Hallo zusammen,
Anfang Oktober dieses Jahres war ich im Urlaub an der dänischen Nordseeküste. Leider herrschte oft schlechtes Wetter, und so unternahmen wir einen Ausflug in die Stadt Holstebro. Die Kamera war nicht dabei, es war nichts Besonderes zu erwarten. Ein Bahnübergang in der Nähe der Fußgängerzone, die Schranken senkten sich, und zu meiner Überraschung erschien eine MR/MRD-Garnitur.
Eine MR/MRD-Garnitur? Das sind die bei Uerdingen auf der Basis der 628-Prototypen der DB (628.0) entwickelten Dieseltriebwagen der DSB, von denen 1978 bis 1985 insgesamt 98 Garnituren geliefert wurden und die jahrzehntelang den Regionalverkehr auf Jütland und Fünen beherrschten. Eine Garnitur bestand aus einem Triebkopf vom Typ MR (ohne Gepäckabteil) und einem vom Typ MRD (mit Gepäckabteil). Meine Überraschung bestand darin, überhaupt noch einen zu sehen: Schon lange war das unmittelbar bevorstehende Ende dieser Wagen angekündigt worden, und ich dachte, es führen längst keine mehr.
Dieses Nichtwissen führt zum zweiten Teil der Überschrift. Ich habe nie viel Notiz von diesen Fahrzeugen genommen, sie waren für mich immer höchstens „Beifang“. Die ebenfalls aus dem Hause Uerdingen stammenden Lynetter-Triebwagen, deren letzte Exemplare ganz in der Nähe von Holstebro auf der Lemvigbane fahren, haben dagegen stets meine volle Aufmerksamkeit. Woher diese unterschiedliche Wertschätzung? Liegt es an der Allgegenwart der MR/D-Wagen? Möglich, aber auch die Lynetter waren keine Rarität; jahrelang fuhren sie auf jeder dänischen Privatbahn. Von den inneren Werten her sind beide Typen vergleichbar – sie haben sich in langen Jahren als zuverlässige und robuste Fahrzeuge bewährt und setzten bei ihrem Erscheinen in ihrer Fahrzeugklasse neue Maßstäbe hinsichtlich des Fahrkomforts. In manchen Punkten – vor allem Sitzkomfort, aber auch Laufruhe und Geräuschdämmung – sind sie heute gängigen Typen eher überlegen als gleichwertig.
Bleibt also das Äußere. Und da haben die pausbäckigen Lynetter mit ihrer zeitlos freundlichen, leicht gerundeten Kopfform tatsächlich das Zeug zu „everybody´s darling“. Die MR/D-Triebwagen dagegen entstanden – wie erwähnt – auf Basis des 628.0 der DB mit seiner furchterregenden, an einen Rammbock erinnernden Kopfform (ich halte die 627.0/628.0 auch heute noch für einen der schlimmsten Design-Missgriffe der früheren DB). Die MR/D präsentierten sich zwar etwas „ziviler“, aber Schönheiten sind sie auch nicht.
Zu der betrüblichen Erkenntnis, dass anscheinend doch nicht nur innere Werte zählen, kommt noch ein weiteres. Bis heute gilt: Die meisten Eisenbahnfahrzeuge, denen ich mit der Kamera hinterherjagte oder –jage, waren schon da, als ich – im Alter von ca. 13-14 Jahren – mit dem Eisenbahnhobby begann. Ich denke, das geht nicht nur mir so. Beim Erscheinen der ersten MR-Triebwagen 1978 war ich aber schon 19 und damit schon einige Jahre „im Geschäft“. Er ist also ein Beispiel für eine Fahrzeugtype, die mich von ihrem Erscheinen bis zu ihrem Ende irgendwie begleitet haben, weswegen ich einige Schlaglichter aus ihrem Lebenslauf hier zeigen möchte. Dass dabei gegen Ende dieses Beitrages auch einige Bilder auftauchen, die jünger als 10 Jahre sind, ist hoffentlich in diesem Zusammenhang in Ordnung.
