Moin Moin!
Ein Wort vorweg
Es ist ja hier etwas in Mode gekommen, ein paar generelle Sätze vorweg zu stellen – ich greife das auf, denn ob das folgende Thema überhaupt hier jemanden interessieren wird und ob es hierher ins Hifo gehört, habe ich mich da dann schon gefragt. Der Hifo-Anspruch ist ja für einige – zumindest den selbstüberzeugten Beiträgen zu urteilen – wohl eher ein Beitrag mit hochwertigen, scharfen, kontrastreichen Bildern. Und historisch muss es sein, Dampflok am besten. Dann ist für jeden was dabei – und stelle bloß keine Fragen, und wage nicht, die besten der besten Beiträge durch Deinen unseeligen Beitrag auf die verhasste "Seite 2" zu "katapultiern". Und schreib´ ordentlich Deutsch,
Von alle dem kann/will/werde ich hier nichts bieten (ausser die Beachtung der deutschen Rechtschreibung, soweit dies in meiner Fähigkeit liegt), und da fragt man sich dann schon, ob man einen Einblick in die Archivunterlagen diesem anspruchsvollen Hifo-Volk hier zumuten sollte. Denn ...
Einleitung zum Thema
... es sind sicher nur ein paar wenige, die sich für die Lieferlisten der Lokomotivhersteller interessieren. Noch kleiner ist der Kreis, der selbst nach Möglichkeit versucht, die original Unterlagen zu beschaffen (in Kopie versteht sich) und sich dafür in Archive begibt oder über Jahre bei Firmen und Privatpersonen anfragt und nach Daten "rumbettelt".
Und letztendlich sind es ganz wenige Statistiker, die dann aus diesen (für Deutschland rund 300.000 Datensätzen) auch noch eine Auswertung über die Lieferleistung der jeweiligen Hersteller erstellen und diese veröffentlichen. Allerdings ist dieses Ergebnis dann wieder für einen sehr großen Kreis der Eisenbahnfreunde interessant.
Ebenso sehr klein ist der Kreis Derjenigen, die sich für die "Geschichte hinter den Lieferlisten" interessiert. Der ein oder andere wird mit dem Begriff "Schmeiser-Listen" schon mal konfrontiert worden sein, aber wer das eigentlich war, kann kaum einer beantworten. Und wieso diese "Schmeiser-Listen" Grundlage für die heute digital verfügbaren Listen wurden (was zum Teil gar nicht stimmt...), ist sicher auch nur sehr wenigen bekannt. Aber dies soll hier nicht das Thema sein – auch wenn hier auch einen Blick auf die Arbeit von Dipl.-Ing. Bernhard Schmeiser geworfen wird. Vielleich später, ggf. als Abschluss, dazu mehr. Wenn es denn hier überhaupt interessiert - es ist halt Grundlagenarbeit mit viel Text. Ein Beitrag mit ein paar schönen Bildern aus vergangenen Zeiten ist da sicher einfacher zu konsumieren.
In dieser kleinen Serie sollen einfach ein paar Auszüge aus den original Unterlagen gezeigt werden, um einen Eindruck zu vermitteln, wie solche Unterlagen eigentlich aussehen. Zwei Beweggründe:
* Die Mehrheit der Eisenbahnfreunde hat nur selten die Möglichkeit hat, solche Unterlagen mal zu sehen (selbst wenn es sie interessiert).
* Es wird (hoffentlich) auch deutlich, welche Schwierigkeiten dabei auftreten und warum es Abweichungen zwischen der Realität und den Angaben in Dokumenten geben kann – ein Thema, was hier bei Loklebensläufen ja sehr häufig und oft auch sehr emotional diskutiert wird.
Letzteres ist auch zu bedenken, wenn hier im Hifo immer mal wieder "die Merte-Listen" zitiert werden und/oder Widersprüche auftreten. Mich wundert das dann immer überhaupt nicht. Ich freue mich nur, wenn wieder ein Puzzelstein "geputzt und richtig herum" an die richtige Stelle gesetzt werden kann.
