Große Dinge starten oft im Kleinen – so begann auch die Geschichte des Bahnhofes Weiche vor 150 Jahren. Als am 15.06.1864 die Bahnstrecke nach Nordschleswig in Betrieb ging, hatte man die bestehende Strecke Tönning – Flensburg aufgrund der topografischen Verhältnisse an der Förde nicht einfach vom Flensburger Bahnhof aus verlängern können. Man entschied sich stattdessen für die Errichtung eines Abzweigbahnhofes vor den Toren Stadt auf dem freien Feld. Der Bahnhof hieß zunächst entsprechend seiner Funktion Nordschleswig´sche Weiche, erst 1914 wurde er in Flensburg-Weiche umbenannt. Bald entstand ein Ort an diesem Bahnhof, der heutzutage ein Stadtteil von Flensburg ist – Flensburg-Weiche. Die wenigsten Flensburger denken heutzutage wohl daran, dass der Ortsname auf die Eisenbahn zurückzuführen ist. Lediglich die dänische Minderheit in Sydslesvig, die den Stadtteil „Flensborg-Sporskifte“ nennt, macht den Bezug zur Eisenbahn deutlich, sporskifte heißt wörtlich übersetzt Gleiswechsel – also Weiche.
Der Bahnhof entwickelte sich rasch zu einem bedeutenden Bahnhof in Schleswig-Holstein und er wurde zum größten Bahnhof im Landesteil Schleswig: Es gab einen großen Rangier- und Verschiebebahnhof, darüber hinaus umfangreiche Gleisanlagen für den lokalen Güterverkehr, einen Personenbahnhof mit vier Bahnsteiggleisen und ein eigenes Betriebswerk. Seit 1920 war der Bahnhof auch noch Grenzbahnhof im Güterverkehr mit den skandinavischen Ländern. Das Bild von Google maps mag die Situation verdeutlichen. Links der Rangier- und Verschiebebahnhof,in der Mitte zum Süden hin der Personenbahnhof und zum Norden hin der örtliche Güterbahnhof, rechts die Strecke zum Flensburger Bahnhof und rechts oben die Strecke nach Kolding. Zwischen den Strecken im Gleisdreieck das ehemalige Betriebswerk:
1927 wurde der neue Flensburger Bahnhof eröffnet und das Betriebswerk dorthin verlegt.
Die erste Streckenstilllegung traf den Bahnhof 1959, als die Verbindung nach Husum über Löwenstedt eingestellt wurde. Der eigentliche Niedergang begann jedoch erst 1981, als der Personenverkehr auf der Strecke nach Niebüll eingestellt wurde: Der zweite Bahnsteig, wo die Züge dieser Strecke hielten, wurde stillgelegt, und es wurde ein Lärm- und Sichtschutzwall auf dem Bahnsteig errichtet.
Die Bahnreform 1994 und die Elektrifizierung der Bahnstrecke nach Dänemark 1995 besiegelten dann das Ende des Bahnhofes: Man brauchte keinen Rangierbahnhof mehr im Norden Schleswig-Holsteins, gab es doch kaum noch Gütertarifpunkte, zu denen man Güterwagen hätte versenden können. Und die Güterzüge nach Dänemark durchfuhren den Bahnhof ohne Halt: Systemwechselbahnhof an der elektrifizierten Strecke wurde das auf dänischer Seite gelegene Pattburg (Padborg). Der Güter- und der Rangierbahnhof in Flensburg-Weiche wurden aufgegeben und die Anlagen verfielen. Die großen Stellwerke wurden abgerissen, die Formsignale durch ferngesteuerte Lichtsignale ersetzt. Heutzutage befinden sich lediglich am Südende des ehemaligen Rangierbahnhofs einzelne Anschlüsse im dort entstandenen Gewerbegebiet, der ehemals große Bahnhof ist ansonsten zu einer besseren Abzweigstelle degradiert worden.
