04 - Historisches Forum
Neu bei Drehscheibe Online? Hier registrieren! Zum
Ausprobieren und Üben bitte das
Testforum aufsuchen!
Bilder, Dokumente, Berichte und Fragen zur Vergangenheit der Eisenbahn und des öffentlichen Nahverkehrs - Bilder vom aktuellen Betriebsgeschehen bitte nur im Zusammenhang mit historischen Entwicklungen veröffentlichen. Das Einstellen von Fotos ist jederzeit willkommen. Die Qualität der Bilder sollte jedoch in einem vernünftigen Verhältnis zur gezeigten Situation stehen.
Dies ist KEIN Museumsbahnforum! Bilder, Meldungen und Fragen zu aktuellen Sonderfahrten bitte in die entsprechenden Foren stellen.
geschrieben von: Solvognen
Datum: 29.07.17 16:55
NL-Fußballer im Zug durch Europa bis 1935
Kapitel III
Komplette Referenz zur Quelle: Nationaal Archief, Den Haag, Koninklijke Nederlandse Voetbalbond (KNVB), nummer toegang 2.19.123, inventarisnummer 9. Daß diese so wiedergegeben wird, ist Bedingung für die Zulassung aus dem Archiv zu zitieren. Alle hier verlinkte Abbildungen stammen aus diesem Archiv unter dieser Referenz. Die Bilder können nicht von der Webseite heruntergeladen werden.
Wenn ich die Bilder so verlinken würde, daß sie direkt im Tekst erscheinen, könnten sie hier heruntergeladen werden. Da ich damit den Schutz vor dem Herunterladen des Archivs aufheben würde, habe ich das nicht gemacht. Leider muß der Leser sich deshalb die Mühe machen die Links zu benutzen und danach wieder zum Forum zurückzukehren. Der Vorteil ist allerdings daß die Bilder in größerer Auflösung angeschaut werden können.
In den beiden ersten Beiträgen wurde besprochen was auf den Reisen der niederländischen Fußball-Nationalmannschaft zu Spielen in Skandinavien in den Jahren 1912, 1926, 1927, 1929 und 1931 nebenbei an eisenbahnerisch interessantem fotografiert wurde. In diesem Beitrag geht es um Reisen zwischen 1920 und 1928 zu anderen Auswärtsspielen. Es geht in den Süden: in die Schweiz, nach Italien und Frankreich. Hier werden nur jene Reisen berücksichtigt auf denen mindestens ein Bild entstand das mit der Eisenbahn (einschließlich Straßenbahnen) in direktem Zusammenhang steht.
Nach den Olympischen Spielen von 1912 fand die nächste Reise der Fußballer auf denen Eisenbahnbilder gemacht wurden erst 1920 statt. Es galt zwei Länderspiele zu kombinieren: eines gegen Italien, das zunächst in Milano (Mailand) gespielt werden sollte, dann aber nach Genova (Genua) verlegt wurde, und eines gegen die Schweiz in Basel. Am 13. Mai spielten Italien und die Niederlande 1-1 unentschieden und die Schweizer gewannen am 16. mehr oder weniger überraschend mit 2-1.
Regelmäßige Wagenläufe zwischen den Niederlanden und Italien gab es erst ab dem 16. April 1920 wieder. (De Maasbode 11. April 1920) Damit Fußballer und Begleiter - die Reisegruppe bestand aus 35 Personen - auf Hin- und Rückreise nicht zu oft umsteigen mußten, wurden über das Reisebüro Lissone Extrawagen gemietet. Die Reise wurde von der Presse genau verfolgt wobei mindestens zwei Korrespondenten die Reise mitmachten. Daher sind zahlreiche Einzelheiten überliefert. Der Bericht des NRC Reporters (Nieuwe Rotterdamsche Courant 14. Mai 1920) bestätigt, daß tatsächlich ein Schlafwagen von Amsterdam nach Milano fuhr und nicht bloß angekündigt war.
