Bei meinem Besuch im September 1973 war Portugal noch weitgehend ein Entwicklungsland. Bei der Eisenbahn hatte zwar auf den Hauptlinien ein mit Hilfe der Eurofima finanziertes Modernisierungsprogramm begonnen, was jedoch durchaus nicht hiess, dass nicht auch auf Breitspurgleisen noch Dampfloks aktiv im Einsatz erlebt werden konnten. Das abgesehen von einigen Einstellungen noch recht dichte Schmalspurnetz wurde noch fast ausschliesslich mit Dampflokomotiven, welche zum Teil noch von der Jahrhundertwende stammten, und sehr antiquierten Holzwagen betrieben, was jede Fahrt für den Besucher zu einem echten Erlebnis machte. Kurz - die Zeit war seit Jahrzehnten buchstäblich stehen geblieben! Nicht anders war es bei den vier aktiven Trambetrieben, welche trotz grösserer Einstellungen immer noch ein sehr beträchtliches Ausmass hatten.
Die aufgrund der Veröffentlichung einiger weniger Fotos erhaltene Anregung von zwei Teilnehmern des Historischen Forums, etwas tiefer in mein persönliches Fotoarchiv zu steigen, habe ich gerne angenommen. 45 Jahre nach meinem Besuch ist es auch für mich ein Vergnügen, wenigstens bildlich einmal mehr in die Vergangenheit einzusteigen. Glücklicherweise kann ich dabei auch auf viele damals gemachten Notizen zurückgreifen. Ich gliedere meinen Bericht in verschiedene Abschnitte und beginne mit der seither arg geschrumpften, aber bei Touristen äusserst beliebten Strassenbahn Lissabon. Viel Spass!
Companhia Carris de Ferro de Lisboa
Lissabon's grosses Tramnetz (grösste Ausdehnung nach 1958 rund 145 km) war leider bereits 1973 im Schwinden begriffen. Bereits waren die Vorortslinien nach Benfica, Carnide, Luma und Areeiro sowie die Stadtlinien entlang der Avenida da Liberale der neuen Untergrundbahn, respektive dem Strassenbau gewichen. Weitere Umstellungen standen bevor mit dem Ziel, die Strassenbahn ganz aus der Hauptstadt Portugals zu verbannen. Zur Zeit meines Besuches waren aber immerhin noch rund 400 Strassenbahnfahrzeuge und drei Betriebshöfe im täglichen Betrieb.
Was bei meinen Aufnahmen sofort auffallen wird sind die noch fast gänzlich fehlenden Touristen. Die Strassenbahn diente noch ausschliesslich dem öffentlichen Verkehr und alle Wagen wurden zweimännig gefahren. Trotzdem ist es natürlich weitgehend dem Tourismus zu verdanken, dass die Trams heute populärer sind denn je und entgegen den ursprünglichen Planungen nach wie vor zum Stadtbild gehören. Was liegt deshalb näher, als zuerst die heute immer noch bestehende einmalige Linienführung durch die Altstadt zu verfolgen?
Wo gibt es sonst so etwas. Selbst heute, wie auch vor 45 Jahren quälen sich die kleinen Zweiachser durch die engen Altstadtgassen, so dass sich Fussgänger buchstäblich an die Hauswand drücken müssen. Die ungewöhnlich schmale Spurweite von lediglich 90 cm machte Strassenbahnverkehr in den engen Strassen überhaupt erst möglich. Es braucht nicht speziell erwähnt zu werden, dass ein Bus hier unmöglich durchkommen würde.
Ich entschuldige mich übrigens für die grossformatigen Fotos, doch brachte ich es nicht übers Herz hier Abstriche zu machen.
Ein Wagen der Linie 11 fährt in der Gegenrichtung. Wo heute noch die Linie 28 vollgestopft mit Touristen in beiden Richtungen verkehrt, waren es 1973 noch drei Linien, nämlich die Ringlinien 10 und 11 in je einer Richtung und die noch immer verkehrende Linie 28 in beiden Richtungen. Nun ist natürlich die Frage berechtigt, wie durch ein solches Nadelöhr drei Tramlinien ohne unliebsame Begegnungen verkehren konnten. Die Auflösung geben die nächsten zwei Bilder.
Überall, wo es ein kleines bisschen Platz gibt, sind die Gleise doppelspurig angelegt. Um eine Vielzahl von Weichen zu vermeiden, sind die Schienen vielfach nur verschränkt und der Fahrdraht durchgehend doppelt, d.h. für jede Fahrrichtung ausgeführt.
