände, die genau Identität ließ sich aber vor Ort nicht feststellen.
Letzter besuchter Betrieb war Villeroy & Boch. Das Unternehmen betrieb in Lübeck-Dänischburg ein Werk, in dem Sanitärkeramik hergestellt wurde. 2009 wurde es stillgelegt und heute kann man hier in einem Einkaufszentrum Geld ausgeben.
Der Gleisanschluss wurde zuletzt für die Anlieferung der Rohstoffe genutzt. Auf ihm kam dieser Unimog zum Einsatz, der angeblich 1971 bei Beilhack mit einer Schienenführung ausgerüstet wurde.
Anschließend entstand noch dieses Bild der 295 085-5 im Bahnhof Lübeck-Dänischburg. Nach dem zweigleisigen Ausbau, der Elektrifizierung und dem Bau von Schallschutzwänden hat sich hier zwar einiges verändert, aber den neben der Strecke gelegene Güterbahnhof zur Anbindung der Dänischburger Uferbahn gibt es noch heute.
Und als Bonus vom Nachmittag gibt es noch dieses Foto der AKN V 2.022, die an diesem Tag den Güterzug von Bad Segeberg nach Hamburg beförderte und bei Bühnsdorf abgepasst wurde.
Zum Schluss noch ein paar Quellen und Links:
Der Beitrag voin Helmut:
Eisenbahnfähren (Ostsee)...und stets eine Handbreit Wasser unter dem Kiel (m8B)
Informationen zu Railship fand ich außer in dem genannten Prospekt in den Ausgaben 53 und 55 der Toplaterne, der Kundenzeitschrift der MaK. Außerdem gab es mal einen Artikel im Eisenbahn-Magazin, der mir aber gerade nicht vorliegt.
Ein paar Informationen findet man auch bei Wikipedia:
Railship AG
Railship I
Railship II
Und natürlich gibt es noch die schwedische Seite Fakta om Fartyg, wo man die Lebensläufer vieler Fähren findet:
Übersichtsseite Railship mit Links zu den Schiffen
Übersichtsseite Nordö Link mit Links zu den Schiffen
Ich hoffe, es hat gefallen. Mit Railship hat Helmut auf jeden Fall ein sehr interessantes Thema angeschnitten, zu dem es sicher noch viel mehr zu ergänzen gibt. Gelingt das vielleicht sogar hier im Hifo?
Viele Grüße
Gunnar