Titel
Am 14.03.2007 hatte ich das Vergnügen, die Werksbahn der Solvay-Werke in Rheinberg-Ossenberg zu besichtigen. Die Möglichkeit ergab sich bei den Recherchearbeiten zu einem Buch über Eisenbahnen am Niederrhein und so ergab es sich, dass ich gemeinsam mit Thomas B. zum Eingang der Solvay-Werke fuhren, um dort den Eisenbahnbetriebsleiter (EBL) der Solvay-Werksbahn zu treffen. Er lud uns ein, mit seinem Firmenwagen eine Rundfahrt zu den „Eisenbahn-Hotspots“ zu machen. Wer beim Lesen der ersten Zeile über das Datum „gestolpert“ ist und feststellte, dass 9 Tage an der geforderten 10-Jahres-Grenze fehlen, dem sei versichert, dass die Aufnahmen historisch sind, da der Eisenbahnbetrieb vom Steinsalzbergwerk Borth zum Rheinhafen seit einigen Jahren stillgelegt ist und die Gleise im Solvay-Hafen mitsamt den Anlagen demontiert sind.
Unsere Rundfahrt hatte die Werkstatt in Rheinberg als erste Station. Ich erwartete hier ein kleines Bw, in dem die Solvay-Loks gewartet würden, wurde dann aber überrascht, als wir in eine Halle geführt wurden, in der wir das vorfanden:
In der Halle standen die Solvay-Loks 3 und 10, aber dahinter war ein Güterwagen im Rohbau zu sehen. Der EBL erklärte uns, dass die Solvay-Werke ihre Güterwagen in dieser Werkstatt selber baut. Ein näherer Blick auf das Gerippe zeigte einen zweiachsigen Güterwagen mit Rollenlagern, aber ohne Bremse (dazu gleich mehr), dem noch die Wände fehlten. Grund für diese Selbstbauten ist, dass es keine gebrauchten Güterwagen auf dem Markt gibt, die sich wirklich gut für den Salztransport zwischen Bergwerk und Hafen eignen. Deswegen kaufte die Solvay gebrauchte Güterwagen, entnahm diesen Wagen brauchbare Teile wie Puffer, Kupplungen, Radlager, Radsätze, Radsatzhalter, Federn, Schaken und teilweise Rahmenbauteile, um daraus eigene, maßgeschneiderte Wagen zu erstellen. Für die Lokfreunde unter den Lesern hier die Lok 10 nochmal etwas größer – die Lok 3 habe ich nicht näher fotografiert:
Unsere Fahrt ging nun über öffentliche Straßen zum Hafen „An der Momm“, wie der Solvay-Werkshafen in Rheinberg-Ossenberg genannt wird. Dieser Hafen liegt direkt neben dem Hülsken-Hafen – der ebenfalls am Solvay-Streckennetz angeschlossen ist. Wikipedia bezeichnet diesen Hafen heute als Solvay-Hafen. Beide Häfen haben keine klassischen Hafenbecken, sondern nur Kaimauern direkt am Rheinstrom. Das Streckennetz der Solvay-Werksbahn beginnt am DB-Bahnhof Millingen. Das dortige Anschlussgleis führt zum östlich des Bahnhofs gelegenen Chemischen Werk der Solvay in Rheinberg. Von dort gibt es eine Verbindungsstrecke zum Hafen An der Momm. Kurz vor dem Hafen mündet dann die Strecke vom Steinsalz-Bergwerk in Borth ein. Das Steinsalzbergwerk selber hat in Büderich noch einen eigenen Anschluss an das DB-Streckennetz. Der Hafen An der Momm kann vom Bahnhof Millingen nur nach Kopfmachen im Bahnhof des Chemischen Werks erreicht werden, eine durchgehende Fahrt ist nicht möglich.
Ein erster Blick in den Hafenbahnhof zeigt eine aufgeräumte Bahnanlage:
Im Bahnhof sieht man einen Zug mit offenen, beladenen Salzwagen und Wagen mit einem beweglichen Dach. Ob der Hafenmitarbeiter mit seiner Schaufel Salzreste weggeschaufelt hat? Wer weiß...