Zur Vermeidung von Kollisionen in den engen und unübersichtlichen Kurven wurde damals nicht auf automatisierte Lichtsignale, sondern ein manuelles System gesetzt. An der Aussenseite jeder Kurve sass ein Bediensteter auf einem kleinen Hocker, ausgerüstet mit einer einem Tischtennisschläger ähnelnder Kelle, welche je eine rote und grüne Seite aufwies. Damit wurden den Wagenführern freie Fahrt oder Halt signalisiert. Nachts wurde die Kelle durch eine zweifarbige Taschenlampe ersetzt. Offensichtlich funktionierte dieses System problemlos und Mitarbeiter waren 1973 ja noch keine Mangelware.
Bengel gab es schon immer, wie der Versuch zum Abziehen des Stangenstromabnehmers zeigt...
Was nicht alles Platz findet in einer engen Altstadtgasse! Dort wo die Strassenbahn für die enge Kurve etwas ausholt, wird das freie Plätzchen auch sogleich zum Parkieren benützt.
Schauen wir uns die ganze Herrlichkeit auch noch in Farbe an.
Obwohl diese Stelle bei meinem letzten Besuch 2017 noch grundsätzlich unverändert war, wäre eine solche Aufnahme heute nicht mehr möglich. Die Gegend wird von Tausenden von Touristen in Beschlag genommen und lange Autokolonnen streiten mit der Strassenbahn um etwas verfügbaren Platz. Die abenteuerlich anmutende Gleisverbindung von rechts diente 1973 nur als Dienstverbindung, wird heute aber von der Linie 12 im Kreisverkehr benutzt.
Wagen Nr. 708 wird die gleiche Stelle in wenigen Augenblicken erreichen. Er ist wie fast alle seine Brüder ein Zweirichtungsfahrzeug und dank elektrischer Bremse und Schienenbremse auf den steilen Altstadtlinien zugelassen. Äusserlich ist dies am knapp sichtbaren weissen Rechteck am Untergestell sichtbar.
Linie 12 verkehrt noch heute, jedoch im Kreisverkehr. 1973 genügte allerdings bei nur 800 Meter Streckenlänge ein einziger Pendelwagen und die Endstation befand sich kurz vor dem Zusammenschluss mit den Graca Linien 10, 11 und 28. Trotz des einzigen Wagens bestanden aber zur Verhinderung eines Verkehrschaos mit dem Privatverkehr einige Doppelspurinseln.
Kurz vor Erreichen des Hochplateaus zwängt sich der Ende der dreissiger Jahre in eigener Werkstatt erbaute und bis 1996 eingesetzte Wagen durch eine enge Strassendurchfahrt.
Nun wird es aber Zeit, uns anderen Teilen des Netzes und der darauf eingesetzten Fahrzeuge anzunehmen.
Das damals grösste und als einziges heute noch existierende Depot Santo Amaro. Hier befinden sich auch die Werkstätten und in neuerer Zeit das Strassenbahnmuseum. Auf dem Bild sehen wir ein interessantes Sammelsurium von Strassenbahn-Motorwagen. Von links nach rechts:
- Tw 721 (aus einer Serie von 35 Zweiachsern, erbaut in eigener Werkstatt zwischen 1936 und 1940)
- Tw 801 (aus einer Serie von 5 Vierachsern, erbaut 1939 in eigener Werkstatt)
- Tw 339 (aus einer Serie von 20 Vierachsern mit Maximum Drehgestellen, beschafft 1906 von der J.G. Brill Company, USA)
- Tw 221 angeschnitten (aus einer Serie von 80 Sommer-Triebwagen, beschafft 1901 von der J.G. Brill Company, USA. Bis 1955 Umbau in geschlossene Wagen)
Vierachser waren auf dem Tramnetz in Lissabon immer in der Minderzahl, da sie auf vielen kurvenreichen Strecken nicht verkehren konnten und ihr Einsatz in den siebziger Jahren auf die Flachlandlinien 15, 17 und 19 beschränkt waren. Hier sehen wir Tw 330, einen der wunderschönen typischen "Americanos" im Originalzustand, 1906 von der J.G. Brill Company beschafft und teilweise bis 1995 im aktiven Einsatz. Sehr gut sichtbar sind die Maximum-Drehgestelle. Die Aufnahme entstand am 12. September 1973 an der Praça da Figueira.
Dasselbe Fahrzeug "in guter Gesellschaft" ebenfalls an der Praça da Figueira. Man beachte auch das für Portugal typische und recht aufwendige Schachbrettmuster auf dem Gehweg.
