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Hallo,

beim Bauen an einem Wikipedia-Eintrag kam wieder eine Datenlücke zum Vorschein, zu der es offenbar in keinem Buch eine Klärung gibt:

Es geht um 6 Wagen dieser Sorte

[ringbahn-naumburg.de]

[ringbahn-naumburg.de]

Nummern 49 bis 54, ab 1964 291 bis 296, kurz darauf ausgemustert.

Bekannt scheint zu sein:
- gebaut 1915 in Belgien, dort im Einsatz
- 1943 von der deutschen Besatzungsmacht beschlagnahmt
- sollten scheinbar in die Türkei verbracht werden (? - die war doch eher kein Satellitenstaat Nazideutschlands?), kamen aber nach Jena

Der Einsatz der für Jena damals relativ großen Wagen erfolgte dann hauptsächlich auf der Linie 1 Zwätzen - Lobeda bis zur Ablösung durch Gothawagen. Die Wagen erlebten noch die Umrüstung auf Schaku und das neue Nummernsystem von 1964, an dessen Ende sie als Ausmusterungskandidaten gesetzt wurden. Ihre letzten Kilometer fuhren sie im Fußball-Einsatzverkehr der 60er Jahre ab (selbst gesehen), bevor dieser nach Eröffnung der Stadtrodaer Straße per Bus erfolgte.

Bleibt die Frage nach dem Hersteller und früheren Einsatzort. 4 ähnliche Wagen (im Detail anders, aber einige auffallende Ähnlichkeiten) hatte Zwickau im Jahre 1958 aus Frankfurt/Oder bekommen, davon 2 bald ausgemustert, 2 nach Görlitz weiter gereicht (Bild: transpress Straba-Archiv Band 3 von 1984, S. 203; der Band 6 mit Frankfurt fehlt mir). Dort wird der Hersteller Société des Ateliers Germain, Monceau-sur-Sambre, angegeben. Kann man annehmen, dass die Jenaer "Dinosaurier" ebenfalls von dort kamen? Welchem belgischen Meterspurbetrieb wurden in der deutschen Besatzungszeit solche Wagen geraubt? Da ich kein Französisch beherrsche, kann ich nicht sinnvoll selbst im Web danach suchen; eine Bildersuche brachte vorerst kein Ergebnis. Aber wir haben hier ja Mitleser aus unseren westlichen Nachbarländern... für eine Idee wäre ich dankbar. (Oder eine Literaturquelle, die zur Klärung beiträgt.)

Gruß Thomas
Hallo Thomas,

Diese Beiwagen kenne ich nicht aber ich kann mit Sicherheit sagen ,dass sie keine Beiwagen der SNCV,der STIC in Charleroi , der T.V. in Verviers sind.
Es bleiben nur zwei meterspurigen Netze über : Gent und Antwerpen aber ich habe keine Dokumentation von diesen beiden Betrieben.
Vielleicht wurden diese Beiwagen 1915 für die Türkei geplant wie andere für Odessa und nie geliefert.
Sie haben nämlich kein belgisches Aussehen.
Ich werde noch suchen
Mit besten Grüssen aus Mons in Belgien
José



2-mal bearbeitet. Zuletzt am 2016:12:18:10:02:02.
Ist denn sicher, daß die Wagen zu Zeiten des zweiten Weltkrieges in die Türkei verbracht werden sollten? Ich hatte aus Angaben in der Literatur eher den Eindruck, daß die Wagen ursprünglich für die Türkei bestimmt waren und infolge des Ersten Weltkrieges nicht ausgeliefert wurden. Dieser Fall wäre ja nicht singulär (sog. Türken- und Russenwagen auch in anderen Betrieben). Als elektrifizierte Betriebe kommen dabei in der Türkei m.W. nur Konstantinopel und Smyrna in Frage, evtl. und abhängig vom Bestellungsdatum auch noch Thessaloniki (bis 1912 osmanisch). Zumindest bei Thessaloniki und Smyrna sind mir belgische Betreibergesellschaften bekannt, somit sind belgische Erbauerfirmen leicht erklärlich. Der Wagenpark in Thessaloniki war z.B. m.W. rein belgisch, und den gezeigten Jenenser Beiwagen nicht unähnlich. Ein Wagenkasten hat sich erhalten: [images.google.de], siehe auch z.B. [images.google.de]

Ist denn bekannt, wann die Wagen nach Jena kamen? Wirklich erst 1943 zu Zeiten des Reichsleistungsgesetzes? Zu diesen Wagenversetzungen gibt es doch eigentlich publizierte Verzeichnisse?

Klapauzius



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 2016:12:18:10:23:11.
Fand gerade noch dieses Bild eines Triebwagens aus Smyrna, paßt bestens hinsichtlich Seitenwand- und Frontgestaltung, bis hin zu den auffälligen Aussparungen in den Längsträgern für die Achslager: [images.google.de]

1943 sollte gesichert sein...

geschrieben von: Thomas Wedekind

Datum: 18.12.16 10:47

... die Wagen waren die letzte Jenaer "Neubeschaffung" vor der DDR-Zeit, und sind nach den 1937 aus Weimar übernommenen Wagen (von denen einige gleich zu Beiwagen umgebaut wurden) im Nummernplan einsortiert, kamen also auf jeden Fall in der direkten Vorkriegs- oder Kriegszeit nach Jena. Auf fast jedem Bild der Jenaer Linie 1 von ca. 1948 bis Anfang der 60er Jahre ist mindestens ein solcher Wagen zu sehen, die Dinger spulten erhebliche Fahrleistungen ab. *Wann* sie in die Türkei gehen sollten (ob gleich nach Herstellung oder nach Beschlagnahme), dazu sagt keine Quelle etwas.

Gruß Thomas

Oha...

geschrieben von: Thomas Wedekind

Datum: 18.12.16 10:51

...passt ja bestens! Dass von dort was nach Jena kam, ist unwahrscheinlich (wie unwahrscheinlich?), aber da ist der Fakt wohl eingegrenzt.

Gruß Thomas

Re: Oha...

geschrieben von: rosrath1964

Datum: 18.12.16 11:08

Mahlzeit,

Mein Schluss ist : sie wurden 1915 für Smyrna/Izmir geplant aber nie geliefert.
Sie fuhren danach wahrscheinlich in Belgien aber ich habe nichts gefunden und sie erscheinen dann 1943 in Jena, wo sie verschrottet werden.
Die jetzige Frage wird : wo waren sie zwischen der Herstellung und ihren verpflichteten Reise nach Iena? Sind sie in Belgien geblieben oder waren sie in einem späteren von der deutschen Armee besetztem Gebiet im Einsatz ?
Bon appétit
José aus Mons in Belgien
Hallo,

das ist nun wirklich eine harte Nuss. Im Buch "Straßenbahnen der Vierziger Jahre" vom VDVA ist eine Liste der Wagen, die aufgrund des Reichsleistungsgesetzes umgesetzt wurden. Jena ist als Empfänger nicht dabei.

Ausschließen kann man Gent als Herkunft. Damit bleiben, wenn man die Aussage von José (rosrath1964) mit hinzu zieht nur Antwerpen und Lüttich als Herkunft. Antwerpen hatte sehr ähnliche Wagen. Eine Fotosuche hat diese Wagen aber nicht hervorgebracht.

Die Aussage, dass die Wagen für Smyrna (Izmir) gebaut wurden und nicht abgenommen wurden passt nicht zum Eröffnungsjahr 1928, wenn die Wagen 1915 gebaut wurden. Es sei denn, dass die Wagen schon geliefert wurden, sie die Elektrifizierung aufgrund der Wirren in der Türkei nicht durchgeführt wurde und die Wagen dreizehn Jahre lang unbenutzt herumstanden.

Viele Grüße

Christoph

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Die Straßenbahnwagen des VEB Waggonbau Gotha

Die Straßenbahnwagen des RAW Schöneweide
Hallo Christoph,
Sehr interessant ist was du uns sagst. Ich füge hinzu,dass Liège auszuschliessen ist. Liège hatte zwei normalspurige Strassenbahnbetriebe : die Tramways liégeois (Stadtstrb-später STIL) und der RELSE (Liège-Seraing), eine Überlandbahn mit schweren Tw wie die SNCV und natürlich die SNCV (meterspurig)
Die Frage bleibt doch : wie sind sie dann von Izmir nach Jena gekommen? durch die Deutschen gekauft? Kommissare Derrick und Maigret sind leider verstorben und sie können uns nicht mehr helfen.
Tchüss
José



2-mal bearbeitet. Zuletzt am 2016:12:18:16:15:41.
Hallo José,

ich denke nicht, dass die Wagen tatsächlich in die Türkei geliefert wurden. Mehrere Betriebe in Belgien und auch in Deutschland hatten Wagen, die für die Türkei gebaut wurden, aber dann nicht abgenommen wurden. Augsburg und Darmstadt fallen mir ein.

Das heißt also:

1915 in Belgien für die Türkei gebaut, nicht abgenommen und an einen belgischen Straßenbahnbetrieb verkauft. Wenn die SNCV, Verviers, Charleroi und Gent ausscheiden, muss das Antwerpen gewesen sein.
1943 nach Jena
In den 1960er Jahren ausgemustert.

Nur für die Theorie mit Antwerpen fehlt mir eine Bestätigung.

Viele Grüße

Christoph

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Dann käme also vieles in Frage...

geschrieben von: Thomas Wedekind

Datum: 18.12.16 18:22

...du hast mir abgenommen, nach der Reichsleistungsgesetz-Geschichte zu recherchieren. In den Listen ab transpress-Straba-Archiv kursiert immer nur das Wort "Beutegut" oder "Kriegsbeute". Es könnte wohl ebenso passiert sein, dass die Wagen Ende des *ersten* Weltkrieges "erbeutet" wurden, von wem auch immer, in einem z.Z. unbekannten Betrieb fuhren, oder in mehreren nacheinander (muss gar nicht in Belgien sein), und dann 1943 mehr/weniger regulär von Jena erworben wurden. Vorausgesetzt, die Listen nach dem RL-Gesetz sind korrekt bzw. vollständig. An sich hätte man eine Art "Thüringer Kriegsstraßenbahnwagen" für den Jenaer Bedarf bauen können, aber der Waggonbau Gotha war um die Zeit voll mit Flugzeugen beschäftigt.