(Bild 1) Meine erste Begegnung mit einem MR-Triebzug hatte ich im August 1981 – das genaue Datum weiß ich gar nicht - im Bahnhof Skjern. Natürlich war ich nicht extra wegen der MR-Wagen dort erschienen. Vielmehr hatte ich am Rande eines Zelturlaubes am Ringkøbing-Fjord bemerkt, dass in Westjütland noch zahlreiche der altertümlichen MO-Triebwagen unterwegs waren. Einen solchen hatte ich auch hier erwartet, aber auf der Strecke Herning-Skjern, auf der die abgebildete Garnitur 4053/4054 an diesem Tag pendelte, fuhren damals schon MR-Wagen. Zu dieser Zeit gab es die Variante MRD noch nicht, sondern lediglich 62 in den Jahren 1978/79 gelieferte MR-Triebköpfe, die paarweise zu insgesamt 31 Zügen zusammengestellt waren.
Einen sehr viel größeren Auftritt hatten die neuen Züge während eines Urlaubes im Sommer 1983 bei Viborg im mittleren Jütland. Die Strecke (Århus-) Langå-Struer, an der Viborg liegt, war schon seit 1979 fast ganz in ihrer Hand. Ständig wurden neue Wagen angeliefert, wobei man zunächst ausschließlich MRD-Triebköpfe beschaffte, die bisherigen MR-Garnituren trennte und einen schon vorhandenen MR-Triebkopf (Reihe 4001 ff.) mit dem nummernmäßig passenden MRD-Triebkopf (Reihe 4201 ff.) kuppelte – also 4001+4201, 4002+4202 usw.
(Bild 2) Die MR/D-Garnitur 60 (also 4060+4262) sehen wir hier am 15.7.83 in der Nähe von Viborg bei Rindsholm an einem recht rustikalen Feldwegübergang.
In diesem Sommer lernte ich die MR/D-Triebwagen auch mehrmals als Fahrgast kennen und schätzen: Sie waren laufruhig, für einen Dieseltriebwagen leise, und die an Sofas erinnernden Sitze waren ausgesprochen gemütlich und meilenweit entfernt von den mit einem hauchdünnen Plüschpolster versehenen Plastikstühlen, die heute in Regionalzügen Standard sind.
(Bild 3) Auf einer solchen Tour entstand dieses Bild von der MR/D-Garnitur 37 am 14.7.83 im Bahnhof Århus. Von rechts naht das Personal, das damals selbstverständlich noch aus Lokführer und Zugschaffner bestand.
Eine weitere Qualität der neuen Züge zeigte sich bei einem Blick ins Kursbuch. Den Löwenanteil des Personenverkehrs auf der Strecke Langå-Struer fuhren im Taktfahrplan die MR/D-Wagen. Zweimal am Tag kam jedoch „hoher Besuch“ in Gestalt des „Lyntog“, zu Deutsch „Blitzzug“. Das war eine der hochwertigen Zuggattungen der DSB: Dieselschnelltriebwagen, mit denen Direktverbindungen von Kopenhagen in entferntere Landesteile angeboten wurde. Gefahren wurden die „Lyntog“ mit den 1963-66 gelieferten MA-Triebwagen, deren Vorbild der deutsche VT 11 (= 601) gewesen war. Kurios nur der Fahrzeitenvergleich zwischen den an jedem Bahnhof haltenden MR/D-Zügen und dem an mehreren Bahnhöfen durchfahrenden Lyntog:
(Bild 4) Fazit: Wer es eilig hatte, nahm besser den Regionalzug!
(Bild 5) Ein weiterer Ausflug führte am 7.7.83 zum ersten Mal an die Lemvigbane. Auf der Rückkehr entstand abends im Bahnhof Struer dieses Bild der nagelneuen, aus zwei MRD-Triebköpfen gebildeten Garnitur 4263+4264. Man war mit der Lieferung von MRD-Wagen schon über die Nummer 4262 hinausgekommen, hatte aber die MR-Lieferung noch nicht wieder aufgenommen. Daher musste man die überzähligen MRD-Wagen miteinander kuppeln. Zwei derartige MRD/MRD-Garnituren (4263+4264 und 4265+4266) habe ich in diesem Urlaub mehrmals gesehen.
In der Folgezeit wurden laufend weitere MR und MRD in Dienst gestellt, bis im Jahre 1985 der Endbestand von jeweils 98 Triebköpfen beider Bauarten erreicht war. Sie waren fortan auf Jütland und Fünen im Regionalverkehr allgegenwärtig, sowohl auf Neben- als auch auf Hauptbahnen. Man nahm sie daher wirklich nur gelegentlich und am Rande wahr.
