Liebe HiForianer,
heute vor 20 Jahren, am 06.11.1994, hieß es für die Dampflokfreunde im Nordosten Abschied nehmen. Die einige Jahre lang liebevoll umsorgte und als heimliche Traditionslok des Bw Wismar voll betriebsfähig erhalten gebliebene 50 3545 hatte am 08.11.1994 Fristablauf. Mir persönlich war die Maschine in bestem Pflegezustand in den späten 1980er Jahren einige Male bei diversen Sonderfahrten unter den freundlichen Lokmännern Riedel und Vorbeck begegnet, auch auf dem Führerstand war gelegentlich Platz für mich. So musste ich natürlich bei ihren letzten Runden dabeisein.
Die Lok war als 50 1385 im Jahre 1942 in Esslingen gebaut worden und wurde unter Verwendung eines SKL-Magdeburg-Neubaukessels im Jahre 1958 im Raw Stendal zur Rekolok der Unter-Baureihe 50.35. Seit 1978 fuhr sie für die Rbd Schwerin, beheimatet war sie in Güstrow, Wittenberge und -wie gesagt- Wismar. Seit Ende 1993 war sie nun in Rostock zu Hause und neben Sonderfahrten auch als Schulungsmaschine der Lokfahrschule Güstrow mit der DBAG-Nummer 050 545 eingesetzt worden. Nun sollte es dem Exoten des Direktionsbezirkes Schwerin „an den Kragen“ gehen.
Man munkelte zwar von einer geplanten betriebsfähigen Wiederaufarbeitung, jedoch auch von einem geplanten anschließenden Verkauf in Privathand nach Süddeutschland, so organisierten Rostocker Eisenbahner zuvor noch einmal einen Abschieds-Foto-Güterzug Rostock-Wismar und zurück im Stile der DR sowie ein ausgiebiges „Fotoshooting“ im stillegungsbedrohten Rostocker Güterbahnhof zusammen mit der dortigen E44. Ein Insider gab die Information an mich weiter, das Wetter versprach einige nette Herbstmotive, also machte ich mich mit 2 Fotokumpels auf, bei einem Güterzug kam im Interesse der Bildervielfalt natürlich nur eine Autoverfolgung in Frage.
Im Verlaufe mehrerer Umzüge muss die Diakiste mit den Fotos von der Hinfahrt nach Wismar und vom Güterbahnhof wohl „verschütt‘ gegangen“ sein, es fanden sich bisher leider nur die Bilder von der Rückfahrt wieder an. Da ich derzeit nicht scannen kann, habe ich einige Dias einmal auf die Schnelle durch Abfotografieren digitalisert, worunter die Qualität natürlich ein wenig gelitten hat. Sei’s also drum, ich hoffe, dass es hier auf Interesse stößt, auch wenn es sich nicht um echten Planbetrieb handelt:
Bild 1: Die Reko-50er verlässt soeben die Drehscheibe ihrer vormaligen, langjährigen Heimatdienststelle und wird sich gleich an den Foto-Güterzug setzen, um Wismar in Richtung Rostock zu verlassen. Nach Wismar passte die Reko-50 wunderbar, denn schon in den 1960er Jahren hatte man dort solche Maschinen. Bis Mitte der 1980er Jahre wurde die Strecke Wismar-Rostock planmäßig mit ihnen „bedampft“, bevor freiwerdende 118er die Leistungen übernahmen. Einer der Rauchabzüge auf dem Dach des Wismarer Rundschuppens hatte sich sogar noch länger gehalten, wie man sieht.
Bild 2: Der kleine Bahnhof Hagebök liegt etwa mittig zwischen Wismar und Neubukow, hier ging es „auf den Rand“. Im nachmittäglichen Gegenlicht war irgendwie kein brauchbares Bild des Fotozuges umsetzbar, so dass ich mich für dieses Motiv der Kreuzung mit dem planmäßigen Nahverkehrszug entschied, der von „Ceausescus Rache“ 219 146 geführt wurde und zu 2/3 aus ehemaligen Städteexpreß-Wagen bestand.
Bild 3: Pech in Kröpelin (Danke für die Berichtigung, Frank!). Den Lada Samara hinten an der Scheune hätte man ja noch verschmerzen können. Insgeheim matte ich mir hier natürlich ein anderes Straßenfahrzeug gewünscht. Doch Pustekuchen! Während oben in bestem Licht bei nahezu unverfälschtem DDR-Flair die 50er über die Straßenüberführung dampfte, dumpfte darunter, genau im falschen Moment, ein tiefergelegtes Golf-2-Bumcar per Bassantrieb das Motiv kaputt… Sieht man davon einmal ab, gibt es hier viel zu entdecken. Rosige Zeiten versprechende Wahlplakate hängen nur noch in Fetzen herunter, auf einem Dach gibt es terrestrische UHF-Fernsehantennen, wer kennt soetwas heute schon noch. Das Heimwerker-Gerüst im Vordergrund ist einfach nur eine Schau und würde jeden Inspektor der Bau-Berufsgenossenschaft das kalte Grausen lehren. Und da das Foto im Herbst aufgenommen ist, frage ich mich heute, was dort eigentlich so herrlich gelb blüht und von weitem wie Osterglocken aussieht.
Bild 4: Die Auto-Verfolgung über die B 105 lief besser als gedacht und beim zwischen Kröpelin und Bad Doberan gelegenen Dörfchen Reddelich klappte es auch mit einem etwas verträumten Motiv im Sonnenlicht ohne Autos in den Weiten Mecklenburgs. Die Veranstalter hatten darauf geachtet, dass im Fotozug nur Waggons ohne den neuen DB-Keks zum Einsatz kamen.
Bild 5: Nochmals gelang es, den Zug zu überholen, so dass bei der Einfahrt in den vor den Toren Rostocks gelegenen kleinen Bahnhof Groß Schwaß, bei schon recht mauer Beleuchtung, ein weiteres Foto möglich war. Soeben hatte der Meister den Regler zugezogen, um ein paar hundert Meter weiter in Halt zu gehen. Der wutschnaubend herantrabende Bulle, der wegen des Dampfzuges ohnehin schon verschreckt war, muss sich mächtig über uns geärgert haben und schien wild entschlossen, uns auf die Hörner zu nehmen. Unmittelbar nach dem Fotos jedenfalls musste der Standort der Gesundheit zuliebe fluchtartig aufgegeben werden, eine gern erzählte Anekdote.
Bild 6: Im Bahnhof von Groß Schwaß gab es neben der Überholung durch den mit „U 116“ rumänischen Ursprungs bespannten Nahverkehrszug nach Rostock auch einen ausgiebigen Fotohalt, bei dem man in Ruhe aus allen möglichen Positionen Bilder machen konnte, während die Sonne rötlichgelb am Horizont versackte. Hier wurde auch das Gedenkschild unterhalb der Rauchkammer auf der Umlaufschürze angebracht, das die letzten Kilometer auf der Lok verblieb. Im scheidenden Tageslicht startete der Dampfzug hier in seine finale Etappe.
Bild 7: Die hereinbrechende Dämmerung und Dunkelheit machte erst wieder Standaufnahmen im Bahnbetriebswerk Rostock möglich. Hier gab es unter extra herangeschaffter Theaterbeleuchtung fotogerechte Aufstellungen an verschiedenen Standorten und auch Ehrenrunden auf der Drehscheibe in diversen Positionen. Stellvertretend für einige Nachtaufnahmen im Bw möchte ich dieses letzte Bild präsentieren.
Wenn ich mich recht entsinne, ist die Maschine noch in der Nacht oder am folgenden frühen Morgen aus eigener Kraft nach Meiningen gedampft. Ich habe sie dann nie wieder gesehen, sie ist zunächst fahrbereit hergerichtet worden, inzwischen jedoch nicht mehr betriebsfähig. Immerhin aber ist sie erhalten geblieben. Im ehemaligen Bw Crailsheim im fernen Baden-Württemberg hat sie beim Verein „Historische Eisenbahn e.V.“ ein neues zu Hause gefunden, sie wird der Nachwelt damit wohl erhalten bleiben. Und wer weiß, vielleicht treffe ich sie doch noch einmal dampfend wieder…
Das war’s für heute!
Tschüß und Gruß
Mathias
Späterer Edith: Bildlinks korrigiert, so dass keine miniaturisierten Fotos mehr zu sehen sind, dank Frank 1 Aufnahmeort berichtigt und den rumänischen Präsidentennamen harmonisiert (das Sonderzeichen kannte der Server wohl nicht).
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 2014:11:06:08:03:18.