Liebe HiFo-Freunde,
im ostfriesischen Wiesmoor existierte von 1910 bis 1964 ein Kraftwerk (mit zuletzt 32 MW Leistung), das (abgesehen von einer kurzen Kohle-Episode) ausschließlich mit Torf beheizt wurde. In anderen Ländern, wie Finnland, war und ist das nicht so selten (2012 noch 60 Torfkraftwerke, s. [
de.wikipedia.org]), aber in Deutschland gab es nur noch ein weiteres Torfkraftwerk. Aus heutiger Sicht mag die Leistung des Wiesmoorer Werks lächerlich erscheinen, in der Ära
vor Elektroherd, Fernseher, Waschmaschine und Kühlschrank konnte man damit Nordwestdeutschland zwischen Jadebusen und Dollart mit Strom versorgen. Wenn ich mir auch als Kind nicht viel unter einem Torfkraftwerk vorstellen konnte, aber „Wiesmoor-Tomaten“ kannte ich. Mit der Abwärme des Kraftwerks wurden nämlich Gärtnereien versorgt, die dadurch früher als andere frisches Gemüse auf den Markt bringen konnten. Betrieben wurde das Kraftwerk durch die Siemens Elektrische Betriebe AG (SEB), die sich 1925 umbenannten in Nordwestdeutsche Kraftwerke AG (NWK).
Die Versorgung des Kraftwerks mit Brenntorf erfolgte aus den umliegenden Mooren über ein Feldbahnnetz (Spurweite 600 mm), das gemäß [
www.ssdw.de] bei der Stilllegung noch eine Gleislänge von 61,6 km aufwies. Leider gibt es fast keine Veröffentlichungen zu diesem Feldbahnnetz und den zugehörigen Fahrzeugen. Meine Anfrage nach Informationen und Fotos hier im HiFo [
www.drehscheibe-online.de] brachte zwar Hinweise auf Landkarten, auf denen die Moorbahnen verzeichnet sind, jedoch hinsichtlich Fotos leider nicht den gewünschten Erfolg. Aber damit hatte ich Interesse und Ehrgeiz meines früheren Klassenkameraden Gerold Dreyer geweckt. Als gebürtiger Wiesmoorer, Sohn eines leitenden Angestellten des Kraftwerks und von Hobby und (früherem) Beruf der Geografie verschrieben, ist er genau der Richtige für vertiefte Recherchen auf diesem Gebiet. Alles Wissenswerte über die Wiesmoorer Kraftwerksbahnen hat er zusammengetragen und auf seiner Homepage veröffentlicht, die ich allen Feldbahnfreunden und an Eisenbahnhistorie Interessierten wärmstens empfehlen kann: [
gerold-dreyer.de].
Ich möchte hier mit einer ganz kurzen Vorschau Appetit machen auf die Seite. Wegen der angestrebten Kürze kann ich hier nicht vertieft auf das Streckennetz eingehen, zumal man dann auch verschiedene Zeitphasen unterscheiden muss. Bei einer 54jährigen Betriebszeit, verbunden mit intensivem Torfabbau, müssen naturgemäß die Abbaufelder wandern und die Feldbahnstrecken mit ihnen. Insgesamt reichte das Feldbahnnetz im Norden bis Marcardsmoor am Ems-Jade-Kanal, im Osten bis Schweinebrück bei Zetel, im Süden bis Stapeler Moor, bzw. ganz zum Schluss bis Meinersfehn und im Westen bis an den Voßbargkanal.
3 Fotos von Gerolds Homepage habe ich ausgesucht, die für mich jeweils etwas Charakteristisches der Feldbahnen des Wiesmoorer Kraftwerks zeigen. Bild 1 macht deutlich, dass hier in industriellem Maßstab Brenntorf herangeschafft wurde. Die Aufnahme zeigt das Portal eines Greifer-Krans zur Be-/Entladung der Torfloren zwischen 2 Torf-“Mieten“. Torf-“Mieten“ sind hohe, dammartig aufgeschüttete Torf-Haufen als Brennvorrat in der Nähe des Kraftwerks für die Wintermonate, in denen kein Torfabbau stattfinden konnte.
Bild 1
Bild 2 zeigt, soviel ich weiß, ein Unikat: einen
Ringlokschuppen für Feldbahnlokomotiven (bzw. einen Ausschnitt davon); rechts sind 2 Loks zu erkennen, dahinter die Gewächshäuser der Gärtnereien und ganz hinten Kühltürme und ein Schornstein des Kraftwerks.
Falsch gewusst: Ringlokschuppen ist kein Unikat, s. Kommentar von Andreas "achristo".