Die Jung-Lieferunterlagen
Nun aber endlich die paar Bilder aus den Unterlagen der Firma Jung in Kirchen a.d. Sieg (zur Geschichte des Herstellers siehe
http://www.werkbahn.de/eisenbahn/lokbau/jung.htm bzw. das neue Buch im EK-Verlag von Gerhard Moll und Stefan Lauscher). Bei diesem Hersteller wird schon das "erste Vorurteil", es gäbe bei großen Herstellern "das Lieferbuch", im Mark erschüttert: Es gibt in der Tat zwar ein Lieferbuch, aber es ist halt nicht "das eine" – vielmehr gibt es viel mehr Unterlagen, die die Lieferungen der Firma Jung letztendlich vollsändig dokumentieren. Neben "dem klassischen" Lieferbuch sind dies vor allem Karteikarten. Hinzu kommen dann weitere Lieferbücher, in denen pro Seite eine Lok beschrieben wird (auch hier liegen ein paar Kopien vor, jedoch sind diese sehr schwer lesbar und ich verzichte auf deren Wiedergabe).
Und so sieht das dann im Einzelnen aus – gezeigt wird hier nur ein Bild mit einer Breite von 1200 Bildpunkten, um die Lesbarkeit zu gewähren, auch wenn dann auf "normal-alten" Bildschirmen etwas "links-rechts-scrollen" notwendig ist:
Die Seite 1 "des Lieferbuches"
Es beginnt (das ist nicht bei jeden Hersteller unbedingt so) wie erwartet mit der Fabriknummer 1, eine 2/2-gekuppelte Tenderlok, welche am 10.10.85 (gemeint ist hier 1885) an den Bauunternehmer Schlüter, Kiel geliefert wurde. Hmm, wer jetzt sich den Scann genau anschaut, der wird zurecht anmerken: Da steht doch etwas wie Schütte, aber nicht Schlüter. Ja, stimmt, allerdings wurde Schütte gestrichen und durch Schlüter ersetzt. Bei FNr. 1 ist dies durch die Kopier-Qualität nicht sichtbar, man beachte da aber den Eintrag bei FNr. 7 mit dem gleichen Empfänger.
Da sieht man schon beim ersten Eintrag: Ups, ging die Lok ggf. an Schütter (oder von dem bestellt) und später an Schlüter? Oder ist es nur ein Schreibfehler gewesen, welcher (von wem?!) später "berichtigt" wurde? Wenn dem so ist, warum ist dies nicht auch bei FNr. 504 geschehen?! Tatsächlich wird bei FNr. 504/1901 "Schütter, Kiel" angegeben, was die Korrekturen auf der erste Seite doch fraglich erscheinen lassen.
Die Lieferbuchseite mit FNr. 504 – eindeutig Schütter:
Schon beim ersten Eintrag eine enorme Unsicherheit – da schwindet doch schnell das Vertrauen...
Was die Qualität der Kopie anbetrifft: Ja, bescheiden (entspricht sicher nicht den hohen Ansprüchen mancher Hifo-Bilderfetischisten), aber besser als gar nichts – man muss froh sein, dass man nach Jahren des "Bettelns" überhaupt eine Kopie aus den im Privatbesitz befindlichen Büchern erhalten hatte. Deshalb findet man sich damit ab und ist glücklich.
Zurück zur Jung-FNr. 1: so ganz klar ist also nicht, wie der Empfänger der ersten von Jung gelieferten Lok hiess – nein, so ist es falsch: Denn die erste ausgelieferte Lok ist nicht die FNr. 1! Es ist die FNr. 3, welche am 3. September 1885 ausgeliefert wurde (an die Denniner Zuckerfabrik). Dies ist in der Literatur früher oft nicht beachtet worden – sicher deshalb, weil in den zur Verfügung stehenden Lieferlisten ("Schmeiser-Liste") kein Ablieferungs-Datum stand, sondern nur das Baujahr.