Tja, da muss sich wohl mal jemand die Jenaische Zeitung von 1943 in der Bibliothek reinziehen, und wenn ich das als Rentner mache... dauert noch ein Weilchen.

Ist Frankfurt/Oder eigentlich in der Umsetzungsliste? Wann und woher kamen dort die belgischen Bw Baujahr 1915? Mir fehlt eben das Straba-Archiv 6.

Gruß Thomas
Hallo Thomas,

an Antwerpen scheint etwas dran zu sein. Die Antwerpener Straßenbahn hatte Triebwagen, die Deinen gesuchten BW sehr ähnlich sind. Weiter haben die Flamen auch Wagen selbst gebaut und exportiert: 1907 14 TW nach Griechenland, 1912 10 TW nach Belgrad. Vielleicht sind die TW ja später wegen Mangel an elektrischer Ausrüstung als Beiwagen ausgeliefert worden, bzw. die 10 nach Belgrad wegen des 1. Weltkrieges in Belgien verblieben?!

so was wie hier...

geschrieben von: Thomas Wedekind

Datum: 19.12.16 15:59

[janvanloy.be]

...die leicht verkürzte Variante der Jenaer. Okay, viele Spuren zum Nachverfolgen.

Gruß Thomas

Re: so was wie hier...

geschrieben von: rosrath1964

Datum: 19.12.16 19:41

Hallo Thomas,

Hierbei das Nachschlagewerk für die" Antwerpse trams"
[www.boekennietje.nl]
Das Buch ist höchst interessant, natürlich auf niederländisch. Ich hatte es aber vor ein paar Jahren wegen Geldmangel (glüclicherweise ist diese Zeit vorbei) verkauft.
gute Nacht
José

Sekundärquelle zu den Bw. 291 - 296

geschrieben von: Nvd

Datum: 01.01.17 15:55

Hans Lehnhart/Claude Jeanmaire liefern in ihrem Buch "Strassenbahnen in Osteuropa" (Tabelle auf S. 13 bzw. im Bildteil die Abb. Nr. 80) zu den Beiwagen 291 - 296 noch die Information, dass diese bei den "Ateliers German in Frankreich" gebaut und "ursprünglich für die Türkei bestimmt" waren (Beschriftung zur Abbildung Nr. 80).

Danke und gesundes Neues Jahr...

geschrieben von: Thomas Wedekind

Datum: 01.01.17 17:21

Nvd schrieb:

Hans Lehnhart/Claude Jeanmaire liefern in ihrem Buch "Strassenbahnen in Osteuropa" (Tabelle auf S. 13 bzw. im Bildteil die Abb. Nr. 80) zu den Beiwagen 291 - 296 noch die Information, dass diese bei den "Ateliers German in Frankreich" gebaut und "ursprünglich für die Türkei bestimmt" waren (Beschriftung zur Abbildung Nr. 80).

...diese Autoren werden wohl Recht haben, auch weil die Übereinstimmung mit anderen Wagen dieses Herstellers (Zwickau) gravierend ist. Das Buch muss ich mir wohl auch mal besorgen.

Gruß Thomas

Re: Danke und gesundes Neues Jahr...

geschrieben von: edouarddenis

Datum: 16.01.22 09:30

Hello. Diese Ateliers Germain-Anhänger wurden 1930 für die Smyrna/Izmir-Straßenbahnen gebaut. Sie waren für eine Verlängerung von Konak an den Bahnhöfen Basmahané und Kemer vorgesehen. Die Verlängerung wurde nicht durchgeführt, weil die Stadt die notwendige Brücke nicht gebaut hatte.

Die Straßenbahnen blieben bis zum Krieg beim Hersteller und wurden dann (teilweise) in Deutschland verkauft. Es gab Triebwagen und Anhänger. Sehen "Les tramways belges dans l'Empire ottoman" (R. Dussart-Desart), verlag [www.tramania.com]

Wahnsinn! Danke für die "Archäologie"...

geschrieben von: Thomas Wedekind

Datum: 16.01.22 15:41

... das passt also nun.
Die Wagen konnten demnach vor den Kriegsjahren gar nicht irgendwo im Einsatz sein (außer den baugleichen, die schon in Izmir waren), weil sie beim Hersteller standen. Dann wurden sie regulär verkauft, mussten also in den Listen zum Reichsleistungsgesetz nicht auftauchen. Damit hatte Jena 6 quasi neue Wagen und konnte die strapazieren, bis Mitte der 60er. Unkomplizierte Historie, aber darauf muss man erst einmal kommen.

Gruß Thomas