Die Fahrt begann am frühen Morgen des 9. Mai 1920. Dem regulären Schnellzug nach Paris (Zug 5) war ein Wagen 2. Klasse beigegeben mit rot/weiß/blauen Reservierungsaufklebern in den Fenstern: “Toer van den Nederlandschen Voetbalbond”. Abfahrt in Amsterdam C.S. war um 7.33. In Den Haag H.S.M. stiegen weitere Spieler zu und um 8.54 fuhr man weiter. In der belgischen Grenzstation Esschen fand eine ausführliche Grenzkontrolle statt. Der Zug nach Paris kam um 13.55 im Brüsseler Südbahnhof an. Der Extrawagen wurde entgegen der Erwartung in Brüssel zurückgelassen. Die Spieler und mitreisende Damen fanden Platz im reservierten Schlafwagen. Die übrigen Mitglieder der eigentlichen Reisegruppe wurden verteilt über den Rest des um 14.30 vom Nordbahnhof abfahrenden Zuges mit Wagen nach Italien und Rumänien (Flügelzug des Simplon-Orient-Express aus Oostende) wo anscheinend genug Platz war. (Algemeen Handelsblad 17. Mai 1920) Weil die Wagenübergänge teilweise nicht verbunden waren, konnten einige den mitlaufenden Speisewagen nicht benutzen. Über Luxemburg wurde um Mitternacht Strasbourg erreicht. In der Nacht um zwei oder drei in der Früh, die Angaben in den Zeitungen widersprechen sich, wurden alle aus dem Zug gejagt zur strengen Grenzkontrolle in St. Louis. Kurz darauf mußte man in Basel wieder hinaus. Schließlich erreichte man am Montag, den 10. Mai um 7.02 Luzern.
Von dort aus ging es etwas ruhiger weiter: mit einem Raddampfer über den Vierwaldstättersee nach Flüelen, Ankunft um 13.40. Von dieser Fahrt auf dem See gibt es einige Bilder die Spieler oder Begleiter auf dem Oberdeck eines Schiffes zeigen, zum Teil mit steilem Berghang im Hintergrund. Auf Grund von Details der Ausstattung des Schiffes kann es sich nur um Uri, Schiller oder Wilhelm Tell handeln. Da die Bilder jedoch nichts enthalten das mit der Eisenbahn zusammenhängt, werden sie hier nicht gezeigt; man kann sie leicht auf der Webseite des Archivs finden.
[proxy.handle.net]
Bild III-1
Der schweizerische Bahnhof Flüelen mit seiner Passerelle und mit Kirche im Hintergrund diente als Umgebung für ein Erinnerungsfoto.
Von Flüelen fuhr man im Zug nach Lugano wo man um 18.00 mit 30 Minuten Verspätung eintraf. Im “Grand Hôtel & Lugano Palace” hatte die Reisegruppe dann endlich eine ruhige Nacht. Am nächsten Morgen (11. Mai 1920) wurde die Reise fortgesetzt nach Genova: Abfahrt ca. 11.30, Ankunft war um ca. 18.00 geplant. Aus Italien kamen Berichte, daß das CIWL Personal streikte und daß die Eisenbahner sich dem Streik anschließen könnten. Es gab tatsächlich keinen bedienten Speisewagen im Zug.
Die Grenzkontrolle in Chiasso war peinlichst genau und der Aufenthalt dauerte extrem lang. Der Anschluß in Milano wurde knapp verpaßt. Die Bahnhofsaufsicht meinte der Abendschnellzug würde vermutlich stark verspätet fahren. Daher entschloß sich die Reisegruppe den nächsten Personenzug vom kleinen Bahnhof Milano Porta Ticinese (heute der älteste noch existierende Bahnhof von Milano, wenn auch seit 1923 unter dem neuen Namen: Milano Porta Genova) nach Genova zu nehmen. Diese Entscheidung erwies sich im nachhinein als richtig. Zwar hielt der Personenzug an jeder Haltestelle und erreichte Genova erst um Mitternacht, der Abendschnellzug war jedoch ausgefallen.
[proxy.handle.net]
Bild III-2
Vermutlich vor der Abfahrt aus Milano Porta Ticinese wurde ein Teil der niederländischen Reisegruppe auf dem Bahnsteig fotografiert vor dem aus Abteilwagen bestehenden Personenzug nach Genova. Die abgebildeten Wagen sind vierachsige “centoporte” der FS mit Holzaufbau (“cassa di legno”) die in den ersten fünfzehn Jahren nach der Gründung der Staatsbahn gebaut wurden. Eine sichere Identifizierung auf genaue Serien oder Nummerreihen ist schwierig.