Auffällig ist übrigens auch die FNr. 4, die wurde satte fünf Jahre später (1890) geliefert als die Maschinen davor und danach. Die Geisweider Eisenwerke lagen, wie Jung, im Siegerland und waren damit nicht weit entfernt. Vielleicht wurde die Lok erst nur leihweise nach Geisweid geschickt, um schnell vor Ort die Maschine reparieren und verbessern zu können. Wenn dem so ist, dann wäre die Lok aber sicher nicht Baujahr 1890 – aber das Baujahr geht aus dem Lieferbuch ja nicht hervor!!! Ich kann es nicht beweisen, aber ich habe das Gefühl im Magen, dass dies die erste Lok war, die Jung baute, leihweise in Geisweid einsetzte und letztendlich fünf Jahre später (Ablauf des Leasingvertrages :-) an die Eisenwerke verkaufte. Aber das ist eine Vermutung, vielleicht war sie auch wo anders vorher im Einsatz (denn es ist die Auslieferung 1890 angegeben, nicht "verkauft 1890") oder wurde tatsächlich erst 1890 gebaut.
An dieser Stelle macht es Sinn, mal einen Blick auf die originale Liste des Dipl.-Ing. Schmeiser zu verwerfen (bzw. Einblick in diese zu gewähren – Dank an Joseph Pospichal und Dieter Zoubeck):
Dipl.-Ing./Baurat Bernhard Schmeiser – Lieferliste Jung, Seite 1
FNr. 1 und 7 gingen an – Schlüter. Offenbar lagen Hr. Schmeiser entweder die korrigierten Liefereinträge oben vor, oder er hatte eine andere Quelle. Ein Blick auf die FNr. 4 – Baujahr 1890 ! Wieso? Aus der Quelle oben geht nur das Lieferdatum hervor. Auch ist der Empfänger hier Eisenw. Geisweid, nicht Geisweider Eisenwerke. Eine Kleinigkeit, aber warum? Ggf. gab es aber eine andere Quelle als die bis heute erhalten gebliebenen Lieferbücher – in der Tat gibt es bei Jung ja, wie oben bereits gesagt, mehrere Quellen.
Auf diese komme ich gleich zurück, vorher aber noch ein interessanter Hinweis auf die Quelle der heutigen digitalen Jung-Lieferliste: Diese sah nämlich so aus:
EMH – Lieferliste Jung, Seite 1
Sofort wird klar: DAS ist nicht die selbe Liste. Auffälligstes ersten Kennzeichen: Spalten sind anders angeordnet – das ist ja noch ok. Aber was ist mit dem Inhalt? Der stimmt weit gehend überein, aber eben nicht ganz! Und beide Quellen, die als Sekundär-Quellen zu bezeichnen sind, stimmen nicht mit "dem" oben gezeigten Lieferbuch überein. Schon die erste gelieferte Lok, die FNr. 3, geht bei den Sekundärquellen an die Zuckerfabrik Demmin, im Lieferbuch steht aber (richtig) Dennin.
Auch bei FNr. 51 irren beide Sekundär-Quellen: "Charlottenhütte, Niederschles." (Niederschlesien) ist falsch, im Original steht richtiger Weise "Charlottenhütte, Niederscheld.." (Niederschelden, das en ist durch die ausgefranste Seite nicht mehr vorhanden).
Bemerkenswert ist auch FNr. 55:
B. Schmeiser: "Marmorgr. Mecklinghausen"
EMH: "Marmorsteinbruch, Mecklinhausen"
Lieferbuch: "Rheinisch-Westfälische Kalkwerke, Menden"
Bei Bernhard Schmeiser stimmt übrigens die Schreibweise des Ortes Mecklinghausen, aus "dem" heute erhaltenen Lieferbuch geht das aber nicht hervor. Das ist höchst erstaunlich, die Sekundär-Quellen (Bernhard Schmeiser und eine spätere Abschrift/Kopie von einem mir bisher nicht bekannten Autor) enthalten also Abweichungen beim Empfänger im Vergleich zu den heute noch erhaltenen Lieferbüchern. Ob da eine weitere Primärquelle genutzt werden konnte oder ob hier aus anderen Sekundär-Quellen die ursprünglichen Lieferangaben bewusst verändert wurden, wird wohl unbekannt bleiben.
Es ist also kein Wunder, wenn in der Literatur, die sich auf diese (lange Zeit einzig möglichen) Sekundär-Quellen berufen, sich Abweichungen zur Realität ergeben. Was allerdings jetzt in keiner Weise die Leistung von Hr. Schmeiser mindern sollte!
