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Augsburger Abendzeitung
Donnerstag, 17. Juni 1909
Nr. 166

Die Fahrt mit der neuen Schnellzugsmaschine.
H. München, 16. Juni. Die Sonderfahrt von München nach Salzburg - Berchtesgaden - Königsee und zurück, wozu vom Verkehrsministerium an die Presse für heute Einladung ergangen war, wurde programmmäßig um 7 Uhr 5 Minuten vom Hauptbahnhof angetreten. In der Hauptsache galt sie der Erprobung einer unserer neuen bayerischen Schnellzugslokomotiven der Gattung S 3/6.
Da das Netz der bayerischen Bahnlinien infolge der zahlreichen Steigungen nur ganz wenige Strecken aufweist, die mit hohen Geschwindigkeiten befahren werden können, hat die Entwicklung der bayerischen Schnellzugslokomotive im letzten Jahrzehnt zu einer ganzen Reihe von Typen geführt. Die Forderung: größte Geschwindigkeit bei mäßiger Belastung (150 Tonnen bei 110 Kilometer) hatte in der auf der Nürnberger Ausstellung im Jahre 1906 allgemein bewunderten S 2/6=Lokomotive von J.A. Maffei ihre Erfüllung gefunden, während die S 2/5 bereits für schwere Schnellzüge (250 Tonnen bei 100 Kilometer) konstruiert war.
Da es jedoch nicht zweckmäßig ist, Lokomotiven mit so hohen Geschwindigkeiten wie die S 2/6 einzuführen, und die Zuglasten sich beständig steigern, mußte man auf einen Typ sinnen, der auch bei verhältnismäßig großen Steigungen schwere Lasten mit erhöhter Geschwindigkeit befördern konnte. Um dem zu genügen schritt Maffei über die S 3/5 (300 Tonnen bei 100 Kilometer) zur Konstruktion der S 3/6-Vier-Zylinder-Verbund-Ueberhitzer-Lokomotive, wie sie als ein Markstein der bayerischen Lokomotivindustrie und der Lokomotivtechnik überhaupt ein Glanzpunkt der Ausstellung München 1908 bildete.
Mit ihrer jüngsten vervollkommneten Schwester - sie selber war sehr hochrädrig und in besonderen ebenen Strecken vermeint - wurde nun heute die erste Ausfahrt unternommen, an der außer 34 Pressevertretern als zeitweiliger Vertreter des durch einen Ministerrat am Vormittag hier zurückgehaltenen Verkehrsministers von Frauendorfer, Staatsrat Freiherr v. Schacky, die Ministerialräte Völcker und Bieber, ersterer als unermüdlich liebenswürdiger und universeller Informator der Fahrgäste, letzterer als der ingeniöse Konstrukteur des neuen Lokomotivtyps, Oberregierungsrat Grimm als stellvertretender Eisenbahnpräsident von München, sowie die Regierungsräte Riegel von der Eisenbahndirektion und Dr. Gleichmann als Referent der Elektrisierungsabteilung teilnahmen.
Die neue Lokomotive ruht auf sechs Achsen, wovon die drei mittleren als Triebachsen, die in einem Drehgestell vereinigten zwei vorderen Achsen, sowie die hintere Achse als Laufachsen ausgebildet sind. Von dem Achsenverhältnis her schreibt sich auch der Ausdruck S 3/6. Der Durchmesser der Triebräder beträgt 1870, der der vorderen Laufräder 950 und der hinteren Laufräder 1206 Millimeter. Die Lokomotive ohne Tender hat ein Leergewicht von 78,6 und ein Dienstgewicht von 86,1 Tonnen, von denen auf die drei Triebachsen je 16, zusammen also 48 Tonnen entfallen.
Die vier nebeneinander angeordneten Dampfzylinder arbeiten gemeinsam auf die mittlere gekröpfte Triebachse, die der Sicherheit wegen aus Nickelstahl hergestellt ist. Zwei Steuerungen, auf jeder Maschinenseite eine, regeln die Dampfverteilung in den vier Zylindern. Die zwei innen liegenden Hochdruckzylinder haben einen Durchmesser von 425 Millimeter und 610 Millimeter Kolbenhub, während die zwei außenliegenden Niederdruckzylinder bei einem Kolbenhub von 670 Millimeter einen Durchmesser von 650 Millimeter haben.
Der Kessel ist für eine Dampfspannung von 15 Atmosphären gebaut und mit Dampfüberhitzer, System Schmid, versehen. Seine Heizfläche beträgt 268,4, seine Rostfläche 4,5 Quadratmeter. Wie alle neueren bayerischen Schnellzugslokomotiven besitzt sie einen geschmiedeten Barrenrahmen, der die innenliegenden Teile des Triebwerkes gut übersehen läßt und leicht zugänglich macht. Der vierachsige Tender der Lokomotive faßt 26,000 Liter Wasser und 7500 Kilogramm Kohlen. Sein Leergewicht ist 22,2, sein Dienstgewicht bei ganzen Vorräten 55,7 Tonnen. Das Gesamtdienstgewicht von Lokomotive und Tender beträgt 141,8 Tonnen, die Gesamtlänge 21,396 und der größte Radstand 18,842 Meter.