Und an diesem Wochenende wird nun das wahrscheinlich letzte Kapitel für den Bahnhof Flensburg-Weiche aufgeschlagen: Die Stilllegung auch im Personenverkehr. Der Bahnhof war zwar schon einmal – vom 30.05.1981 bis zum 05.11.2000 – aus dem Kursbuch verschwunden, aber gegeben hat es ihn damals trotzdem, den Personenhalt in Flensburg-Weiche. Für die Soldaten der nahegelegenen Briesen-Kaserne hielten nämlich die Wochenend-Heimreisezüge dort. Die Bahnsteiganlagen waren sogar außerordentlich gepflegt für eine nur inoffiziell existierende Station. Und das Ende schien schon einmal nah, als die Briesen-Kaserne 1998 geschlossen wurde, doch wie der Phönix aus der Asche tauchte der Halt in Flensburg –Weiche dann am 05.11.2000 wieder im Kursbuch auf. Und hat sich dort bis zu diesem Wochenende halten können. Doch diesmal wird die Stilllegung wohl endgültig sein. An diesem Wochenende schließt der einstmals große Bahnhof für immer seine Tore.
Bei meinem ersten Besuch 1990 war die ganz große Zeit des Bahnhofes schon Vergangenheit, etliche Gleise waren bereits gesperrt, der zweite Bahnsteig an der Strecke nach Niebüll war unter einem Sicht- und Lärmschutzwall verschwunden und das Betriebswerk war schon längst außer Betrieb, aber man konnte die ehemalige Bedeutung des Bahnhofes noch überall spüren. Der Bahnhof hatte immer noch das, was mich an der Eisenbahn seinerzeit so fasziniert hatte, dass ich zum Eisennbahnfan geworden bin. Stellwerke, Formsignale, viele Gleise und viele Mitarbeiter, denen man zusehen konnte, wie sie die Räder der Eisenbahn am Rollen hielten. Vorbei. Für die Hartgesottenen hier im Forum werde ich morgen noch einen Beitrag Flensburg-Weiche „im Wandel der Zeit“ vorstellen.
Seht Euch bis dahin meine Bilderserie von 1990 / 1992 an, die den Bahnhof so zeigt, wie ich ihn am liebsten in Erinnerung behalten möchte. Die Bilder bei Sonnenschein sind vom 06.05.1990, die Bilder bei Regen vom 01.09.1992.
Wir starten unseren Rundgang am Personenbahnhof:
Das Empfangsgebäude, 1922 errichtet.
Blick aus Richtung Süden.Der renovierte Bahnsteig diente zum Zeitpunkt der Aufnahme nur dem Soldatenverkehr.
Blick in Richtung Süden
Auf der anderen Seite des Sicht- und Lärmschutzwalles befindet sich der örtliche Güterbahnhof:
Blick aus Richtung Süden. Hinter dem Wall rechts im Bild der Personenbahnhof.
Blick in Richtung Norden
Blick in Richtung Süden
Blick aus Richtung Süden
Blick aus Richtung Norden
Nördlich davon schließt sich das Gelände des ehemaligen Betriebswerkes an:
Blick in Richtung Norden / Dänemark
Blick in Richtung Norden mit Betriebswerk
Und in Richtung Süden erstreckt sich weiträumig der Rangier- und Verschiebebahnhof:
Blick aus Richtung Süden
Blick aus Richtung Süden
Personenzugstrecke auf der Mitte des Verschiebebahnhofes
Stellwerk Wm von der Rückseite, im Vordergrund die Personenzugstrecke.
Blick in Richtung Süden
Blick in Richtung Norden
Blick aus Richtung Norden
Blick auf die Gütergleise aus Richtung Süden
Blick aus Richtung Süden
Blick aus Richtung Norden
Aus und vorbei. Und so sieht es 2014 aus, im letzten Jahr, wo Personenzüge einen Abfahrtauftrag in Flensburg-Weiche erteilt bekommen:
An diesem Wochenende schließt also ein großer Bahnhof nach 150 Jahren für immer seine Tore.
Aber auch wenn der Bahnhof aus dem Kursbuch verschwindet, in dem Namen des Ortes, den er begründet hat, wird er weiterleben: Flensburg-Weiche – Flensborg-Sporskifte.
Ich würde mich freuen, wenn möglichst viele hier im Forum mit einem kleinen Kommentar oder – falls vorhanden – auch mit dem einen oder anderen Bild dem Bahnhof Flensburg-Weiche die letzte Ehre erweisen würden.
Christoph