Tw Nr. 342 ist ein weiterer Vertreter dieser wunderschönen Fahrzeuge. Diese Aufnahme entstand auf der Linie 16 nach Belem ausserhalb des Depots Santo Amaro.
Maximum-Vierachser Tw 347 ist ebenfalls Bestand der gleichen Serie, wurde jedoch einem Dachumbau (Tonnendach statt Oberlicht) unterzogen. Der Wagen befindet sich auf der langen Überlandlinie 15 nähe der Haltestelle Estadio.
Eine weitere Aufnahme eines "Americanos" mit Tonnendach. Tw 329 befindet sich hier bei R. Pascal de Melo auf der 1991 eingestellten Linie 3.
1947 wurde in eigener Werkstatt nochmals eine Serie von 10 Vierachsern erbaut. Mit der Schönheit der alten Maximum-Vierachser kann sich Tw 905 auf Linie 15 leider nicht so ganz messen.
Zufälligerweise ist mir das gleiche Fahrzeuge auf der Überlandlinie 15 bei Estadio nochmals for die Linse gefahren.
Nicht unbedingt schöner, nur farbiger... Tw 906 bei Santo Amaro.
Nun wenden wir uns aber wieder der meist verbreiteten Spezies, den Zweiachsern zu.
Tw 262 wendet auf der Linie 21 beim damaligen Depot Arco de Cego. Dieser Wagen wurde 1901 bi der J.G. Brill Company in den USA erbaut und ist entsprechend ein echter "Americanos". Allerdings wurde der ursprüngliche Sommerwagen bereits zwischen 1932 und 1937 mit einem geschlossenen Kasten versehen.
Sehenswert sind hier auch die vielfältigen Spuren im Asphalt. Offensichtlich ist das Wendemanöver mit der engen Kurve nicht immer so gut geglückt....
Das mit Personal sehr gut bestückte Schwester-Fahrzeug Tw 250 befindet sich ebenfalls bei Arco do Cego. Interessant sind übrigens die auf allen Bildern sauber getragenen Uniformen mit Kappe und Krawatte. Das war damals selbstverständlich und heute praktisch undenkbar.
Die Werkstatt in Santo Amaro erbaute zwischen 1952 und 1964 rund 80 dieser Einrichtungs-Zweiachser über deren Schönheit man sich ebenfalls streiten kann. Alle wurden bis spätestens 1992 ausrangiert. Tw 481 befindet sich hier an der gleichen Stelle beim Depot Arco de Cego auf der Linie 27 und wird sogleich von Passagieren bestürmt.
Wenn wir uns mit "besonders schönen" Strassenbahnen beschäftigen, gehört definitiv diese an der Praça da Figueira entstandene Aufnahme von Tw 283 und Bw 184 auf Linie 17 dazu. Vierzig solcher Einrichtungs-Zweiachser (nicht identisch mit den vorhergehenden) entstanden zwischen 1954 und 1962 in eigener Werkstatt, während 100 Anhängewagen zwischen 1952 und 1957 gebaut wurden. Ihr Einsatz war auf flache Linien beschränkt.
Wesentlich schöner waren die zwei ersten Stadtrundfahrtfahrzeuge, welche aus Beständen der Zweiachser-Serie von J.G. Brill Company aus dem Jahr 1901 umgebaut wurden. Wie auch das nachstehende Bild zeigt, waren diese als Nr. 1 und 2 bezeichneten Fahrzeuge äusserst luxuriös, wurden aber nicht so häufig eingesetzt, wie das bei den heutigen Stadtrundfahrtwagen der Fall ist. Weitere Rundfahrt Trams wurden auf Basis neuerer Standard-Zweiachser umgebaut und gleichzeitig die sehr schönen ersten Exemplare in den Ruhestand versetzt. Beide existieren jedoch noch heute und ein Wagen wird auf dem Museumgelände für Besuchertransporte eingesetzt. Gut sichtbar auf dieser Aufnahme ist auch die Schienenbremse, welche für den Betrieb auf den hügeligen Altstadtstrecken vorgeschrieben ist.
Der Innenraum von Tw 1. Wer möchte hier nicht mitfahren?
Wenn wir uns schon mit Spezial-Fahrzeugen befassen, darf der Dienstwagen Nr. 389 auf keinen Fall fehlen. Statt die Strecken nur mit einem öden Fahrzeug zu befahren, avancierte Nr. 389 zur fahrenden Whisky Reklame. Allerdings muss ich verraten, dass sich im Tank nur ganz gewöhnliches Wasser zur Schienenreinigung und nicht etwa das köstliche Getränk aus Schottland befand...