Die ersten beiden Wagen sind BIz Tipo 1906 Nord oder 1907 Sud “con telaio corto” (mit kurzem Untergestell), gesehen von der Abteilseite. Von diesen Wagen wurden von 1906 bis 1909 343 Stück gebaut mit Nummern zwischen 28.820 und 29.402 (längst nicht alle Nummern waren mit diesen Wagen belegt).
Der dritte ist ein Wagen 3. Klasse: CIz Tipo 1910 oder später, mit langem Untergestell. Hiervon wurden in den Jahren 1911 bis 1922 967 Stück neugebaut, davon bis 1917 597 Stück mit Nummern zwischen 41.200 und 41.954. Weitere Wagen entstanden ab 1922 durch Umbau auf Untergestelle anderer Wagen. Diese kommen natürlich ebensowenig in Betracht wie die letzten 370 Neubauten. Die Fensterteilung des Wagens entspricht der Ursprungsausführung der ersten Serien (Wagen 41.700...41.716 und 41.800...41.954, Skizze 38 im FS-Betriebsmittelverzeichnis von 1942). Bei den später gebauten und umgebauten Wagen gab es Abweichungen. Bei den Wagen Tipo 1918 verzichtete man sogar ganz auf kleine Seitenfenster neben den Türen. (Vergleiche dazu Michele Mingari: Carrozze centoporte con cassa di legno, Edizioni Pegaso, Firenze 2012, ISBN 978-889524851-6 sowie Evaristo Principe: Le carrozze italiane, Editrice Veneta, Vicenza 2006, ISBN 88-8449-299-8)
Wegen des Streiks der italienischen Post war die Kommunikation zu dieser Zeit stark behindert. Der Niederländische Konsul in Genova wußte daher auch nicht wann die Nationalmannschaft mit Begleitung ankommen würde und begab sich deshalb für die Ankunft jedes in Frage kommenden Zuges zum Bahnhof. Im Hotel Bristol, das die Reservierung wegen des Streiks nicht erhalten hatte, war kein Platz mehr; der Konsul regelte dafür die Unterkunft im kürzlich wiedereröffneten Hotel Miramare.
Ein einziges Bild mit Bahnbezug läßt sich mit Sicherheit dem Aufenthalt in Genova zuordnen, obwohl es beim Archiv nach Lugano verlegt wird.
[proxy.handle.net]
Bild III-3
Das Bild zeigt die Piazza Principe in Genova und fünf Straßenbahntriebwagen davon zwei mit Beiwagen. Das Gebäude links wirbt für die Spedition Francesco Parisi. Die Straße rechts davon ist die Via Carlo Alberto. Links liegt die Via Andrea Dorea die auf der anderen Seite der Piazza Principe als Via S. Benedetti fortgesetzt wird. Wenn der Fotograf nur ein wenig weiter nach links gezielt hätte, wäre der links der Via Andrea Dorea liegende Bahnhof Genova Piazza Principe sichtbar gewesen. Das Bild wurde vom 1908 fertiggestellten Hotel Miramare aus gemacht, das auf dem Hang auf der anderen Seite des Bahngeländes steht. Das Hotel war bei der Ankunft der Niederländer erst seit wenigen Tagen wieder in Betrieb, nachdem es renoviert worden war nach der Zweckentfremdung im Ersten Weltkrieg. Das Gebäude war damals unter anderem Krankenhaus gewesen und später Unterkunft für das 332nd Infantry Regiment, US Army: die einzigen Amerikanischen Bodentruppen die schließlich Oktober/November 1918 an der Italienischen Front eingesetzt wurden. Im Zweiten Weltkrieg sollte der Prachtbau übrigens unter anderem der Italienischen Eisenbahnpolizei und am Ende wieder der US Army dienen. Es gehörte von 1951 bis 1998 der FS, wurde jedoch nie wieder als Hotel benutzt.