Lokomotive und Tender haben Luftdruckbremse, System Westinghouse, die auf sämtliche Räder wirkt; der Tender ist zudem noch mit einer Handbremse ausgerüstet.
Bei den bisherigen Probefahrten hat die S 3/6 einen Wagenzug von vierhundert Tonnen Gewicht - heute waren es elf Wagen und 402 Tonnen - auf waagrechter Bahn mit einer Geschwindigeit von 110, auf Steigungen von fünf pro Tausend mit einer solchen von 90 und auf Steigungen von 10 pro Tausend mit einer solchen von 60 Kilometer in der Stunde befördert. Dabei hat sie Kesselleistungen bis zu 2000 Pferdekräften entwickelt. Einen Wagenzug von 480 bis 500 Tonnen Gewicht vermag sie auf waagrechter Bahn ohne Ueberanstrengung des Kessels dauernd mit einer Geschwindigkeit von 90 - 100 Kilometer in der Stunde zu bewegen. Zum Vergleich sei angeführt, daß die frühere Schnellzugsmaschine B 9 (2/3), die jetzt noch vielfach im Personendienst läuft, bei einer gleichen Geschwindigkeit von 90 Kilometer nur 95 Tonnen zieht, also nur etwas mehr als die neue Machine selbst wiegt.
Unsere Güterzüge wiegen - um einen weiteren Vergleichspunkt zu geben - durchschnittlich 500 bis 600 Tonnen. Die größte bis jetzt auf der Staatsbahn erreichte Geschwindigkeit beträgt 154 Kilometer, doch hat es sich gezeigt, daß mit diesen großen Geschwindigkeiten auf horizontaler Bahn nicht viel zu erreichen ist. Das Richtigste ist, die Reisegeschwindigkeit dadurch zu erhöhen, daß man bei Steigungen mehr einfährt. Die neue Lokomotive, die, wie schon kurz erwähnt, unter Verwendung aber größtmöglicher Vervollkommnung nach den Angaben der Staatseisenbahnverwaltung gebaut ist, ist nun dazu bestimmt, sehr schwere, auch die schwersten Schnellzüge mit der größtmöglichen gleichmäßigen Geschwindigkeit zu befördern, auch über die größten Steigungen, und weiterhin die kostspieligen Vorspannleistungen sowie innerhalb gewisser Grenzen die Vor= oder Nachläufer von Schnellzügen entbehrlich zu machen und dadurch den Schnellzugsbetrieb wirtschaftlich zu gestalten. Letzteres wird auch noch dadurch erreicht werden, daß die neue Maschine einen nur wenig größeren Kohlenverbrauch hat als die bisherige beste Schnellzugslokomotive: 14 gegen 10 - 11 Kilogramm pro Kilometer. So wird also in Zukunft allgemein die Diffrenzierung Platz greifen, daß für den Schnellzugs=Verkehr im Interesse der Reisenden die große Zugseinheit und der schwere Zug, für den Lokalverkehr die kleine Zugseinheit und der leichte Zug zu Verwendung gelangt.
Bis jetzt sind 7 S 3/6=Lokomotiven in Dienst gestellt und weitere 10 im Bau begriffen; in der nächsten Finanzperiode wird eine weitere größere Zahl gefordert werden. Die 7 schon laufenden werden auf den Strecken München=Berlin, München=Salzburg=Wien und München=Paris verwendet.
Bei der heutigen Probefahrt hat der Zug, der, wie schon erwähnt, pünktlich 7 Uhr 5 Minuten in München abgegangen war, bis Rosenheim bereits 8 Minuten gutgemacht - er hätte zu der Strecke 54 Minuten brauchen dürfen, durchfuhr sie aber in 46 - bis Prien bereits 12 Minuten. Bei Egmating - Kichseeon hatte er 100, zwischen Rosenheim und Endorf 110 Kilometer Geschwindigkeit, was sich je nach dem Profil - die Strecke nach Salzburg ist in dieser Beziehung eine der ungünstigsten - weiterhin natürlich wiederholte. Steigungen, wie die bei der Innbrücke hinter Rosenheim, beachtete die Maschine gar nicht weiter, ihre Fahrt verlangsamten nur jene größeren zwischen Uebersee und Bergen sowie zwischen Traunstein und Freilassing. 12 Minuten früher als vorgesehen war (9Uhr 12 Min.), langte der Zug in Salzburg an. Er hatte dazu nur 1 Stunde 55 Minuten gebraucht - der Orient Expreß braucht 2 Stunden 21 Minuten und der rascheste Schnellzug 2 Stunden 35 Minuten.