Etwas zurück gezoomt zeigt sich eine typische niederrheinische Szene mit dem hier sehr breiten Rheinstrom:
Der Blick in die andere Richtung zeigt, dass die Gleisharfe auf ein Gleis zusammenläuft, dahinter beginnt das Gebiet des Hülskens-Hafens.
Während wir dort standen und sprachen rangierte die Lok 8 an uns vorbei:
Nun gingen wir direkt in die Gleisanlagen, um erst einmal die Lok Hülsken 43 näher anzusehen:
Als wir darauf zugingen, fuhr Lok 43 in unsere Richtung:
Nun haben wir uns die Waggons näher angesehen. Die Solvay-Werksbahn fing damals gerade an, ihre offenen Wagen mit einem öffnungsfähigem Dach zu versehen, damit das Ladegut Salz besser vor Regen geschützt wurde. Dazu wurden verschiedene Versionen erprobt:
Auch die Entlade-Infrastruktur wurde abgelichtet, im Hintergrund wieder Lok 8:
Anschließend schauten wir an der Grenze zum Hülsken-Hafen um (die Betriebsführung dort oblag wurde auch der Solvay-Werkbahn), der Blick geht in Richtung Hülsken-Hafen, das Gleis, das rechts im Bogen hinter dem Gebäude verschwand, führte nach Rheinberg und zum Bergwerk nach Borth:
Der Blick zurück gab den Blick auf einen Rangier-Traktor frei:
Nun setzten wir drei uns in den Firmenwagen der Solvay, was mir als Zweimetermann nicht wirklich elegant gelang (es war eng!):
Unser nächstes Ziel war der Übergabebahnhof in Büderich. Büderich selbst hatte mal einen großen Bahnhof, lag an der Strecke Venlo – Wesel, hier mündete die niederländische private NBDS ein, von hier ging es nach Osten über die im zweiten Weltkrieg zerstörte Rheinbrücke nach Wesel. Letztes „Highlight“ in der Geschichte dieses Bahnhofs war der Bau einer Behelfs-Eisenbahnbrücke über den Rhein durch die amerikanischen Streitkräfte. Nach dem Krieg wurde der Bahnhof mehr und mehr zurückgebaut, die NBDS-Strecke wurde direkt nach dem Krieg stillgelegt und der durchgehende Verkehr von Büderich bis nach Geldern (das Stück Geldern – Venlo wurde nach dem Krieg ebenfalls stillgelegt) fand Anfang der 60er ein Ende. Übrig geblieben ist eine Ausweichanschlussstelle in Alpen (nördlich Millingen), von der ein Gleis durch den Bereich des ehemaligen Bahnhofs Menzelen West zur gezeigten Anschlussstelle des Bergwerks führt. Zum Zeitpunkt unseres Besuchs gab es bis zu drei Übergaben pro Woche, die hier Wagen für das Bergwerk heranbrachten oder abholten. Unser Blick zeigt die verbliebenen zwei Gleise der Übergabestelle, in einem Gleis ist ein beladener Salzzug abgestellt – dieser Zug bestand aus Solvay-eigenen Wagen und konnte nicht auf DB übergehen, dafür hatten diese Wagen keine Zulassung:
Umgedreht sah man links das Gleis zum Bergwerk und rechts abzweigend das Gleis zur Ausweichanschlussstelle in Alpen:
Wir fuhren nun zum Verladebahnhof des Steinsalz-Bergwerks. Dieses wechselte mehrfach den Eigentümer, gehörte auch mal zur Solvay. Zum Zeitpunkt der Aufnahmen war es im Besitz einer anderen Firma, die Betriebsführung der Bahnanlagen oblag der Solvay-Werksbahn. Das folgende Bild zeigte das Rampengleis, an dem hauptsächlich ankommende DB-Wagen be- oder entladen wurden:
Dieses Gebäude war das Verladegebäude, unter dem die Wagen beladen wurden:
Das Salz als Ladegut hatte einen eigentümlichen, ungewohnten Reiz auf mich, so dass ich mal einen Wagen erkletterte und dieses Bild machte:
Mit dieser Spillanlage wurden die zu beladenden Züge verschoben:
Nochmal ein Blick auf die Verladeanlage:
An der Seite des Verladebahnhofs, an der die Strecke vom Hafen An der Momm einmündete, wurden die Weichen teilweise elektrisch gestellt. Im Bild das „Stellwerk“, das von den Rangierern bedient wurde. Zwei Weichen waren stillgelegt („ausgekreuzt“):
Bevor wir zur großen Salz-Lagerhalle fuhren, gab es zum Abschied ein Blick über die Anlage:
Zum Abschluss des Besuchs in Borth warfen wir einen Blick in die große Salz-Lagerhalle – hier wurde so viel Salz gelagert, dass damit der Winterbedarf gedeckt werden konnte:
Auf dem Weg zurück nach Rheinberg zum Chemischen Werk schauten wir uns die Vorbeifahrt der Lok 8 mit einem typischen leeren Salzzug vom Hafen zum Bergwerk an:
Man möge mir verzeihen, dass ich diese Vorbeifahrt in fünf Bildern zeige, aber man sieht eine für den Niederrhein damals typische Szene, diese Züge gehörten über Jahrzehnte zum normalen Anblick. Der Zug fuhr mit etwa 20 km/h, was darin begründet war, dass die Güterwagen keine Bremse besaßen und nur die Lok diesen Zug abbremste! Wer sich die Bilder des Zuges genauer ansieht, wird feststellen, dass keiner der Wagen gebremst ist und dass keine Luftschläuche gekuppelt sind! Der Zug wurde tatsächlich nur von der Lok gebremst, und das im Jahr 2007! Der Turm im letzten Bild ist das letzte Überbleibsel des Salz-Bergwerks in Wallach, welches nach einem Wassereinbruch stillgelegt wurde.
Zurück in Rheinberg gingen wir zum Stellwerk am Bahnübergang Werfstraße. Hier sahen wir die Loks 7 und 1 beim Rangieren:
Das Foto vom SpDrS60-Stelltisch zeige ich nicht, da es heute noch existiert und in Betrieb ist.
Abschließen möchte ich diesen langen Bildbericht mit einem Blick auf eine interessante Gleisharfe am Bahnübergang Werftstraße:
Wie eingangs erwähnt, wurde der Transport des Salzes vom Bergwerk zum Hafen 2014 eingestellt – es wird nun per LKW über die neue Rheinbrücke zum Hafen Wesel gebracht und dort verladen. Der Hafen An der Momm ist mittlerweile „geschleift“, die Gleise und die Gebäude sind verschwunden. Dieses Schicksal droht auch der stillgelgten Strecke vom Hafen zum Bergwerk. In Betrieb ist noch die Strecke von Millingen zum Chemischen Werk mitsamt der Gleisanlagen des Chemischen Werks und das Verbindungsgleis zum Hafen, welches nun im „Hülsken“-Hafen endet. Hier wird heute Kohle per Schiff angefahren, auf Waggons umgeschlagen und zum Kraftwerk im Chemischen Werk verfahren. Die Produkte des Chemischen Werks werden größtenteils per Bahn über den Bahnhof Millingen in die weite Welt verschickt. Es gibt also noch Bahnbetrieb bei der Solvay zu sehen, nur eben keine ungebremsten Salzzüge mehr zwischen dem Bergwerk und dem Hafen.
Zum Abschluss noch ein paar Links:
Steinsalzbergwerk bei Wikipedia
Solvay-Werksbahn bei Wikipedia
Bericht von Ludger K. über Werksbahn Solvay damals - Bilder leider offline
Ich hoffe, Euch hat dieser dampflokfreie Bericht gefallen.
Mit freundlichem Gruß
Stefan P.
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 2017:03:05:17:11:03.