Das Spiel war am Himmelfahrtstag; am Abend war noch ein Empfang im Hotel Miramare. Am nächsten Morgen, dem 14. Mai, um 7.40 begann die Bahnreise nach Basel (Ankunft um 22.00). Auf dieser Fahrt entstand ein Bild aus dem Fahrenden Zug während dieser an Ufer des Luganer Sees entlang fährt.
[proxy.handle.net]
Bild III-4
Die Stelle liegt nördlich von Melide, am Fuße des San Salvatore, auf dem Wege nach Lugano. An dem Rauch oder Dampf ist zu erkennen, daß eine Dampflok vor dem Zug sein muß und daß dieser in nördlicher Richtung fährt. Es stehen noch Telegrafenmasten entlang der - eingleisigen - Strecke und es gibt noch keine Spur einer Oberleitung. Das war 1920 auch noch nicht anders zu erwarten, obwohl das Bild in der Schweiz aufgenommen wurde. Die Elektrifizierung der Gotthardstrecke war zwar schon 1913 beschlossen, der erste Abschnitt, Erstfeld - Airolo, konnte aber erst am 18. Oktober 1920 in Betrieb genommen werden, fünf Monate nach Entstehen des Bildes.
Die übrigen Teile der Strecke wurden bis zum Sommerfahrplan 1922 vollständig für den elektrischen Betrieb freigegeben: Airolo - Biasca am 12. Dezember 1920, Biasca - Bellinzona am 4. April 1921, Bellinzona - Chiasso (der Abschnitt an dem das Bild aufgenommen wurde) am 6. Februar 1922, Erstfeld - Goldau am 1. Mai 1922 und Goldau - Luzern am 28. Mai 1922. (Quelle: Ernst Mathys: Hundert Jahre Schweizerbahnen historisch und technisch dargestellt - zweite Auflage - Bern 1943 S. 75)
Die Lokomotive ist nicht sichtbar; die dahinter eingereihten Pack- und/oder Postwagen sind nicht zu identifizieren. Die drei darauf folgenden Sitzwagen sind D-Zugwagen der SBB mit hölzernen Wagenkästen. Der erste ist ein Wagen 3. Klasse. Die sichtbaren Eigenschaften wie Fenster und Sprengwerk schränken die Wahl nur wenig ein. Es kommen 75 Wagen in Frage aus vier Serien:
C4ü 8607-8640 (1907-1908)
C4ü 8641-8646 ex GB 1271-1276 (1907)
C4ü 8647-8671 (1914-1916)
C4ü 8672-8681 (1918)
Der zweite Sitzwagen ist dagegen wegen seiner Fensterteilung und dem Entstehungsdatum des Bildes ziemlich genau zu identifizieren. Es kann nur einer von fünf Wagen sein: BC4ü 5001-5005 (1919). Der dritte Sitzwagen ist ein siebenabteiliger Polsterklassewagen. Wenn, wie ich meine, am fernen Ende noch ein schmales Fenster vorhanden ist, kommen zwei Bauarten in Frage: AB4ü 2532-2537 ex GB 261-266 (1903) und AB4ü 2604-2647 (1905-1918). Davon besaßen 2609-2620 (1913/14) und 2643-2647 (1917/18) kleine Lüftungsklappen am oberen Rand der Abteilfenster. Ich meine diese zu erahnen und denke daher, daß der dritte Sitzwagen einer von diesen siebzehn Wagen sein wird. Wenn das kleine Fenster jedoch fehlt, muß der Wagen ein A4ü sein. Von dem Wagen aus dem das Bild aufgenommen wurde, ist zu wenig zu sehen um ihn einer bestimmten Verwaltung zuzuordnen. Die Griffstange unter dem Fenster deutet jedoch darauf hin, daß es sich hier wohl nicht um einen Wagen der SBB handelt.
Auf der Nordseite des Gotthards war es trübe und neblig, zuletzt auch dunkel. In Basel benutzte man Hôtel de l’Univers.