Offensichtlich war hier die städtische Architektur älter als der Strassenbahnbetrieb, so dass die Schienen für diese Tordurchfahrt bei Amoreiras verschränkt werden mussten. Tw 246, ein umgebauter Sommerwagen mit Baujahr 1901 ist auf Linie 29 unterwegs. Leider ist auch diese Linie längst Geschichte.
Auf dem Hof des längst eingestellten Depots Arco de Cego sonnen sich am 11. September 1973 Trams verschiedener Baujahre und warten auf ihren nächsten Einsatz.
Dass die Stadt Lissabon auf verschiedenen Hügeln liegt haben wir bereits beim Trambetrieb festgestellt. Die Höhenunterschiede werden aber auch von insgesamt drei Kabel-Strassenbahnen bewältigt, wobei wir uns auf diesem Bild in der Mitte der Gloria-Linie befinden. Die Technik ist meiner Meinung nach ziemlich einmalig und sehr originell. Wie bei einer herkömmlichen Standseilbahn sind die beiden Wagen über ein unterirdisch verlaufendes Seil verbunden. Dieses verläuft im sichtbaren Schlitz zwischen den Schienen. Im Gegensatz zu einer Standsteilbahn befindet sich jedoch in der oberen Station keine Antriebsmaschine, sondern nur eine leer laufende Rolle. Die beiden Fahrzeuge gleichen ihr Gewicht deshalb gegenseitig aus. Der Clou ist nun aber, dass es sich effektiv um zwei vollständig ausgerüstete Strassenbahnwagen mit Fahrschalter und Luftbremse handelt. Der zum Betrieb notwendige Strom wird über zwei kleine Pantographen von der Fahrleitung abgenommen, welche wiederum durch das Tramnetz gespeist wird. Jeder Wagen wird von einem Wagenführer bedient, welcher entweder hinauf oder hinunter fährt, während sein Kollege auf dem anderen Wagen das gleiche in der Gegenrichtung tut. Dank der Gewichtsbalance funktioniert dies wunderbar. Um die Fahrt für die Fahrgäste bequem zu gestalten, ist der Wagenkasten auf dem Untergestell so aufgebaut, dass er sich immer in der Horizontale befindet. Ein- und Aussteigen muss deshalb am oberen Ende des Fahrzeuges erfolgen.
Auf diesem Bild ist die stark erhöhte talseitige Front gut sichtbar. Auf dem oberen Teil der Strecke besteht zwischen den beiden Schienen ein grösserer Abstand um das Kreuzen zu ermöglichen. Auf dem unteren Teil sind die Schienen nahe zu einander verlegt.
Wagen 2 des Gloria-Aufzuges ist am oberen Ende der Strecke angekommen. Hier konnte 1973 noch in die Strassenbahn umgestiegen werden, was heute leider nicht mehr möglich ist. Schienen und Fahrleitung der entsprechenden Linie sind jedoch noch vollständig vorhanden, da sie auch zur Speisung des Kabel-Trams dienen. Wer weiss, vielleicht wird auch dort wieder einmal etwas fahren. Eine weitere Strassenbahn-Anbindung existierte bis anfangs siebziger Jahre auch bei der Talstation des Gloria-Aufzuges. Diese Linien wurden jedoch dem Ausbau der Metro geopfert.
Unweit des Gloria-Aufzuges verkehrte die Tramlinie 22 durch die R. da Boa Vista. Wegen der engen Strassen war es öfters der Fall, dass sich die gegenläufigen Geleise auftrennten und separat um einen Häuserblock führten.
Mit diesem charaktervollen Bild beende ich meinen Bericht über die Strassenbahn Lissabon. Der ursprünglich aus dem Jahr 1901 stammende und von J.G. Brill Company erbaute "Americano" Nr. 255 auf Linie 22 in der R. da Palma, das heruntergekommene Gebäude mit den einstmals schönen Balkongeländern und die Verzierungen am Fahrleitungsmast-Ausleger stammen alle aus einer anderen Zeit und passen stilvoll zusammen. Daran erinnere ich mich gerne!
Vieles der alten Herrlichkeit ist verschwunden. Trotzdem möchte ich aber auch heute allen interessierten Strassenbahnfreunden einen Besuch in Lissabon wärmstens empfehlen. Entgegen den seinerzeitigen Plänen verkehren die im Volksmund "Electricos" genannten Strassenbahnen immer noch auf einem reduzierten Netz und sind einen Besuch wert!
Meinen nächsten Bericht werde ich voraussichtlich der Überland-Strassenbahn Sintra - Atlantico widmen.
Hans Ryffel
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