Nach Besichtigung des nach einem Um= und Anbau seiner Vollendung entgegengehenden, ebenso praktischen wie prächtigen Bahnhofs, um dessen Ausstattung sich der Salzburger Architekt Edler von Dioszeghy sich ganz außerordentlich verdient gemacht hat, wurde mit der seit gestern früh 5 Uhr über St. Leonhard, Hangender Stein=Schellenberg jetzt ohne Unterbrechung durchgehenden elektrischen Bahn die Reise nach Berchtesgaden angetreten. Orientierender Führer dabei war Direktionsrat Wopfner, der in Salzburg stationierte Vorstand der Betriebsinspektion für das ganze Berchtesgadner Land. Von der durch eine zusammenhängende Kette wundervoller landschaftlicher Reize führenden Bahn besonders interessant zu wissen ist, daß sie 13 Kilometer auf österreichischer, 12 auf bayerischer Seite läuft, unmittelbar nach dem Tunnel beim Hangenden Stein, bayerischen Boden betritt, teils auf der Landstraße der Ache entlang, teils in deren Bett direkt oder auf einer Brücke eingebaut läuft und von den Oesterreichern mit einer Kraft von 850, von den Bayern mit einer solchen von 1000 Volt gemeinschaftlich betrieben wird. Die letztere liefert das Elektrizitätswerk Gartenau bei durchschnittlich 900, im Höchstfalle bis zu 1200 bezw. 1350 zu steigernden Pferdekräften.
In Berchtesgaden verließ Staatsrat Freiherr von Schacky die Studiengesellschaft, um nach München zurückzureisen und so Sr. Exzellenz dem Verkehrsminister selbst Gelegenheit zu geben, mit seinen Gästen persönlich zu konferieren. Mit der am 29. Mai eröffneten elektrischen Bahn ging es dann weiter nach Königssee, von wo nach einem Ausfluge zu Schiff nach St. Bartholomä und dem Obersee um 5 Uhr die Rückfahrt nach Berchtesgaden und von dort um 5 Uhr 24 Minuten nach Bad Reichenhall angetreten wurde.
In Gmain bestieg Se. Exzellenz Verkehrsminister v. Frauendorfer den Zug und oblag nun bis München selbst den weitausschauend übernommenen Pflichten des "Gastgebers" mit wirklich beispielloser und wohl nur in Bayern zu findender Liebenswürdigkeit und Aufopferung. Die 1 : 97 betragende Steigung zwischen Teisendorf und Lauter nahm die Maschine mit einer Geschwindigkeit von 64, am Ende von 70 Kilometer; nach Traunstein, darüber hinaus nach Uebersee und namentlich später in der Ebene gegen München zu raste sie mit unheimlich wunderbarer Schnelligkeit, im Durchschnitt mit 110 Kilometern und einem weit darüber hinausgehenden Höchstmaß.
Ist auch der 1. Klassewagen, aus den Maschinenwerken Augsburg=Nürnberg, in dem wir fuhren, ein ganz idealer Reisewagen - in einer modernen, komfortablen Ausstattung, seiner fast vollkommenen Sicherung gegen Feuersgefahr und namentlich durch den ungemein ruhigen Lauf infolge seines dreieinhalb Meter hohen Radsatzes -, so muß doch als ganz besonderer Vorzug der neuen Lokomotive auch noch verzeichnet werden, daß sie bei allmählicher Steigerung der Geschwindigkeit bis über 110 Kilometer einen völlig ruhigen und gleichmäßigen Gang zeigt. Trotzdem der Zug vor dem Semaphor plötzlich und geraume Zeit halten mußte, erreichte er doch noch eine Minute vor der festgesetzten Zeit den Münchner Hauptbahnhof wieder. Er hatte also gegenüber den 2 Stunden 38 Minuten oder gar 3 Stunden, die gewöhnliche Schnellzüge von Salzburg nach München brauchen, von Freilassing bis München nur 1 Stunde 46 Minuten gebraucht.
An dem Vollbringen dieser Bravourleistung hat nicht zuletzt der Lokomotivführer Zuschanko teil, der unter der Oberaufsicht des Direktionsassessors Mühl und unter der Anordnung des Zugführers Huber 1 seines so riesig verantwortlichen Amtes mit bewundernswerter Sicherheit und Kaltblütigkeit waltete. Schließlich sei noch erwähnt, daß, obwohl der Konstrukteur bei Gesamtaufbau und der Gliederung der einzelnen Teile keine anderen Rücksichten als die der Zweckmäßigkeit walten lassen konnte, der Beschauer, ob Laie oder Fachmannm, vor der in ihrer Gesamtfassung trotz aller Kraftansprüche leicht und elegant gehaltenen Maschine doch wie vor einem ästhetisch schönen Kunstwerk steht.