Am 17. Mai, ein Tag nach dem mit 2-1 verlorenen Spiel, begann die Rückreise um 16.30 aus Basel. In St. Louis war um 17.00 wieder Grenzkontrolle. Man fuhr in einem Orient Express-Schlafwagen, genauer gesagt in einem Wagen der im Simplon-Orient-Expreß gelaufen hatte und nach Oostende weiterlief. Brussel wurde um 6.30 erreicht. Obwohl eine Rückkehr in die Niederlande noch am selben Tag machbar war und zumindest einige mitgereiste, darunter die Mitglieder der Presse, diese Möglichkeit nutzten, blieben die meisten Spieler für einen Tag in Brussel und übernachteten dort in ein, Hotel wo vorab reserviert worden war, bevor man den letzten Teil der Rückreise unternahm.
Aus einem Hinweis in der Zeitung Maasbode geht hervor, daß der Fotograf P.B. Kramer (1878-1952) die Reise mitgemacht hat. Ob die Bilder im Album des Fußballbundes von ihm sind, ist damit nicht gesagt. Es können durchaus mehrere fotografiert haben.
So wie bei den Olympischen Spielen von 1912 in Stockholm war die niederländische Fußball-Nationalmannschaft 1924 eingeladen zu den Spielen in Paris. Bei den beiden vorangegangenen Olympiaden hatten die Niederländer jeweils den dritten Platz belegt. Man hoffte 1924 auf ein besseres Ergebnis.
Am 27. Mai feierte man einen Anfangserfolg gegen Rumänien, das von den Niederländern mit 6-0 geschlagen wurde. Das zweite Spiel, gegen die Mannschaft des neuen Irischen Freistaates am 2. Juni, wurde mit 2-1 gewonnen. Das Halbfinale ging für die Niederländer enttäuschend aus: man verlor am 6. Juni mit 1-2 gegen Uruguay, das später auch das Finale gewann. Im Kampf um den dritten Platz gegen Schweden ging das erste Spiel am 8. Juni auch nach Verlängerung unentschieden aus: 1-1. Am nächsten Tag mußten beide Mannschaften daher noch einmal antreten. Die Schweden gewannen das entscheidende Spiel mit 3-1. Damit gingen die Niederländer diesmal leer aus.
Von der Rückfahrt am 10. Juni 1924 sind zwei Erinnerungsbilder in dem Album enthalten. Anders als man vielleicht erwarten würde, sind sie nicht vor der Abfahrt aus Paris entstanden.
[proxy.handle.net]
Bild III-5
Auf diesem Bild sieht man wenig vom Wagen, der sehr schräg aufgenommen wurde, aber einiges von der Umgebung. Die Bahnsteige im Pariser Gare du Nord waren glatt asphaltiert; gemusterte Pflastersteine wie auf dem Bild erkennbar sind, kamen dort vermutlich auch 1924 auf den Bahnsteigen oder sonst in Gleisnähe nicht vor. Genau solche Steine traf man, diagonal verlegt, jedoch auf den Bahnsteigen vieler kleinerer Nordbahn-Bahnhöfe; sie waren fast ein Markenzeichen dieser Gesellschaft. Vor der großen Halle gab es zwar auch im Pariser Gare du Nord Bahnsteige mit einfacher Überdachung, aber die Stützen die auf dem Bild zu erkennen sind, stimmen nicht überein mit denen die man dort sehen konnte.
Die Bilder müssen also bei einem Zwischenhalt entstanden sein. Welche Bahnhöfe dafür in Frage kommen, geht aus dem Kursbuch hervor. Im Sommer 1924 gab es drei direkte Züge Paris - Amsterdam, davon galten nur zwei bei der Nord-Gesellschaft als richtige Schnellzüge. Der dritte war ein Nachtzug der auch die 3. Klasse führte und deshalb im französischen Abschnitt nicht as vollwertig galt und daher in der Wagenreihung auch keine Nord-Schnellzugwagen enthielt. Die beiden in Frage kommenden Tageszüge waren Zug 109/D24 Paris Nord (8.10) - Brussel Noord (12.28) - Amsterdam C.S. (17.24) und Zug 115/D28 Paris Nord (12.30) - Brussel Noord (17.23) - Amsterdam C.S. (22.17). Zug 109 war der schnellere von beiden: zwischen Paris und Mons in Belgien hatte er nur einen einzigen kurzen Halt, nämlich in Aulnoye von 10.30 bis 10.33. Zug 115 hielt öfter: in St. Quentin, Aulnoye, Maubeuge, Sous-le-Bois und der Grenzstation Feignies. Nur der letzte Halt dauerte planmäßig mehr als drei Minuten, nämlich zehn. Die typische Pflasterung gab es an Bahnsteigen in allen fünf Bahnhöfen. Auch kurze überdachte Bahnsteigabschnitte waren meistens vorhanden, aber nur Feignies hatte am Hausbahnsteig ein langes Dach in der abgebildeten Ausführung. Daher müssen die Bilder in Feignies entstanden sein, also kurz vor der Abfahrt aus Frankreich, wenn auch nicht vor der Abfahrt aus Paris. Damit ist auch klar welcher Zug benutzt wurde: 115 und nicht 109.