(Bild 6) Eine solche „Nebenbei“-Aufnahme zeigt die MR/D-Garnitur 12 am 1.8.87 bei der Einfahrt in den Bahnhof Tønder nahe der deutsch-dänischen Grenze. Dieser Zug wird übrigens heute für das DSB-Eisenbahnmuseum aufbewahrt.
Bis zu meiner nächsten Begegnung mit den MR/D-Wagen gingen nun neun Jahre ins Land. Im Sommer 1996 gab es einen Urlaub auf Südfünen nahe Svendborg. Die dorthin führende Strecke Odense-Svendborg war im Herbst 1978 die erste im DSB-Netz gewesen, deren Personenverkehr komplett auf die neuen Triebzüge umgestellt wurde.
(Bild 7) Hier sehen wir die Garnitur MR/D 64 am 30.7.96 bei der Einfahrt in den Bf. Svendborg. Ein vertrautes Gesicht, dem aber bei näherem Hinsehen der Zahn der Zeit und vor allem wohl die damals schon allgegenwärtigen Sparzwänge arg zugesetzt haben: Mit Waschanlagen kamen die Züge nur äußerst selten in Berührung, noch seltener mit frischer Farbe (wenn überhaupt seit ihrer Indienststellung). Die Folge zeigt sich in den braunen Flecken auf den Seitenwänden: Großflächig ist hier die Farbe abgeblättert. Vom Glanz der Anfangsjahre ist wenig übrig.
(Bild 8) Die am 3.8.96 im Grenzbahnhof Padborg aufgenommene Garnitur 45 zeigt ein ähnliches Problem, nunmehr an der schwarz abgesetzten Stirnfront.
Immerhin war auch der DSB klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Seit 1995 lief eine Grundüberholung aller MR/D-Züge, die sich bis 1998 hinzog und in Deutschland im PFA Weiden erfolgte. Bei dieser Gelegenheit erhielten sie eine neue Farbgebung, die den zwischenzeitlich beschafften IC3-Ferntriebwagen (als „Flexliner“ und „Gumminasen“ bekannt) entsprach: weiß mit rot abgesetzten Einstiegsbereichen.
(Bild 9) Am 14.8.97 ist eine solche frisch renovierte Garnitur im hohen Norden Dänemarks zwischen Aalborg und Frederikshavn bei Dvergetved unterwegs. Die Nummer ist wegen der Entfernung nicht zu erkennen. Trotzdem habe ich dieses Foto ausgewählt, weil der Blickwinkel ganz schön den kleinen äußeren Unterschied zwischen MR und MRD erkennen lässt: Der vorauslaufende MRD hat im vorderen Teil eine doppelte Schwenktür, während diese beim MR nur einteilig ist.
(Bild 10) Die weiße Farbgebung hat allerdings einen gravierenden Nachteil: Sie ist sehr wetterempfindlich. Hätten die Wagen auch nach Jahren noch ein strahlendes Colgate-Weiß zeigen sollen, wären größere Aufwendungen zur regelmäßigen Reinigung nötig gewesen, was aber natürlich nicht geschah. Und so zeigten sich viele MR/D-Wagen schon ziemlich kurz nach der Renovierung äußerlich wieder ziemlich unansehnlich, wie hier die Garnitur 73 am 26.7.99 im Bahnhof Ryomgård, etwa in der Mitte der Strecke Århus-Grenå gelegen. Ihr stets etwas schmuddeliges Aussehen blieb für den Rest ihres Lebens ein ständiger Begleiter der MR/D und hatte sicherlich Auswirkungen auf ihr Image in der Öffentlichkeit.
Gehen wir noch einmal zurück ins Jahr 1998. Der intensive Regionalverkehr auf Seeland machte in den meisten Fällen lokbespannte Wendezüge erforderlich, und so waren die MR/D-Wagen hier in den ersten Jahren nicht in Erscheinung getreten. In den Jahren 1986-91 hatte es ein erstes Intermezzo gegeben, da die MR/D in dieser Zeit sogar als Fernzug herhalten mussten. Es handelte sich dabei um den „Englandæren“, der direkt von Kopenhagen nach Esbjerg im Anschluss an die nach Harwich fahrende England-Fähre lief. In diesem Zusammenhang hatte man die MR/D-Wagen auch auf der relativ schwach frequentierten Strecke Roskilde-Køge-Næstved („Lille Syd“) eingesetzt, auf der lokbespannte Züge eigentlich nicht nötig waren. Im Jahre 1998 entschloss man sich jedoch, einige MR/D-Garnituren auf Seeland zu stationieren und die „Lille Syd“ künftig ausschließlich mit ihnen zu fahren. Dabei blieb es dann auch 18 Jahre lang.