Walter
Klasse, schön das du das hier präsentierst. Nur die Passage am Ende mit: "der 1. Klassewagen, aus den Maschinenwerken Augsburg=Nürnberg... . ...und namentlich durch den ungemein ruhigen Lauf infolge seines dreieinhalb Meter hohen Radsatzes" stimmt mich nachdenklich. Ansonsten: Ich wäre gern mitgefahren!

Otto Bahn
Hallo Walter,

besten Dank fürs Einstellen! Ein sehr detaillierter Artikel mit interessanten Details, wie zeiten, ZB, Gleislagen, Namen der "hohen Herrschaften" und deren "Einordnung" nach Land/Staat und Platz in der "Pyramide" der Gesellschaften zu Kaiserszeiten. Nicht vergessen werden die Führer ... .
Der Reporter wird nicht genannt, aber die Zeitung - so wird aus dem dreieinhalb Meter "hohen Radsatzes" des (Salon-)-Wagens aus heutiger Sicht der 3,5m lange Achsstand der bayer. Zweiachsdrehgestelle der Schnellzugwagen, bzw. der 3,5m Achsstand der bayer. Dreiachsdrehgestelle eines Salon- oder der I./II./III. Classe- Schnellzugwagen.

Gruß
Dampfschieber



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 2017:08:18:20:34:44.
OttoBahn schrieb:

Klasse, schön das du das hier präsentierst. Nur die Passage am Ende mit: "der 1. Klassewagen, aus den Maschinenwerken Augsburg=Nürnberg... . ...und namentlich durch den ungemein ruhigen Lauf infolge seines dreieinhalb Meter hohen Radsatzes" stimmt mich nachdenklich. Ansonsten: Ich wäre gern mitgefahren!

Otto Bahn

Hallo,

das mit den "dreieinhalb Meter hohen Radsätzen" hat mich auch nachdenklich gestimmt.Aber es dürfte damit wohl eher der Radstand der Drehgestelle gemeint sein.Bei einem Wagen der ersten Klasse damals sicher schon möglich.

Übrigens:Mitfahrt im S3/6-geführten Zug ist ja im nächsten Jahr wieder möglich...Ich freue mich da schon sehr drauf!

Besonderen Dank natürlich an Walter fürs Einstellen dieses interessanten Berichtes!

Viele Grüße
Klaus
Hallo,
bei dem Wagen handelt es sich vermutlich um den ABBü (AB4üBay08) aus dem Jahre 1908. LüP 19 725 mm, Drehzapfenabstand 13 200 mm, Drehgestellachsstand 3 500 mm.

Walter
Walter aus Bayern schrieb:

Hallo,
bei dem Wagen handelt es sich vermutlich um den ABBü (AB4üBay08) aus dem Jahre 1908. LüP 19 725 mm, Drehzapfenabstand 13 200 mm, Drehgestellachsstand 3 500 mm.

Walter

Hallo,

vom Fahrkomfort her dürfte dieser Wagen die heutigen IC-und ICE-Wagen weit hinter sich lassen.

Viele Grüße
Klaus