[proxy.handle.net]
Bild III-6
Auf dem zweiten Bild sieht man mehr vom Wagen. Es ist erwartungsgemäß ein Vierachser der Nordbahn für “trains rapides” mit Kurstafel “Paris - Amsterdam”. Es handelt sich hier um einen Wagen 1. Klasse (A7), von dem es mindestens 44 gegeben haben muß (so viele waren 1938 noch in Betrieb). Diese Wagen mit Doppelfenstern und schwach gewölbtem Dach hatten auch Modell gestanden für Wagen der Compagnie de l’Est (französische Ostbahn), diese wären aber nicht für diesen Zug benutzt worden. Die Spieler sind wohl tatsächlich in diesem Wagen gereist, denn aus einem der Wagenfenster schaut ein Fußballfunktionär heraus der an weiteren Fahrten der Mannschaft teilnahm. Sonst fuhren die Fußballer eigentlich stets zweite Klasse.
Im Zug 109/D24 lief im Sommer 1925 eine Wagengruppe von Paris nach Amsterdam bestehend aus NS Packwagen aus der Serie 7566-7573, CIWL-Speisewagen, A7, A3B3d und vier B8 der Nord; ab Brussel Zuid kamen noch zwei Belgische Staat/Etat Belge C4ü hinzu. Im Zug 115/D28 war die Wagengruppe Paris - Amsterdam um zwei Nord B8 kürzer; diesem Zug wurde ab Brussel lediglich noch ein Belgische Staat/Etat Belge Packwagen beigegeben. Beide Züge führten zusätzliche Wagen 1. und 2. Klasse zwischen Paris und Brussel. Die Züge mögen fünf Jahre davor planmäßig etwas kürzer gewesen sein, wegen der Olympischen Spiele in Paris dürften die Züge aber auch verstärkt worden sein.
Im Jahre 1928 fuhr die Niederländische Fußball-Nationalmannschaft sogar zweimal mit dem Zug in die Schweiz. Am 6. Mai galt es ein Länderspiel gegen die Schweiz, wieder in Basel. Es war das letzte Übungsspiel der Niederländer vor dem Olympischen Fußballturnier das am 27. Mai anfing. Die eigentlichen Olympischen Spielen in Amsterdam begannen erst am 28. Juli. Die Mannschaft fuhr abends am 3. Mai mit Zug D108 ab über Utrecht und Eindhoven nach Köln, wo sie erst um Mitternacht ankam. Der benutzte Grenzübergang war Venlo-Kaldenkirchen.
Da ich nicht über einen Fahrplan für den Winter 1927/28 verfüge sind die erwähnten niederländischen Zeiten dem Winterfahrplan von 1926/27 entnommen. Die deutschen Zeitem stammen vom Sommer 1927.
Bei den Änderungen im Fahrplan in dieser Periode handelte es sich um Minuten abgesehen davon daß im Sommerfahrplan der Zug in den Niederlanden jeweils eine Stunde später fuhr als im Winter wegen der niederländischen Sommerzeit.
