Das Wetter ist dem Anlass entsprechend: nass, grau, traurig. Krachend frisst sich der Greifer des schweren Hydraulikbaggers Stück für Stück durch Dachgebälk und Gemäuer. Bis nur noch ein Schutthaufen übrig bleibt, der anschließend portionsweise per Lkw abgetragen wird.
Hier werden bald Autos fahren: Das Gummersbacher Bahnhofsgebäude wird abgerissen.
So sah es gestern, am 21. Januar 2012, am Bahnhof Gummersbach aus, einer Einrichtung, die nun endgültig, so ohne Gebäude, die Berechtigung verliert, Bahnhof
genannt zu werden.
Ein Blick auf die Gesamtanlage des Bahnhofs Anfang der 1980er Jahre. Was war das damals für eine "heile Welt", nur habe ich sie damals nicht als solche erkannt. Die Kölner 215 fährt mit einem Nahverkehrszug aus dem Bahnhof Gummersbach aus in Richtung Domstadt.
Nur noch 1,5 Betriebsgleise: Schon vor Jahren wurde alles bis auf das Durchfahrgleis und ein zusätzliches Bahnsteig(stumpf)gleis abgerissen und zu einem Parkplatz "umgewidmet". Im Hintergrund sind die bereits seit langem leerstehenden Gebäude zu sehen. Das Bild zeigt die Überführung der aufgearbeiteten 03 155 von Dieringhausen in Richtung neue Länder im Dezember 2011.
Besondere Bedeutung hatte der Bahnhof Gummersbach nie, weil betrieblich der benachbarte Stadtteil-Bahnhof Dieringhausen ein Knotenpunkt für die Züge von und nach Köln, Olpe, Waldbröl, Remscheid-Lennep, Lüdenscheid und Hagen/W. war. Dennoch brauchte die Kreisstadt des Oberbergischen Kreises natürlich ein angemessenes Bahnhofsgebäude. Das entstand Mitte der 1930er Jahre zusammen mit einem adäquaten Güterschuppen, nachdem die alten Gebäude arg vom Zahn der Zeit angefressen und in einem Zustand waren, der bestenfalls als unwürdig zu bezeichnen war. Heute wäre das kein Grund mehr, um neu zu bauen, damals aber schon!. Und so entstand ein architektonisch nüchterner Zweckbau mit großer Empfangshalle und Schaltern für Fahrkarten, Gepäckaufgabe und Expressgut im Hauptgebäude, einer nach vorne angebauten Express- und Gepäckgutabfertigung sowie einem zweistöckigen rückwärtigen Trakt, in dem die Wartesäle erster und zweiter Klasse sowie die Verwaltungs- und Sozialräume im Erdgeschoss und Dienstwohnungen im Obergeschoss Platz fanden.
Der alltägliche Expressgutwagen wird von einer 211 an die Abfertigungsanlage gedrückt. Die Expressgutabfertigung ist der flache, hinter dem Waggon zu erkennende Anbau am Hauptgebäude.
Mehrere Gütergleise trennten einst den Inselbahnsteig vom Hauptgebäude. Eine Unterführung, die schon längst nicht mehr vorhanden ist, diente als Zugang.
Die Schalterhalle befand sich in dem großen Quertrakt, der unmittelbar vor der Lok zu sehen ist. Daran an schlißt die der Flügel mit den Wartesälen den den Bahnhofsbüros.
Die Güterabfertigung war ein eigenständiges, langgezogenes Gebäude mit großzügigen Platzverhältnissen, an die ein stilistisch zum Empfangsgebäude passender Verwaltungsbau an der Stirnseite angebaut war. Das Aussehen des äußerlich unauffälligen Gebäudekomplexes änderte sich über die Jahrzehnte hin kaum. Für Eisenbahnfotografen war der
Bahnhof von untergeordneter Bedeutung, dem allenfalls in den 19080er Jahren die neuen Citybahnzüge ein wenige mehr Aufmerksamkeit bescherten. Auf Fotos ist das Bahnhofsgebäude dennoch nur selten zu sehen, denn der Inselbahnsteig mit seinen beiden Gleisen liegt so weit vom Empfangsgebäude entfernt, dass es schwierig war, Zug und Bahnhof gleichzeitig aufs Bild zu bekommen.