(Bild 11) Durch einen puren Zufall war ich am letzten Tag des Einsatzes lokbespannter Züge auf der „Lille Syd“, dem 23.5.98, zur Stelle und fotografierte in und um Gadstrup (südlich von Roskilde) alle drei an diesem Tag zwischen Roskilde und Næstved pendelnden Garnituren: eine mit der Lok ME 1530...,
(Bild 12) ...eine zweite mit der Lok MZ 1448...,
(Bild 13) ...während im dritten Umlauf schon eine MR/D-Garnitur unterwegs war, nämlich der Zug 4049+4249.
Natürlich war es nicht dieses Ereignis, das mich an diesem Tag an die „Lille Syd“ gezogen hatte, sondern von Roskilde aus eingesetzte Dampf-Sonderzüge. Dies unterstreicht nochmals den im Titel genannten „Mauerblümchen“-Status der Triebwagen: Sie blieben stets Beifang beim Warten auf dampfbespannte Museumszüge oder Güterzüge, die mit den zum Kultobjekt avancierten letzten MY bespannt waren.
(Bild 14) Den letztgenannten Fall illustriert recht gut diese am 26.7.99 in Hasselager südlich von Århus entstandene Aufnahme: Die mit der MY 1150 bespannte Übergabe muss zunächst die MR/D-Garnitur 97 passieren lassen, ehe sie auf die Hauptstrecke einbiegen darf.
(Bild 15) Dass bei solchen Anlässen durchaus schöne Streckenaufnahmen entstanden, deren Wert im Laufe der Jahre vermutlich eher steigen wird, zeigt zum Beispiel dieses Motiv mit der MR/D-Garnitur 66 bei Hadsten zwischen Randers und Århus, das verdeutlicht, dass die Wagen auch auf den „langen Schienen“ und nicht nur auf Nebenbahnen fuhren.
(Bild 16) Zwei Jahre später (am 23.5.2001) war erneut die Garnitur 66 zur Stelle, um die Wartezeit auf eine MY bei Ry zwischen Herning und Silkeborg in dänischer Bilderbuch-Landschaft zu verkürzen.
(Bild 17) Diese Aufnahme führt uns wieder zurück nach Westjütland an die Strecke Herning-Skjern. Der an dieser Strecke gelegene Bahnhof Borris war am 14.4.99, als diese Aufnahme entstand, der letzte Bahnhof im Netz der DSB, der noch Formsignale besaß. Somit galt natürlich diesen und nicht der vorbeifahrenden MR/D-Garnitur 23 das Hauptinteresse des Fotografen.
(Bild 18) Zwei Bilder mit Typen-Gegenüberstellungen möchte ich anfügen. Am 21.10.97 stehen in Padborg hintereinander ein MR/D-Zug (4006+4206) und sein DB-Pendant 628 – nun natürlich in der Serienausführung, deren Bau erst nach Ablieferung sämtlicher MR/D begann.
(Bild 19) Ein optischer Vergleich zwischen dem MR/D und den eingangs erwähnten Lynettern darf nicht fehlen. Das Bild entstand am 8.10.2001 im Bahnhof Vemb und zeigt den einfahrenden MR/D-Zug 71 neben dem im Stumpfgleis wartenden Ym/Ys 14 „Tangen“ der Vemb-Lemvig-Thyborøn Jernbane“ (VLTJ). „Tangen“ ist noch heute als einer der letzten vier planmäßig eingesetzten Lynetter in Betrieb.
(Bild 20) Im Jahre 2002 machten sich Europäisierung, Globalisierung, Liberalisierung, Privatisierung auch bei den dänischen Eisenbahnen nachhaltig bemerkbar, indem der „Arriva“-Konzern die Ausschreibung über weite Teile des Schienenpersonenregionalverkehrs in West- und Mitteljütland gewann. Als Fahrzeuge dienten zunächst weiterhin die gewohnten MR/D-Triebzüge. Sie wurden von der DSB gemietet und sollten den Zeitraum bis zur Lieferung von neuen LINT-Triebzügen überbrücken.