D354
Amsterdam C.S. 17.55
Utrecht CS 18.49
Boxtel 19.47-20.02
Eindhoven 20.20-20.21
Venlo (Amsterdamer Zeit) 21.04-21.10
(kein Umstieg) D108
Kaldenkirchen (MEZ) 22.00-22.10
Viersen 22.30-22.32
München Gladbach (damaliger Name) 22.43-22.44
Rheydt 22.52
Grevenbroich 23.12-23.13
Köln Hbf 23.50
Reihung von D108 zwischen Boxtel und Venlo
Zugmaschine
Vierachsiger Postwagen von Vlissingen nach Köln (NS 6013, 6014, 6029-6032)
Pw4ü von Vlissingen nach München (DRG Pw4ü Rbd Altona)
WLAB4ü von Vlissingen nach Stuttgart (Mitropa)
AB4ü von Vlissingen nach Friedrichshafen (DRG Rbd Stuttgart)
ABC4ü von Amsterdam nach München (DRG München)
WLAB4ü von Amsterdam nach Basel (Mitropa)
C4ü von Amsterdam nach Milano (2x DRG Rbd Karlsruhe 1x SBB)
AB4ü von Amsterdam nach Roma (FS)
WR4ü von Amsterdam nach Köln (Mitropa)
WLAB4ü von Vlissingen nach Würzburg (Mitropa)
Vierachsiger Postwagen von Amsterdam nach Venlo (NS)
Die Fußballgruppe von etwa achtzehn Personen mußte also Platz finden im FS-Wagen nach Roma oder alle zweite Klasse Plätze des ABC nach München für sich beanspruchen.
[proxy.handle.net]
Bild III-7 Hohenzollernbrücke Köln
Übernachtet wurde in einem Hotel in Nähe des Doms. Morgens entstand ein Bild von zwei Spielern mit der Hohenzollernbrücke im Hintergrund, allerdings ohne Zug. Später am Tage fuhr man nach Basel. Wenige Tage später hätte man die gesamte Reise mit dem neuen “Rheingold” machen können.
Es gibt nur ein eigentlich eisenbahnerisches Bild auf dieser Reise. Es zeigt Fußballfunktionär Lotsy vor einem Schlafwagen. Die Mannschaft fuhr auf der Hinfahrt nicht bei Nacht.
[proxy.handle.net]
Bild III-8
Von dem genieteten Mitropa Schlafwagen ist wenig zu erkennen. Wenigstens ist der Anstrich mit den feinen zusätzlichen goldfarbenen Zierlinien zu sehen. Dieser wurde bei Neulieferungen der Jahre 1927 und 1928 angewandt, aber auch bei Neuanstrich von grün gelieferten älteren Stahlwagen die früh auf die rote Farbgebung umgestellt wurden. Wahrscheinlich handelt es sich um einen der ab 1927 gebauten Wagen mit zurückgesetzten Einstiegstüren die bereits rot geliefert wurden. Die Wagen der Bauart 1927 hatten die Nummern 22811...22849 (Baujahre 1927/28); 22615...22649, 22701, 22703 (später 22008-22027); 22028-22047 (Baujahr 1928); 22901...22915 (Baujahr 1928); bei den Wagen mit Nummern 226__, 227__, 228__ und 229__ waren nur die ungeraden Nummern besetzt. Vermutlich waren noch nicht alle 68 Wagen im Mai 1928 bereits geliefert worden.
Das Archiv behauptet daß Bild wäre auf die Fahrt in die Schweiz entstanden. Herr Lotsy war aber nach Basel geflogen (Nieuwe Rotterdamsche Courant 7. Mai 1928) und stand dabei selbstverständlich nicht vor einem Schlafwagen. Nichts spricht eigentlich gegen die Möglichkeit, daß das Bild nach der 2-1 Niederlage auf der Rückreise des Herrn Lotsy entstanden ist. Er könnte die langen wollenen Socken die er trägt in der Schweiz gekauft haben. Der Bahnsteig paßt nicht zu Basel SBB, aber die Pflastersteine könnten gut zu einem niederländischen Bahnhof gehören. Der Aufnahmeort müßte am Ende des Laufes des Schlafwagens liegen. Neben dem Mitropabegleiter steht eine Frau. Sie wird wohl in den Wagen einsteigen und anfangen ihn vor der nächsten Fahrt zu reinigen. Die Mannschaft kehrte am 8. Mai heim.
Die meisten Reisen zu Auslandsspielen der Nationalmannschaft auf denen Bilder mit Eisenbahnbezug entstanden, fanden in Mai oder Juni statt, eine markante Ausnahme ist die Italienreise von 1928. Das Treffen Italien - Niederlande in Milano (Mailand) am 2. Dezember 1928 endete 3-2 für die Gastgeber. Die Mannschaft kam am 4. Dezember heim.