Zeitlos-nüchtern war die Güterabfertigung gehalten, deren Rampe hier als Zugang zu einem Ausstellungs-Zug dient.
Von von der Endzeitstimmung geprägt ist dieses Bild, das Anfang des Jahrtausends entstand. Linkerhand entsteht gerade der Parkplatz auf dem früheren Gleisplanum. Die 290 hat an der Tankanlage ihren Kesselwagen abgestellt und setzt nur über die damals noch vorhandene nördliche Weiche auf das zweite Bahnsteiggleis um. Die Bahnhofsgebäude
sind wiederum im Hintergrund zu erkennen.
In den 1980er Jahren pachteten Georgios Trapezanlidis und seine Frau Kiza den alten Wartesaal und machten daraus ein griechisches Restaurant. In den Folgejahren entwickelte sich das beliebte Lokal rasch zur Stammkneipe für Friedensbewegte, Nazi-Verächter und Anti-Atom-Protestler. Hier traf man sich, um Demos zu organisieren und nach solchen Veranstaltungen, um in gemütlicher Runde noch ein Bier oder einen Kaffee zu trinken. Ich weiß nicht, wieviele Stunden ich bei „Jorgo“, wie der Wirt liebevoll genannt wurde, verbracht habe, aber es waren viele Gelegenheiten: Geburtstags-, Weihnachts- und Silvesterfeiern, Petersilienhochzeit, Fußball-Übertragungen zur WM und vieles mehr. Besonders freudig wurde die Bekanntgabe gefeiert, dass Griechenland die Olympiade ausrichten würde. Besonders betroffen waren die Gäste am 11. September 2001, als der große Kneipen-Fernseher immer wieder nur die Bilder der in sich zusammen sackenden Twin-Towers zeigte. Über 3000 Tote, da habenviele ihre Tränen nicht zurückhalten können…
Die Güteranlage mit dem Verwaltungsgebäude von der Straßenseite aus gesehen.
Der Bahnhofsvorplatz mit den Parkplätzen. Der Gebäudeteil rechts ist die ehemalige Expressgutabfertigung.
Als vor rund 10 Jahren dann die benachbarte Firma Steinmüller – Gummersbachs größter Arbeitgeber – für immer ihre Tore schloss, sah sich die Stadt zum Handeln gezwungen. Mit Unterstützung des Landes NRW wurde das riesige Areal gekauft, um darauf u.a. ein Einkaufszentrum, Neubauten für Forstamt, Fachhochschule, Altenpflegeschule und eine neue, bundesligataugliche Sporthalle für den VfL Gummersbach entstehen zu lassen. In diesem Zusammenhang erstand die Stadt auch das Gesamte Bahnhofgelände mit allen Gebäuden, aber ohne die letzten beiden verbliebenen Betriebsgleise und den Bahnsteig. Alsbald war klar, dass die Gebäude der Schließung des Innenstadtrings und dem Neubau des Busbahnhofs würden weichen müssen. Schon vor einigen Jahren wurde den Mietern gekündigt, der Schalter geschlossen und die Eingänge zum Teil zugemauert. Schließlich wurde im Sommer 2011 bekannt gegeben, dass der Abriss der Anlagen Anfang 2012 erfolgen solle.
Die letzte Stunde hat geschlagen, bald wird hier nichts mehr an die "gute alte Zeit" erinnern.
An dieser Stelle endet meine kurze, sicher sehr persönlich eingefärbte Beziehungsgeschichte zum Bahnhof Gummersbach, in dessen unmittelbarer Nachbarschaft ich bis 2003 einige Jahre lang gewohnt habe und von dem ich unzählige Male mit dem Zug nach Köln, Berlin, Hamburg, Frankfurt, Nürnberg oder München aufgebrochen bin. Was bleibt sind Erinnerungen und ein paar Bilder…
Es grüßt
Der Bergische!
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 2012:01:22:16:48:54.