Bild 2
Als letztes Bild zeige ich hier ein 1928 aufgenommenes Foto vom östlichen Ende des Streckennetzes, aus Schweinebrück, wo – zumindest eine Zeit lang – die Feldbahngleise bis an den Bahnhof der Reichsbahn herangeführt waren (Strecke Varel – Neuenburg, zw. Zetel u. Neuenburg), so dass direktes Umladen möglich war. Es sei in diesem Zusammenhang erwähnt, dass die Wiesmoorer Kraftwerksbahnen nicht nur Torf transportiert haben, sondern auch Material für die Gärtnereien sowie Schlacke vom Kraftwerk zu einem Hafen am Ems-Jade-Kanal; hierfür gab es Kipploren im Bestand.
Bild 3
Bei der Lok dürfte es sich um eine Deutz C XIV F handeln, ein Typ, der – mit Benzolmotor – ursprünglich als Heeresfeldbahnlok gebaut worden war, also um eine Maschine aus den Anfangsjahren der Bahn. Genau 2 Loks dieser Bauart (leider keine original Wiesmoorer) haben das runde Jahrhundert seit ihrem Bau überdauert: eine befindet sich im Feld- und Werksbahnmuseum Oekoven bei Köln [
gillbachbahn.bahnwiki.org], eine zweite in Brasilien, [
www.entlang-der-gleise.de].
Gemäß Kommentar von Andreas "achristo" existiert in Graz eine weitere Lok dieses Typs.
Aus dem in [
www.ssdw.de] aufgelisteten Lokbestand bei Stilllegung haben möglicherweise 3 Schöma-Loks überlebt, zumindest kann man das aus der Liste in [
www.werkbahn.de] schließen, nämlich (Werks-Nr./Baujahr) 969/1948 (NWK 17), 1026/1949 (NWK 25) und 1042/1949 (NWK 19). Die 969 ist vom Typ LO28, die anderen beiden vom Typ LO40. Gemäß der Tabelle befindet sich die 969 im "Museum für feldspurige Industriebahnen" in Osterkappeln-Hitzhausen bei Osnabrück und trägt da offenbar den Namen "Wiesmoor".
Das Museum befindet sich aktuell am Piesberg im nördlichen Stadtgebiet von Osnabrück, s. verlinkte Seite "feldspur" und Kommentar von Christoph "Mühlenexpress". Ob eines der Bilder in [
www.feldspur.de] die Lok zeigt, weiß ich nicht. Gemäß Fahrzeugtabelle ist sie abgestellt. Die nächste Lok in der Tabelle ist die 1026, die sich im Feldbahnmuseum Guldental-Heddesheim befinden soll. In deren Fahrzeugliste auf der Homepage [
www.feldbahnmuseum-guldental.de] taucht die Lok nicht auf; Versuche, den Verbleib per E-Mail zu klären, verliefen im Sand.
Gemäß Kommentar von Michael "PHLCollrado" ist die Lok in Guldental vorhanden und 2017 gefahren; es handelt sich aber um den Typ Lo 45. Die dritte im Bunde ist die 1042, die sich als Denkmal vor der Schule
Kronsburg in Kiel befinden soll. In [
www.entlang-der-gleise.de] sind 2 Fotos der Lok zu sehen; die letzten Sichtungsmeldungen sind wohl 6 oder 7 Jahre alt.
Das galt, als ich den Beitrag geschrieben habe; Stefan Motz hat sich die Mühe gemacht, die Lok am bezeichneten Ort aufzusuchen und hat deren Existenz da am 15.1.18 dokumentiert, s.u.. Die Farbe entspricht sicher nicht der, die die Lok in Wiesmoor trug (vermutlich schwarz), sondern möglicherweise der, die ein zwischenzeitlichen Eigentümer ihr verpasst hat.
Ich hoffe, dass ich damit ich ein bisschen Interesse geweckt habe an der wirklich tollen Homepage von Gerold Dreyer über die Wiesmoorer Kraftwerksbahnen. Die Seite enthält neben mehreren Karten, in die der Verlauf der Bahnen zu verschiedenen Zeiten eingetragen ist, eine Vielzahl von teils sehr alten Fotos. Weiterhin finden sich Vorschläge für Radtouren zur Spurensuche vor Ort. Ich kann mich nur wiederholen: wer Interesse an Moorbahnen hat, für den ist die Seite ein Muss!
Das war mit ziemlicher Sicherheit mein letzter Beitrag in diesem Jahr. Deshalb wünsche ich Euch schon ´mal
ein frohes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins Jahr 2018!
Klaus
Meine HiFo-Beiträge: [
www.drehscheibe-online.de]
Edit hat aufgrund der Kommentare
Korrekturen und Ergänzungen eingebaut, außerdem einen Link aktualisiert.
5-mal bearbeitet. Zuletzt am 2018:10:20:00:19:05.