Mit dem Äußeren der MR/D-Züge trieb Arriva zunächst nicht viel Aufwand. Es wurden lediglich Folien in der Arriva-Hausfarbe Türkis auf den rotlackierten Einstiegsbereichen angebracht, und die Stirnfronten erhielten optisch eine Art Kühlergrill mit dem Arriva-Schriftzug. Das Bild mit dem Arriva-Trio entstand am 3.4.2004 im Bahnhof Varde, wobei die Garnitur 95 gerade aus Esbjerg kommend eingetroffen ist, während die Züge 22 und 70 Wochenendruhe halten.
(Bild 21) Im Takt mit der Anlieferung von LINT-Triebwagen gingen die ersten gemieteten MR/D schon 2004 an die DSB zurück, die letzten allerdings erst 2011. Diejenigen Fahrzeuge, die länger bei Arriva blieben, erhielten noch eine komplette Umlackierung im Arriva-Design, über dessen Ästhetik man streiten kann. Am 4.4.2009 haben hier im Bahnhof Struer die Garnituren 35 und 96 einen ihrer Nachfolger in die Mitte genommen. Die eigenartigen Blechtafeln auf den gesickten Seitenwänden waren übrigens für mögliche Werbebeschriftungen vorgesehen. Dazu kam es allerdings meines Wissens nicht.
(Bild 22) Auch die DSB griff ab 2004 noch einmal in die Farbtöpfe und lackierte ihre MR/D-Wagen neu. Allerdings war auch die neue Kombination aus hellgrau und dunkelblau witterungsempfindlich, und so wirken auch die beiden Garnituren 97 und 30 auf diesem Bild nicht unbedingt besonders verkehrswerbend. Es entstand – wie Bild 21 – am 4.4.2009 in Struer – dort, wo der Verfasser 26 Jahre zuvor nagelneue glänzende MRD-Züge aufgenommen hatte (vgl. Bild 5).
Die letzten 15 Jahre der MRD/D-Züge waren von einem hektischen Auf und Ab geprägt. Grundsätzlich war ihr Stern im Sinken begriffen. Schon 2002 waren sie auf der Strecke Odense-Svendborg durch neue „Desiro“-Triebwagen (bei der DSB als Baureihe MQ bezeichnet) ersetzt worden. Im Jahre 2004 lieferte Ansaldobreda den ersten IC4-Schnelltriebwagen. Diese sollten –so die Planung – einen Teil der IC3-Züge in den Regionalverkehr abdrängen und dort MR/D-Wagen ersetzen; den Rest sollte eine Kurzversion der IC4-Züge mit dem Namen IC2 erledigen. Das neue Design erhielten daher auch nur noch 65 der MR/D-Züge.
Wie wir heute wissen, kam alles ganz anders. Die IC4-Triebwagen kamen nie richtig ans Laufen. Ständig neu auftauchende technische Probleme verzögerten ihre Inbetriebnahme oder führten wiederholt zur Stilllegung der Flotte. Inzwischen zeichnet sich ab, dass die IC4- und die IC2-Triebwagen mehr oder weniger unverrichteter Dinge wieder abtreten werden. Für die MR/D-Triebwagen bedeutete dies, dass sie immer wieder einspringen mussten für nicht in Betrieb genommene oder wegen technischer Schwierigkeiten abgestellte Fahrzeuge. Selbst im Fernverkehr mussten die altgedienten Wagen wiederholt aushelfen. Hinzu kamen plötzlich wieder aufflammende Einsätze bei Betriebsstörungen und Ähnlichem. Immer waren es die vernachlässigten MR/D-Wagen, die noch unter Bedingungen liefen, mit denen ihre modernen Nachfolger nicht fertig wurden.
Im Sommer 2014 wurde ich rein zufällig Zeuge eines solchen Geschehens. Während eines Urlaubsaufenthaltes auf der Halbinsel Djursland fuhr ich an einem Samstag nach Ryomgård (vgl. Bild 10), um ein kleines Eisenbahnmuseum zu besichtigen, das sich dort in einem ehemaligen Lokschuppen eingerichtet hat Der Bahnverkehr auf der dort vorbeiführenden Strecke Århus-Grenå interessierte mich eigentlich nicht, er war schon einige Zeit zuvor auf Desiro-Triebwagen umgestellt worden. Umso überraschter stellte ich fest, dass plötzlich wieder MR/D-Züge fuhren:
(Bild 23) Hier kreuzen die beiden Garnituren 28 (links) und 18 (rechts). Aber ach – wie hat sich das Bild seit 1999 (vgl. Bild 10) geändert: Das hübsche Gebäude-Ensemble mit dem alten Wasserturm existiert zwar noch, aber zwischen den Gleisen wächst das Gras teilweise kniehoch, und die graffitiverschmierten MR/D-Züge sind äußerlich ein Schatten ihrer selbst.