Auch muss man deutlich widersprechen, wenn immer mal wieder behauptet wird, dass Bernhard Schmeiser sich auf die Staatsbahnlokomotiven beschränkt hat. Die oben gezeigte Seite zeigt dies schon sehr beeindruckend, in welcher Akribie er hier Lieferungen für Feldbahnen und kleine Werkbahnen mit auflistet.
Diese Behauptung ist also Unsinn. Sie ist vermutlich eine Fehlinterpretation von Lücken, welche bei Hr. Schmeiser in diversen Listen auftreten, bei denen dann gerade Werk- und Feldbahnlieferungen fehlen. Ich werde noch bei anderen Listen zeigen, dass diese Lücken sicher nicht mit "böser"/purer Absicht entstanden, sondern das es diese Lücken in den zur Verfügung stehenden Unterlagen der Firmen so gab.
Und Jung ist da eines der besten Beispiele, um "Schmeiser-Lücken" zu erklären. So lässt die Abschrift aus Wiener Neustadt (bzw. die über EMH vertriebene Liste) eine Lücke bei FNr. 5600 bis 6000 als "frei zur Einzählung gebauter Dieselmotoren". In diesem Fabriknummern-Bereich sind allerdings etliche Feldbahn-Diesellokomotiven bekannt, selbst DRG-Kö sind hier zu finden.
Dazu wieder ein Blick in "das" Lieferbuch:
Da ist bei 5600 bis 6000 tatsächlich eine Lücke ("Mo" –könnte natürlich alles mögliche sein). Und diese Lücke gab es noch sehr lange, nämlich bis Mitte der 1990er Jahre. Erst dann tauchten, vorm Altpapier gerettet, etliche hundert Karteikarten zu den Diesellokomotiven auf. Als Beispiel der "Lückenfüller" mit den FNr. 5601 ff:
Die Karteikarten sind unterschiedlich geordnet, z.T. nach Typen, zum Teil nach Vertretung/Empfänger. Auch gibt es entsprechende Karteikarten für die Gruben-Preßluft- und Akkulokomotiven. Als Beispiel hier ein Blatt zu den Elektrolokomotiven, und zwar am Ende des Lokomotivbaus bei Jung 1985 bzw. 1987:
Das Lieferdatum der letzten Maschinen wurden nicht mehr eingetragen! Anhand eines Zeitungsberichtes in der Siegener Zeitung aus dem Mai 1987 mit einem Bild der letzten sechs ausgelieferten Preßluftgrubenlokomotiven ist jedoch bekannt, dass eben im Mai 1987 die letzten Jung-Lokomotiven ausgeliefert wurden.
Womit noch ein weiterer Aspekt zu der Jung-Lieferliste angesprochen werden muss: Dipl.-Ing. Schmeiser starb 1958, dennoch sind alle Lieferungen bis 1987 bekannt. Zu verdanken ist dies dem Verfasser der oben gezeigten "Schmeiser-Abschrift", welcher die Liste bis 1967 fortführte, hinzu kommen die "Ergänzungen Quill 22.11.1976" (Klaus Peter Quill). Zusammen mit den Karteikarten zu den Grubenlokomotiven (ab 1977 wurden nur noch Grubenlokomotiven geliefert) ergibt sich letztendlich eine weitgehend vollständige Jung-Lieferliste. Aber es zeigt auch, dass es kein einfacher Weg war.
Schlußwort
Wie oben gesagt – ob das Thema in diesen Details überhaupt hier ein größeren Kreis anspricht und es sich damit lohnt, es fortzusetzen, ist eine Frage, die (m.E. zurecht) ganz am Anfang steht. Ich habe versucht, das dröge Thema etwas spannend zu machen und bewusst (besonder in der Einleitung) hier und da etwas plakativ geschrieben – die "getroffenen Hunde" sehen es mir bitte als Stilmittel der Spannungserzeugung nach oder kläffen halt etwas rum (jeder halt, wie er kann).
Ansonsten ist natürlich jede Diskussion und Information zu dem Thema Lieferunterlagen sehr willkommen, gerne kann ich auch noch die ein oder andere Seite mehr zeigen, wenn denn begründetes Interesse besteht.
Wer sich ansonsten für Lieferlisten interessiert, dem sei der Link unten empfohlen – dürfte aber weitreichend bekannt sein :-)
Beste Grüße
Jens
"DIE neue" ist da - V12 - Stand 2012:
