Zwischen dem Comersee und dem Gardasee fristet der schöne Lago d’Iseo ein Mauerblümchendasein. Eisenbahntechnisch wird sein Ostufer von der Trenord-Strecke Brescia - Edolo erschlossen. Von der FS-Linie Brescia - Bergamo aus führt die knapp 10 km lange Stichstrecke Palazzuolo - Paratico zum unteren Ende des Sees. Der reguläre Personenverkehr endete schon vor Jahrzehnten. In den Sommermonaten gibt es gelegentlich touristischen Zugsverkehr. Der Güterverkehr wurde bis 1999 aufrechterhalten. Bei meinem Besuch im Frühling 1993 fuhr der Güterzug noch täglich. Diese Daten wirken völlig unspektakulär. Sie gelten, mit anderen Jahreszahlen versehen, für Dutzende von Strecken im ländlichen Raum.
Das Einzigartige am Güterverkehr war jedoch, dass er nicht in Paratico endete, sondern über den See bis ins 24 km entfernte Stahlwerk Lovere weiterführte. Als Verkehrsmittel kamen nicht motorisierte, mit einem Gleis versehene Kähne von unterschiedlicher Länge zum Einsatz. Der Schlepper „Adamello“ konnte auf jeder Seite bis zu drei dieser Kähne mitschleppen. Das Stahlwerk am anderen Ende des Sees wurde in knapp dreistündiger Fahrt erreicht. Eine alte Diesellok mit Deutz-Motor verteilte die Wagen im Werkareal von Lovere.
In einer italienischen Fachzeitschrift habe ich einen Bericht über diesen altväterischen Trajektverkehr gelesen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein derartig aufwändiger Betrieb noch lange durchhält. Das muss ich bei der nächsten Italienreise ins Programm aufnehmen. Der erste Ferientag ist für den Lago d’Iseo reserviert. Da ich den Fahrplan nicht kenne, bin ich zur Sicherheit bald nach dem Frühstück zur Stelle, gewappnet mit reichlich Geduld. Beide Fährbrücken sehen noch betriebstüchtig aus.
Blick in die Gegenrichtung. Die gut belegten Abstellgleise machen mir Hoffnung, dass Güterzug und Trajektverkehr nicht ausgerechnet am heutigen Tag ausfallen.
Glücklicherweise dauert es nicht allzu lange, da biegt der Konvoi um den etwa 8 km entfernten Felsvorsprung gegenüber von Pilzone. Die nächsten 40 Minuten vergehen wie im Flug. Endlich ist der Schleppverband nahe genug, dass ich die ersten Bilder machen kann.
Der Schlepper „Adamello“ führt steuerbord einen beladenen Kahn mit sich, backbord einen beladenen und einen leeren. Am Lago d’Iseo heissen die flachbödigen, nicht motorisierten Kähne „chiatte“, Singular „chiatta“.
Auf dem Steuerbord-Ponton stehen vier Dienstwagen mit frisch bandagierten Achsen.
In diesem Moment beginnt das spektakuläre Anlandemanöver.
Die Pontons werden losgebunden und fahren mit Schwung weiter.
Der Schlepper zieht sich zurück.
„Adamello“ begibt sich solo zur Kaimauer.
Der Schlepper legt an, dahinter gleiten die beladenen Kähne lautlos weiter.
Während die Kähne die letzten Meter zurücklegen, wird der Ablauf der kommenden Stunde vorbesprochen. Die beiden Trajektbrücken sind auf verschiedene Höhen eingestellt.
Der Herr mit dem weissen Helm ist der Rangierleiter der Bahn. Mit einem Schlüssel öffnet er die massiven, hölzernen Gleissperren.
Auf den Kähnen sind zwei kräftige Seeleute an der Arbeit. Mit den Steuerrudern sorgen sie dafür, dass die drei Kähne seitlich parallel zur ersten Trajektbrücke anlanden und dort vorläufig festgebunden werden können.
Zuerst werden die bereits an den Brücken bereitstehenden Kähne beladen. Das erfordert vorab die präzise Ausrichtung der bereitstehenden Kähne
Besondere Aufmerksamkeit gilt der Gleisverbindung.
Fortsetzung folgt.
Hier mein Beitragsverzeichnis:
[
www.drehscheibe-foren.de]
Gruss
Werner
Edit: fünf Bilder in Teil 2 verschoben. Sonst ist der Ablauf nicht ganz verständlich.
6-mal bearbeitet. Zuletzt am 2023:10:26:00:56:43.