(Bild 24) Fast noch bedrückender wirkt dieses Bild vom Endbahnhof Grenå, auf dem sich am 18.8.2014 die Züge 58 (rechts) und 75 begegnen: graffitiverschmierte Fahrzeuge, aufs Nötigste zurückgebaute Gleisanlagen, auf denen teilweise ebenfalls das Gras wächst. Das Bahnhofsgebäude steht noch, ist aber von einer Immobilienfirma übernommen worden. Selbstverständlichkeiten wie einen beheizten Warteraum, eine Toilette oder gar eine Fahrkartenausgabe gibt es nicht mehr. Die Fahrgäste müssen mit dem im Hintergrund erkennbaren Bus-Wartehäuschen vorlieb nehmen, dazu ein Fahrplanaushang und ein Fahrscheinautomat – das ist der ganze „Service“. Wie tief kann das Verkehrsmittel Eisenbahn eigentlich noch sinken?
Von einem Lokführer erfuhr ich dann auch den Grund für das unerwartete Wiederauftauchen der MR/D: Im Raum Århus befindet sich ein Regional-Stadtbahnnetz nach Karlsruher Vorbild im Aufbau, das auch die Bahnstrecken nach Odder und Grenå umfassen soll. Wegen der Bauarbeiten hierfür war die Strecke aber im Jahre 2014 für einige Monate unterbrochen und wurde in dieser Zeit zu einem Inselbetrieb. Die Fahrzeuge waren vom Restnetz isoliert und mussten provisorisch unter freiem Himmel gewartet werden. Und das hätte die empfindliche Technik der Desiros wohl nicht verkraftet – aber die alten MR/D, die konnten das.
(Bild 25) Als Freiluft-Abstellanlage für die Reservegarnituren diente das vom Bahnhof zum Hafen führende Gütergleis. Es ist ebenfalls grasüberwuchert und rostig, denn seit den frühen 2000er Jahren gibt es keinen Schienengüterverkehr mehr auf der Strecke nach Grenå.
Es sind schon etwas bedrückende Bilder, die meinen Streifzug durch das Leben der MR/D-Triebwagen beschließen. Ich weiß, dass ich mich hier recht nahe am „Früher war alles besser“-Klischee bewege. Darum möchte ich meine Überlegungen mal so ausdrücken:
Die Dieseltriebwagen á la Desiro, LINT usw., die heute den Regionalverkehr auf nichtelektrifizierten Strecken in mehreren Ländern Europas dominieren, wurden meines Wissens alle in den späten 1990er Jahren entwickelt. Es sind also inzwischen etwa 20 Jahre alte Konstruktionen. Eine Nachfolgegeneration müsste eigentlich allmählich in der Planung sein. Wäre dies nicht eine Gelegenheit, aus den offenkundigen Schwächen der aktuellen Fahrzeuge zu lernen und es bei der nächsten Fahrzeuggeneration besser zu machen? Dazu würde zum Beispiel eine deutlich behaglichere und komfortablere Inneneinrichtung gehören, die sich – wie weiland bei Lynetter, MR/D & Co. – von dem Gedanken leiten lässt, auch Pkw-Benutzer zu überzeugen? Weit oben auf der Wunschliste würde natürlich auch eine zuverlässigere und einfachere Technik stehen, die nicht bei betriebs- oder witterungsbedingten härteren Einsatzverhältnissen die Ohren anlegt und zu Zugausfällen führt. Mit ein paar Software-Updates wäre das freilich nicht getan, wie überhaupt das immer stärkere Setzen auf diese Art von Technik mir mehr eine Ursache als eine Lösung des Problems zu sein scheint.
Im kommenden Frühjahr werden wir voraussichtlich erneut ein paar Tage an der jütländischen Nordseeküste verbringen. Wenn dann die MR/D-Triebwagen immer noch fahren sollten – dann werde ich wohl doch mal für einen Tag nach Struer oder Holstebro fahren, um letzte Fotos zu machen. Versprochen.
Grüße,
Stefan