Obwohl es 1928 direkte Kurswagen nach Italien gab, wurde die Reise in Basel unterbrochen. Man reiste am 29. November mit dem Rheingold und kam abends gegen sieben in Basel an. Dort wurde übernachtet. Am nächsten Tag reiste man möglicherweise mit Zug 60 weiter, der im Sommerfahrplan 1929 um 8.22 aus Basel abfuhr und Wagen aus Paris nach Italien mitführte.
[proxy.handle.net]
Bild III-9
Unterwegs bei einem Zwischenhalt entstand ein Gruppenfoto. Die Bedingungen waren nicht sonderlich gut zum fotografieren und es ist nur wenig zu erkennen. Es könnte der Bahnhof Arth-Goldau sein. Es gibt teilweise Übereinstimmung mit dem Bahnsteig auf wesentlich neueren Fotos. Vermutlich sieht man SBB-Wagen mit großen Torpedolüftern auf den Dächern. Wenn man sich nach deren Plazierung orientiert, kann man mit etwas Vorsicht Schlüsse über die in Frage kommende Bauarten ziehen. Beim mittleren Wagen könnte es sich dann um einen B4ü von 1914 oder 1917 handeln (3901 bis 3912). Der Wagen rechts müßte ein vierachsiger Wagen 3. Klasse sein. Links dürfte dann ein dreiachsiger Gepäckwagen eingereiht sein.
Noch bei einem Zwischenhalt entstand ein Bild zwar ohne Zug, aber am Rande ist wenigstens soviel von einem Bahnhof im Bild, daß die Verortung Arth-Goldau von diesem Foto sicher ist, und die von vorigem Bild wahrscheinlicher macht.
[proxy.handle.net]
Bild III-10
Auf dem Bahnhof Arth-Goldau simulieren die Spieler für die Presse eine Schneeballschlacht. Im Hintergrund ist der Bahnhof der Arth-Rigi Bahn. Das Gebäude rechts ist das (alte) Postamt. Zumindest im Sommerfahrplan 1929 wurden bei allen Zügen nach Italien Zugteile aus Zürich und Basel in Arth-Goldau vereint. Dafür waren im Fahrplan tagsüber neun bis zwölf Minuten Aufenthalt eingeplant.
[proxy.handle.net]
Bild III-11 Schneeballschlacht auf dem Bahnhofsvorplatz von Goldau
Das zweite Bild der Männer im Schnee zeigt links die Oberleitung der Arth-Goldau Thalbahn.
Einige niederländische Zeitungen druckten diese Fotografie ab, aber der Ort wurde nicht erwähnt.
[proxy.handle.net]
Bild III-12
Die Gotthardstrecke wurde am Tage befahren. Aus dem Zug wurde die Kirche von Wassen im Schnee fotografiert. Es ist zwar kein Eisenbahnbild, aber weil es schön ist und eine so bekannte Stelle an der Gotthardbahn zeigt, soll es hier nicht fehlen.
Als Erinnerung an das Spiel erhielt der niederländische Fußballverband übrigens eine Bronzefigur des Duce, Kopie der Reiterstatue die damals im Stadio Littoriale (heute: Stadio Renato Dall’Ara) in Bologna stand. (Nieuwe Rotterdamsche Courant vom 3. Dezember 1928) Ebenfalls nicht für jede Zeitung erwähnenswert war, daß die Niederländer vor dem Spiel die Zuschauer mit dem erhobenen rechten Arm gegrüßt hatten, was von der anwesenden Prominenz begrüßt wurde. (Het vaderland vom 3. Dezember 1928) In jenen Tagen war Italien empört über die milde Strafe die über Sergio di Modugno, dem Mörder des Carlo Nardini (1871-12. September 1927), Vizekonsul Italiens in Paris, verhängt worden war: zwei Jahre Gefängnis. Jede ausländische Unterstützung war daher besonders willkommen.
In Kapitel IV werden Reisen in den dreißiger Jahre in die Schweiz und nach Frankreich und Ungarn behandelt.
Mit freundlichen Grüßen,
Solvognen